Mai 2008
Sealclubber war über vierzig, hatte einen weißen Bart, eine ganze Galerie von Tätowierungen und war offenbar Fan von großen Silberringen. Im Keller des Starbucks am King′s Cross sah der Chef der Londoner Bandits ziemlich fehl am Platz aus.
»Der Kaffee hier kostet mehr als ein Bier«, beschwerte er sich mit Blick auf die alte Seiko-Uhr an seinem Handgelenk, als sich ihm gegenüber ein zwanzigjähriger Asiate niederließ. »Und ich sitze hier schon zwanzig Minuten. Ich hoffe, das lohnt sich auch.«
Der Asiate in Turnschuhen und Muscle Shirt stellte einen Himbeer-Mokka-Frappuccino auf den Tisch und ließ einen Rucksack auf den Boden zwischen seine Füße fallen.
»Die U-Bahn ist einfach Scheiße«, erklärte er achselzuckend. »Aber ich gehe stark davon aus, dass sich das Warten auf mich gelohnt hat.«
Die Stoßzeit zur Mittagspause war eben vorbei, sodass es an den umliegenden Tischen von Krümeln und leeren Tassen wimmelte, aber der einzige Gast weit und breit war ein Anzugträger, der sich ein paar Tische weiter mit seinem Laptop beschäftigte.
Sealclubber griff nach dem Zettel, den der Asiate ihm unauffällig über den Tisch zuschob, und las: 70 Kalaschnikow Sturmgewehre, 12 Kisten 24er Schweizer Armeegranaten, 40 normale 347er Revolver, 20 Heckler & Koch Maschinengewehre, 18 000 Schuss Munition M43, 5000 Schuss 357er Munition. Preis £ 632 000 inklusive Lieferung an einen noch zu bestimmenden Ort in England.
»Wollt ihr den dritten Weltkrieg anfangen, oder was?«, fragte Sealclubber leise und lehnte sich weiter über den Tisch zu dem Asiaten hinüber. »Denn das hier ist eine ganze Menge Shit, okay? Meine Kumpel unten in Devon haben hauptsächlich mit Drogendealern und Türstehern zu tun, die sich mit ein bisschen Metall in der Tasche wohler fühlen. Für die sind zehn Kanonen schon viel.«
Der Asiate sah enttäuscht drein.
»Können Sie nun liefern oder nicht? Sobald Sie die Anzahlung brauchen, werde ich Ihnen die zehn Prozent zu ihrem Clubhaus bringen.«
Sealclubber war hin und her gerissen. Am liebsten hätte er auf der Stelle Ja gesagt und sich den Auftrag gesichert, aber er hatte keine Ahnung, wer der Asiate war. Und eines wusste er gewiss: Je mehr Geld im Spiel war, desto weniger sollte man versuchen, den Geldgeber hereinzulegen.
»Ich muss erst mit meinen Leuten reden«, antwortete er daher. »Aber machen Sie sich keine Sorgen. Es besteht keine Notwendigkeit, sich nach einem anderen Lieferanten umzusehen. Als Geschäftsmann will ich Ihnen nur keine Versprechungen machen, die ich möglicherweise nicht halten kann.«
»Wir bieten Ihnen eine Menge Geld«, gab der Asiate zu bedenken. »In den USA kann man diese Waffen für ein Zehntel kriegen.«
Sealclubber ließ seine Fingerknöchel knacken und seine Silberringe blitzten auf, als er den Asiaten anlächelte. »Das meiste davon kriegen Sie in jedem amerikanischen Waffengeschäft ums Eck«, lachte er. »Sie können in jedes afrikanische Dreckloch gehen und sich die Kalaschnikows von der Straße holen, die weniger kosten als mein Kaffee hier. Aber falls es Ihnen noch nicht aufgefallen ist: Diese kleine Insel hat die strengsten Waffenkontrollen der Welt, und man kann hundert Gewehre und dreiundzwanzigtausend Schuss Munition nicht einfach auf einer P&O-Fähre unter dem Pullover schmuggeln.«
Der Asiate zögerte, als ob er ihren Deal überdenken würde. Es war furchtbar heiß an diesem Tag, und mit drei langen Strohhalmzügen hatte er ein Drittel seines Frappuccinos geleert.
»Okay«, sagte er schließlich. »Ich respektiere die Tatsache, dass Sie keine voreiligen Versprechungen machen wollen. Wann können Sie uns Bescheid geben?«
»Solche Geschäfte wickelt man Mann zu Mann ab«, erklärte Sealclubber. »Es ist zu gefährlich, per Handy darüber zu reden. Aber ich werde ein Treffen vereinbaren und mich dann wieder mit Ihnen in Verbindung setzen. Ich gebe Ihnen in drei Tagen Bescheid, spätestens in fünf.«
»Okay«, stimmte der Asiate zu und erhob sich, um zu gehen.
