Dante versuchte, nicht mehr an seine Vergangenheit zu denken, während der Alkohol seine Wirkung zeigte und die Party im Haus des Commanders in Fahrt kam. Um Viertel vor zehn konnte man nicht mehr durch den Wintergarten gehen, ohne über knutschende Teenagerpärchen zu stolpern. Lautsprecher standen auf dem Rasen und ein Dutzend Mädchen tanzten barfuß im Garten. Im hinteren Salon war die Atmosphäre gedämpfter, wo die Jungen, die entweder zu betrunken oder zu schüchtern waren, um Mädchen anzusprechen, immer noch am Pooltisch und am Dartboard herumstanden und weitertranken.
Joe war völlig aufgelöst. Lauren versuchte, ihn zu beruhigen, aber es gab jede Menge Probleme, die ihm zu schaffen machten. Die Toilette im ersten Stock war verstopft, jemand hatte auf die Türschwelle gekotzt, die Frau im Nachbarhaus hatte angerufen und sich über die unzüchtige Tanzerei beschwert, und in Martins Bett hatte er zwei knutschende Mädchen gefunden.
Doch das Schlimmste war, dass eines der Mädchen einen älteren Cousin mitgebracht hatte, und dann waren auch noch einige seiner Freunde aufgetaucht. Bald darauf hatte Joe fünf Oberstufenschüler im Haus, die sich wild aufführten und ihre Freunde per Handy einluden, ebenfalls zu kommen.
»Was machen wir denn jetzt?«, fragte Joe hilflos, setzte sich auf die unterste Treppenstufe und trommelte sich aufs Bein. »Wenn ich sie zu gehen auffordere, lachen sie doch nur … Und alle würden mich für einen Idioten halten.«
Lauren legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich habe dir doch schon gesagt, dass John und ich dich unterstützen, wenn du willst, dass sie gehen.«
Aus dem Salon ertönte lautes Lachen und Klatschen und plötzlich tauchten zwei Leute auf, die Joe noch nie zuvor gesehen hatte.
»Wer zum Teufel sind die denn?«, fragte Joe. »Und wie sind sie hereingekommen?«
Lauren zuckte mit den Achseln. »Ich glaube nicht, dass sie sich mit der Vordertür aufhalten. Sie kommen außen herum und durch den Wintergarten.«
»Mist«, fluchte Joe und vergrub den Kopf in den Händen. »Ich hätte das gar nicht erst tun sollen. Wir beide hätten das Haus für uns allein haben können. Wir hätten im Whirlpool meiner Eltern Champagner trinken können. Aber ich musste ja diese blöde Party geben!«
»Nächstes Mal, ja?«, lächelte Lauren und küsste Joe auf den Nacken. »Soll ich dir was zu trinken holen?«
»Ja, gut«, antwortete Joe. »Lager oder irgend so was. Ich kann ja wenigstens versuchen, Spaß zu haben.«
Lauren stolperte und konnte sich gerade noch am Treppengeländer festhalten. »Diese Wein-Drinks sind einfach zu gut«, kicherte sie und wankte in Richtung Küche.
Auf dem Tresen standen die Reste der Cocktailzubereitung, die Kühlschranktür war offen und jemand hatte leere Bierdosen in die Waschmaschine geworfen. Lauren holte eine Flasche Bier für Joe aus dem Kühlschrank. Eigentlich wollte sie erst später noch mal Wein trinken, doch da nur noch wenige Weinschorle-Fläschchen übrig waren, nahm sie sich eine mit.
»Hi Süße«, nuschelte jemand hinter ihr, packte sie am Po und griff mit der anderen Hand nach einem Dosenbier. »Du bist ganz schön heiß, weißt du das?«
Als Lauren vom Kühlschrank hochschoss, schlug sie sich den Kopf an einem der Regale an. »Hau ab, du Spinner«, fuhr sie herum und rieb sich den Kopf.
Der Kerl hatte einen Bart und schob die Hüften vor. »Du weißt, dass du mich willst, Baby!«, jaulte er.
Und er jaulte erneut, als ihm Lauren einen Finger ins Auge stieß.
»Blöde Kuh!«, brüllte er, ließ sein ungeöffnetes Bier fallen und stolperte gegen einen Schrank. »Das war doch nur Spaß!«
»Leck mich!«, gab Lauren zurück, knallte die Kühlschranktür zu und stürmte mit den beiden Drinks davon. Auf halbem Weg hörte sie, wie im hinteren Salon eine Fensterscheibe zu Bruch ging.
Joe war als Erster dort und sah, dass ein paar seiner Freunde sich mit einigen älteren Jungen am Billardtisch stritten. Das Fenster war bei einer Rangelei um ein Queue zerschmettert worden.
»He, was zum Teufel soll das?«, schrie Joe und baute sich vor einem übergewichtigen Jungen auf, der ungefähr in James′ Alter sein musste.
