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Ich schlief jeden Tag aus. Nutzte Boomerang, um E-Mails automatisch um sechs und sieben Uhr morgens zu versenden. Es war relativ einfach, Produktivität und eine puritanische Arbeitsmoral vorzutäuschen. Ich vermisste Marina schrecklich und schrieb ihr kaum. Ich wusste, dass sie beschäftigt war, und wollte mich nicht aufdrängen. Ich fühlte mich nicht imstande, ihr die nackten Tatsachen meiner Situation darzulegen, nachdem ich sie bislang so gut versteckt hatte.

Die letzten Reste des Winters verschwanden, die Kälte wich aus der Luft. In einem Anfall von Handlungsfähigkeit betrat ich einen Eckladen in Harambee und kaufte Lebensmittelkonserven und einen Sack Reis. Nachmittags verfasste ich irgendeinen kompletten Schwachsinn für Peter, versuchte unsere Tabellen und Schaubilder, seine Sinnsprüche und Formeln zu etwas Kohärentem für eine Business-Zielgruppe zusammenzutragen. Ich bezahlte meine Steuern mithilfe eines Online-Programms. Mein Kontostand lag nun bei sechshundert Dollar. Dennoch begannen sich meine Kopfschmerzen im Laufe der Tage wie Nebel zu lichten. An manchen Morgen zogen sie erneut auf, ein glatter, kalter Dunst im Gehirn, lösten sich aber bis zum Nachmittag auf.

Vielleicht warst du allergisch dagegen, dort zu arbeiten, Girl, sagte Tig.

Zwei Wochen nach meiner Kündigung und angetrieben von Tigs Protesten, they würde mich gar nicht mehr zu Gesicht bekommen, was mir ein bisschen unverschämt vorkam, da es dieser Tage nahezu unmöglich war, etwas mit Tig auszumachen, hatte ich mich fit genug gefühlt, um ein gemeinsames Abendessen durchzustehen. Tig bezahlte für die Biere und unsere Burritos. Wir waren in das reizende, mit freundlichen Menschen gefüllte Riverwest Public House gegangen, eins der etwa siebzehn Lokale, die meine Bewerbung um eine Anstellung, die tatsächlich bezahlt wurde, abgelehnt hatten.

Wir hielten vor meinem Haus.

Ich möchte dir etwas zeigen, sagte Tig und sah auf einmal ungewöhnlich schüchtern aus.

Was?, fragte ich.

Ah, machte Tig und lief rot an. Okay, ich komme mir dumm vor. Nicht lachen. Okay?

Sie wühlte in ihrer Tasche herum. Mein Zwerchfell spannte sich an. In diesem Augenblick konnte ich es vor mir sehen – Tig würde eine samtene Schachtel hervorziehen, einen Diamantring. Dann müsste ich aufgeregt sein, glücklich für die beiden. Schwatzhafte Fragen danach stellen, wie Tig den Ring ausgewählt hatte und wie they Diana den Antrag machen wollte. Meine Schädeldecke begann zu pulsieren. All meine Freund* innen würden im Leben an mir vorbeiziehen, eine nach dem anderen. Das war einer der Gründe dafür, sich für den traditionellen Weg zu entscheiden. Man findet seine eigene Person, mit der man in die Welt hinaus aufbricht und seinen Platz in der erwarteten Ordnung der Dinge einnimmt. Wilhelm Meister, der mich bis in alle Ewigkeit verfolgte.

Aber ich lag falsch. Tig zog stattdessen ein kleines Notizbuch mit schwarzem Ledereinband hervor.

Lachte schüchtern. Sagte: Ich hatte da diesen Traum. Ich kann nicht mehr aufhören, darüber nachzudenken. Yooo, ich komme mir albern vor! Liest du es? Gibst du es mir nächsten Dienstag zurück?

Okay, Liebes, antwortete ich. Ich steckte das Buch in meine Manteltasche und drückte Tig die Hand. Sagte: Vielen Dank für das Abendessen und das Heimbringen.

Als ich die Seitentür aufgeschlossen hatte und gerade die Reißverschlüsse meiner Stiefel öffnen wollte, stürzte they aus dem Wagen und gab mir ein Zeichen, auf sie zu warten. Bat mich, mein Badezimmer benutzen zu dürfen. Ignorierte meine panische Weigerung, als mir bewusst wurde, dass die Wohnung nach meiner Abwesenheit noch immer absolut verdreckt war, dass ich seit Wochen kein Geschirr mehr gespült oder meinen Kram weggeräumt hatte.

Soll ich lieber auf deiner Türschwelle oder in deiner Wohnung pinkeln?, fragte Tig mich, in ihrer gebatikten Hose von einem Bein aufs andere tretend. Entweder … oder, Mädchen, entweder … oder.

Ich saß auf dem Steppsofa, die Wangen brennend vor Scham. Um mich herum: der Gestank von altem Müll, Schüsseln mit verkrusteten Essensresten, chaotisch auf allen Oberflächen stehen gelassene Thunfisch- und Kichererbsenkonserven. Meine Fußabdrücke sichtbar im Staub auf den Bodendielen. Die stehen gebliebene Uhr mit dem zerbrochenen Glas. Laken und Sofaritzen voller Krümel.

Was ist denn bei dir los?, fragte Tig und lief durch meine Wohnung. Nein, Bitch, du musst nicht für mich aufräumen, lass gut sein, ich will nur wissen: Geht es dir gut? Lebst du jetzt so?

Tig wischte Verpackungen von Energieriegeln vom Sofa. Sie flatterten auf den Fußboden. Mein* e Freund* in hockte sich neben mich.

Sieht furchtbar aus, ich weiß, murmelte ich.

Sneha, sagte Tig, und ich zuckte leicht zusammen bei diesem unnötigen Heraufbeschwören meines Namens, ich will dich ja nicht beleidigen, Mädchen, aber hast du schon mal darüber nachgedacht, zu einer Therapeutin zu gehen?

Du denkst, mit mir stimmt was nicht –

Ich denke, du bist vielleicht irgendwie depressiv, und es wäre eine Investition in deine mentale –

Lass mich in Ruhe, spuckte ich aus und verlor völlig die Beherrschung. Bist du jetzt ein weißes Mädchen, oder was? Misch dich, verdammt noch mal, nicht in meine Angelegenheiten, wer hat dich denn überhaupt hereingebeten? Glaubst du, hier ist nichts weiter nötig, als dass ich irgendeiner Dame mit Brillenkette Geld dafür bezahle, dass sie sich MEIN TRAUMA anhört? Was soll das heißen, in meine mentale Gesundheit zu investieren ? Um gesund zu werden? Zeig mir eine gesunde Person! Bist du eine?