13
COWBOY

Moshe lehnte auf dem Geländer des Pavillons hoch über der Eislaufbahn der Ringing Rocks und starrte gedankenverloren auf die Eisläufer unter sich, eine Hand gegen die beißende Kälte in der Tasche vergraben. Hinter ihm nippten einige Teenager an Bechern mit heißer Schokolade, lachten, bückten sich und warfen leichte Schneebälle, die an dem kleinen, gedrungenen Mann mit dem Filzfedora und dem Mantel vorbeischossen, der eine nicht entzündete, halb gerauchte Zigarre in der Hand hielt. Moshe ignorierte sie.

Er liebte es, hier heraus zur Eislaufbahn der Ringing Rocks zu kommen. Die Felsen waren eine Touristenattraktion, eine geografische Kuriosität aus der Steinzeit. Wenn man mit einem Hammer auf sie schlug, gaben sie unterschiedliche Töne von sich. Die Eislaufbahn und der Turm mit seinem Pavillon waren neben sie gebaut worden, um Besuchern eine Zuflucht zu bieten. Oben auf den Pavillon zu klettern und die Berge um den Wald von Bergs County zu betrachten hatte etwas Befreiendes für Moshe. Er sprach ein Birchot ha-Schachar, ein Morgengebet, das half, den Kopf freizubekommen und eine vorübergehende Erholung vom Chaos seines Theaters zu genießen. Auf Rat seines alten Freundes Malachi hatte er angefangen, Abstecher dieser Art zu unternehmen – seines alten Freundes, der einmal sein Theater in Staunen versetzt hatte, so wild hatte er zur wunderbaren Musik des großen Mickey Katz getanzt. Malachi schrieb ihm heute immer wieder aus einer kleinen jüdischen Siedlung im polnischen Janów Lubelski, wo er am Ende ausgerechnet eine Hühnerfarm aufgebaut hatte und Eier und koschere Hühner verkaufte. Malachis Briefe waren voll mit seiner gewohnten grenzenlosen Begeisterung, mit der er die Tugenden des Landlebens und die Existenzen seiner Kunden auf humorvolle Weise besang. Moshe bewunderte Malachi für seine Fähigkeit, sämtliche Misserfolge trotz seines Festhaltens an den alten Weisen zu verarbeiten. Malachis Briefe waren voller Scherze und Humor, was Moshe stets ähnlich zu beantworten suchte.

So war er denn auch an diesem Morgen hergekommen, um seinem alten Freund zu schreiben und seine Zeilen so leicht und luftig zu halten, wie er nur konnte, denn das war eine ungeschriebene Regel zwischen den beiden, ihre Neuigkeiten aufgeräumt und heiter zu gestalten. Nur, dass es im Moment nichts gab, von dem er hätte locker und leicht berichten können. Seine Frau lag in einem Readinger Krankenhaus im Koma, und die Ärzte wussten nicht, wie es weitergehen würde. Der Junge war in den Händen des Staates. Daran wollte er gar nicht denken. Es war eine schreckliche Spirale. Wie hatte das alles passieren können?

Er sah zu den Eisläufern hinunter und seufzte. Chona hatte darauf bestanden, mit ihm zur Eisbahn zu fliehen, als der Junge zu ihnen gekommen war. Sie waren eine seltsame Familie, der jüdische Händler, seine behinderte Frau und ihr zwölfjähriges schwarzes Mündel, die da in Moshes altem Packard auf den Parkplatz getuckert kamen und keine zehn Meter vom Eingang zur Eislaufbahn parkten, an dem vor nicht allzu vielen Jahren noch ein Schild gestanden hatte: »Keine Juden, keine Hunde, keine Nigger.« Das Schild war entfernt worden, aber Chona ging bei keinem ihrer Besuche mit aufs Eis. Nicht ein einziges Mal. Und erlaubte es auch dem Jungen nicht. Sie beklagte, dass ihr Fuß ihr das Eislaufen versagte, aber Moshe wusste es besser. Chona vermochte zu tun, was immer sie sich in den Kopf setzte, und hätte sich einen speziellen Schlittschuh anpassen lassen können. Marv Skrupskelis tat alles für sie, in kürzester Zeit hätte er ihr einen hergestellt. Und der Junge – der brauchte keine Schlittschuhe. Er hätte in seinen Schuhen über das Eis fliegen können, so athletisch, wie er war. Moshe versuchte, Chona zu überreden, dass sie den Jungen Schlittschuh laufen ließ, aber sie weigerte sich. »Steig auf den Turm und rauch deine Zigarre«, befahl sie stattdessen, und er folgte dem nur zu gerne. Er kletterte bis ganz nach oben, paffte friedlich vor sich hin und sah zu, wie die beiden durch die Felsen stiegen. Er beobachtete, wie Chona mit einem Hammer gegen sie schlug und der Junge seine Hände auf sie legte, um die Vibrationen zu spüren. Er hielt das Ganze für töricht und sagte es irgendwann auch, aber Chona widersprach: »Die Felsen sind so alt wie die Erde. Er kann sie ein wenig hören. Sie helfen ihm.«

