12. KAPITEL
Elodie
Ich stellte Hueys Transportkäfig auf dem Boden ab. »Hallo. Ich habe vorhin angerufen. Ich habe einen Termin um elf.«
Die Frau an der Anmeldung tippte etwas in ihren Computer. »Sie müssen Mrs LaCroix sein.«
»Ganz gewiss nicht. Aber wie es aussieht, bin ich die Dienstbotin von Mr LaCroix. Mein Name ist Elodie Atlier, und ich habe Huey mitgebracht.«
»Oh … okay. Der Doktor ist in ein paar Minuten für Sie da.« Sie stand auf und legte ein Clipboard mit Formularen auf den Empfangstresen. »In der Zwischenzeit füllen Sie bitte diese Zettel aus, und ich wüsste gern, ob Huey versichert ist.«
»Versichert?« Ich sah sie an, als wäre sie verrückt. »Sie meinen, ob er eine Krankenversicherung hat?«
»Ja, sicher. Eine Haustierversicherung.«
»Das gibt es?«
Die Frau verzog missbilligend den Mund. »Wenn Sie keine haben, lassen Sie das entsprechende Feld einfach frei.«
Ich trug den Käfig in den Wartebereich und setzte mich hin. Die ersten Fragen waren einfach – Name, Adresse, Telefonnummer. Aber auf dem Rest der Seite und auf den Seiten zwei und drei ging es um Hueys Krankengeschichte.
Großartig. Hollis war schon verärgert darüber gewesen, dass ich ihn am Morgen von seiner Sekretärin aus einer Konferenz hatte holen lassen, als mir aufgefallen war, dass es Huey nicht gut ging. Jetzt musste ich ihn schon wieder stören. Außerdem hatte ich ihm nicht gesagt, dass ich seinen Vogel zum Tierarzt bringen wollte – mit der Kreditkarte, die er mir für Lebensmittelkäufe gegeben hatte. Ich beschloss, ihm zu schreiben, statt ihn anzurufen.
Elodie: Wie lautet Hueys Geburtsdatum?
Wenige Minuten später schrieb er zurück.
Hollis: Woher soll ich das wissen? Er wurde irgendwo in Australien gerettet.
Gott, was für ein Blödmann! Dabei hatte ich gerade angefangen, mich zu fragen, ob ich ihn vielleicht falsch eingeschätzt hatte.
Elodie: Was ist mit seiner Krankengeschichte? Welche Impfungen hat er in den letzten drei Jahren bekommen?
Kurz darauf klingelte mein Telefon.
»Was machen Sie?«
Ich verdrehte die Augen. Vielleicht stimmte der Spruch ja doch, dass man einem alten Hund nichts mehr beibringen kann. »Hallo Hollis. Wie geht es Ihnen?«
»Jetzt nicht, Elodie. Ich bin mitten in einer wichtigen geschäftlichen Sitzung.«
»Wenn sie so wichtig ist, warum checken Sie dann Ihre Nachrichten?«
Ich hörte, wie er das Telefon abdeckte, dann seine gedämpfte Stimme: »Würden mich die Herren bitte einen Moment entschuldigen?« Wenige Sekunden später ging eine Tür auf und zu, dann fragte Hollis: »Wo sind Sie?«
»Sie entschuldigen sich formvollendet bei den Leuten in der Sitzung, aber mir sagen Sie nicht mal Hallo?«
»Elodie …«
»Schon gut. Ich bin mit Huey beim Tierarzt.«
Er brummelte etwas, was ich nicht verstand. »Warum?«
»Ich sagte ja vorhin schon, er sieht nicht gut aus.«
»Niemand hat Sie gebeten, ihn zum Tierarzt zu bringen.«
Ich richtete mich auf. »Wenn jemand in meiner Obhut ist, treffe ich die medizinischen Entscheidungen, die ich für richtig halte. Das gehört zu meinem Job.«
»Wir reden hier nicht von Hailey, sondern von einem verdammten Vogel! «
»Von einem verdammten Vogel, der sich nicht gut fühlt! Beantworten Sie mir jetzt meine Fragen oder nicht? Ich muss diese Formulare ausfüllen, bevor ich den Doktor treffe.«
»Wie heißt er? Wo ist die Praxis?«
»Dr. Gottlieb, nur ein paar Blocks von Ihrer Wohnung entfernt.«
»Elodie Atlier und Huey?«, rief die Arzthelferin und sah sich suchend im Wartebereich um.
»Ich muss los! Danke für die hilfreichen Informationen.« Ich beendete das Gespräch, bevor Mr Grumpy noch etwas sagen konnte.
Die Arzthelferin wies mir den Weg ins Untersuchungszimmer, und nach ein paar Minuten kam ein älterer Herr mit weißem Kittel herein. »Wow. Was für eine Schönheit!«
Ich mochte den Arzt auf Anhieb, weil er sich auf den Vogel bezog und mich gar nicht wahrzunehmen schien.
