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Sechs Tage später

Vor genau siebenundfünfzig Minuten hatte der Bell 430 auf einem Flugplatz im Norden von London abgehoben. Da in einem Helikopter der Motor nur ein paar Meter hinter dem Cockpit sitzt, war die Reise für die Polizeibeamten Neil Gauche und Ross Johnson nicht sonderlich angenehm. Doch das Flugerlebnis wurde sogar noch merkwürdiger, als der Copilot sie zehn Minuten nach dem Start dazu aufforderte, Helme mit geschwärztem Visier zu tragen.

Erst nachdem sie nun auf dem Hubschrauberlandeplatz des CHERUB-Campus angekommen waren, durften sie die Helme wieder absetzen. Bei einer Höchstgeschwindigkeit von über 250 Stundenkilometern hätten sie jetzt überall in England oder Wales sein können, sogar in den südlichen Gebieten von Schottland.

Der Copilot verwies die beiden Beamten an einen Mann in grellweißer Kleidung, der vor einem düster aussehenden Betonbunker stand. Ross kam sich merkwürdig ausgeliefert vor, als er ihn – geblendet vom Sonnenlicht, an das sich seine Augen nach der Schwärze des Helms erst wieder gewöhnen mussten – betrachtete.

»Vorsicht Stufen«, warnte der Mann in Weiß. »Halten Sie sich am Geländer fest.«

Ross griff nach dem Metallgeländer, ging scheppernd die Treppe hinunter und in ein Gebäude hinein, das ihn an die viktorianischen Befestigungsanlagen erinnerte, die er während eines Urlaubs an der Südküste einmal gesehen hatte.

Drinnen erhob sich ein weiterer kräftig gebauter Wachmann von seinem Schreibtisch. Ross und Neil sahen einander an und Neil fragte spöttisch: »Und wo sind die fliegenden Untertassen?«

»Willkommen auf dem CHERUB-Campus«, antwortete der Wachmann. »Es tut mir leid, wenn unsere Sicherheitsvorkehrungen Sie belästigt haben. Ich muss mich nun vergewissern, dass Sie keinerlei Aufnahmegeräte, Mobiltelefone oder andere elektronische Geräte bei sich tragen, einschließlich Hörgeräte und Herzschrittmacher.«

»Die Handys hat uns bereits der Pilot vor unserem Abflug abgenommen«, erklärte Neil, während ein Metalldetektor über ihre Kleidung geführt wurde. Dann zeigte der Wachmann auf ein paar Kabinen.

»Bitte gehen Sie dort hinein und ziehen Sie sich aus, einschließlich der Unterwäsche. Auch allen Schmuck, einschließlich Armbanduhr und Ohrringe. Dann ziehen Sie bitte die orangefarbenen Anzüge und die Sandalen an, die Sie dort vorfinden.«

Die Kabinen sahen aus wie Umkleidekabinen, hatten allerdings keine Vorhänge, die man zuziehen konnte. Während sich Neil und Ross auszogen, sah der Wachmann sorgfältig die Fotografien und Dokumente in Ross′ Aktentasche durch und legte dann alles in eine durchsichtige Plastiktüte. Dann wog er die Tüte und befestigte einen Aufkleber daran.

»Bitte werfen Sie nichts davon weg, was sich in der Tüte befindet, solange Sie sich auf dem Campus bewegen«, erklärte der Wachmann ausdruckslos; diese Anweisungen hatte er wahrscheinlich schon hunderte von Malen gegeben. »Sie wird bei Ihrer Abreise erneut gewogen und untersucht. Falls Sie etwas bekommen, was sie vom Campus mitnehmen wollen, bewahren Sie es separat auf und zeigen Sie es vor, bevor Sie das Gelände verlassen. Entfernen Sie nichts ohne Genehmigung. Bei Betreten des Campus erklären Sie sich zu absoluter Verschwiegenheit bezüglich seiner Existenz bereit.