Helfen , dachte Moshe bitter. So dachte sie. Hier helfen und dort helfen. Und jetzt sieh. Wer half ihnen jetzt? »Das ist alles vorbei«, sagte er laut, ohne auf die Teenager zu achten, die hinter ihm kicherten und sich um ihn herum balgten, den komischen Mann am Geländer, der auf seiner Zigarre kaute und so tat, als gäbe es sie nicht. Ein verirrter Schneeball landete neben ihm, und Moshe ging zu einer Bank. Er fegte den dünnen Schnee herunter, setzte sich, holte seinen Stift und ein Blatt Papier hervor und machte sich an seinen Brief an Malachi.

Er schrieb schnell, die unangezündete Zigarre fest zwischen den Zähnen, und achtete nicht weiter darauf, wie kalt seine Hände waren. Es war nicht nur, dass Chona im Krankenhaus lag, schrieb er. Oder dass der schwarze Junge in eine Irrenanstalt gebracht worden war, so schlimm das auch war. Es ist das Theatergeschäft, erklärte er. Die Zeiten ändern sich. Du hattest recht, schrieb er. Die Juden hier wollen kein jiddisches Theater, keine jiddische Musik und auch die guten, alten Späße und Scherze nicht mehr. Sie wollen amerikanische Sachen. Sie wollen Cowboys. Selbst mit den schwarzen Jazzmusikern wird es schwierig. Und das gestern Abend hat das Fass zum Überlaufen gebracht.

Er hielt inne. Er wollte Malachi erzählen, was genau am Abend zuvor geschehen war, setzte dreimal an, strich durch, was er geschrieben hatte, gab dann erst einmal auf und überlegte, wie er es erklären konnte. So saß er einen Moment da, überdachte die Sache, unsicher, wie er vorgehen sollte, und die Kälte kroch in seinen Nacken, denn er hatte vergessen, einen Schal mitzunehmen. Er griff in die Tasche, suchte Streichhölzer, um die Zigarre anzustecken, fand keine, dachte noch etwas weiter nach und schrieb dann einfach: Nur, damit du es weißt, ich denke daran auszusteigen.

Es war der Vorfall vom Abend zuvor, der ihn das schreiben ließ. Er war aus dem Krankenhaus zum Theater geeilt, um halb acht dort angekommen – schrecklich spät für den Veranstaltungsbeginn um acht –, und es herrschte das reine Chaos.

Lionel Hamptons Band und Machito und seine Afro-Cubans waren für einen gemeinsamen Auftritt gebucht. Die Afro-Cubans waren ein Ersatz in letzter Minute für den ursprünglichen Star des Abends, Louis Armstrong, der wegen schlechten Wetters in Denver festsaß. Das war sowieso schon keine gute Situation. Armstrongs Manager, der mächtige Joe Glaser in New York, hatte angeboten, einen Ersatz zu schicken, aber Moshe, verstört durch Chonas Zustand und nicht gewillt, Glasers riesige Provision zu zahlen, lehnte ab und beschloss, selbst jemanden zu suchen. Er rief seinen alten Freund Chick Webb an. Aber ach, sein alter Kumpel, der erste Schwarze, den er je engagiert hatte, ein wundervolles, buckliges Musikergenie, war sehr krank. »Nimm Mario Bauzá und seine Afro-Cubans«, krächzte Webb durchs Telefon. »Die sind fantastisch.«