»Danke. Das ist Huey. Ich weiß leider nicht so viel über ihn, nur dass er ein australischer Palmkakadu ist, der irgendwann verletzt und gerettet wurde. Er gehört meinem Arbeitgeber, der nicht selbst kommen konnte.«
»Das ist okay. Wir werden schon herausfinden, was Huey fehlt.« Der Arzt drehte sich um, nahm einen kleinen Keks aus einem Glasgefäß und öffnete die Käfigtür. Er bot Huey den Keks an, der jedoch nicht das geringste Interesse zeigte.
»Das war heute Morgen auch so, als das Mädchen, auf das ich aufpasse, ihm ein Leckerli geben wollte. Normalerweise krächzt er und spricht ein paar Worte, wenn jemand ins Haus kommt. Aber als ich vorhin eintraf, hat er keinen Ton gesagt, und das Leckerli hat er nicht angerührt. Ich habe Hailey dann zur Schule gebracht und bin wieder zurückgefahren, um nach ihm zu sehen, und da saß er nicht auf seiner Stange, sondern irgendwie gebeugt auf dem Boden, und seine Federn sehen so … aufgeplustert aus.«
»Ah ja. Ein aufgeplustertes Gefieder ist oft das erste Anzeichen für eine Erkrankung. Vögel plustern sich auf, wenn ihnen kalt ist, aber bei normaler Raumtemperatur ist es häufig ein Krankheitssymptom, genau wie eine unnormale Körperhaltung oder ein Wechsel des gewohnten Sitzplatzes.« Er nickte. »Das haben Sie gut beobachtet.«
Dr. Gottlieb strich Huey behutsam über die Federn. »Er scheint im Augenblick recht ruhig zu sein. Also werde ich ihn untersuchen und ihm etwas Blut abnehmen, wenn Sie einverstanden sind.«
»Selbstverständlich. Tun Sie, was immer Sie tun müssen.« Sorgen Sie dafür, dass der Idiot, der zu beschäftigt war, um sich mit dem armen Vogel zu befassen, eine fette Rechnung bekommt!
Ich sah zu, wie der Tierarzt Huey untersuchte und ihm Blut am Flügel abnahm. Als er damit fertig war, sagte er mir, ich solle mich ins Wartezimmer setzen, weil es mit den Ergebnissen eine Weile dauern würde. Huey behielt er hinten in einem Behandlungszimmer, nur für den Fall, dass er sich etwas eingefangen hatte, was auf Menschen oder Tiere übertragbar war.
Ich setzte mich einer älteren Frau gegenüber, die ihren Hund auf dem Schoß hatte. Mir fiel sofort auf, wie sehr sie und ihr Pudel sich ähnelten – krause graue Haare, schmale Gesichter, lange Nasen. Um sie nicht pausenlos anzustarren, stöberte ich in dem Zeitschriftenstapel auf dem Tisch neben mir und zog eine Cosmopolitan heraus, musste aber beim Blättern doch immer wieder zu der Frau hinübersehen. In der Mitte der Zeitschrift stieß ich auf einen Test mit der Überschrift »Welchen Männertyp ziehen Sie an?«.
Ich schnaubte verächtlich. Diesen Test brauchte ich gar nicht erst machen, denn ich kannte die Antwort: den Arschlochtyp. Aber ich fing trotzdem an, die Fragen zu beantworten.
Frage eins: Welches Wort benutzen Männer am häufigsten, wenn sie Ihnen Komplimente zu Ihrem Aussehen machen?
Antwortmöglichkeiten – A: hinreißend, B: sexy, C: wunderschön, D: heiß.
Hmm. Ich würde mal sagen B.
Frage zwei: Wozu machen Ihnen Männer die meisten Komplimente?
Antwortmöglichkeiten – A: zu Ihrem Gesicht, B: zu Ihren Beinen, C: zu Ihrem Lächeln, D: zu Ihrer Persönlichkeit.
Weil »Brüste« nicht zur Auswahl stand, kreuzte ich A an.
Frage drei: Wie würden Sie Ihre Persönlichkeit beschreiben?
Antwortmöglichkeiten – A: extrovertiert, B: schüchtern, C: geistreich, D: humorvoll.
Ich war im Begriff, A anzukreuzen, als jemand mit einer tiefen Stimme über meine Schulter sagte: »Gibt es da auch E für ›zänkisch‹?«
Vor Schreck warf ich die Zeitschrift im hohen Bogen weg und schlug ihn dabei mitten ins Gesicht.
»Was zum Teufel …?«, knurrte Hollis.
