32. KAPITEL
Hollis
Ich zerknüllte das zehnte Platt Papier innerhalb von ebenso vielen Minuten und warf es in den Müll. Meine Konzentrationsfähigkeit war heute gleich null.
Wie üblich wusste Addison sofort Bescheid.
Sie kam mit zwei Tassen Kaffee in mein Büro und stellte mir eine auf den Schreibtisch.
»Was hast du getan, Hollis?«
»Warum scheinst du immer zu denken, du wüsstest, was bei mir läuft?«
»Weil ich dich besser kenne, als du dich selbst. Und jetzt erzähl! Was hast du angestellt, um es dir mit Elodie zu verderben?«
Ich knüllte noch ein Blatt zusammen und zielte auf den Mülleimer. »Hailey hat uns beim Knutschen erwischt. Wir mussten ihr viel früher als geplant sagen, dass wir zusammen sind.«
Sie nickte. »Okay, aber eigentlich ist das doch gut, oder? So müsst ihr es nicht mehr vor ihr verbergen.«
»Nein, es war zu früh. Das letzte Wort über uns ist noch nicht gesprochen. Wie sollen wir es ihr vernünftig erklären, wenn wir selbst noch nicht wissen, wo wir stehen?«
»Wie hat Hailey es aufgenommen?«
»Nicht gut. Jetzt macht sie sich Sorgen, dass ich die Geschichte vermassele und sie Elodie verliert.«
»Dann vermassel sie nicht!«
»Na toll, danke. Du bist genial.«
»Es ist wirklich so einfach, Hollis.«
Ich dachte an das kommende Wochenende und fragte mich, ob unsere Verabredung überhaupt noch galt. »Es war geplant, dass wir das ganze Wochenende für uns haben … um den nächsten Schritt zu machen.«
Sie grinste. »Vögeln bis zum Abwinken?«
»Ich hätte es geschmackvoller ausgedrückt.«
»Na und? Jetzt bist du dir unsicher?«
»Sie ist keine Frau, mit der man einfach nur rummacht. Es ist eine Entweder-oder-Frage. Und ich muss entscheiden, was ich will, bevor es weitergeht.«
Addison kam um den Schreibtisch herum und begann, in meinen Schubladen zu kramen.
»Was tust du da?«
»Ich nehme mir einen Notizblock. Wir werden dieses Hin und Her auf der Stelle beenden.« Sie zog mit einem Stift eine senkrechte Linie in der Mitte des linierten Papiers. »Pros und Kontras dafür, mit Elodie aufs Ganze zu gehen. Es gibt allerdings eine Regel: Die Kontras dürfen keine Überlegungen von dir und keine Was-wäre-wenn-Fragen sein. Wir listen nur Eigenschaften von Elodie auf. ›Angst, verletzt zu werden‹ kann also kein Kontra sein, ebenso wenig ›Angst, Elodie zu verletzen‹ oder ›Angst, Hailey zu verletzen‹. Das alles spiegelt deine Selbstzweifel wider und existiert lediglich in deinem Kopf.«
Addison strich mit der Hand über das Papier. »Ich fange an. Elodie ist wunderschön.« Sie schrieb es auf. »Und sie ist gut für Hailey.« Sie überlegte einen Moment. »Sie sorgt dafür, dass du grinst wie ein liebestrunkener Trottel, ohne dir dessen bewusst zu sein. Das ist zwar streng genommen keine Eigenschaft, aber ich halte es für wichtig.«
Nachdem sie alles notiert hatte, sah sie mich an. »Kontras?«
Mir kamen die albernsten Dinge in den Sinn, die völlig unerheblich waren.
Trägt scheuernde Unterwäsche.
Kann nicht einparken.
Nichts von dem, was mir einfiel, war wirklich von Bedeutung oder änderte etwas daran, dass Elodie verdammt noch mal perfekt für mich war.
Ich zermarterte mir das Hirn, um wenigstens ein vernünftiges Gegenargument zu finden. Aber es gab keins. Alles Negative, was ich im Kopf hatte, spiegelte nur meine Ängste wider, genau wie Addison gesagt hatte.
»Ich habe noch ein Pro«, sagte ich.
»Ach?«
»Wenn wir ein Paar sind, kann sie kein anderer haben.«
»Gut, eigentlich ist das keine Eigenschaft, sondern eine Widerspiegelung deiner Unsicherheit, aber ich will es mal durchgehen lassen.« Sie schmunzelte. »Das war’s also? Keine Kontras?«
Ich trommelte mit meinem Stift auf den Tisch, dann schleuderte ich ihn frustriert von mir. »Keine Kontras.«
Addison amüsierte sich für meinen Geschmack viel zu sehr auf meine Kosten.