Nur dem kranken Webb zu Ehren hatte er die Afro-Cubans gebucht, denn er war sicher, sein Chicken-Hill-Publikum hatte keine Ahnung, wer Mario Bauzá, Machito und die Afro-Cubans waren. Mario war ein wundervoller Musiker, und Moshe war sicher, dass auch die Afro-Cubans fantastisch waren. Aber er hatte angenommen, sie würden das Warm-up übernehmen und Hamptons Band würde anschließend den Hauptteil bestreiten. Er hätte das klären müssen, bevor die Bands ankamen. Stattdessen rannten alle wie wild hinter der Bühne herum, und Lionel Hamptons Frau Gladys, die die Band ihres Mannes managte, und Mario Bauzá, der Chef der Afro-Cubans, gingen sich an die Gurgel.

»Wir spielen nach euch«, sagte Gladys. »Wir sind die Hauptband.«

»Ihr kommt zuerst«, sagte Mario.

»Benimm dich altersgemäß, nicht nach deiner Hautfarbe, Mario. Geh da raus.«

»Ladies first, Gladys.«

Als Moshe erschien, wandten sich ihm die beiden Kampfhähne zu. »Moshe«, fuhr Gladys ihn an. »Du hast hier was zu erklären.«

Moshe stand in der Tür des Bühneneingangs und hatte Angst, etwas zu sagen. Er hasste Auseinandersetzungen. Die Bands, in Anzug und Krawatte, drückten sich nervös herum, hielten ihre Instrumente in den Armen, rauchten und taten so, als hörten sie nicht zu.

Moshe sah auf die Uhr. »Es ist fast acht«, sagte er kleinlaut. »Könnt ihr euch nicht einigen?«

Er sprach beide an, richtete sich im Grunde aber an Mario, der sicher der Lockerere war. Mario wirkte ruhig und professionell, Gladys dagegen war ein Orkan. Sie war eine gut aussehende schwarze Frau, immer aufs Feinste herausgeputzt, und sie legte sich mit allen in der Branche an.

Statt zu antworten, trat Mario, ein feiner Latino in einem blauen Anzug, mit Fliege und Nickelbrille, an das Plakat an der Wand, eines der wenigen, die Moshe noch in letzter Minute hatte drucken lassen können, um den Abend anzukündigen. Er legte den Finger auf »Featuring Mario Bauzá, Machito und die Afro-Cubans«. Er tat das ganz ruhig wie ein Wirtschaftsprofessor, der seinen Studenten eine Formel erklärte, und sagte: »Gladys, was bedeutet das?«

»Es bedeutet, dass du Englisch lesen kannst.«

»Es bedeutet, dass wir die Hauptband des Abends sind.«

»Nein, tut es nicht. Das war Pops«, sagte Gladys und benutzte den Musiker-Kosenamen für Louis Armstrong.

»Richtig«, sagte Mario, »und wir ersetzen ihn.«

»Mario, auch wenn du zehnmal in den Spiegel guckst und dir die Haare kämmst, wirst du immer noch nicht Pops sehen, der dich daraus anblickt.«

Marios professionelle Ruhe verging, und er brummte auf Spanisch: »Tienes razón. Te pareces mucho más a Pops que a mí. Y eso es un hecho (Da hast du recht. Du siehst Pops verdammt viel ähnlicher als ich. Ohne Frage.

Einige der Afro-Cubans in der Nähe kicherten.

Gladys wandte sich an einen von ihnen: »Pedro, was hat er da gerade gesagt?«

Der Mann sah weg und murmelte: »Ich weiß es nicht, Gladys.«

Gladys drehte sich wieder zu Mario hin und zeigte zur Bühne. »Also gut, du fetter Scheißer! Geh an die Arbeit!«

»Ich bin bei der Arbeit!«

»Auf der Bühne!«

»Im Vertrag steht, wir sind die Hauptband!«

»In welchem Vertrag?«, sagte sie.

»Hast du ihn nicht gelesen, Gladys?«

»Im letzten Monat haben wir in DC zusammen mit Pops gespielt, und zwar nach ihm, Mario!«

»Das war in DC !«, spuckte Mario. »Das hier ist Potthead … Pottsville …«

»Pottstown «, warf Moshe höflich ein.