»Sie sind selbst schuld! Schleichen Sie sich doch nicht so an mich heran! Sie können froh sein, dass ich Sie nicht umgehauen habe.«
Obwohl er gerade noch wütend gewesen war, schien ihn das zu belustigen. »Mich umhauen?«
»Ja. Ich kenne mich mit Selbstverteidigung aus.«
Er schmunzelte. »Ich wiege neunzig Kilo. Sie können mich gar nicht umhauen, meine Liebe. Egal wie gut Sie sich mit Selbstverteidigung auskennen.«
»Sie sind ein Blödmann, wissen Sie das?«
»Das habe ich schon mal gehört. Und wo ist jetzt mein nerviger Vogel?«
»Huey ist hinten. Ich warte auf die Laborergebnisse.«
Hollis setzte sich auf den Sessel neben mir. »Wie lange dauert es noch?«
»Weiß ich nicht. Aber Sie hätten nicht kommen müssen. Ich schaffe das allein.«
»Tatsächlich? Warum haben Sie mich dann angerufen?«
»Um Ihnen zu sagen, dass Ihr Vogel möglicherweise krank ist – und weil ich medizinische Informationen brauchte. Aber das war Ihnen offensichtlich schnuppe.«
»Ich war in einer Sitzung.«
Ich sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Sie waren am Telefon unhöflich zu mir. Beide Male!«
Hollis fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und seufzte. »Dieser Vogel ist ein ewiger Stachel in meinem Fleisch.«
»Was hat er Ihnen denn getan? Ich weiß, ich weiß, er sagt den Namen Ihrer Ex, wenn Sie reinkommen. Na, und wennschon? Kommen Sie drüber weg!«
Er runzelte die Stirn. »Also, zunächst einmal hat er mich achtzehntausend Riesen gekostet.«
Ich sah ihn erstaunt an. »Sie haben achtzehntausend für ihn bezahlt?«
»Nein.« Ein Muskel in seiner Wange zuckte. »Vergessen Sie’s!«
»Nein, Hollsy, auf keinen Fall. Ich will wissen, was für ein Problem Sie mit Huey haben. Er ist doch so ein süßer lieber Kerl.«
Hollis wandte den Blick ab und schaute eine Weile aus dem Fenster, dann räusperte er sich. »Ich entschuldige mich, wenn ich am Telefon unhöflich war. Heute Morgen sind einige wichtige Aktien abgestürzt, und ich hatte die Lage nicht so gut unter Kontrolle wie sonst. Deshalb haben wir einen herben Schlag einstecken müssen.«
»Was machen Sie eigentlich genau? Ich meine, außer Leute anschnauzen?«
»Ich bin Fondsmanager.«
»Oh.« Ich nickte, als wäre die Frage damit geklärt. Dann lächelte ich. »Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet. Aber es klingt schrecklich.«
Er schmunzelte. »Manchmal ist es das auch.«
»Miss Atlier?«, rief die Arzthelferin.
Ich stand auf. »Ja, ich bin hier!«
Hollis folgte mir.
»Kommen Sie mit nach hinten. Der Doktor möchte Sie gern sprechen.«
Wie sich herausstellte, hatte Huey eine Infektion. Er brauchte eine Antibiotikainfusion und musste zu diesem Zweck sediert werden. Der Arzt meinte, er könne wahrscheinlich erst in zwei Tagen wieder nach Hause, und so versprach ich, Huey am kommenden Tag zu besuchen. Hollis sah mich daraufhin komisch an, war aber immerhin klug genug, keinen Kommentar abzugeben.
Als wir die Praxis verlassen hatten, sah Hollis auf seine Uhr. »Ich muss zurück ins Büro.«
»Natürlich. Nur zu! Ich habe noch ein bisschen Zeit, bis ich Hailey abholen muss, und gehe einkaufen.«
»Heute Abend könnte es spät werden. Ich muss Schadensbegrenzung betreiben«, sagte er. »Können Sie bei Hailey bleiben, wenn ich ein paar Stunden länger arbeite?«
»Klar. Ich habe kein Leben.«
»Ist das die Wahrheit oder Sarkasmus? Bei Ihnen weiß ich das manchmal nicht so genau.«
Ich lächelte. »Nein, es ist wahr. Ich wünschte, es wäre Sarkasmus.«
Er zögerte. »Warum haben Sie kein Leben? Es gibt doch bestimmt genug Männer, die mit Ihnen ausgehen wollen.«
Ich zog eine Augenbraue hoch. »Heißt das, Sie halten mich für attraktiv, Hollis?«
»Wir wissen beide, dass Sie es sind, also sparen Sie sich den Unsinn, und beantworten Sie meine Frage.«
Ich musste mich schwer beherrschen, um nicht breit zu grinsen. »Ich befinde mich in einem sehr langen, selbst auferlegten Männerstreik.«
»Wie lang ist sehr lang?«
Ich biss mir auf die Unterlippe. »Er dauert jetzt zwei Jahre.«
Hollis machte große Augen. »Sie hatten zwei Jahre lang keinen …« Er schüttelte den Kopf. »Egal! Ich muss jetzt los.« Er wandte sich ab und ging.
»Hollis!«, rief ich ihm nach.
Er drehte sich zu mir um.
»Verabschieden Sie sich vernünftig von mir!«
Er schüttelte den Kopf. »Wiedersehen, Sie Nervensäge.«