Das Mondlicht tauchte das Meer in eine gespenstische Szenerie, als Nigel und Julian aus den Kabinen auf das Achterdeck hinaustraten. Über der Reling hingen Angeln, damit alles so aussah, als wäre das Schiff für einen nächtlichen Angelausflug gemietet worden.
»Was ist los?«, fragte Julian, nicht ahnend, dass seine Locken die Linse einer knopfgroßen Kamera im Türrahmen verdeckten.
Riggs saß auf der Brücke, und Paul Woodhead stand auf Deck und leuchtete mit einer starken Lampe übers Wasser.
»Das Towmaster Sonar hat unsere Pakete auf dem Meeresboden aufgespürt«, erklärte Woodhead. »Wir haben ein Signal ausgesendet, um die Bojen an den Paketen auszulösen. Ihr zwei macht den Frachtraum auf und legt die Rampe an.«
Der Frachtraum war mit einer Metallplatte abgedeckt, die sich an zwei Angeln drehen ließ. Man konnte sie nur zu zweit anheben, und den beiden Siebzehnjährigen schlug der Gestank von vergammeltem Fisch entgegen, als sie die Klappe auf Deck hievten.
»Ich sehe was!«, rief Woodhead zur Brücke hinauf, als die erste von drei neonrosafarbenen Bojen dreißig Meter vom Boot entfernt auftauchte.
Riggs gab Vollgas und warf das Steuer herum.
Woodhead sah Julian und Nigel an. »Was steht ihr da noch rum? Los, einer von euch geht da runter und legt die verdammte Rampe an!«
Nigel war nicht gerade scharf darauf, aber er war sich im Klaren darüber, dass Julian ihm bereits einen riesigen Gefallen damit getan hatte, überhaupt mitzukommen, daher war es nur fair, wenn er die Drecksarbeit bei diesem Job übernahm. Der Metallboden des Frachtraums dröhnte, als er mit seinen Turnschuhen in einer ein Zentimeter hohen, wässrigen Dreckschicht landete. Der warme Fischgestank drohte ihn zu überwältigen, als ihm Julian eine Lampe reichte, die er an einem Haken an der Decke einhängen konnte.
»Alles klar?«, erkundigte sich Julian.
Nigel antwortete nicht, weil er fürchtete, sich übergeben zu müssen, wenn er den Mund aufmachte. Er griff in den Dreck und zog ein schmutziges Holzbrett hervor, das in den Rand der Luke eingehakt werden konnte und auf diese Weise eine Rampe bildete.
Der Trawler war inzwischen sehr langsam geworden, und die pinkfarbenen Bojen schwammen jetzt fünf Meter entfernt an Backbord. Paul warf einen Haken aus und bekam das Seil am unteren Ende der ersten Boje zu fassen. Dann zog er sie heran, hakte das Seil in einen Flaschenzug über dem Deck und legte das Ende um eine elektrische Winsch.
Das Heck des Bootes senkte sich unter der Last des Pakets, das die Seilwinde vom Meeresboden fünfzig Meter unter ihnen heraufzog. Aus dem Wasser tauchte ein sandiger Würfel von der Größe eines Kühlschranks auf, der in eine Gummihülle gewickelt und mit Epoxyharz abgedichtet worden war.
»Los, fass mal mit an«, befahl Woodhead, beugte sich gefährlich weit über Bord und griff nach dem Seil am unteren Ende des Pakets, um es ins Boot zu ziehen. Julian versuchte, zu helfen, wobei ihm beinahe der Arm eingequetscht worden wäre, als das Boot schaukelte und das Paket an den Rumpf schlug.
Beim zweiten Versuch bekam Woodhead das Seil mit dem Haken zu fassen, Julian nahm das obere Ende und gemeinsam brachten sie die Kiste an Bord.
»Mann«, ächzte Woodhead vor Anstrengung und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Gut gemacht. Jetzt fang an aufzuschneiden.«
Riggs manövrierte das Boot neben die nächste Boje, während Julian und Woodhead sich hektisch an der Gummihülle zu schaffen machten, um die Pappschachteln im Inneren zu inspizieren.
»Alles trocken«, stellte Woodhead grinsend fest. »Und das ist eine ganze Menge Knallerei.«
Die Pakete waren zwar größtenteils chinesisch beschriftet, aber man musste kein Genie sein, um darauf zu kommen, was in den Schachteln war.