»Diese Wichser lassen uns nicht an den Tisch!«, beschwerte sich der Dicke. »Ich hab nur gesagt, dass ich gegen den Gewinner antrete!«
»Diese Wichser sind meine Freunde«, erklärte Joe. »Und wer bist du? Wie kommst du überhaupt hier rein?«
Der Junge schubste Joe. »Willst du mich anmachen, Blödmann?«
»Dich mach ich fertig, du Fettsack!«, schrie Joe.
Inzwischen waren Lauren und Dante zusammen mit einem Haufen anderer älterer Kids ins Zimmer gekommen.
»Wie ist das, kriegen wir jetzt den Tisch oder nicht?«, fragte einer. »Diesen Achtklässlern sollte man mal den Hintern versohlen, wenn ihr mich fragt.«
»Wisst ihr, wem dieses Haus gehört?«, rief einer von Joes Clique. »Wenn ihr hier Ärger anfangt, dann wird ihn der Commander beenden!«
»Und wo ist er?«, höhnte der Dicke. »Dieser fettärschige alte Rassist. Wahrscheinlich lyncht er gerade irgendeinen mit seinen Kumpels vom Ku-Klux-Klan.«
Joe sprang vor. Es war zwar schon ein paar Jahre her, seit Teeth ihn trainiert hatte, aber er hatte immer noch einen guten Schlag drauf, und der Dicke fiel benommen zu Boden. Die anderen schnappten erschrocken nach Luft, und einige begannen zu schubsen und zu stoßen.
»Ich glaube, alle, die Joe nicht kennen, sollten jetzt besser gehen«, schlug Lauren vor.
Joes Freunde stimmten ihr zu, und einige der älteren gaben betont lässig vor, diese Kinderparty freiwillig verlassen zu wollen, wobei ihnen die Angst vor dem Commander ins Gesicht geschrieben stand.
Die meisten begannen den Raum zu verlassen, doch gerade, als Lauren und Joe einander ein erleichtertes Lächeln zuwarfen, zersplitterte ein zweites Fenster. Ein Junge in einem Manchester-United-T-Shirt hatte ein Queue hindurchgerammt. »Das ist doch Scheiße!«, schrie er.
»Du Arschloch!«, tobte Joe und ging auf ihn los. Doch ein guter Schlag und alkoholisierter Übermut machten aus ihm noch keinen Champion. Der Junge im Manchester-United-Shirt nahm ihn in den Schwitzkasten und verpasste ihm einen Hieb aufs Auge.
Lauren wollte ihrem Freund zu Hilfe kommen, ebenso wie Joes Clique, die sich auf die älteren Jungs warf. Die meisten der Älteren wollten eigentlich gar keinen Ärger, aber ein harter Kern von etwa fünf Teenagern wehrte sich heftig und nahm es mit acht jüngeren plus Lauren auf.
Dante verlor das Gleichgewicht, als er den größten von ihnen von einem kleinen Achtklässler wegzog, stolperte und knallte dem Kerl ein Schiebefenster auf den Kopf.
Lauren befreite Joe von dem Manchester-United-Jungen, war jedoch selbst schon so angetrunken, dass ihr Karatetritt heftig danebenging. Sie landete auf dem Hintern. Doch der zweite Tritt saß, als ihr Gegner erneut versuchte, auf Joe einzuschlagen. Von den fünf Typen, die den Kampf aufgenommen hatten, waren bereits zwei außer Gefecht gesetzt worden, zwei weitere lagen auf dem Boden und bezogen Prügel von Joes Freunden und der letzte stand auf dem Billardtisch. Er war klein und untersetzt, mit wirrem schwarzem Haar, schlug mit einem Queue um sich und schrie: »Los, kommt und versucht es doch, ihr kleinen Pisser!«
Lauren und Dante sahen einander an, dann gingen sie gemeinsam auf ihn los. Lauren packte das Queue, während Dante auf den Pooltisch sprang und den Jungen mit einem Rugby-Angriff umwarf. Er schlug mit dem Kinn auf, und Lauren packte ihn am Nacken und zog ihn fort.
»Alles klar, mein Kleiner«, sagte sie fröhlich und gab ihm einen sanften Klaps auf die Wange. »Zeit nach Hause zu gehen zu deiner Mami!«
Während Lauren den schniefenden Jungen zur Tür eskortierte, bemerkte Dante, dass die beiden Typen auf dem Boden mittlerweile ziemlich heftig verprügelt wurden, und befahl den anderen, sie loszulassen. Nach der Schlägerei wurden die übel zugerichteten Jungen schleunigst von ihren Freunden nach draußen gezerrt.
Als Lauren dafür sorgte, dass der Queue-Schwinger das Grundstück auch wirklich verließ, beobachtete sie, wie die meisten Jugendlichen widerspruchslos zur Straße gingen, auch wenn sich ein paar von ihnen unterwegs rächten, Pflanzen und Sträucher umtraten und das Schild Eagle′s Nest abrissen und es über eine Hecke warfen. Einer von ihnen brüllte, der Commander sei ein beschissener Nazi, bevor er endgültig verschwand.
