U1

Also – was würdest du sagen, was das hier ist?

Wie meinst du das?

Sind wir, na ja, ein Paar?

Oh. Ich weiß es nicht.

Tja, also, ich weiß es auch nicht, deshalb frage ich dich.

Ich habe noch nicht darüber nachgedacht. Nicht viel, sagte ich schließlich.

Ich habe ein bisschen darüber nachgedacht. Und ich bitte dich, jetzt darüber nachzudenken, selbst wenn du es vorher noch nicht getan hast.

Ich dachte einfach, wir hätten Spaß, antwortete ich. Wir würden uns besser kennenlernen. Es ist erst ungefähr ein Monat her, seit wir uns zum ersten Mal persönlich begegnet sind.

Marina wurde blass vor Zorn. Spaß haben, wiederholte sie, als versuchte sie, die Worte besser zu verstehen.

Wir lagen im Bett. Es war elf Uhr, das Wetter trist. Sie hatte die Jalousien noch nicht heruntergelassen, und man konnte die Stadt in all ihrer dunklen Trägheit ausgebreitet sehen, mit einem gelegentlichen Glühwürmchen von einem Auto, das die Water Street entlangflackerte. Marina hatte den größten Teil einer Flasche Barefoot intus. Wir hatten gerade eine Folge irgendeiner unbedeutenden TV -Serie geschaut.

Ich setzte mich aufrecht hin und überlegte, ob ich mir eine Hose anziehen sollte, um dieses Gespräch zumindest mit einem Anschein von Würde zu führen. Mein Inneres fühlte sich stechend an. Gegen den Willen meines Geistes musste ich immer wieder daran denken, wie meine Mutter mich fest im Arm hielt – der leuchtende, steife Sari, Jeera und Sandelholz.

Es schien wichtig, Marinas Gefühle nicht zu verletzen, nicht zu streiten. Die Vorstellung, dass sie sich aufregte, jagte mir Angst ein. Aber ich war auch mehr als verärgert über diese hübsche Frau, die etwas nicht einfach sein lassen konnte, die die Beziehung definieren wollte, wie Thom es nannte, nach nur einem Monat, obwohl sie vor weniger als sechs Wochen noch mit ihrer großen, furchteinflößenden Freundin zusammen gewesen war. Ein Punkt, in dem sie bis zu diesem Tag nicht ehrlich zu mir gewesen war.

All das traute ich mich nicht zu sagen. Also erzählte ich ihr stattdessen, ich sei einfach nicht so schnell, ich würde sie mögen, wolle die Dinge aber weiter langsam angehen, wozu die Eile? Diese Sätze hatte ich im Laufe der Jahre hauptsächlich von meinen männlichen Freunden gehört, die sich damit anhängliche Frauen vom Leib hielten.

Marina begann zu weinen, mit dem schmalen Rücken zu mir, sichtbar zitternd. Ich spürte einen furchtbaren Druck auf den Rippen. Ich wollte meine Arme um sie legen, aber sie schüttelte mich wütend ab, ging ins Badezimmer und knallte die Tür zu.

Marina, rief ich sie. Sei nicht so.

Irgendetwas krachte gegen die verschlossene Tür und zerbrach.

Ein verdichteter neuer Zorn rollte in mir heran. Setzte zum Sprung an.

Betrunkene blöde Schlampe, murmelte ich vor mich hin, zog mir etwas über und ging auf den Balkon, dessen Tür ich hinter mir zuknallte. Diese schwache, weinende Frau. Verlangte mehr und mehr, bekam aufmerksamkeitsheischende Wutanfälle, nichts anderes.

Ich könnte einfach gehen. Könnte sagen: Behalte den Wein und die Zigaretten im Auge, Liebes, heute bist du noch niedlich, aber nicht niedlich genug, um dir das weiter leisten zu können. Könnte mit der grausamen cowboyartigen Schlagfertigkeit einer amerikanischen Fernsehserie sagen: Viel Spaß dabei, hinter dir aufzuräumen, Süße.

Marina zog die Balkontür auf.

Ihre Nase war sehr pink, ihr Mund verletzt angeschwollen. Ihre Wimpern waren von den Tränen getrennt, so lang und gerade wie die eines Straußes. Der Anblick ihres Gesichts brach meine Fassade auf.

Das hier war eine, hatte sich entwickelt zu einer Person, die mir wichtig war.