Mario kochte. Er sah Moshe an und murmelte auf Spanisch: »Todo el mundo alrededor de este maldito lugar está en la niebla (Alle hier in diesem verwünschten Kaff sind völlig durchgeknallt)!«

Gladys fuhr ihn an: »Hör auf zu quasseln, du zweitklassiger Gockel! Die Leute warten! Raus auf die Bühne, damit wir unser Geld verdienen und verschwinden können!«

Die Beleidigung traf den gesitteten Mario ins Mark, und er lief rot an. Aber bevor er etwas sagen konnte, ging Moshe dazwischen.

»Bitte!«, sagte er.

Die beiden blitzten ihn an. Moshe war wie gelähmt, starrte auf den Boden vor sich und wünschte, er könnte darin versinken. Er hasste solche Situationen und hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Wenn nur Chona da wäre. Wie oft hatte sie ihm geholfen, derartige Dinge rechtzeitig zu klären, Probleme mit ihm besprochen, ihn dazu gebracht, auf seinem Standpunkt zu bestehen, und ihn in die richtige Richtung gewiesen? Er warf einen Blick zu Gladys’ Mann hinüber, aber der große Bandleader stand ganz hinten in der Ecke, mit seinem Vibrafon, das Räder hatte, bereit, es auf die Bühne zu schieben. Hampton schien mit seinen Schlägeln beschäftigt, die plötzlich genau inspiziert werden mussten.

»Vielleicht kann Mario heute Abend zuletzt auftreten«, sagte Moshe mit schwacher Stimme, »und ihr morgen …«

Gladys drehte sich auf dem Absatz um und stampfte in Richtung des Münzfernsprechers, der hier hinten hing, bevor er seinen Satz beendet hatte. »Ich rufe Joe Glaser an«, sagte sie.

Das war es für Moshe. Wenn Glaser herausfand, dass er hinter seinem Rücken eine andere Band engagiert hatte, war er weg vom Fenster. Glaser war die bestimmende Macht im Geschäft. Leg dich mit ihm an, und mit den lukrativen Zwischenstopps von Leuten wie Louis Armstrong, Duke Ellington oder Lionel Hampton, von denen kleine Theater wie seines abhingen, war es vorbei.

Er rief: »Warte, Gladys, bitte! Gib mir eine Minute!«

Sie blieb stehen, sah sich um und nickte befriedigt, als Moshe sanft Marios Ellbogen nahm und den großen Musiker durch eine Seitentür so weit wie möglich von den anderen wegführte, in den Durchgang zur Bühne.

Moshe stand mit dem Rücken zur Tür in die Dance Hall, die laute Menge hinter sich, und sah Mario an, dessen Gesicht wutverzerrt war.

»Ich spiele nie wieder in dieser bescheuerten Stadt«, sagte Mario.

»Ich habe einen Fehler gemacht, Mario. Es tut mir leid.«

»Du hättest das vorher klären sollen. Du weißt, wie Gladys ist.«

»Ich konnte sie nicht erreichen.«

»Die Irre lebt mit dem Telefon.«

»Sie waren unterwegs, Mario. Ich war … Meine Frau ist krank.«

Mario nickte und kühlte etwas ab. »Das habe ich gehört. Was hat sie sich geholt?«

Moshe seufzte. »Geholt« schien nicht das richtige Wort. Die Leute »holten« sich einen Schnupfen. »Es ist ein Hirntumor … oder so etwas. Die Ärzte … Es gab einen Streit in ihrem Laden … Sie hatte einen schweren Anfall und ist noch nicht wieder zu sich gekommen.«

Der große Musiker hielt seine Trompete mit beiden Händen vor der Brust, sah Moshe einen langen Moment an, und die Farbe kehrte zurück in sein Gesicht. Die gewohnte geduldige Güte, für die der wunderbare Trompeter so bekannt war, gewann erneut die Oberhand. Er blickte auf sein Instrument und befingerte die Ventile. »Das ist schlimm, Mijo. Es zieht Kreise. Chick ist auch krank.«

»Ich weiß. Hast du ihn gesehen?«

Mario nickte und sah düster zu Boden. »Ist nicht gut, Mijo. Ihm geht’s nicht gut.«

Die beiden Männer schwiegen einen Moment. Moshe dachte an den großen Chick Webb, so voller Herz und Talent, wie er sein Schlagzeug bearbeitete, vor Freude lachte, seine Band anfeuerte, und alle tanzten; seine Musik erfüllte das große All-American Dance Hall & Theater, brachte Licht in Moshes Leben, sein Theater, die Stadt und seine Frau. Es war zu viel, und Moshe musste sich Tränen aus den Augen wischen.