»Hör auf zu lachen, Addison!« Ich nahm einen Schluck von dem Kaffee, den sie mir gebracht hatte.
»Glückwunsch, Hollis! Ich habe dich soeben vor monatelangem nutzlosen Grübeln bewahrt, das zu demselben Ergebnis geführt hätte. Du willst mit ihr zusammen sein, sie macht dich glücklich, und das genügt vollkommen.« Sie sah mir direkt in die Augen, und ihre Miene wurde ernst. »Es ist wirklich
genug, mein Freund.«
Am Abend war ich fest entschlossen, die Sache mit Elodie wieder ins Lot zu bringen.
Als ich in die Wohnung kam, machte sie gerade die Küchentheke sauber. Sie sah traurig aus.
Ich warf meine Schlüssel auf den Tisch. »Hey.«
Sie sah auf. »Hallo!«
»Können wir reden?«, fragte ich.
»Eigentlich muss ich
mit dir
reden.«
Ich wurde nervös. »Okay …«
Sie legte den Putzlappen zur Seite. »Nach gestern weiß ich gar nicht, ob wir noch für das Wochenende verabredet sind, aber ich kann leider sowieso nicht.«
Scheiße.
»Warum nicht?«
»Meiner Freundin Bree geht es nicht gut. Sie hat sich gewünscht, das Wochenende mit der ganzen Familie in ihrem Sommerhaus im Norden zu verbringen. Und da ich praktisch zur Familie gehöre, muss ich mit.«
»Wow. Okay. Selbstverständlich, da musst du mitfahren.«
Das Timing war offensichtlich beschissen. Nachdem ich den
ganzen Nachmittag gegrübelt hatte, hatte ich nun das Gefühl, meine Gedanken endlich geordnet zu haben. Aber Elodie war nicht in der Verfassung für meine verkorksten Überlegungen. Sie hatte sich um viel wichtigere Dinge zu kümmern, und was immer zwischen uns vorging, musste warten.
Ich legte die Hände auf ihre Schultern. »Geht es dir gut?«
»Als sie den Ausflug vorgeschlagen hat, ist mir erst klar geworden, wie ernst die Lage ist. Ich weiß, das klingt bescheuert, weil ich ständig bei ihr bin. Aber ich wollte es wohl nicht sehen. Sie glaubt, ihr bleiben nicht mal mehr ein paar Monate, und ihr Wunsch ist der Beweis dafür. Es ist schwer zu akzeptieren. Ich habe die Wahrheit verdrängt.«
»Glaub mir, das kann ich gut verstehen. Als meine Mutter krank war, habe ich das alles wahrscheinlich nur durchgestanden, weil ich meine Augen vor der Wahrheit verschlossen habe.«
Elodie lächelte. »Ja. Ich weiß, dass du mich verstehst.«
»Ich werde das ganze Wochenende zu Haus sein, falls du reden möchtest.«
»Danke.«
»Wo ist Hailey?«
»Sie ist in ihrem Zimmer und arbeitet sich durch ihre Ferienlektüre.«
Ich beugte mich vor und küsste sie sanft auf den Mund.
Sie seufzte. »Ich hoffe nur, dass ich meinen Ex-Mann nicht umbringen werde.«
Ich erstarrte. Ich hatte vollkommen vergessen, dass ihre Freundin die Stiefschwester von Elodies Ex-Mann war. Bei einem Familienwochenende würde er natürlich auch dabei sein.
Na großartig.
Elodie würde liebesbedürftig und verletzlich sein und meine Gefühle sicherlich aufgrund meines Verhaltens in dieser Woche infrage stellen. Und er würde da sein, um sie aufzufangen, und Elodie womöglich manipulieren. Ich konnte mich nicht darauf verlassen, dass er sie nicht zurückgewinnen wollte. Diesen Eindruck hatte ich nämlich an dem Tag gewonnen, als er bei ihr aufgetaucht war. Der Mann bedeutete Ärger.
Ich wollte ihr auf der Stelle sagen, dass es mir leidtat und ich bereit war, den nächsten Schritt zu machen. Aber es war nicht der
richtige Zeitpunkt dafür, wie eifersüchtig ich auch war. Elodie war in Sorge um ihre Freundin. Ich musste sie gehen lassen und beten, dass ich die Dinge wieder in Ordnung bringen konnte, wenn sie zurückkam.