27. KAPITEL
Hollis
»Kann ich Ihnen helfen?«
Eine Verkäuferin erwischte mich dabei, wie ich mit einem Seidenhöschen über meine Wange strich. Ja, das ist gar nicht verkorkst …
Was war nur aus meinem Leben geworden?
Ich hatte eine Edelboutique für Dessous aufgesucht, um mein Versprechen einzulösen. Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt, die Ware an meinem Gesicht zu testen, aber ich hatte mir Elodie darin vorgestellt und mich nicht bremsen können.
»Nein, danke.«
»Suchen Sie etwas Bestimmtes?«
»Äh … weiche
Höschen, vorzugsweise Tangas.«
Sie ging zu einer Kommode, und nach einem kurzen Blick über meine Schulter folgte ich ihr.
Sie öffnete eine Schublade, nahm einen lavendelfarbenen Seidentanga heraus und gab ihn mir. »Das ist unser weichstes Material.«
Ich ließ den Tanga durch meine Finger gleiten. »Ich nehme einen in jeder Farbe.«
»Sind die für Sie?«, flüsterte sie mir zu.
»Für mich?«, fragte ich verblüfft.
»Ja. Wissen Sie, manche Männer tragen sie gern heimlich.«
Sie hält mich für einen Transvestiten?
»Nein, Sie sind für meine …« Ich zögerte.
Was zur Hölle war Elodie für mich? Sie war nicht meine Freundin, aber sie war mehr als eine gute Freundin oder nur Sex.
»Sie sind für das Kindermädchen.« Ich musste über das Wort lachen, das ich letztendlich wählte. Aber es war nun mal die Wahrheit.
»Für Ihr Kindermädchen?«
»Ja«, sagte ich. »Ein Geschenk.«
»Da kann sie sich sehr glücklich schätzen! Ich habe früher als
Nanny bei einer Familie auf der Upper West Side gearbeitet. Schicke Unterwäsche habe ich dort nie bekommen.«
Sie stellte eine bunte Auswahl an Tangas zusammen und trug sie zur Kasse. Dort schlug sie sie in Seidenpapier ein und steckte sie in eine pinkfarbene Tüte.
Nachdem ich ihr meine Kreditkarte gegeben hatte, sagte sie: »Nun, Mr LaCroix, ich hoffe, Ihre Nanny hat Freude an den neuen Höschen.«
»Oh, ja, das werden wir!« Ich lächelte.
Am Nachmittag, als ich von meinem spontanen Sonntagsausflug zur Wäscheboutique nach Hause zurückkehrte, rief Hailey mich an. Sie verbrachte den Tag mit Kelsie und wollte auch bei ihr schlafen. Es war das erste Mal, dass ich sie ausdrücklich dazu ermuntert hatte. Was soll ich sagen? Ich brannte darauf, Elodie zu sehen.
»Was gibt’s?«, fragte ich.
»Planänderung, Onkel Hollis. Ich kann nicht bei Kelsie übernachten.«
Scheiße.
»Warum nicht?«
»Kelsies Tante hat Wehen bekommen. Sie müssen nach New Jersey fahren.«
Tja, das war’s dann wohl. Ich sollte Elodie um sieben abholen. Ich hatte in dem Restaurant im Hotel Mandarin, das sie ausprobieren wollte, einen Tisch reserviert und für danach eine Kutschfahrt organisiert. Hailey sollte natürlich nichts davon wissen.
Und was jetzt? So kurzfristig würde ich keinen anderen Babysitter finden. Ich grinste in mich hinein. Wenn du nicht die verdammte Nanny daten würdest, Hollis, dann hättest du das Problem nicht!
Aber ich hatte mich schon den ganzen Tag darauf gefreut, Elodie zu sehen. Ich wollte nicht warten.
»Wann kommst du zurück?«
»Sie fahren bald. Wahrscheinlich in einer Viertelstunde.«
Ich seufzte. »Okay, Kleine, bis gleich.«
Enttäuscht wählte ich Elodies Nummer.
»Hey!«, sagte sie gut gelaunt.
Mein Ton war nicht so fröhlich. »Hey.«
Sie ahnte, dass etwas nicht stimmte. »Was ist los?«
»Also … Ich habe ein kleines Problem.«
»Willst du mich etwa versetzen?«
»Nein, verdammt.«
»Was ist passiert?«
»Hailey kommt gleich nach Hause. Ihre Pläne sind ins Wasser gefallen.«
»Ich dachte, sie übernachtet bei Kelsie.«
»Das hatte sie auch vor. Aber die haben einen Notfall in der Familie. Also ist sie in ein paar Minuten wieder hier.«
Elodie seufzte. »Mist. Das ist ja blöd. Aber es ist, wie es ist.«
Denk nach!