Die Ladung hochzuziehen und zu verstauen, stellte den gefährlichsten Teil der Schmuggeloperation dar, besonders an einem ruhigen Sommersamstag, wenn Yachten und Ausflugsboote unterwegs waren und das Mondlicht den Hubschraubern der Küstenwache besonders gute Sicht bescherte. Woodhead und Julian arbeiteten schnell, hievten eine schwere Kiste nach der anderen an Deck und ließen sie über die Rampe nach unten gleiten, wo Nigel sie im stinkenden Frachtraum aufstapelte.
Wenn man mit den Bandits fuhr, wurde auch erwartet, dass man mit ihnen kämpfte. Daher blieb James nichts anderes übrig, als mitzumachen, als alle aus ihren Zelten liefen und sich mit Zeltheringen, Hämmern, Fahrradketten oder sonstigen Gegenständen bewaffneten, die ihnen gerade zwischen die Finger gerieten.
Obwohl der Commander gegen den Kampf gewesen war, war es Ehrensache, dass er den Angriff leitete. Zwei Clubs, darunter die Londoner, sollten sich Satan′s Prodigy vorknöpfen, vier weitere würden die größere Gruppe an Vengefuls angreifen, während der Club aus Cardiff zurückblieb, um das Camp zu verteidigen. Die meisten Gefolgsleute und Anhänger-Gangs kämpften mit den Bandit-Clubs, mit denen sie gekommen waren; allerdings hatten die Biker aus Cardiff in dieser Hinsicht nicht viel Verstärkung, deshalb befahl der Commander zwei Clubs des Monster Bunch, ebenfalls die Stellung im Camp zu halten.
Als einfacher Anhänger hätte James sich jeder beliebigen Gruppe anschließen können, doch da er keinen großen Wert auf den Ruhm eines erneuten Kampfes legte, blieb er lieber mit Will und den anderen Monstern zurück. Während sechs Bandits-Clubs lautstark den Hügel hinunterrannten, bezog James Position in einer Verteidigungslinie am Rande des Camps. Zwei Meter von ihm entfernt stand Will. James hatte seine neuen Handschuhe übergestreift und sich ein Stück Fahrradkette um die linke Hand gewunden.
Satan′s Prodigy waren eine mächtige Gang, aber da sich ihre vierzehn Clubs alle in Nordengland oder Schottland befanden, waren nur zwei von ihnen zur Tea Party gekommen. Als die Bandits nun ihr Camp erreichten, mussten sie feststellen, dass Prodigy alles zusammengepackt und in anderen Teilen des Outlaw Hills Zuflucht gesucht hatte. Das war zwar in gewisser Weise ein Sieg, wahrscheinlich aber auch der Beginn einer heftigen Fehde, die in den nächsten Monaten und Jahren immer wieder aufs Neue bei Touren und Versammlungen aufflackern würde.
Die Vengefuls dagegen waren richtig harte Gegner, denn wer es trotz der vorangegangenen Niederlage und der Überzahl der Bandits noch wagte, sein Gesicht zu zeigen, musste schon ziemlich taff und gut bewaffnet sein.
Die Scheinwerfer der Motorräder und die großen Lagerfeuer beleuchteten das Spektakel am Fuße des Outlaw Hill. James erhaschte immer wieder einen Blick auf eine Art mittelalterliches Schlachtengetümmel und hörte Schreie, Stöhnen und das Klirren von Metall auf Metall.
»Eigentlich sollten wir da unten sein«, sagte Will voller Eifer.
Doch James gefiel die Sache überhaupt nicht. In seiner CHERUB-Ausbildung hatte er gelernt, dass man sich seinen Gegner genau ansehen und nur angreifen sollte, wenn man den Kampf auch sicher gewinnen konnte. Und er erinnerte sich daran, wie Gabrielle nach einer Messerstecherei auf der Straße beinahe gestorben wäre. Seine Shorts und sein T-Shirt boten ihm keinerlei Schutz.
»Ich gehe noch mal kurz ins Zelt«, verkündete er. »Ich will mir noch ein paar Heringe holen.«
Doch in Wahrheit wollte James sich besser schützen. Also streifte er sich die Jeans, in denen er hergefahren war, sowie ein blaues Kapuzenshirt aus seinem Rucksack über, das mit einer dünnen, stichfesten Schicht verstärkt war.
Als er wieder aus dem Zelt krabbelte, wurde er von drei grellen Scheinwerfern geblendet. Die fremden Biker hatten sich hinter den Dixiklos an das Camp der Bandits angeschlichen. James war nicht der Erste, der sie bemerkte, und als er hastig seine Turnschuhe anzog, stürmten bereits mehrere auf die Eindringlinge zu. Da ihn die Scheinwerfer immer noch blendeten, konnte er nicht erkennen, was die Angreifer da vorne im Schilde führten – bis über den Bikes der Anhängergangs Flammen aufloderten.