Marina lehnte sich an das Balkongeländer und hielt eine Zigarette in die schneidend kalte Luft. Ich trug einen Mantel. Sie nicht. In einem Versöhnungsversuch streckte ich die Hand aus. Sie lag schlaff auf ihrer nackten Schulter, während Marina grimmig über unsere temporäre Stadt blickte, und nach einem unangenehmen Augenblick zog ich meine Hand wieder fort.

Mir scheint, du willst sehr schnell sehr viel, sagte ich, die Worte aus mir hervorströmend. Ich bin immer noch dabei, dich kennenzulernen. Es ist mir wichtig, dass ich jemanden richtig kennenlerne, ich möchte keine Beziehung mit einer Person führen, mit der es nicht passt, und mich dann trennen – das ist mir schon mal passiert, und es tut wirklich weh. Es ist mir wichtig, jemanden wirklich zu kennen. Ich mochte diese Zeit mit dir. Du bist unterhaltsam und wunderschön. Aber es gibt immer noch so vieles, was ich nicht von dir weiß. Ich habe dich im MPM mit deiner Ex gesehen – mit Jenny, an dem Tag, bevor wir uns auf der Party begegnet sind. Meine Freundin Tig sagte, sie habe gesehen, wie Jenny dich geschlagen hat, was furchtbar ist, wenn das stimmt. Du warst erst vor so kurzer Zeit mit ihr zusammen, Dude. Also, nur Tage, bevor wir uns kennengelernt haben. Darüber hast du nie offen und ehrlich gesprochen.

Endlich sagte Marina etwas, ihre rauchige Stimme nun kaum mehr als ein Krächzen, ihr Tonfall müde, aber gleichmäßig. Ihr Blick dagegen lebendig und wütend.

Ich möchte nichts von dir, was du nicht freiwillig zu geben bereit bist, gab sie zurück. Aber ein kleiner Tipp von einer Frau, die ein klitzekleines bisschen älter ist als du: Einen anderen Menschen wirklich kennenzulernen, ist ein Prozess von Jahren, und für die meisten Menschen gibt es einfach einen Schalter, der irgendwann umgelegt wird, und sie beschließen: Okay, das hier könnte meine Person sein, ich treffe jetzt die Entscheidung, mich zu ihr zu bekennen. Ich erzähle dir gern die Vorgeschichte mit Jenny, die anders ist, als du denkst. Du kannst mir nicht so richtig die Schuld dafür geben, nicht bis in die schmutzigen Details gegangen zu sein, wenn du das einzige Mal, dass ich sie erwähnt habe, nur finster ins Leere gestarrt hast und verstummt bist! Scheiße. Es gibt auch so vieles, was ich über dich nicht weiß, ich weiß noch nicht einmal, wie deine Eltern gestorben sind, oder ob du in Milwaukee bleiben möchtest oder was ich im Bett mit dir machen soll. Weißt du, du trägst auch eine Mitschuld an unserer gescheiterten Kommunikation!

Luft drängte sich in meine Lungen, ich hatte das Atmen vergessen, seit ich die Worte Eltern gestorben sind gehört hatte. Marina fuhr fort.

Tja, also, ich will ehrlich sein und dir sagen, dass ich das hier nicht gewohnt bin, mein Sonnenzeichen ist Zwillinge, mein Mondzeichen Fische, ich habe meinen Stolz und meine Empfindlichkeit, und viel wichtiger noch, ich bin es nicht gewohnt, mit einer Person zusammen zu sein, die es nicht will, ich meine, die nicht mehr will. Ich ziehe nicht sofort mit jeder zusammen. Ich habe Ansprüche. Ich bin eine wählerische Zicke. Ich mag dich, und ich dachte, das Gefühl würde stark auf Gegenseitigkeit beruhen. Du hast elf Tage am Stück mit mir verbracht. Wir haben jede Mahlzeit zusammen gegessen und jede Nacht in meinem Bett geschlafen. Du trägst bei der Arbeit meine Kleider. Du benutzt mein Make-up, all meine Produkte. Ich musste mir einen neuen Stila-Lipgloss kaufen! Du bist sozusagen ungebeten hier eingezogen, aber ich bin nicht gut genug, um deine Freundin zu sein. Tut mir leid, aber das ist echt krank. Ich hatte mehr von dir erwartet. Das ist schmerzhaft.

Meine Ohren klingelten wie Kirchenglocken.

Ich gebe dir das Geld für die Produkte zurück, sagte ich, ein erstickendes Gefühl in der Kehle. Ich wusste nicht, dass dir das mit den Kleidern etwas ausmacht. Tut mir leid. Ich werde deine Sachen nicht mehr anziehen.

