Frau Brettschneider führte ihre Klasse bis zum Brünnleinpark. Am Eingang des Parks zählte sie die Kinder.
„22, 23, 24 und Paula ist auch da. Wir laufen jetzt eine kleine Runde durch den Park. Achtet bitte darauf, dass keiner zurückbleibt.“ Die Lehrerin zeigte auf die Digitalkamera, die Paula umgehängt hatte. „Spitzt die Ohren und seid wachsam! Vielleicht haben wir Glück und bekommen etwas Besonderes vor die Kamera! Einen Fuchs oder einen Biber. Vielleicht auch einen Nachtvogel oder sogar …“, sie senkte geheimnisvoll die Stimme, „... ein Gespenst? Darüber könnten wir dann einen Aufsatz oder einen tollen Artikel für die Schülerzeitung schreiben!“
„Das ist bestimmt nur ein Witz von Frau Brettschneider gewesen. Gespenster gibt’s nicht wirklich, sagt mein Papa“, beruhigte die Locken-Anna die kleine Anna, als sich die Gruppe in Bewegung setzte. Aber Albi war sich da nicht so sicher. Wenn sogar seine Lehrerin daran glaubte? Obwohl sie eine Erwachsene war? Albi fühlte ein flaues Flattern in seinem Magen. Er hatte sich fest vorgenommen, auf keinen Fall Angst zu haben. Die ganze Klasse dachte nach Egons Geschrei während des Vorlesens auch so schon, dass er ein Feigling wäre. Seine beiden Freunde waren ihm allerdings keine große Hilfe, beim Versuch mutig zu sein.
Lulu sang leise vor sich hin: „Finster, finster, finster, finster, nur der Uhu grinst im Ginster. Und die Eule ruft im Grunde: Gei-ster-stun-de!“
Und Egon kauerte in Albis Kapuze und klapperte beim Gedanken an Uhus mit seinen Hackezähnchen.
Richtig schlimm wurde es, als sie tiefer in den Park gelangten. Hier leuchteten nur noch wenige Laternen. Egon begann, in Albis Kapuze zu wimmern: „So viele munkeldunkle Bäume. Da kann doch wirklich so ein Vogelvieh heranzischen, um den armen Egon zu verschnabulieren. Ich fühle mich wieder ganz krumpfurchterbar!“
Albi konnte gut verstehen, dass sich sein Freund schon wieder fürchtete. Auch ihm wurde es immer unwohler. Wie Irrlichter tanzten die Lichtkegel der Taschenlampen durch die düstere Umgebung. Bäume streckten ihre Astarme nach ihm aus und warfen lebendig wirkende Schatten. Die Luft roch nach modrigen Blättern. Fledermäuse schossen knapp über ihren Köpfen durch die Zweige. Vor sich sah er nur noch die Umrisse von Philomena und Johanna. Jemand ahmte mit den hohlen Händen den Ruf eines Käuzchens nach: „Huuuhuuuh ...“
„Uaaah, der Schuhu!“, quietschte Egon in Albis Ohr. „Das ist das Ende von Egon Krumpfling!“
Albi zuckte zusammen und hielt sich die Hand aufs Ohr. „Himmel, brüll doch nicht so!“
„Alles in Ordnung mit dir, Albert?“, fragte Paula. Sie ging immer noch direkt hinter Albi und Lulu und hatte Egons Geschrei und Albis Antwort natürlich auch gehört.
„Jaja, wenn ich aufgeregt bin, führe ich manchmal Selbstgespräche“, erklärte Albi notgedrungen.
„Du musst wirklich keine Angst haben. Das mit den Gespenstern war sicher nur ein Spaß von Frau Brettschneider“, versuchte Paula ihn zu beruhigen. „Aber es ist tatsächlich sehr dunkel hier. Vielleicht wäre es besser, wenn wir wieder umdrehen. Ich rede mal mit der Chefin!“ Paula zwinkerte Albi zu und joggte nach vorne.
Bevor Albi mit ihm schimpfen konnte, versprach Egon schnell: „Tschuldigung, Albi. Das war das letzte laute Wort aus meinem Maul, bei Oma Krumpflings Stirnfransen-Lockenwickler!“
„Das wollen wir hoffen“, sagte Lulu. „Du machst Albi noch zum Affen vor der ganzen Klasse.“
Sie hatte zwar recht, aber Albi musste seinen Freund nun doch verteidigen.
„Sei nicht zu streng mit Egon“, sagte er. „Er hat eben Angst und meint es ja nicht so.“
„Krumpfrichtig“, bestätigte Egon. Niemals in seinem Krumpflingsleben würde er seinem besten Freund absichtlich Schaden zufügen!
Mit schnellen Schritten gingen Albi und Lulu weiter, um den Anschluss an die anderen Kinder nicht zu verpassen. Genau in diesem Moment prallte ein kleiner Gegenstand genau auf Albis Kopf und landete dann vor seinen Füßen. Albi bückte sich danach und erkannte im Licht seiner Taschenlampe eine Eichel. Im ersten Moment dachte er, ein Eichhörnchen hätte sie fallen lassen. Aber dann flog eine weitere Eichel auf seinen Rücken. Also musste es mal wieder ein blöder Witz von Götz und dessen Kumpeln sein!
„Da wirft jemand runde harte Dinger auf mich!“, beschwerte sich nun auch Lulu. Die Eicheln kamen von hinten. Stand Götz vielleicht zwischen den Büschen versteckt? Albi sah sich unsicher um.
Doch da rief Frau Brettschneider am vorderen Ende der Gruppe: „Gottlieb, gib Emma sofort ihre Mütze zurück!“
Wenn Frau Brettschneider mit Götz schimpfte, konnte der ausnahmsweise nicht schuld sein! Eine weitere Eichel traf Albi am Hinterkopf. Er blieb ruckartig stehen, drehte sich um und leuchtete mit der Taschenlampe zurück. Auf dem Weg war nichts Besonderes zu erkennen.
„Huuuuuhuuuu!“, ertönte die hohle Stimme erneut. Jetzt begann Albi zu zweifeln. War das vorhin etwa kein Mitschüler gewesen? Das Geräusch kam von dicht über ihnen. Hatte Egon vielleicht doch recht? Und ein Uhu saß irgendwo im Geäst und knackte Eicheln?
Mit einer schnellen Handbewegung leuchtete Albi nach oben. Doch da war kein Nachtvogel zu sehen. In der Krone des Baumes hockte etwas Unförmiges … etwas Großes … etwas Weißes. Ein Gespenst!