Danach prüfte Lauren noch das Obergeschoss auf ältere Jugendliche, dann schaltete sie die Musik aus und befahl den Mädchen, nach drinnen zu kommen und die Verandatüren zu verschließen. Langsam schlenderten alle in die Küche, wo Joe auf einem Stuhl saß, sich das Auge hielt und versuchte, nicht zu schluchzen.
Ein ganzer Haufen Mädchen versammelte sich um ihn herum und bemitleidete ihn. Lauren war nach dieser Aufregung ein wenig außer Atem und durstig und entdeckte erleichtert ihre noch ungeöffnete Weinschorle.
»Vielleicht sollten wir alle ein wenig aufräumen«, schlug Dante vor.
Zwei Mädchen begannen, leere Dosen und Flaschen aufzuheben, während Dante Handfeger und Schaufel nahm, um die Glasscherben im hinteren Salon zusammenzukehren. Gerade als er durch den Flur ging, sah er einen Polizeiwagen die Auffahrt entlangfahren.
Nachdem die Brixton Riots wieder in Kingswear angelegt hatte, fuhr Paul Woodhead seinen Lieferwagen zum Dock, um zusammen mit seiner Besatzung die verpackten Waffen und die Munition einzuladen.
Das Überwachungsteam hatte nicht die Möglichkeit, allen zu folgen, daher galt es, Prioritäten zu setzen. Die Waffen durften sie auf keinen Fall aus den Augen verlieren, daher folgten McEwen im BMW und Neil Gauche im Überwachungswagen Paul Woodheads Transporter. Chloe blieb in Kingswear, beobachtete Riggs, der vom Dock zum Pub ging, und lauschte dem Gespräch in Julians Auto.
»Ich habe das Gefühl, als wären meine Arme auf einer Streckbank gedehnt worden«, beschwerte sich Julian und knallte die Wagentür zu. »Was für ein Training!«
»Tut mir leid, dass ich dich da mit reingezogen habe«, entschuldigte sich Nigel, als er sich neben Julian fallen ließ. »Ich stinke nach diesem Frachtraum. Ich werde dein ganzes Auto verpesten.«
»Willst du eine rauchen?«, fragte Julian.
»Um das zu übertünchen, brauche ich auf jeden Fall was«, lachte er. »Ich hoffe nur, dass ich diesen Dreckskerl Woodhead nie wieder sehen muss.«
Mit zitternden Händen steckte sich Julian zwei Zigaretten in den Mund und zündete sie an, dann reichte er eine davon Nigel.
»Immerhin hast du jetzt jede Menge Asche«, meinte Nigel.
»Du kannst deinen Anteil ruhig haben, wenn du willst«, erwiderte Julian erschöpft, die Stimme rau vom Rauch.
»Es ist dein Geld, Julian. Paul hätte mir die Beine gebrochen, wenn du nicht mitgekommen und mir geholfen hättest.«
»Und du hast mich vor dem Ertrinken gerettet, als ich damals von der Seilschaukel gefallen bin«, grunzte Julian.
»Oh, hatte ich ganz vergessen«, erwiderte Nigel. »Wie alt waren wir damals? Acht oder Neun?«
»Auf jeden Fall will ich kein schmutziges Geld«, behauptete Julian. »Ich bezahle meine Schulden, aber Geld aus Waffengeschäften gibt ein schlechtes Karma. Ich stecke es in eine Sammelbüchse, für afrikanische Babys oder blinde Pandas oder irgend so einen Mist.«
»Süüüß!«, fand Nigel, als Julian den Motor anließ, um die einsame Küste endlich hinter sich zu lassen.
Chloe überlegte, ob sie ihnen nach Salcombe folgen sollte, aber sie glaubte nicht, dass sich daraus etwas Nützliches ergeben könnte, und entschied sich daher, noch eine Weile zu warten, für den Fall, dass Riggs vielleicht noch mal zum Boot ging oder McEwen Unterstützung brauchen sollte.
»Ganz schön heftig«, seufzte Julian, als sie einen gepflasterten Weg zur Straße nach Salcombe entlangfuhren. »Ich meine, so gesehen sind tausend Mäuse für einen Abend Arbeit eine Menge Geld. Aber was, wenn man uns wegen Waffenhandels verhaftet hätte?«
»Tja«, grinste Nigel. »Das hieße mit Sicherheit Gefängnis. Aber jetzt sind wir aus der Sache raus, und da wir die ganze Zeit Handschuhe getragen haben, gibt′s auf den Schachteln auch keine Fingerabdrücke.«
Beim Linksabbiegen lachte Julian plötzlich laut auf. »Mann, du stinkst echt nach Fisch! Am besten, du verbrennst diese Sachen!«