»Noch eine Sache«, hielt ihn Sealclubber zurück. »Diese Waffen sollten nicht für irgendwelche Terroristenscheiße benutzt werden.«
»Aber für Birmingham-Straßenscheiße«, lachte der Asiate. »In meiner Gegend gibt′s jede Menge Kohle. Jede Menge Drogen und Schutzgelder. Wir stehen kurz vor einem Krieg, und wenn er beginnt, werde ich da sein und Waffen und Munition an alle und jeden verkaufen, die sie haben wollen.«
»Hört sich an, als wären Sie mein Mann!«, grinste Sealclubber. »Verkauft den Pakis die ganzen Gewehre und lehnt sich dann zurück, um zuzusehen, wie die Kugeln fliegen.«
Der Asiate sah beleidigt drein.
»Äh, nichts für ungut«, sagte Sealclubber verlegen. »So nennen wir die Farbigen in unserer Gegend.«
»Schon in Ordnung«, log der Asiate. »Sie können mich nennen, wie Sie wollen, Hauptsache, Sie besorgen mir die Waffen.«
Sealclubber wünschte, er hätte einen Taschenrechner dabei – oder in der Schule besser aufgepasst –, um auf der Stelle auszurechnen, wie viel sein 15%-Anteil von den £ 632 000 ausmachen würde. Aber er war sich sicher, dass es ein Haufen Geld war.
Der Asiate saugte seinen Frappuccino leer und ließ den Becher in einen Mülleimer fallen, als er wieder in den hellen Sonnenschein hinaustrat. Dann stieg er in ein schwarzes Taxi ein, das gerade an der Ampel hielt.
»Schwimmbad Hornsey Road«, befahl er dem Fahrer.
Es herrschte dichter Verkehr, daher dauerte die Fahrt in dem stickigen, unklimatisierten Taxi geschlagene zwanzig Minuten.
»An einem Tag wie diesem würde ich auch gern mal ins Wasser springen«, meinte der Fahrer, als er vor dem Schwimmbad anhielt und die Quittung ausstellte. Doch sobald das Taxi außer Sichtweite war, überquerte der Asiate die Straße und betrat direkt gegenüber die Polizeistation von Hornsey.
Der diensthabende Beamte drückte auf einen Knopf, um den Asiaten hinter den Tresen zu lassen. Er ging über die Treppe in den dritten Stock und öffnete die Tür zu dem Großraumbüro, in dem sich die National Police Biker Task Force – die britische Sondereinheit für Biker-Kriminalität, – kurz NPBTF, befand. Ein großer Name für eine elfköpfige Truppe mit zwei Autos und null Budget für Überstunden.
Alle sahen den Asiaten erwartungsvoll an, als er das Büro betrat.
»Ich glaube, wir sind drin«, lächelte er. »Die Sicherheitsvorkehrungen sind ein Witz. Ich wurde nicht mal auf Wanzen untersucht.«
»Gut gemacht, Georgieboy«, lobte eine Beamtin, und ein paar andere Polizisten feierten den Durchbruch, indem sie lauthals jubelten und auf ihre Schreibtische klopften.
»Aber er hat mich einen Paki genannt«, grinste George. »Das heißt, wenn wir ihn schnappen, verpasse ich ihm eins mit dem Taser!«
In diesem Moment kam Chief Inspector Ross Johnson, der die NPBTF seit neun Monaten leitete, aus seinem Büro geschlendert.
»Na, wie lief′s, George?«, fragte er.
»Gar nicht schlecht, Boss«, antwortete George und stützte den Ellbogen auf eine beigefarbene Trennwand. »Als er den Umfang des Auftrags gesehen hat, hätte er fast einen Rückzieher gemacht. Ich hoffe nur, dass wir nicht zu dick aufgetragen haben.«
Ross zuckte lächelnd mit den Schultern.
»Wenn Sie nicht so verflucht verschwitzt wären, würde ich Sie glatt umarmen. Denn falls uns der Commander diese Menge tatsächlich nicht liefern kann, wird er immer noch versuchen, so viele Waffen wie möglich zu besorgen. Und das wird seine Lieferantenkette bis ans Limit belasten, sodass unser Mann am anderen Ende wahrscheinlich mit einbezogen wird, um zu helfen.«
George begann breit zu grinsen.
»Entweder das, oder wir versauen es, verlieren eine halbe Million in bar, unser Undercover-Cop wird umgebracht und wir dürfen bis zu unserer Pensionierung den Verkehr regeln.«