Sie erklären sich außerdem bereit, vom Campus-Personal geröntgt, durchsucht oder rektal beziehungsweise oral untersucht zu werden. Bei einem Verstoß gegen die Sicherheitsvorschriften während oder nach Ihrem heutigen Besuch auf dem Campus können Sie verhaftet und auf unbestimmte Zeit festgehalten werden. Wenn Sie sich damit einverstanden erklären, unterschreiben Sie bitte hier und begeben Sie sich zur Röntgenschranke. Ihr Verbindungsoffizier erwartet Sie auf der anderen Seite. Einen schönen Tag noch.«

In den unförmig weit geschnittenen orangefarbenen Anzügen und mit den Plastiksandalen an den Füßen war es unmöglich, sich schnell zu bewegen. Neil und Ross waren es als Polizeibeamte gewohnt, stets die Kontrolle zu haben, aber der Blindflug und die beeindruckenden Sicherheitskontrollen hatten sie aus dem Konzept gebracht.

Nach dem Röntgen betraten sie etwas vertrauteres Gelände. Im Warteraum gab es eine Kaffeemaschine, Zeitschriften und einen Wasserspender, aber die beiden Beamten nahmen nichts davon in Anspruch, weil sie bereits von einer Frau und einem Jungen erwartet wurden.

»Sie müssen Chloe sein«, sagte Ross und schüttelte der Frau die Hand, dann sah er den Jungen an und lächelte. »Du bist aber gewaltig gewachsen, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe!«

Chloe Blake war die jüngste qualifizierte Einsatzleiterin von CHERUB. Wie die meisten CHERUB-Angestellten war sie früher selbst Agentin gewesen und hielt sich nun mit einem strengen Fitness- und Combattraining in Form, wovon ihre schlanke, muskulöse Gestalt zeugte, die in Turnschuhen und einem Trainingsanzug steckte.

Dante umarmte Ross lächelnd. »Das mit den Klamotten und den Sicherheitskontrollen tut mir echt leid.«

»Egal«, grinste Neil. »Ich glaube, der Look eines durchreisenden Sträflings steht mir ganz gut. Müsst Ihr Kids den ganzen Quatsch auch mitmachen?«

Dante schüttelte den Kopf. »Manchmal durchsucht uns der Sicherheitsdienst, wenn wir rein- oder rausgehen, aber die Agenten und das Personal müssen das nicht alles mitmachen, und wir wissen natürlich auch, wo der Campus liegt.«

Chloe räusperte sich und warf einen Blick auf ihre Uhr.

»Wir müssen ins Gebäude der Einsatzleitung, etwa zehn Minuten von hier. Und Dante, du solltest wirklich nicht mit Gästen über die Sicherheitsvorkehrungen auf dem Campus sprechen.«

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Auf der anderen Seite des Campus war Lauren diejenige, die auf ihre Uhr blickte, als sie mit feuchtem Haar, einer Plastiktüte mit ihren nassen Schwimmsachen und einem zusammengerollten Handtuch aus der Mädchenumkleide kam. Sie war eine gute Schwimmerin, aber nach einer neunzigminütigen Aqua-Fitness-Trainingseinheit, zu der Bahnenschwimmen, Schwimmsprints, Wasseraerobic und mehrere Sprünge ins tiefe Wasser gehörten, bei denen sie Bohnensäcke und Gewichte vom Boden des Pools holen musste, taten selbst ihr die Schultern und die Oberschenkel weh, und ihr Gesicht war vor Anstrengung gerötet.

In der Halle wartete bereits ungeduldig ihr Freund Rat auf sie. »Du hast ja ewig gebraucht«, knurrte er, als sie zum Ausgang liefen.

»Natürlich brauche ich länger als du«, gab Lauren verstimmt zurück. »Deine Haare sind ungefähr zwei Zentimeter lang und in einer halben Minute trocken. Ich muss meine mit Shampoo waschen, um den Chlorgestank rauszubekommen, und dann auch noch kämmen, damit sie nicht völlig verfilzt trocknen.«

»Sollen wir jetzt zusammen Hausaufgaben machen?« , fragte Rat. »Wir könnten einen Zwischenstopp im Speisesaal einlegen. Ich hätte Lust auf eines dieser heißen Schokoladencroissants, die es da seit Neuestem gibt. Oder wir gehen in die Bibliothek und fangen mit der Recherche für diese Geschichtssache an.«

»Ich kann nicht«, erklärte Lauren. »Ich hab dir doch gesagt, dass ich eine Einsatzbesprechung habe, du Schlaumeier.«

Sie verließen das Schwimmbad und wandten sich Richtung Süden, wobei sie sich durch eine Gruppe erhitzter Rothemden zwängen mussten, die nach dem Unterricht schnell ins Schwimmbecken hüpfen wollten.

