18

Es dauerte drei Tage, bis sie eine Unterkunft in der Gegend von Salcombe hatten und Chloe noch einige kleinere Details für ihre Mission ausgearbeitet hatte.

An einem Sonntagmorgen stand James in seinem Zimmer und wühlte in seiner gepackten Tasche, um nachzusehen, ob er noch irgendetwas vergessen hatte, als Kerry hereinkam. Sie wollte sich verabschieden und schien ziemlich traurig zu sein, sodass James beschloss, endlich herauszufinden, wie es um ihre Beziehung stand.

»Bei dieser Mission geht es um einen Waffendeal, den die Polizei bereits in Gang gesetzt hat«, erklärte James und stellte erleichtert fest, dass er seinen iPod in die Seitentasche gesteckt hatte. »Ich glaube kaum, dass das Ganze länger als ein oder zwei Monate dauert, und wir beide kommen zur Zeit ziemlich gut miteinander aus.«

Kerry lachte. »Wie immer, bis wir tatsächlich miteinander gehen.«

James zog die Seitentasche zu. »Aber wir sind auch älter geworden. Wir hatten beide schon andere Partner. Ich weiß, dass wir schon zwei Mal miteinander Schluss gemacht haben, aber ich glaube, das lag eher daran, dass wir noch so jung waren, als an irgendwas anderem.«

Kerry trat einen Schritt nach vorn, und ihre Nasenspitze berührte fast James′ Kinn. Es war noch früh, daher trug sie nur ein T-Shirt und die verbeulten Pyjamahosen, in denen sie schlief. Ihr Duft törnte James an und er stellte sich vor, wie er sie aufs Bett schob und ihr die Hosen herunterzog. Aber Kerry würde ihm das Genick brechen, wenn er die Sache falsch anging, daher beließ er es beim Küssen.

Es dauerte eine halbe Minute, in der sie wild herumknutschten und er Kerrys Hintern ausgiebig betatschen konnte, bis sie sich zurückzog und sie einander mit offenem Mund anstarrten.

»Warum hast du aufgehört?«, wollte James wissen.

Kerry zuckte mit den Achseln. »Weil ich gar nicht erst damit anfangen will, so kurz vor deiner Mission«, erklärte sie. »Erst recht nicht bei deinem Ruf.«

»Was für einem Ruf?«, fragte James mit völliger Unschuldsmiene.

»Deinem Ruf, dass du mit jeder knutschst und poppst, die dir über den Weg läuft«, antwortete Kerry. »Wenn du zurückkommst, können wir über eine Beziehung reden.«

»Meinst du wirklich?«, fragte James. »Und was ist, wenn du auf Mission geschickt wirst, bevor ich wieder da bin?«

»Genau das ist ja das Problem«, sagte Kerry. »Ich will keine Long-Distance-Beziehung anfangen. Ich will dich nicht betrügen, und ich will auch nicht, dass du mich betrügst. Man kann nie wissen, aber vielleicht werde ich auf eine jahrelange Mission geschickt, bei der mich ein dunkelhäutiger Millionärshengst völlig vom Hocker haut.«

»Das bin ich«, grinste James. »Ich bin braun gebrannt, ein Hengst und du kannst mich jetzt gleich haben. Ich nehm auch ein Kondom, wenn du schön Bitte sagst.«

Kerry wusste, dass James das nicht ernst meinte, und begann zu lachen. »In gewisser Hinsicht bist du ja vielleicht ganz süß, aber der Mann meiner Träume hat sicher keinen Pickel von der Größe eines Mentos im Genick.«

»Das sind die Hormone«, erklärte James und rieb sich verlegen den Nacken. »Nur ein Zeichen dafür, dass ich vor Männlichkeit nur so strotze.«

»Du kannst es Männlichkeit nennen, für mich sieht das aus wie Eiter«, erwiderte Kerry, küsste James kurz und wandte sich dann zur Tür. »Ich muss um halb acht ein paar Rothemden eine Dojo-Trainingsstunde geben, also sollte ich mich beeilen. Ich wünsche dir viel Erfolg bei deiner Mission. Und schreib mir mal eine SMS, ja?«

»Natürlich«, sagte James und sah Kerry ein wenig traurig nach.