»Du hast gesagt, dass Hailey nichts mitbekommen soll, und ich halte das auch für vernünftig … aber ich will dich unbedingt sehen.«
»Tja, was sollen wir machen? Das wird heute wohl nicht mehr klappen.«
Ich kratzte mich am Kinn. »Vielleicht doch.«
»Wie denn?«
»Kannst du in die Stadt kommen?«
»Sicher, aber Hailey könnte Verdacht schöpfen, wenn ich an einem Sonntag zu euch komme.«
Ich zerbrach mir den Kopf, um eine Lösung zu finden. »Pass auf, ich gehe mit ihr irgendwohin, und du tauchst da auf, und wir tun so, als wären wir uns zufällig begegnet. Am besten besorge ich mit ihr ein paar Sachen, damit wir hier etwas kochen können. Wir müssen sowieso einkaufen. Wenn sie dich sieht, wird sie dich bestimmt bitten, mit zu uns zu kommen.«
»Ich habe ihr erzählt, dass ich den neuen Delikatessenladen in Downtown ausprobieren will. Victor’s Market heißt er«, sagte sie. »Ich könnte urplötzlich einen Riesenappetit auf eingelegte Artischocken bekommen, der mich dazu veranlasst, an einem faulen Sonntag mit der Bahn in die City zu fahren.«
»Perfekt. Sie wird es glauben, wenn wir es aussehen lassen, als wäre es purer Zufall. Wie schnell kannst du dort sein?«
»In anderthalb Stunden?«
Ich entdeckte sie als Erster. Elodie stand mit einem Einkaufskorb in der Hand vor dem Brotregal. Sie hatte ihr langes blondes Haar zu
einem Pferdeschwanz gebunden, sodass ihre kleinen Ohren zu sehen waren – und sie waren zum Anbeißen!
Jetzt wollte ich ihr auch noch in die Ohren beißen? Mannomann.
Diese Frau trieb mich in den Wahnsinn.
Nach einer Weile kreuzten sich unsere Blicke. Wir lächelten uns zu, während Hailey sich am Käsestand mit Häppchen vollstopfte.
Dann kam Elodie auf uns zu und gab sich völlig erstaunt. »Hollis?«
Ich spielte den Überraschten. »Elodie? Was machst du an einem Sonntag in der Stadt?«
Hailey drehte sich ruckartig um. »Oh mein Gott! Was?« Sie umarmte Elodie.
»Hey, Hailey! Was für ein Zufall!«
»Was machst du denn hier?«, fragte Hailey.
»Ich hatte totale Lust auf eingelegte Artischocken und warmen Brie. Und weil ich heute nichts Besseres zu tun hatte, dachte ich, ich fahre in die City und kaufe mir ein paar Leckereien.«
»Du willst das ganze Essen in der Bahn nach Hause transportieren?«
»Ich denke, ich werde mich auf den großen Korb hier beschränken.«
Hailey sah zu mir auf. »Onkel Hollis macht uns heute Abend Pizza. Wir sind hergekommen, um Zutaten für den Teig, frisches Basilikum und so weiter zu kaufen.«
Elodie sah mich an, als wäre sie beeindruckt.
Ich zuckte die Achseln. »Ich bin nicht gerade der beste Koch, aber Pizza Margherita kriege ich hin.«
»Und nach dem Essen schauen wir uns den neuen Marvel
-Film an!«
»Das klingt ja super.« Elodie lächelte.
Hailey hüpfte auf und ab. »Komm doch mit zu uns zum Essen! Dann gucken wir den Film zusammen.«
Bingo. Danke, liebe Nichte.
Elodie gab sich zögerlich. »Ich weiß nicht … Es könnte ein bisschen spät werden, bis ich wieder zu Hause bin. Morgen muss ich ja früh aufstehen, um für dich da zu sein.«
Hailey zog eine Schnute. »Stimmt leider.«
Elodie und ich wechselten stumme Blicke. Keiner von uns hatte damit gerechnet, dass Hailey so schnell aufgeben würde.
Was jetzt?
»Ich spiele gern den Chauffeur«, sagte ich. »Hailey hat bestimmt nichts gegen eine kleine abendliche Tour einzuwenden.«
»Klasse Idee, Onkel Hollis.« Sie wandte sich Elodie zu. »Siehst du? Jetzt musst du mitkommen!«
»Tja, wie könnte ich zu einem Abendessen, einem Film und einer Fahrt bis vor die Haustür Nein sagen?«
Eine Frau, die an uns vorbeikam, knabberte etwas Schokoladiges am Stiel. Hailey bekam große Augen. »Wo haben Sie das her?«, fragte sie.
Die Dame zeigte hinter sich. »Von dem Probiertisch dort in der Ecke.«
»Bin gleich wieder da!«, rief Hailey und lief los.