»Wieso gehst du überhaupt auf diese Mission?«, wollte Rat wissen.

Lauren sah ihn ungläubig an. »Warum verbringe ich überhaupt den ganzen Nachmittag damit, mir im Pool die Seele aus dem Leib zu schwimmen? Warum ist man überhaupt bei CHERUB, wenn man die Missionen ablehnt?«

»Aber wir wollten doch zusammen ins Sommerferienlager«, protestierte Rat. »Und das können wir nicht, wenn du auf irgendeiner Mission bist …«

»Es ist wirklich schade, das Sommercamp zu verpassen«, gab Lauren zu. »Aber wenn ich da nicht mitfahren kann, dann bekomme ich eben Winterferien und kann vielleicht Ski fahren gehen oder so.«

Rat schnalzte mit der Zunge. »Aber nicht mit mir.«

»Na, wir sind schließlich nicht verheiratet, Rat. Ich dachte immer, genau das sei das Beste bei uns beiden. Bethany hat ungefähr sechs Freunde verschlissen, seit wir beide zusammen sind. Und sie ist jedes Mal total hin und weg, und drei Wochen später ist es vorbei, während wir zwei einfach ganz entspannt weitermachen.«

»Das haben wir auch, bis dein rothaariger Schwarm aufgekreuzt ist.«

Lauren musste lachen. »Dante?«

»Wer denn sonst?«, antwortete Rat böse. »So, wie du dich in seiner Nähe aufführst … Oh Dante, was für eine lustige Geschichte. Oh Dante, du hast ja so einen starken Bizeps. Oh Dante, ich wette, deine Scheiße schmeckt wie Nutella

»Lass den Quatsch«, verlangte Lauren seufzend. »Warum bist du denn eifersüchtig auf ihn? Der Junge ist nach drei Jahren Abwesenheit wieder auf den Campus gekommen. Was ist denn schon dabei, ihn ein bisschen willkommen zu heißen?«

»Ich bin nicht eifersüchtig«, behauptete Rat. »Aber es ist ja wohl offensichtlich, wie du ihn anhimmelst. Und jetzt gehst du auch noch mit ihm auf eine Mission! Und anstatt des Sommercamps willst du einen Winterurlaub. Und mit wem wohl? Oh ja, natürlich, mit dem rothaarigen Wunderknaben!«

Die beiden bogen auf den Hauptweg ab, der mitten über den Campus zum Einsatzkontrollgebäude und zum Hauptgebäude führte. Um diese Tageszeit wimmelte es dort von Kindern, die ihnen mit Tennisschlägern in der Hand entgegenkamen oder zum See gingen, um ihre Hausaufgaben in der Sonne zu machen.

»Ich weiß echt nicht, was ich dazu sagen soll«, meinte Lauren. »Ich hätte dich für reifer gehalten.«

»Ich bin reif«, erwiderte Rat aufgebracht. »Ich will nur nicht, dass meine Freundin an jemand anderem herumsabbert und mich wie einen Trottel dastehen lässt.«

»Sabbern?!«, stieß Lauren hervor. »Wann soll ich denn gesabbert haben?«

»Ich will doch nur zusammen mit meiner Freundin in die Sommerferien fahren«, rief Rat. »Was ist daran so falsch?«

»Du wechselst das Thema«, stellte Lauren fest. »Wann, bitte schön, habe ich an Dante herumgesabbert ? Wann habe ich irgendetwas getan, was über nett zu ihm zu sein und ihn nach der langen Zeit zu begrüßen hinausgegangen wäre?«

»Es ist einfach alles!«, rief Rat. »Wie du ihn schon ansiehst, und dann dieses aufreizende kleine Lächeln.«

»Du bist eifersüchtig«, gab Lauren zurück, blieb stehen und stemmte die Hände in die Hüften. »Und total unreif! Ich fasse es einfach nicht, dass du mich tatsächlich beschuldigst, ich würde dich betrügen!«

»Und ich fasse es nicht, dass du es leugnest, wo du doch ganz offensichtlich versuchst, etwas mit ihm anzufangen!«

Lauren sah erneut auf die Uhr. »Ich komme noch zu spät zu der Einsatzbesprechung für die Mission, auf die ich mit Dante und meinem Bruder gehe. Wahrscheinlich werde ich danach etwas verspätete Sommerferien machen, und vielleicht treffe ich mich danach sogar mit Dante, denn ich werde nicht zulassen, dass du dich wie ein launischer, eifersüchtiger Idiot aufführst.«

Und damit stürmte sie über den Rasen davon, um auf schnellstem Weg zum Einsatzkontrollgebäude zu kommen.