Dann verpasste er der Tür einen Tritt, griff nach dem Lineal auf seinem Schreibtisch, warf es hoch in die Luft, stellte sich breitbeinig vor seinen Schrankspiegel und schob die Hüften vor, bevor er mit tiefer Stimme deklamierte: »Durch die Macht, die mir der große Gott Helix verliehen hat, schwöre ich, dass ich eines Tages die schöne Jungfer Kerry Chang lieben werde!«

Eigentlich fand er sich selbst ziemlich albern, und er musste immer noch kichern, als er fünf Minuten später seine Taschen zum Lift brachte.

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Dante war erblondet, und Chloe hatte für die Mission ein paar graue Strähnen und eine neue Kollektion von Kleidern im schicken Mama-Stil bekommen.

Die Fahrt dauerte einen halben Tag, und Chloe und die drei Teenager legten die Strecke in einem komfortablen Range-Rover zurück. Da James eigens für diese Mission einen offiziellen Führerschein bekommen hatte, erlaubte Chloe ihm – trotz Laurens Proteststurm, dass er ein lausiger Fahrer sei, der sie alle umbringen würde –, das letzte Stück zu fahren, nachdem sie im Garten eines Pubs in der Nähe von Bristol Rast gemacht hatten.

Ihr neues Heim war ein modernes Haus mit vier Zimmern und lag etwa zwanzig Minuten vom Strand und dem Stadtzentrum von Salcombe entfernt. Die reiche Küstenstadt war im Sommer voller Touristen, und so hatte das Umsiedlungsbüro des Geheimdienstes ein kleines Vermögen ausgeben müssen, um das Haus zu mieten und so einzurichten, dass es zu ihrer Hintergrundstory passte.

Ihr Familienname war Raven. Chloe Raven, siebenunddreißig und geschieden, war aus London und von einem Ehemann weggezogen, der in der Stadt arbeitete.

Der siebzehnjährige James Raven ging in die Oberstufe. Lauren Raven war seine Schwester, die die achte Klasse besuchte. Und um jegliche Ähnlichkeit mit seiner realen Identität zu vermeiden, war Dante zu John Raven, Laurens Zwillingsbruder, geworden.

»Der Koffer der Lady«, sagte James nun und stellte das Gepäck vor der nackten Matratze ab, auf der Lauren lag. Sie hatte ein großes Zimmer mit einem Balkon über dem gepflegten Garten.

»Danke«, stieß Lauren hervor und kratzte sich unter der Achsel.

»Alles in Ordnung?«, fragte James. »Du hast den ganzen Tag über kaum was gesagt.«

»Ich bin deprimiert«, verkündete Lauren dramatisch.

So hatte James seine Schwester nicht mehr erlebt, seit ihre Mutter gestorben war.

»Du wirst dich schon wieder mit Rat versöhnen«, versuchte er sie aufzumuntern, ohne dabei allzu fröhlich zu klingen. »Ihr habt euch doch schließlich schon früher gestritten.«

Lauren setzte sich ruckartig auf. »Wie kommst du darauf, dass ich mich mit ihm versöhnen will? Er hat sich wie ein eifersüchtiger Trottel benommen.«

James grinste. »Nicht gerade überraschend, so wie du Dante angehimmelt hast.«

»Hab ich doch gar nicht!«, protestierte Lauren beleidigt. »Ihr Jungs seid doch alle gleich. Ihr grabt Mädels an, habt Bilder von Weibern an euren Zimmerwänden mit Titten so groß wie Fußbälle und beschuldigt uns, Schlampen zu sein, nur weil wir uns mit jemand anderem unterhalten.«

James hatte einfach nur nett sein wollen und keine Lust, sich in Laurens Liebesleben einzumischen.

