Also. Weiß Amit Bescheid?, fragte Thom mich kurz vor Mitternacht.
Wir teilten uns im Garten seine Zigarette. Aus dem Haus hinter uns, dessen Schindeln in der Dunkelheit weiß leuchteten, strömte seit Stunden der Bass hinaus in die kalte Nacht. Auf der Party hatten wir Shots getrunken. Sie flossen laut und brennend die Kehle hinunter. Wir spülten mit Bier nach. Schmückten uns mit Lametta. Wir tranken Isabels Glühwein, den sie in demselben Schmortopf zubereitet hatte, in dem Thom sonst gebratene Knochen mit Essig und Wasser, Zitronengras und Anis köcheln ließ. Zumindest bis zu ihrer neuesten Ernährungsumstellung, bei der Isabel beschlossen hatte, fortan glutenfrei zu essen, und Thom sagte, er wolle Pescetarier werden, was, soweit ich es verstand, bedeutete, dass er eine unmenschliche Menge an Tiefkühl-Lachs und nur gelegentlich eine Scheibe Speck verspeiste. Mein Lippenstift war bis zur Unsichtbarkeit abgerieben. Meine Zunge und die Falten meiner Lippen waren lila gefärbt. Wir hatten uns in einem Kreis um das Feuer unterhalten, das Thoms Mitbewohner Allan angezündet hatte, und die vielen Shots dunklen Rums waren in mir fermentiert, bis ich laut und kühn wurde, lachte und anzügliche Witze machte und Isabel plötzlich auf eine falthoo verschwörerische Weise fragte, ob Thoms Schwanz nicht eigentlich – ich hielt Zeigefinger und Daumen wenige Zentimeter voneinander entfernt. Isabel lächelte so gelassen wie eine Madonna und kuschelte sich eng an ihren Mann.
Ich bin sehr zufrieden, sagte sie. Keinerlei Schärfe in ihrer Stimme, lediglich die Art von sanfter Verehrung, die unverkennbar und unmöglich vorzutäuschen war. Ihre Antwort erfüllte mich mit einem tiefen Verlangen, meine Haut in einer breiten Pfütze zu Boden sinken zu lassen und dann davonzulaufen. Amit schüttelte den Kopf über mich und verschwand irgendwohin.
Thom schien diese Aggression, meine Clownerei nichts auszumachen. Ungefähr eine Stunde später belehrte uns Allan auf seine monotone Art über Milwaukees sozialistische Bürgermeister, während ich versuchte, mein Zittern zu unterdrücken, und Thom legte mir einen Arm um die Schulter. Es war die platonischste Geste auf der Welt. Das nonverbale Äquivalent dazu, dass er mich Bro nannte, so fühlte es sich an, aber zu meiner eigenen Verwunderung wurde ich glitschig und nass. Das machte mich nervös, also redete ich noch mehr Mist, ich kann mich nicht mehr daran erinnern, und Thom griff mit beiden Händen nach meinem Gesicht und fing an, es abzulecken. Als wäre ich ein Kätzchen aus seinem eigenen Wurf. Kühle, langsame Leckbewegungen, die mich unterwerfen sollten. Ich quietschte, wedelte mit den Armen und lachte vor Schreck. Ein Typ mit einem hoch aufgetürmten Büschel roten Haars stellte ein Video davon auf Vine, wo es noch jahrelang in einer dämonischen Dauerschleife abgespielt wurde.
Ich ging auf die Suche nach Amit, konnte ihn jedoch nicht finden. Tanzte neben ein paar weißen jungen Frauen. Wieder diese Feuchtigkeit, die ausgestreckten, sich vor Lust festkrallenden winzigen Hände in meiner Brust.
Bei einem weiteren Becher Bier, so warm wie die Nacht kalt war, unterhielt ich mich mit Isabel über ihre Stelle als ehrenamtliche Lehrerin. Sie war nun kühl und höflich, aber immer noch nett – Isabel war nicht in der Lage, irgendetwas anderes als nett zu sein. Dann tauchte Thom auf und bot uns eine Zigarette an. Nur eine von uns sagte Ja. Und da standen wir nun.
Ich sagte zu Thom, dass ich es mir nicht mit seiner Freundin verscherzen wolle. Vielleicht war es etwas undiplomatisch, vor etwa dreißig Leuten in der Öffentlichkeit das Gesicht einer anderen Frau abzulecken, hatte er das in Betracht gezogen?