»Wir werden ja sehen, ob mir das was ausmacht!«, schrie Rat ihr nach. »Warum treibst du es nicht gleich mit diesem dämlichen rothaarigen Wichser!«

»Dazu hat er mehr Chancen, als du je haben wirst, du hirnloser australischer Idiot!«, schrie Lauren zurück und zeigte Rat zum Abschied mit beiden Händen den Mittelfinger.

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James Adams wartete bereits in Chloe Blakes Büro, als sie zusammen mit Dante und den beiden Polizeibeamten in Orange hereinkam. Das Büro war groß, mit einem Velourledersofa, das bereits erste Abnutzungsspuren aufwies, sowie einem bodentiefen Fenster, das einen Blick auf die Satellitenschüsseln auf dem Rasen davor gewährte.

»Ich habe das Tablett aus dem Speisesaal mitgebracht«, sagte James und stand auf, um Ross und Neil die Hand zu reichen, bevor er auf die Erfrischungen zeigte. »Heißer Kaffee, Sandwiches, Kuchen. Bitte, bedienen Sie sich.«

»Ist deine Schwester noch nicht da?«, fragte Chloe.

»Nein«, antwortete James. »Aber sie wollte gleich nach dem Aquatraining auf der anderen Seite des Campus hierherkommen.«

Dante freute sich über das Wiedersehen mit Ross. Er durfte ihm zwar nichts über seine Mission in Nordirland erzählen, aber immerhin konnte er ihm einen vagen Einblick in sein Leben auf dem Campus vermitteln und ihm Fragen über Tina stellen, die auf dem besten Weg war, Anwältin zu werden.

»Dantes Aussehen macht mir etwas Sorgen«, sagte Ross jetzt und sah Chloe ernst an.

Chloe nickte, setzte sich an ihren Schreibtisch und nahm die Tasse entgegen, die James ihr reichte. »Wir haben uns die Aufnahmen von den Gesprächen angesehen, die Sie 2003 mit Dante geführt haben. Seitdem ist er ein ganzes Stück gewachsen, und die langen Haare und sein neuer Akzent helfen ebenfalls. Aber wir werden ihn komplett färben müssen. Nicht nur das Kopfhaar, sondern auch die Körperbehaarung, und wir zeigen ihm, wie er die Farbe beibehalten kann, damit nirgendwo die roten Ansätze durchkommen.«

»Wir haben bereits ein Computerbild davon erstellt«, sagte Dante und zeigte ihnen einen Farbausdruck. »So würde ich danach aussehen.«

»Blond wie meine Schwester und ich«, warf James ein.

»Und natürlich kann ich nicht länger Dante heißen«, fügte Dante hinzu. »Ich werde John nehmen, ein schöner nichtssagender Name.«

»Sieht gut aus«, nickte Ross. »Ich glaube, es ist wirklich von Vorteil, Dante bei der Mission dabeizuhaben. Er hat nicht nur fünf Jahre lang in Salcombe gelebt, er weiß wahrscheinlich auch mehr über den Commander und die Struktur der Bandits als jeder andere von uns.«

Dante lächelte. »Mit Sicherheit gibt es niemanden, der motivierter ist als ich, den Commander hinter Schloss und Riegel zu bringen.«

»Nun ja, nach meinem Erlebnis der letzten Woche würde ich dir bei diesem Wettbewerb einen guten zweiten Platz einräumen«, gab Neil zu bedenken.