»Wie auch immer«, sagte er beschwichtigend. »Ich bin sicher, das regelt sich irgendwie.«

Lauren schnalzte zur Antwort nur mit der Zunge, und James zog sich zurück. Unten an der Treppe sah er ihren zweiten Koffer stehen, hatte aber nicht die Absicht, ihr erneut die Arbeit abzunehmen, wenn sie ihn dafür doch nur angiftete.

»Hübsches Haus, was?«, meinte Dante, der mit einer Kühltasche voller Lebensmittel in Richtung Küche steuerte. »Hast du schon dein Bike gesehen, James? Sieht gar nicht mal so schlecht aus.«

»Oh!«, rief James. »Das hab ich ja ganz vergessen. Wo ist es?«

»Garage«, antwortete Dante. »Chloe hat den Wagen daneben geparkt.«

James rannte aus der Tür und an Chloe vorbei, die mit einer großen Tasche voller Gummistiefel und Regenschirme hereinkam. Er bremste ab und fragte aufgeregt: »Kann ich das Bike ausprobieren?«

»Ich wollte uns gerade etwas Tee machen, mit ein paar Keksen«, sagte Chloe. »Wenn du auch etwas möchtest … ?«

»Nur zehn oder fünfzehn Minuten, zum Eingewöhnen«, bettelte James.

»Na gut«, lächelte Chloe. »Aber zieh deine Schutzkleidung an und mach langsam, bis du die Maschine sicher beherrschst.«

Lachend kam sie ins Haus.

»Was ist denn so lustig?«, wollte Dante wissen.

»Ihr Teenies«, erwiderte Chloe. »Im einen Augenblick ist James total cool und überlegen, und im nächsten strahlt er wie ein Sechsjähriger am Weihnachtsmorgen.«

»Tja, James liebt seine Bikes eben«, sagte Dante, als er hörte, wie der Motor der kleinen Maschine ansprang.

Drei Jahre zuvor war James auf einer Mission in Amerika schon ein paar Mal Motorrad gefahren. Außerdem hatte Terry Campbell ihn auf dem Campus herumcruisen lassen, und in den letzten sechs Tagen hatte er intensive Fahrstunden im richtigen Straßenverkehr bekommen. Aber jetzt genoss James zum allerersten Mal das Gefühl der Freiheit auf seinem eigenen Bike.

Die 250er Honda hatte schon ein paar Jahre auf dem Buckel und nur zweiundzwanzig PS, aber für unter Einundzwanzigjährige waren stärkere Maschinen verboten. Immerhin beschleunigte das Motorrad schneller als die meisten Autos und kam auf gut hundert Stundenkilometer. Und was noch wichtiger war: James hatte auch schon größere Maschinen gefahren, aber manchmal machte es tatsächlich mehr Spaß, eine wendige 250er über die kurvigen Straßen Englands zu lenken als die großen Monster, die Gangs wie die Bandits fuhren.

Das Motorrad trug James einen sanften Hügel hinauf. Die Luxusvillen zu beiden Seiten der Straße gehörten alle zur gleichen edlen Wohnanlage. Die Straße war eine Sackgasse, daher wendete James, fuhr mit achtzig an ihrem eigenen, neuen Haus vorbei und bog dann auf eine andere Straße ab.

So ging es etwa einen knappen Kilometer dahin, bevor er hinter einem Wohnmobil festhing, das mit fünfzig stur dahinzockelte. Die Hauptstraße in die Stadtmitte von Salcombe war verstopft, daher fuhr er auf den Seitenstreifen und wendete erneut.

In diesem Moment bemerkte er ein großes Grundstück mit einer geschmacklosen Villa im Renaissance-Stil und einer Dreier-Garage daneben. Er kannte es von den Polizeiüberwachungsfotos, doch erst als er den Namen »Eagle′s Nest« in deutscher Frakturschrift auf einem Holzschild sah, wurde ihm bewusst, dass es das Haus des Commanders war.