»Ich verliere alles«, sagte er.

Mario seufzte und sagte dann: »Wir eröffnen den Abend.«

Moshe räusperte sich erleichtert. »Mein Cousin Isaac leitet die Seymour Theater unten in Philly. Ich sorge dafür, dass er dich bucht. Wir machen das nächstes Jahr, wenn du im Westen warst. Danach kommst du her.«

»Buchst du mich durch Joe Glaser oder direkt?«, fragte Mario.

»Wie immer du willst.«

»Ich will nichts mit Glaser zu tun haben. Ich will mit meinen Leuten arbeiten«, sagte Mario. »Pass mal auf.«

Moshe lehnte an der Tür. Mario schob ihn sanft zur Seite und öffnete die Tür einen Spaltbreit. Angeregte spanische Wortfetzen drangen zu ihnen herein. Mario machte die Tür wieder zu.

»Hörst du das?«

»Was?«

»Das ist Spanisch, Mijo. Das ist der Klang der Zukunft. Diese Leute wollen keine Swingmusik. Sie wollen Descargas, Ponchandos, Tangas, Klavier-Guajeos, Mambos, Afrokubanisches. Swing reicht ihnen nicht.«

Moshe konnte nicht anders. Der Veranstalter in ihm kam durch, und er dachte: Wo kommen all diese Leute her? Aus Reading? Phoenixville? Wo hat Nate die Plakate aufgehängt? Und schon schämte er sich, dass er ans Geschäft dachte, während seine Frau im Krankenhaus um ihr Leben kämpfte. Aber es war nun mal eine Gelegenheit. »Ich wusste nicht, dass es hier so viele Spanier gibt«, sagte er.

Mario lächelte. »Für dich sind es Spanier. Für mich sind es Puerto Ricaner, Dominikaner, Panamaer, Kubaner, Ecuadorianer, Mexikaner, Afrikaner und Afrokubaner. Ganz verschiedene Leute mit ganz unterschiedlichen Sounds. Das ist Amerika, Mijo. Du musst deine Leute kennen, Moshe.«

Mario ging zurück hinter die Bühne, rief seine Band, und kurz darauf erlebte Moshe ehrfürchtig, wie die Afro-Cubans sein All-American Dance Hall & Theater mit den wildesten, heißesten Latin-Beats, die er je gehört hatte, in Ekstase versetzten. Die Leute gerieten außer Rand und Band und tanzten wie Dämonen. Und als Marios Band fertig war, kam die alterfahrene Lionel Hampton Band völlig demoralisiert auf die Bühne, und ihre Swingmusik traf auf gleichgültige Ohren. Selbst die gewohnten schwarzen Gäste blieben auf ihren Stühlen sitzen, griffen nach ihren Gläsern, unterhielten sich, scherzten und lachten und nutzten die Zeit, um zu trinken und die müden Füße auszuruhen, die sie die ganze Woche hatten Böden fegen, Kaffee ausschenken, Mülleimer leeren und Eisblöcke schleppen lassen. Es war ein Lehrstück. Das Moshe voll erwischte.

Oben auf der Plattform über der Ringing-Rocks-Eislaufbahn, fing es an zu schneien, und Moshe holte seinen Brief wieder hervor. Du hast recht , schrieb er. So wie früher wird es hier nicht weitergehen. Es gibt zu viele unterschiedliche Leute. Zu viele Möglichkeiten. Vielleicht sollte ich Cowboy werden.

Er verschloss den Brief und schickte ihn ab.