Beim Anblick der brennenden Motorräder gaben die meisten Monster ihre Verteidigungsposition auf und jagten hinter den drei Bikern her, die Gas gaben und den Hügel hinabflüchteten. James war der Erste, der die in Flammen stehenden Maschinen erreichte.
Sein erster Gedanke galt seiner eigenen Kawasaki. Er wusste nicht mehr genau, wo er sie geparkt hatte, und atmete erleichtert auf, als er sie fünf Meter von den Flammen entfernt stehen sah.
»Helft mir mal!«, schrie James, packte das Motorrad, das dem Feuer am nächsten war, aber noch nicht brannte, und hob das Hinterrad an, um es wegzuschieben. Da die Feuerlöscher vom Harley-Brand leer waren, konnte er nur versuchen, die noch unversehrten Maschinen zu retten.
Das Bike war schwer und die Hitze leckte bereits an seinen Jeans, als ihm ein Cardiff-Bandit zu Hilfe eilte.
»Gute Idee, Kleiner«, rief er und brüllte dann Befehle. »Bringt die anderen Bikes weg! Macht eine Feuerschneise!«
Sie brauchten nicht lange, um die Motorräder in Sicherheit zu bringen, doch da sie nicht mal Wasser hatten, waren die brennenden Bikes dem Untergang geweiht. Ein verzweifelter Biker versuchte, die Flammen mit einem Ast auszuschlagen, was jedoch ein völlig hoffnungsloses Unterfangen war.
Doch dann wurde die ganze Sache noch schlimmer, als sich herausstellte, dass der Angriff von hinten nur ein Ablenkungsmanöver gewesen war, denn jetzt wurde das Camp auch von der anderen Seite erstürmt. Jemand schrie auf, dass er niedergestochen worden sei. Mehrere der Angreifer hatten sich bereits in der Mitte des Camps versammelt und hielten Stöcke ins Lagerfeuer, die augenblicklich aufloderten. Die bläulichen Flammen deuteten darauf hin, dass die Stöcke mit Benzin getränkt waren.
James erkannte, wie richtig der Commander mit seiner Weigerung gelegen hatte, das Camp zu verlassen. Satan′s Prodigy und die Vengeful Bastards waren zwar nicht stark genug, die Bandits zu besiegen – aber schlau genug, einer anderen Gang die Chance zu bieten, einen gut geplanten Angriff durchzuführen.
Ein Cardiff-Bandit rannte auf die Flammen zu und versetzte einem der Fackelträger einen solchen Stoß, dass dieser mit dem Kopf voran ins Feuer stürzte. Doch das war nur ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts der darauffolgenden spektakulären Niederlage, denn die feindlichen Biker stürmten durch das Camp und setzten mit ihren Fackeln die Zelte in Brand.
Die Frauen packten ihre Kinder und rannten davon. Die Monster und Bandits, die zur Verteidigung des Camps zurückgeblieben waren, kämpften tapfer weiter, doch die Übermacht des Gegners war zu groß; sie wurden niedergeschlagen oder mussten sich immer weiter zurückziehen. Bis Hunderte von Bandits, die sich weiter unten am Hügel befanden, überhaupt merkten, was sich im Camp abspielte, war alles zu spät.
James wickelte sich die Fahrradkette um seinen linken Handschuh etwas ab und rannte zu seinem Zelt. Ein paar Meter weiter brannten die Zelte bereits lichterloh und er fragte sich, ob er nicht lieber gleich zu seinem Bike hätte laufen sollen. Plötzlich stolperte er über einen kleinen Gas-Campingkocher. Er wusste, dass es ein böses Ende nehmen würde, wenn eine dieser Kartuschen zu heiß wurde und explodierte. Aber James war wild entschlossen. Er hechtete in sein Zelt, packte seinen Helm, warf sich den Rucksack über die Schulter und kroch hastig wieder heraus. Plötzlich fuhr eine grelle blaue Flamme in den Zeltstoff über ihm und schwang dann auf seine Brust zu.
Dank der vielen Combat-Stunden auf dem CHERUB-Campus reagierte James blitzschnell, zog die Beine bis zum Kinn hoch, warf sich zurück und sprang athletisch wieder auf die Füße.
Damit hatte sein Angreifer nicht gerechnet, und James verpasste dem verdutzten, flammenerhellten Gesicht vor ihm einen Schlag mit der Fahrradkette, der dem Biker die Wange aufriss. Ein Karatetritt gab ihm den Rest, und er ging zu Boden und riss dabei Shampoo Jrs. Zelt mit sich. Die Fackel landete neben ihm und setzte den Nylonstoff in Brand.