James nutzte eine Lücke im Verkehr, um sich die Einfahrt ihres Zielobjektes kurz anzusehen. Ein rostiger deutscher Panzer aus dem zweiten Weltkrieg zielte mit seiner Kanone auf die Straße und ein Schild daran warnte: »Zutritt für Unbefugte verboten. Zuwiderhandelnde werden erschossen.«

»Ungemein subtil«, murmelte James, drehte am Gashebel und fuhr nach Hause.

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Es war ein warmer Abend. Chloe hatte keine Lust, nach der langen Fahrt auch noch Essen zu kochen, daher fuhren sie in die Stadt. Erinnerungen wallten in Dante auf, als sie mit dem Range Rover durch die Straßen von Salcombe fuhren. Er betrachtete die niedrigen Mauern und Briefkästen und sah plötzlich wieder vor sich, wie er als kleiner Junge dahinter hervorgesprungen war, um seine Mum zu erschrecken. Er erkannte die Bäckerei wieder, in der sie ihm Wurstbrötchen und Donuts gekauft hatte, und sogar ein paar der alten Yachten, die am Kai lagen.

Die Straße, die früher zum Clubhaus der Bandits geführt hatte, hatte sich nicht verändert. Dante blieb fast die Luft weg, als er sich daran erinnerte, wann er das letzte Mal hier entlanggekommen war: in jener Nacht, in der seine Eltern ermordet wurden.

»Alles in Ordnung, Dante?«, fragte Lauren.

»Erinnerungen«, erwiderte Dante achselzuckend. »Nichts, womit ich nicht fertigwerde.«

Anstelle des Eingangstors zum Gelände der Bandits führte jetzt jedoch eine gewundene Betonrampe zu Parkplätzen, die hinter und unter einer riesigen zweistöckigen Anlage namens Marina Heights lagen. Davor befand sich eine gepflasterte Promenade – Keine Fahrräder, keine Skateboards –, auf der die Leute ihren Abendspaziergang machten. Ein Dutzend eleganter Läden boten Yachtzubehör, Surfboards und Designer-Sportsachen an.

Der letzte und größte Laden nannte sich Leather & Chrome. Im Schaufenster standen mehrere nach Maß gefertigte Motorräder. Aber auch Leute mit kleinerem Geldbeutel konnten hier einiges erwerben, wie zum Beispiel Spielzeugmotorräder, Bücher oder Puzzle mit Motorrad-Motiven. Für fünfundzwanzig Pfund konnte man ein T-Shirt erstehen, das einen als Förderer des Bandits-Motorradclubs auswies, ebenso wie Bandits-Kaffeebecher, Untersetzer, Schlüsselanhänger und Teddybären in Lederjacke.

James war mit seinem Bike bereits vorausgefahren, und nachdem Chloe geparkt hatte, entdeckte ihn Lauren, wie er durch das Schaufenster ein Arlen-Ness-Motorrad betrachtete – metallic-grün lackiert, mit einem gepolsterten Sitz, der sich kaum einen halben Meter über dem Boden befand, sowie einer speziell angefertigten Frontgabel, die das ganze Bike auf vier Meter Länge anwachsen ließ.

»Dachte ich′s mir doch, dass ich dich hier finde«, sagte Lauren fröhlich. »Geht es nur mir so, oder ist dieses Bike tatsächlich ein ganz klein wenig unpraktisch?«

James grinste. »Bei einem Verkehrsstau bestimmt total übel.«

»Tut mir leid, dass ich dich vorhin angeschnauzt habe«, entschuldigte sich Lauren.