Alles gut, Homie. Sie weiß, dass du eine fanatische Lesbe bist.
Fanatisch.
Weiß Amit Bescheid?
Worüber, Bro?
Dass du dein Portfolio erweitert hast.
Meine Tabelle verschoben habe.
Pescetarierin geworden bist.
Wir brachen in Gelächter aus. Ja, sagte ich, ein wenig überheblich. Ich habe nichts zu verbergen.
Dann vögeln du und diese Tig also?, wollte er wissen. Hab ich sie deshalb noch nicht richtig kennengelernt?
Tig ist wie Wasser. Lässt sich unmöglich festnageln. Außerdem hat sie gerade ungefähr drei Jobs, darunter ihr Studium. Und nein. Tun wir nicht.
Wie kommt’s?
Was ist das für eine Frage?
Deine Augen leuchten auf, wann immer du von ihr erzählst. Und das machst du oft. Mindestens viermal am Tag, Tig, meine Freundin Tig, mein neuer Kumpel Tig.
Mein Gesicht wurde trotz der kalten Luft heiß.
Ich mag Tig wirklich gern, sagte ich, etwa auf die gleiche Weise, auf die ich dich mag. Verlangen spielt dabei kaum eine Rolle.
Daraufhin presste Thom die Lippen ganz leicht aufeinander. Er nickte und schnipste Asche auf ein vereistes Blumenbeet.
Ich war sehr betrunken. Mein Kopf fühlte sich in der kalten Nacht an wie mit Öl gefüllt. Während alles andere verschwamm, konnte ich umso klarer den Umriss jener Sache spüren, die in dem dunklen Abfluss meiner selbst kreiste.
Ich fürchte, sagte ich langsam, und die Worte kamen gestelzt und unbeholfen aus meinem Mund, dass ich nicht so richtig dafür geschaffen bin … mit jemandem zusammen zu sein. Für mich gab es nur Amit, und das war eine Katastrophe. Mit Freundschaften komme ich klar, auch wenn es immer noch Dinge gibt, die sich zu viel anfühlen. Ich kann auch jemanden aufreißen, du weißt schon, Leute abschleppen. Manchmal spüre ich, nachdem ich mit einer Person geschlafen habe, nichts als Verachtung, und manchmal spüre ich diese Verachtung schon, während es passiert, also, ich hasse die Person sozusagen und denke sexistisches Zeug, zum Beispiel blitzen die Worte blöde Schlampe vor meinem inneren Auge auf, während ich mit der Person Sachen mache. Ich habe das Gefühl, ein bisschen grausam zu sein, macht mich besser beim Sex mit Frauen, hat wohl irgendetwas damit zu tun, eine Person in die Knie zwingen zu wollen. Aber dann ist es vorbei, und ich ertrage ihren Anblick nicht mehr. Ich habe vielleicht Angst davor, mit jemandem zusammen zu sein, den ich auch wirklich mag, denn was ist, wenn ich zu dieser Person gemein bin, also – ich weiß nicht. Ich war noch nie verliebt. Ich glaube manchmal, dass ich es gar nicht kann. So fühlt es sich für mich an, wenn ich dich und Isabel sehe: Das hier werde ich niemals haben.
Während meines gesamten Monologs hatte ich stetig in den orangefarbenen Trichter der Straßenlaterne geblickt: eine Hundehalskrause für die Nacht.
Thoms Gesicht. Ich kann es noch immer vor mir sehen. Es war, als hätte ich meine Hosen heruntergelassen und ihm eine Binde voller Blut gezeigt. Scham durchflutete mich und lief über wie eine Badewanne. Ich blickte erneut auf, und meine Augen brannten.
Vergiss, dass ich was gesagt habe, bat ich. Ich sollte etwas essen.
Wieso bist du so heftig? Dann lachte er. Komm mit, sagte er. Er hatte sein Lächeln aufgesetzt. Ein umgelegter Schalter: Das Zimmer war nun lichterfüllt.
Wohin?
Auto.
Okay, aber wohin?
Y-Not. Du fährst.
Was? Ich kann nicht –
Es ist eine Fahrt von vier Minuten, du Pussy. Wir holen Pommes. Irgendwann musst du es lernen, hör auf mit dem »Ich bin Immigrantin«-Ausreden-Scheiß. Okay, das hier ist eine Handbremse. Löse sie.