Drei Wochen später brachte die Post ein Päckchen, das sorgfältig in drei Kartons eingepackt war, jeder einzelne mit Zeitungen ausgepolstert, mit einer Schnur zugebunden und einem Schild versehen, auf dem »Vorsicht, zerbrechlich!« stand. Moshe brauchte zwanzig Minuten, alles zu öffnen, und als er es schließlich geschafft hatte, brach er in lautes Lachen aus, denn darin war eine winzige Cowboyhose aus etwas, das ein Maulwurffell sein mochte, zu klein, um getragen zu werden, eine Babygröße, mit Rüschen an den Seiten und einem hinten aufgenähten Davidstern. Dabei lag eine Notiz von Malachi, auf Jiddisch: Probier die mal, Cowboy.

Moshe antwortete, indem er die schreckliche Hose in einem Päckchen zurückschickte, das noch schwerer zu öffnen war. Er rollte sie fest zusammen, stopfte sie in eine metallene Tabakdose, füllte die Dose mit Zeitungspapier und Getreidespelzen auf und legte sie in eine etwas größere Kaffeedose, die er mit Wachs versiegelte. Die wiederum kam in eine noch größere Bretzeldose voll mit Papier und Zellophan. Zu guter Letzt ging er ins Theater und sagte Nate, der oben auf einer Leiter stand und den Zug des Vorhangs reparierte, dass er sie zugelötet haben wolle.

Nate starrte einen Moment schweigend zu ihm herunter und sagte dann: »Sie wollen was?«

»Sie soll zugelötet werden. Ich schicke sie nach Übersee, an meinen Freund Malachi. Es ist ein Scherz.«

»Ich weiß nicht, wie man lötet.«

»Kennst du jemanden, der es kann?«

»Fatty hat in der Fabrik bei Flagg löten gelernt. Der kann das. Er lötet den ganzen Tag irgendwelche Sachen.«

»Kannst du ihn fragen?«

Es entstand ein langes Schweigen. Moshe sah von unten, wie Nate den Kopf hob und in die dunklen Schatten des Laufstegs über sich starrte, die Flaschenzüge, Seile und Metallstangen, die über der Bühne ihr Eigenleben führten.

»Ich mache das.«

Moshe stellte die Dose auf den Boden. Die Freude an diesem verrückten Austausch erleichterte ihm das Herz, und er begann, die Dinge wieder klarer zu sehen – wie es um seine Frau stand, ihre Situation überhaupt und um Dodo, den Chona so mochte. Zum ersten Mal fand er wieder zu dieser Klarheit, und er rief hinauf zu Nate: »Und kannst du Addie bitten, ins Theater zu kommen? Ich würde gern mit ihr über Dodo reden.«

»Warum?«

»Du weißt, wohin sie ihn geschickt haben, oder?«

Schweigen. Von unten konnte Moshe nur die Sohlen von Nates ausgetretenen Schuhen sehen, der Blick des Mannes war hoch in die Flaschenzüge der Bühnensparren gerichtet.

Nate sprach langsam und emotionslos, und etwas an der Ausdruckslosigkeit seiner Stimme klang nicht richtig. »Ich denke, Sie können mit Addie reden, wenn Sie heute drüben bei Miss Chona sind«, sagte er.

»Okay. Ich bringe sie mit her. Ich möchte das besprechen. Mit dir. Mit ihr. Und meinem Cousin Isaac.«

»Ist schon gut, Mr Moshe. Sie haben genug getan«, sagte Nate. »Es liegt alles in Gottes Hand.«

»Pennhurst ist kein Ort für ein Kind.«

Wieder kam nur Schweigen oben von der Leiter, dann: »Wie ich sagte, Mr Moshe, es liegt in Gottes Hand.«

Moshe drehte sich um und ging verwirrt in sein Büro. Es gibt immer noch so viel an Amerika und den Schwarzen , dachte er, das ich nicht verstehe.

Aber hätte er oben auf dem Laufsteg über der Bühne gestanden und Nate ins Gesicht gesehen, aus nächster Nähe, er hätte sich umgedreht, wäre nach unten geflüchtet, hinunter von der Bühne und aus dem Theater, denn Nate, oben auf der Leiter, mit einem Hammer in der einen und einem Schraubenschlüssel in der anderen Hand, starrte wie abwesend ins Nichts, die Augen voller brennender, finsterer, mörderischer Wut.