Jetzt brannten auch die letzten Zelte. Die Luft wurde zu heiß zum Atmen, doch der zusammengesackte Biker machte keine Anstalten, aufzustehen. Wenn James ihn liegen ließ, würde er ersticken oder zumindest ernsthafte Verbrennungen erleiden, also hängte er sich seinen Helm über einen Arm, packte den Biker am Fuß und schleifte ihn zwischen ein paar Zelten aufs Gras.
Der Kampf war voll im Gange, als James die Flämmchen auf den Jeans seines Gegners ausschlug und ihn im Dreck herumwälzte, um ganz sicherzugehen. Da entdeckte er das Abzeichen auf dem Rücken seiner Jacke: Bitch Slappers, Luton. Es war zum Teil abgerissen, und da ihm diese Trophäe Pluspunkte bei den Bandits einbringen würde, grub James die Finger darunter und riss es ganz los.
Plötzlich hörte er einen Schuss. Er kam von ziemlich weit unten am Hügel, beseitigte jedoch jeglichen Zweifel daran, ob er gehen oder bleiben sollte.
James stopfte das Abzeichen in seinen Rucksack und duckte sich hinter Shampoo Jr., der im Dreck lag und von drei Bitch Slappers verprügelt wurde. Er überlegte, ob er eingreifen sollte, doch bei einer Massenschlägerei konnte auch der beste Kämpfer erstochen oder von einem brutalen Schlag niedergestreckt werden, und er war bereits viel zu viele Risiken eingegangen.
Bis jetzt war der hintere Teil des Camps von den schlimmsten Kämpfen noch verschont geblieben. Ein paar wild entschlossene Cardiff-Bandits standen mit Macheten bewaffnet vor einem Bus, der mit laufendem Motor wartete. Alle Sitze waren bereits mit Frauen und schluchzenden Kindern besetzt, aber es stiegen immer noch mehr ein, kletterten den anderen auf den Schoß oder blieben im Gang stehen.
James rannte zu seinem Bike und sah, dass sich jemand mit einem Hammer an der Reihe entlanggearbeitet haben musste; die Scheinwerfer waren zerschlagen, die Maschinen umgestoßen. Seine Kawasaki schien allerdings einen Schutzengel zu haben, denn außer einem Blinker war offensichtlich nichts zu Bruch gegangen, als die danebenstehende Honda umgeschmissen worden war.
Hastig stellte er die Honda wieder auf, bestieg sein Motorrad und stülpte den Helm über. Der Rucksack hing ihm lose auf einer Schulter, und er war sich nicht einmal sicher, ob er die Reißverschlüsse zugezogen hatte, doch darum konnte er sich jetzt nicht mehr kümmern. Er musste so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone verschwinden.
Als er den Kick-Starter betätigte, hörte er ein knirschendes Geräusch. Sein Herz tat einen Sprung, weil er schon glaubte, sein Bike hätte doch mehr als gedacht abbekommen. Doch das Knirschen war von der Steinplatte gekommen, die ein Bitch Slapper gegen das Fenster des voll besetzten Busses geworfen hatte.
Verzweifelt drängten sich die letzten Passagiere hinein und der Busfahrer setzte zurück, während zwei Cardiff-Bandits in der offenen Tür hingen. Als James Gas gab, sah er, dass die Steinplatte vom gehärteten Glas abgeprallt war, doch der Bus kam nur sehr langsam voran, da er zuerst ein schwieriges Stück bis zur baumgesäumten Straße rückwärtsfahren musste.
Der Bitch Slapper nahm die Platte wieder auf. James wusste, dass das Fenster bei einem zweiten Treffer wahrscheinlich zu Bruch gehen würde und die dahintersitzenden Kinder verletzen konnte. Die Fahrradkette war immer noch um seinen Handschuh gewickelt und er lockerte sie, während er im Schritttempo anfuhr. Mit einer Hand am Lenker gab er Gas und seine Kawasaki beschleunigte schnell. Er holperte über den unebenen Boden und musste sich stark konzentrieren, um das Bike unter Kontrolle zu halten, aber er schaffte es auf die Straße neben den Bus, holte aus und schleuderte dem Bitch Slapper die Kette über den Rücken. Die Fahrradkette schnitt ihm durch die Jacke ins Fleisch.
Der Angreifer brach zusammen, doch die Kette schlug mit einer solchen Wucht zurück, dass sie James′ Visier zertrümmerte. Er bremste scharf ab und rumpelte über ein paar Baumwurzeln. Er glaubte schon, mit dem Kopf voran gegen einen Baum zu krachen, schaffte es jedoch, in letzter Sekunde auszuweichen, sodass nur seine Jeans noch die Rinde streifte.