»Schon gut«, erwiderte James. »Man kann von einem kleinen Frauenverstand ja nicht erwarten, dass er immer rational funktioniert.«

»Haha! Lass mich mal kurz nachsehen, ob ich eben vor Lachen gestorben bin«, gab Lauren zurück. »Übrigens hat Chloe im Internet gesehen, dass die Tapas-Bar da oben ganz gut sein soll.«

Von beiden Enden der Laden-Promenade führte eine Treppe in den ersten Stock zu einem Platz mit einem Springbrunnen in der Mitte. Hinter diesem Platz lagen die Restaurants. An einem Ende die teureren, in denen die Gäste in Anzug und Krawatte ihre Oliven verspeisten und die Yachten betrachteten; am anderen Ende ein American Diner im Stil der fünfziger Jahre und eine Reihe von Imbissständen, darunter eine Saftbar und ein Donutstand.

»Martin Donnington«, flüsterte Dante, als er den ältesten Sohn des Commanders erkannte, der hinter einem Crêpes-Stand arbeitete. »Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, hab ich ihn im Boxring windelweich geschlagen.«

Lauren und James nickten.

Während Chloe versuchte, in der Tapas-Bar einen Tisch zu bekommen, sahen sich die drei den Rest der Anlage an. Links von ihnen befand sich Marina View, ein sechsstöckiges Haus mit Luxusappartements. Die voll klimatisierten und mit großen Balkonen ausgestatteten Appartements gehörten hier, in einer der teuersten Küstenstädte des Landes, zu den begehrtesten Wohnobjekten.

»Es ist eindeutig, warum der Commander das hier bauen wollte«, stellte James fest. »Sie müssen Millionen damit verdient haben.«

Dante fand James′ Bemerkung irgendwie taktlos, doch zugleich musste er ihm recht geben. Wenn sein Vater dem Unternehmen nicht im Weg gestanden hätte, hätte er vielleicht immer noch hier gewohnt. Seine Eltern und seine Geschwister würden noch leben, und wahrscheinlich wären sie auch noch ziemlich reich.

Schließlich erreichten die drei Cherubs das Ende der Anlage, wo die Aussicht nicht mehr ganz so spektakulär war und den Parkplatz sowie die Mülltonnen hinter den Läden und Restaurants zeigte. Hinter den Autos stand ein schlichtes, zweistöckiges Ziegelsteingebäude mit dem großen leuchtenden Neonlogo der Bandits. Über dem Haupteingang verriet ein Plastikschild: Was in diesem Clubhaus passiert, bleibt auch in diesem Clubhaus.

»Vierzig Minuten Wartezeit für einen Tisch«, erklärte Chloe, als sie wieder zu ihnen stieß. »Wollt ihr so lange warten? Oder wollt ihr runter gehen zum Diner oder Donuts holen oder irgendetwas anderes, falls ihr mittags schon genug gegessen habt?«

»Da sind jede Menge Kids«, bemerkte Lauren, als ihr Blick auf eine Gruppe Teenager in ihrem Alter fiel. Die meisten hatten Strandkleidung an, trugen entweder Surfschuhe oder waren barfuß, und einer von ihnen hatte sogar ein Surfbrett vom Strand mit heraufgeschleppt.

James bemerkte ein etwas älteres Mädchen, das am Geländer stand. Er konnte zwar ihr Gesicht nicht sehen, aber der Wind hob ihren langen Rock an und sie hatte eine tolle Figur.

»Vielleicht nutzen wir diese Chance gleich mal«, schlug James vor. »Wir können uns zeigen und dabei herausfinden, wer hier wer ist.«

»Okay«, stimmte Chloe zu. »Ich bleibe in der Nähe und bummle für eine Stunde durch die Geschäfte. Vielleicht gehe ich zum Italiener. Dort sah es nicht ganz so voll aus wie in der Tapas-Bar.«

Sie war bereits im Weggehen, als die Kinder ihr nachliefen und laut hüstelten. Als sie sich umdrehte, streckten alle drei die Hände aus.

»Du vergisst deine mütterlichen Pflichten«, grinste James.