Darum geht es überhaupt nicht, du begreifst gar nicht, was ich sagen will, sprudelte es aus ihr hervor, aber ich rannte bereits zurück in die Wohnung, kletterte in meine Schuhe, mühte mich mit den Schnürsenkeln ab.

Marina stand erstaunt in der Balkontür, einen Fuß innen, den anderen draußen. Komm schon, sagte sie, und die dünne graue Rauchfahne ihrer Zigarette wirbelte um sie herum.

Ich hatte nur ein Ziel: zu gehen, bevor ich anfing zu weinen, und ich war kurz davor zu scheitern. Marina versperrte mir den Weg.

Du willst mich nicht hier haben, sagte ich, und in diesem Augenblick kam mein alter Akzent zurück, als wäre irgendein Damm gebrochen, und die warme, heiße, runde und abgehackte Sprache, mit der ich aufgewachsen war, rauschte herein, beladen mit Konsonanten und Trümmern.

Yoo doan’t vont me hyur , hörte ich mich selbst in einem Ausbruch der Verletztheit sagen, so I will getoutofthe waye .

Komm schon, Mann. Das ist nicht –

Vergeblich bemühte ich mich, den Teufel in meiner Kehle zu zähmen. Ich versuchte mich an Marina vorbeizudrängen und sagte: Entschuldige bitte. Ich werde dir das Geld für die Dinge, über die wir gesprochen haben, zurückgeben. Es tut mir leid, dass ich deine Gefühle verletzt habe, es tut mir leid, dass ich deine Freundlichkeit ausgenutzt habe.

Was redest du denn da?, wollte Marina wissen. Ich verstehe dich nicht. Ich verstehe einfach nicht, was du willst.

Scheiße, ich auch nicht, sagte ich dümmlich. Ich ergriff ganz sanft ihre Schultern. Schob sie aus dem Weg, wie man es mit einem Tisch mit einer zerbrechlichen Glasplatte tun würde, der einem nicht gehört.

Ich ging, da ich es für meine einzige Option hielt. Durch die große, weiße museumsartige Eingangshalle von Marinas Wohngebäude und hinaus auf die Straße. Ich schluchzte in meine Hände. Es war ein Fußweg von fünfundvierzig Minuten durch den Schnee zu einer eiskalten Wohnung, die über meinem persönlichen Hades lag. Ich brauchte Hilfe, und ich musste besser darin werden, darum zu bitten.

Tig hob beim zweiten Klingelton ab.

Sie würde mich abholen kommen. Ich konnte in ihrem Zimmer bleiben, und sie würde bei der Amy-Winehouse-Mommy übernachten, die sich, als ich sie zwanzig Minuten später auf dem Beifahrersitz von Tigs Honda Fit kennenlernte, als eine sehr nette Frau namens Diana herausstellte, die mir mehrfach versicherte, alles würde gut werden. Marina schrieb mir: du hast meine gefühle wirklich verletzt. glaube ich brauche etwas zeit und raum.

Aber zuerst, sagte Tig in das Schweigen hinein, müssen wir uns gemeinsam um etwas kümmern.

Als wir vor meiner Wohnung anhielten, lief ich auf die Seitentür zu, Antigone jedoch nicht.

Sie rauschte um die Ecke. Ich stolperte durch den Schnee hinter ihr her.

Sie klopfte rasch an Amys Haustür. Obwohl es Mitternacht war, obwohl Amy ein Wolf mit einem asymmetrischen kastanienbraunen Haarschnitt war. Bei all meiner Angst, musste ich in diesem Augenblick lachen – ein trockenes, benommenes Kichern, das die eisige Luft durchbrach. Die Erscheinung von Amys Gesicht, erschrocken und verkniffen und wütend. Ungläubig auf Tigs breite, solide Statur starrend. Wie unendlich komisch.

Guten Abend!, sagte Tig mit einem stählernen Lächeln. Ich weiß, dass es spät ist. Sie sind die Hausverwalterin für die Wohnung im Obergeschoss, nicht wahr? Dort funktioniert seit zehn Tagen die Heizung nicht, es ist also ganz offensichtlich lebensgefährlich, sich darin aufzuhalten. Sie hat Sie kontaktiert und nichts von Ihnen gehört. Was sollen wir nun machen, um das für Ihre Mieterin wieder in Ordnung zu bringen?!