»Wir werden uns alle ein wenig verändern müssen, um die South-Devon-Bandits zu infiltrieren«, fuhr Chloe fort. »James ist sechzehn, aber für diese Mission muss er die Identität eines Siebzehnjährigen annehmen.«

»Das heißt, dass ich einen Motorradführerschein haben kann, um mit den jüngeren Mitgliedern des Monster Bunch abzuhängen«, erklärte James zufrieden. »Ich bin schon mit dem Motorrad gefahren, aber in den letzten Tagen habe ich auch noch mit einem Fahrlehrer auf den Straßen um den Campus herum geübt.«

»Lauren bleibt so ziemlich sie selbst«, fügte Chloe hinzu. »Aber ich bin nur zehn Jahre älter als James, also muss ich dringend noch ein paar Jahre altern, wenn ich als seine Mutter durchgehen will. Das sollte aber kein Problem sein, mit der passenden Garderobe und ein paar grauen Strähnen.«

»Apropos Lauren, sollte sie nicht längst hier sein?«, fragte Dante.

Lauren war noch etwa fünfzig Meter weit entfernt und hatte gerade den Iris-Scanner passiert, um ins Einsatzkontrollgebäude zu gelangen. Nach dem Schwimmen und dem Marsch über den Campus in der grellen Sonne war sie völlig erschöpft.

Noch dazu machte sie der Streit mit Rat fertig. Sie waren schon fast seit dem Zeitpunkt zusammen, als sie sich vor drei Jahren das erste Mal gesehen hatten. Und der Streit heute war der bisher ernsthafteste, obwohl Lauren sich nicht ganz sicher war, ob sie tatsächlich miteinander Schluss gemacht hatten. Sie war sich auch nicht sicher, ob sie Dante gegenüber vielleicht besonders freundlich gewesen war, und sie fragte sich, ob sie vielleicht unbewusst mit ihm geflirtet hatte. Schließlich hatte sie ihn von Anfang an gemocht, seit sie an ihrem ersten Morgen auf dem Campus nach dem Aufwachen in sein Zimmer gekommen war. Und sie musste zugeben, dass sie auf seine Muskeln und sein exotisches rotes Haar stand.

»Tut mir leid, dass ich zu spät komme«, keuchte sie und ließ die Tüte mit den nassen Schwimmsachen an der Tür fallen, bevor sie Neil und Ross die Hand schüttelte.

»Schon okay«, sagte Chloe. »James, Lauren und Dante haben in der letzten Woche die Informationen über die South-Devon-Bandits gelesen. Ross hat noch weitere Infos mitgebracht, die ihr euch ansehen müsst, und er wird euch über die Art der Mission in Kenntnis setzen.«

Ross stand vom Sofa auf und lehnte sich an die Kante von Chloes Schreibtisch.

»Ich denke, in groben Zügen ist euch allen die Situation klar«, begann er fröhlich. »Wir bestellen eine große Menge an Waffen über einen Mann namens Sealclubber, den Präsidenten der Londoner Bandits. Wir hoffen, dass diese Menge die Ressourcen der South-Devon-Bandits und insbesondere ihre Waffendeals ziemlich überfordert. Ursprünglich hätte sich Neil in das Geschäft einklinken sollen, aber seine Tarnung ist aufgeflogen, und daher sollt ihr drei jetzt diesen Job übernehmen.«

»Aber während Neil natürlich versucht hat, sich direkt mit den Bandits einzulassen«, unterbrach Chloe, »werdet ihr drei die Schmuggeloperation auf weniger direkte Weise unterlaufen.«

Ross nickte.

»Zunächst zu dir, James. Du wirst siebzehn sein. Du hast ein unzuverlässiges Bike und deshalb einen guten Grund, bei den Motorradläden in dem Gewerbegebiet in der Nähe des Bandits-Clubhauses herumzuhängen. Ein cooler junger Mann wie du sollte keine großen Schwierigkeiten haben, Kontakt zu anderen jungen Bikern um den Monster Bunch und die Dogs of War zu knüpfen. Die Mitglieder dieser beiden Gangs sind weitaus jünger als die der Bandits, deshalb sind die Gangs auch leichter zu infiltrieren«, erklärte Neil. »Du solltest aber nicht versuchen, ihnen beizutreten, sondern dich lieber mit den Gestalten in ihrem Umfeld einlassen. Ich weiß mit Sicherheit, dass einige dieser Jungs ihr Geld damit verdienen, die Drecksarbeit für die Bandits zu erledigen, sei es, Marihuana an Schulkinder zu verkaufen, sei es, mit dem Zug durchs Land zu reisen, um irgendwo in London oder Manchester eine Waffe abzuliefern.«