Auf der Straße hatte der Busfahrer gewendet und überrollte jetzt nicht nur die Steinplatte, sondern auch den sich windenden Bitch Slapper. James würgte beinahe, holte dann tief Luft und verstaute die Kette in seinem Kapuzenshirt, bevor er sein Bike wieder auf die Straße lenkte.
Ein paar hundert Meter weiter löste sich die Straße vom Outlaw Hill, und er überholte den Bus. Ein paar der Frauen zeigten ihm ihren erhobenen Daumen durchs Fenster und einer der Cardiff-Bandits in der offenen Tür winkte ihm anerkennend mit der Machete.
James raste dahin. Je weiter er sich vom Outlaw Hill entfernte, desto ruhiger wurde es. Auf den mondbeschienenen Feldern lagen Pärchen, die miteinander herumknutschten, und Familien saßen bei einem späten Picknick im Gras. Doch auf der ehemaligen Hauptstartbahn kam ebenfalls Panik auf. Mannschaftswagen der Polizei parkten auf dem Asphalt, und die ganz normalen Motorradfans eilten mit ihren Familien zum Ausgang.
James fuhr jetzt auf einer Versorgungsspur neben der alten Landebahn, als er einen schäbigen Stand entdeckte: Cardinas Paella – das spanische Original. Berühmt in ganz Europa. Er seufzte ein wenig wehmütig, als er Reina mit zurückgebundenem Haar darin stehen sah.
Am Tor, durch das James mit den Bandits hereingekommen war, stand einer der Biker in Security-Westen.
»Willst du einen Stempel auf die Hand, damit du wieder reinkannst?«, fragte er. »Was ist denn da oben auf dem Hügel los?«
»Die Hölle«, erwiderte James. »Sieht aus, als ob die Polizei gleich eingreift. Dahin will ich ganz bestimmt nicht mehr zurück.«
Als James durch das Tor fuhr und nach rechts abbog, war der Verkehr sehr dicht, da sich viele Fahrzeuge vom Festival entfernten. Die Scheinwerfer der wenigen Autos, die ihm entgegenkamen, reflektierten jedoch furchtbar unangenehm in dem Riss seines Visiers.
James hatte keine Ahnung, wie viel Bier er getrunken hatte, aber als der Adrenalinrausch nachließ, merkte er, dass er den ganzen Weg zurück nach Devon nicht schaffen würde. Er hielt sich dicht am Straßenrand, ließ sich von den Autos überholen und summte einen Song von den Arctic Monkeys vor sich hin, um nicht einzuschlafen.
Schließlich hielt er bei einem etwas abgelegenen McDonalds an und sah sich um, ob nicht noch andere Flüchtlinge von der Rebel Tea Party da waren. Im Moment war alles ruhig, aber wahrscheinlich war es nur eine Frage der Zeit, bis sich das änderte, und er hatte keine Lust, einer Horde aufgeputschter Outlaws allein zu begegnen.
Er nahm sein Handy und rief die Notrufnummer des Campus an. »Unicorn Reifenservice«, meldete sich ein Mann mit knurrigem Akzent.
»Hi Ranjit«, begrüßte ihn James, erleichtert, eine vertraute Stimme zu hören. »Hier ist James, Agent zwölf-null-drei. Ich befinde mich mit meinem Motorrad etwa zwölf Kilometer vor Cambridge. Ihr müsst mir irgendwo in der Nähe ein Hotelzimmer besorgen. Und morgen früh muss ein Lieferwagen mich und mein Bike abholen und nach Devon zurückbringen.«
James wartete einen Augenblick, während der Noteinsatzleiter etwas in seinen Computer tippte.
»Okay«, sagte Ranjit. »Ich kann dich in einem Drei- oder Fünf-Sterne-Hotel einbuchen. Beide liegen etwa sechs Kilometer von deinen augenblicklichen Koordinaten entfernt. Welches möchtest du?«
»Hm, mal überlegen«, gab James zurück. »Vielleicht das Fünf-Sterne-Hotel?«
Ranjit lachte. »Wieso frage ich eigentlich? Ich habe dir die Wegbeschreibung auf dein Handy geschickt. Brauchst du noch etwas? Soll ich Chloe Blake anrufen?«
»Ja, bitte, und sagen Sie ihr, ich melde mich bei ihr, wenn ich eingecheckt und geduscht habe.«
»Du klingst nicht gerade gut.«
»Nur erledigt«, meinte James. »War ein verdammt langer Tag.«