Im Sommer besteht Milwaukee aus Sixpacks im Park, kostenlosen Jazzkonzerten, Festivals für alles, Gastropubs, die von jungen, hippen Menschen überquellen, Reparaturen am Haus und Grillen im Freien. Voller Nachbarschaftlichkeit, so süß wie ein Lachen.
Wenn es kälter wird, ist die Stadt wie eine geballte Faust, die Menschen spröde und abblätternd. Zusammengekauert. Schultern gebeugt vor dem Frost, der aus dem Norden heranrollt und vom Michigansee kaum abgemildert wird.
Es war an einem dieser ersten kalten Tage, als ich Marina zum ersten Mal schrieb und sie nicht antwortete.
Mein Stolz war verletzt, und das von einer Person, der ich noch nie begegnet war. Macht nichts, dachte ich, und fand andere Betten, in die ich mich legen konnte. Flüchtete mich in das Bestellen von Möbeln aus dem Internet. Ich war es leid, mit nichts als einem Bett, einem Tisch und zwei Klappstühlen zu leben, und so schoss ich über das Ziel hinaus. Dieses Verhalten ist fest ins Erwachsenwerden eingebaut, wie eines dieser an der Wand befestigten Bügelbretter in alten Häusern. Irgendwann in ihren Zwanzigern werden Leute wie ich viel zu besessen von Inneneinrichtung.
Meine Wohnung lag in Brewers Hill. Einst war diese Gegend der amerikanische Traum gewesen. Auf einem Steilhang mit Blick über das Tal des Milwaukee River gelegen, beherbergte die Nachbarschaft Hunderte von Menschen, die es zu den am Flussufer aufgereihten Gießereien, Mühlen und Gerbereien zog. Vorarbeiter und Besitzer lebten Haustür an Haustür neben eingewanderten Arbeiterinnen und Arbeitern mit schwieligen Handflächen, deren eng aneinandergedrängte Häuschen die großen neoklassischen und italianisierenden Bauten auf ihren riesigen Grundstücken säumten. In der Nachbarschaft kannte man einander. Die Kinder spielten frei auf der Straße.
Der Abschwung nach dem Krieg weidete die Gegend aus. Räucherte sie, trocknete sie und lagerte sie für später ein. Die Betriebe verließen das Tal. Die Stadtverwaltung riss resigniert ein leer stehendes Haus nach dem anderen ab. In den Siebzigern und Achtzigern tröpfelten die Menschen dann langsam, aber sicher wieder zurück nach Brewers Hill, das von der Segregation durch Redlining in den nördlich angrenzenden Vierteln verschont geblieben war. Auf den Grundstücken abgerissener Gebäude tauchten bescheidene Eigentumswohnungen auf. Fabriken wurden in Loftwohnungen umgewandelt.
In den hübschen Häuserreihen im Kolonialstil wohnen nun Nachbarschaftswachen-Mütter und -Verlobte, die durch ihre Jalousien spähen und an die Hill-Mailingliste schreiben, wenn sie junge Schwarze Männer, die fünf Straßenzüge weiter nördlich leben, in Sichtweite ihrer Veranda vorbeikommen sehen. Verdächtige Figur , tippen die Amys dann, ihr Puls angenehm erhöht, der Blick zwischen Fenster und Bildschirm hin- und herspringend. Ältere Menschen in ihren Vorgärten nicken einem zu, bieten einem Schnittblumen aus ihrem Garten an und raten einem, die Fenster mit Plastikfolie abzudichten, wenn der Winter einsetzt.
Ich verwende die Gegenwartsform, aber eigentlich gebe ich nur wieder, wie ich mich daran erinnere und was ich später darüber erfahren habe, und beides zusammen hat meine Wahrheit von diesem Ort geformt. Wir alle haben unsere eigene Wahrheit eines Ortes. Von keiner Stadt gibt es ein universelles Narrativ, das zusätzlich auch noch wahr wäre. Das ist bloß Werbung.
Ende Oktober blies ein Sturm durch die Stadt, ließ eisigen Regen auf sie niederprasseln. Er erwischte mich draußen in einem grauen Wollkleid. Ich ließ mich bis zur Unschicklichkeit davon durchtränken. In der Wohnung rubbelte ich mich mit einem Handtuch ab. Zog mich nackt aus. Ich ging auf die Dating-Website, um Nachrichten an die Frauen zu verschicken, deren Bilder eine zähneknirschende Lust in mir hervorriefen.
Brianne
hey
Emily
hey hübsche
Wanda
hey (:
Ashley
mein arzt hat mir vitamin du verschrieben
Kayleigh
was geht
Carlene
omg frank ocean! der hat mich durchs college gebracht
Tanvi
hey! immer schön, noch eine andere queere POC lady hier zu sehen. wie geht’s?
Meine Versuche reichten von schrecklich bis faul.
Einige der Frauen antworteten, aber sie schienen nicht in der Lage zu sein, ein Gespräch in Gang zu halten, wirkten sterbenslangweilig. Das Ausbleiben von Erfolgen verunsicherte mich. Ich dachte an die Witze, die die Leute am College über Männer gemacht hatten, die aus derselben Gegend kamen wie ich, Männer, die Frauen anschrieben und sie baten, ihnen ihre Brüste und Vagina zu zeigen, die sie bobs und vagene schrieben.
Ich verfolgte die Pakete mit den Möbeln, die ich bestellt hatte, mithilfe ihrer Sendungsnummern. Die Stücke – Kommoden und gesteppte Schlafsofas und Anlehnspiegel – waren in der Mitte des Landes deponiert gewesen und bewegten sich nun von dort aus langsam und unermüdlich auf mich zu.