James nickte. »Meinen Sie, ich hätte überhaupt Zeit, einer dieser Gangs beizutreten?«

Neil schüttelte den Kopf. »Wir haben bereits alles für unseren Waffendeal in die Wege geleitet. Wir werden unserem Undercover-Käufer sagen, dass er Geldprobleme bekommt und den Kauf um ein paar Wochen hinauszögern muss, aber wir können Sealclubber nicht ewig hinhalten. Dein Job ist es, so schnell wie möglich an Informationen zu kommen. Wenn das nicht funktioniert, blasen wir die ganze Operation ab.«

»Lauren und Dante werden das Problem von der anderen Seite aus angehen, über Joe, den Sohn des Commanders«, ergänzte Ross. »Dantes Aufgabe ist es, Joes bester Freund zu werden …«

»Wieder«, korrigierte ihn Dante. »Er war jahrelang mein bester Freund.«

Ross nickte. »Laurens Aufgabe ist ganz ähnlich, aber sie wird Joes Aufmerksamkeit hoffentlich als potenzielle Freundin erregen.«

»Es sei denn, er ist schwul«, warf James grinsend ein. »In diesem Fall müsste Dante versuchen, mit ihm herumzuknutschen.«

»Voll krass!«, beschwerte sich Dante.

»Bleib bitte ernst, James!«, mahnte Chloe.

»Okay«, lächelte James. »Eine ernsthafte Frage: Wir wissen, dass der Commander ein Krimineller ist, der es jahrelang geschafft hat, sich alle Schwierigkeiten vom Hals zu halten. Er wurde nicht einmal angeklagt, als er Dantes Familie ausgelöscht hat. Wie können wir dann davon ausgehen, dass sein vierzehnjähriger Sohn irgendetwas über seine krummen Geschäfte weiß?«

»Der Commander steht seinem jüngeren Sohn sehr nahe«, antwortete Neil. »Wer weiß, vielleicht reißt Joe nach ein paar Bier ja die Klappe zu weit auf? Oder er erwähnt irgendwas, das er lieber nicht sagen sollte, weil er ein Mädchen beeindrucken will?«

»Wir können es zumindest versuchen«, nickte Lauren. »Was ist mit elektronischer Überwachung? Wenn wir zu ihm nach Hause kommen oder ins Clubhaus der Bandits, könnten wir dort doch ein paar Wanzen verstecken?«

Ross schüttelte den Kopf. »Sackgasse. Wir haben über zwei Jahre lang Überwachungsgeräte angebracht. Aber die Bandits sprechen in Codes, wenn sie ein Telefon benutzen oder ein Meeting im Clubhaus haben. Und alle brisanten Gespräche werden sowieso persönlich geführt, meist irgendwo unter freiem Himmel auf irgendeinem Feld.«

Der Chief Inspector kreuzte die Arme vor der Brust. »Tja, das ist also die Grundlage eurer Mission«, erklärte er. »Wir hatten eigentlich gehofft, dass Neil die Organisation der Bandits auf weit höherem Niveau unterlaufen kann, als es euch möglich sein wird. Ich will gar nicht erst behaupten, dass unsere Chancen auf Erfolg sonderlich groß sind, aber ich hoffe, ihr drei seid trotzdem bereit, die Herausforderung anzunehmen, denn die South-Devon-Bandits bringen jede Menge Waffen ins Land. Und ich persönlich finde, dass es auch eine zwanzigprozentige Chance wert ist, ergriffen zu werden, denn durch diese Waffen finden Menschen den Tod.«

Chloe nickte zustimmend.

»Ich weiß nicht, wie intensiv ihr die Zeitungen verfolgt, aber in den britischen Städten explodieren geradezu die Zahlen der Schusswaffendelikte unter Teenagern.«

»Nun, ihr wisst, dass ich dabei bin«, sagte Dante und auch James stimmte zu.

»Lauren?«, fragte Chloe.

Lauren hatte über ihren Streit mit Rat nachgedacht. Sie hatte sich wirklich darauf gefreut, mit ihm ins Sommercamp zu gehen, aber selbst wenn sie ein wenig mit Dante geflirtet haben sollte, hatte Rat total überreagiert.

»Tut mir leid«, sagte sie schließlich. »Ich bin ein wenig erledigt nach dem Schwimmtraining. Natürlich bin ich dabei.«