Lachend drückte Chloe jedem von ihnen einen Zwanzig-Pfund-Schein in die Hand und mahnte an, nicht alles auf einmal auszugeben. Daraufhin folgten Lauren und Dante den Surfern, die geschlossen zum Diner gingen, während James sich auf Umwegen dem Mädchen mit dem langen Rock und dem langen Haar näherte.

»Hallo, meine Schöne«, sagte er. »Wo hast du dich denn mein ganzes Leben lang versteckt?«

Das Mädchen drehte sich um und lächelte. Zum Glück hielt ihr Gesicht das Versprechen, das ihre Rückenansicht gegeben hatte.

»Was für eine hübsche Anmache«, fand sie. »Das hab ich ja noch nie zuvor gehört.«

»Tut mir leid«, lächelte James achselzuckend. »Ist ein wenig jämmerlich. Ich heiße James. Ich bin gerade aus London hierhergezogen und kenne noch niemanden, und du sahst so einsam aus.«

»Ashley«, antwortete das Mädchen und reichte James eine schlanke Hand. »Dein Akzent gefällt mir. Ein echter Cockney-Junge.«

»Yo«, stimmte James zu und grinste, »voll klar, eh … Aber wie kommt es, dass ein hübsches Mädchen wie du hier so ganz allein aufs Meer starrt?«

Ashley lachte. »Ich warte auf meinen Freund, er parkt den Wagen.«

»Oh«, machte James verlegen. »Vielleicht könnten wir zusammen durchbrennen, bevor er kommt.«

Ashley lachte erneut.

»Tut mir leid, das war wieder blöd«, erklärte James. »Bist du auch in der Oberstufe?«

Sie nickte.

»Kennst du das Oberstufencollege Crossroads? Da muss ich morgen hin, um mich für meine Kurse anzumelden.«

Sie nickte erneut. »Da bin ich auch. Ehrlich gesagt ist es so ziemlich das einzige College hier, abgesehen von ein paar schicken Privatschulen.«

»Ich dachte, dass hier so ziemlich alles schick ist.«

»Nicht wirklich«, antwortete Ashley. »Die meisten Häuser am Hafen und in der Stadtmitte sind Ferienhäuser. Die Leute wohnen eigentlich in London oder sonst wo. Natürlich gibt es hier auch ein paar Reiche, wie überall anders auch. Julians Eltern sind zum Beispiel ziemlich wohlhabend. Sein Vater ist Richter und er wohnt da oben im Marina View

»Ist Julian dein Freund?«

Ashley nickte. »Er kommt gerade die Treppe rauf.«

James sah über das Geländer und stellte erfreut fest, dass er kein Pärchen störte: Julian befand sich in einer Gruppe von fünf Mädchen und drei Jungen.

»Wir gehen wahrscheinlich zum Diner«, erzählte Ashley, als sich ihre Freunde um sie versammelten. »Es ist eigentlich ziemlich langweilig, und das Essen ist auch nicht gerade das Beste, aber wenn du willst, kannst du mitkommen.«

James nickte und der große, lockige Julian gab Ashley einen Kuss. An seinem Finger baumelte ein Fiat-Schlüssel.

»Hi Ash«, begrüßte er sie mit weicher Stimme. »Das hat ewig gedauert. Irgendein Depp hat zehn Minuten zum Einparken gebraucht, und eine ellenlange Schlange musste warten.«

»Julian – James«, stellte Ashley die beiden vor. »Er ist gerade hierhergezogen und schreibt sich morgen in Crossroads ein. Du kommst doch mit zum Diner, oder?«, fügte sie an James gewandt hinzu.

»Wenn das für euch okay ist«, meinte James achselzuckend.

Julian wirkte nicht sonderlich begeistert. Es war nicht zu übersehen, dass James mit Ashley geflirtet hatte.

»Hi James«, sagte er knapp. Dann wandte er sich an seine Freundin. »Du sammelst wohl alle Streuner ein, was, Ashley?«

Und auf dem Weg zum Diner legte Julian demonstrativ den Arm um Ashleys Taille.