Elodie schüttelte den Kopf. »Sie hat auch nur eines im Sinn.«
»Das kann ich nachempfinden.«
Sie wurde rot. »Du warst sehr
entschlossen, mich zu treffen.«
»Du siehst wunderschön aus.«
»Nun, ich dachte, ich hätte heute Abend ein Date mit einem sehr attraktiven, manchmal unausstehlichen Mann. Ich habe mich extra aufgebrezelt.«
»Hoffentlich weißt du, dass dieser Mann große Pläne mit dir hatte … das Restaurant im Hotel Mandarin, eine Kutschfahrt, das volle Programm.«
»Ich habe mit meinen Wünschen vielleicht ein bisschen übertrieben. Eigentlich ist es mir ganz egal, was wir unternehmen. Ich freue mich, wenn ich einfach nur mit dir zusammen sein kann. Zu Hause abhängen ist prima.«
Die Art, wie sie »zu Hause« sagte, beunruhigte mich etwas. Es rief mir in Erinnerung, dass ich gut darüber nachdenken musste, bevor ich etwas Ernstes anfing. Aber in diesem Moment konnte ich nur an ihre Lippen denken, die ich wie gebannt anstarrte.
»Möchtest du auch etwas probieren?«, fragte sie.
»Deine Lippen? Unbedingt!« Ich vergewisserte mich, dass Hailey beschäftigt war, und beugte mich vor, um Elodie zu küssen, ohne meine Nichte aus den Augen zu lassen.
Als Hailey sich auf einmal umdrehte, wich ich rasch zurück.
»Scheiße.«
»Das wird ein langer Abend«, bemerkte Elodie grinsend.
Die ganze Küche war voll Mehl. Wir hatten beschlossen, erst nach dem Essen aufzuräumen. Elodie putzte die Arbeitsflächen, während ich das benutzte Geschirr von Hand spülte.
Hailey trocknete die Teller ab, die ich ihr nacheinander reichte. »Wann fangen wir mit dem Film an?«
»In etwa zehn Minuten.«
Sie räumte den letzten Teller in den Schrank. »Kann ich solange in mein Zimmer gehen?«
»Ja klar.«
Elodie wischte noch, als Haileys Tür ins Schloss knallte.
Ich wartete ein paar Sekunden, dann zog ich sie in den Abstellraum, der von der Küche abging. In der kleinen Kammer war es fast dunkel. Nur durch die Lamellen in der Tür fiel etwas Licht von der Küche herein.
Elodie sah mit geöffneten Lippen zu mir auf.
Ich verschwendete keine Zeit und küsste sie. Wir fielen übereinander her, als wären wir völlig ausgehungert. Ihre Finger glitten in meine Haare, als ich ihren Hintern packte. Ich schmeckte einen Hauch von Wein und bewegte meine Zunge fordernder, weil ich noch mehr von ihr kosten musste. Dann ließ ich meinen Mund an ihrem Kinn hinunterwandern und biss ihr in den Hals.
In diesem Augenblick wich sie zurück und riss mich aus meiner Trance. »Wir sollten besser wieder rausgehen!«
Ich knurrte und löste mich widerwillig von ihr. Bevor ich die Tür öffnete, vergewisserte ich mich, dass die Luft rein war.
Elodie folgte mir in die Küche und wischte weiter, als wäre nichts geschehen.
Zwischendurch schaute sie zu mir herüber und errötete, woraufhin ich sie am liebsten gleich wieder geküsst hätte.
»Macht irgendwie Spaß, die Heimlichtuerei«, sagte sie.
»Ich komme mir vor wie ein verdammter Teenie!« Ich lachte. »Ich wollte das schon den ganzen Abend tun.«
»Das habe ich gehofft. Deshalb habe ich extra keinen Lippenstift aufgelegt«, entgegnete sie und zwinkerte mir verschmitzt zu.
»Also, deine Lippen sind gerade ziemlich rot.«
Wir starrten einander voller Begierde an – mit Lust auf mehr, als wir gerade haben konnten, und in dem Wissen, dass Hailey jede Sekunde aus ihrem Zimmer kommen würde.
Elodies helle zarte Haut bettelte förmlich darum, abermals gebissen zu werden. Meine völlige Unfähigkeit, mich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren als darauf, sie zu berühren und zu küssen, war verdammt aufschlussreich. Nachdem ich mir nun erlaubte, sie anzufassen, konnte ich meine Finger nicht mehr von ihr lassen. Vielleicht war es gut, dass Hailey zu Hause war, sonst würden wir unter Umständen zu weit gehen – oder ich würde es zumindest versuchen.
Ich wollte mir gerade noch einen Kuss stehlen, als Haileys Zimmertür aufging und ich eindrücklich daran erinnert wurde, dass wir gar nicht vorsichtig genug sein konnten.