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So hatte ich mir unsere erste Begegnung nicht vorgestellt, Girl, sagte KJ zu mir, der Schatten eines Lächelns in ihren schläfrigen braunen Augen. Kannst du mir eine Limo oder eine Tüte Takis kaufen? Automat steht hinter dir.

Ich war bei hundertzweiundneunzig Dollar angelangt. Dennoch brachte ich es nicht fertig, Nein zu sagen.

KJ s Gesicht ist unscheinbar, aber ihre Stimme ist ziemlich schön. Das war das Erste, was mir auffiel. An diesem speziellen Morgen war sie kratzig und heiser, aber man konnte hören, was darunter steckte: Laute mit der gesamten Farbpalette eines Sonnenuntergangs. Im Bezirksgefängnis mit seinem Neonlicht und den nach Desinfektionsmittel und Gefahr riechenden Fußböden dachte ich nutzlose senti Dinge über nicht eingeschlagene Wege – meines Vaters, KJ s. In einem anderen Leben hätte die Stimme, die ich gerade hörte, einer Sängerin, Musiklehrerin oder Yogastudiobesitzerin gehören können. Ich sah nichts von den Dingen, die ich, ausgehend von Amits Geschichten und meinen Vorstellungen von einer Süchtigen, erwartet hatte – ich hatte mir leere Augen und von Nadelstichen übersäte Arme vorgestellt. In ihrer Ellenbeuge war eine Art Furunkel zu sehen, das am Abklingen war, mit lila Rändern. KJ s schmale Hände ruhten auf dem Resopaltisch zwischen uns: samtig und voller Grübchen, die Nägel bis fast zur Unsichtbarkeit heruntergekaut, sodass sie an das lippenlose Lächeln einer Nachbarin erinnerten.

Erzähl mir nichts, das dich in Schwierigkeiten bringen könnte, murmelte ich leise, als ich vor ihr Platz nahm. Als wären wir in irgendeiner Krimiserie im Fernsehen.

Später sollte ich erfahren, dass KJ in ihrem Leben ausnahmsweise einmal großes Glück gehabt hatte.

Sie hatte am Morgen etwas genommen und war dann losgefahren, um sich bei Aldi eine Tiefkühlpizza zu kaufen. Auf dem Rückweg hatte sie gegen die Schläfrigkeit angekämpft, die sie nun überkam.

Was die Cops gesehen hatten: eine Schwarze Frau, die Schlangenlinien fuhr. Sie hielten sie an. Machten einen Drogentest. Durchsuchten das Auto.

Einige Tage später würde KJ mir erzählen: Bevor ich losfuhr, dachte ich: Ich werd ein bisschen Skag mitnehmen, bloß ein Gramm, und werd Cathy abholen, kannst du dir das vorstellen, wenn ich Besitz statt Fahren unter Einfluss gekriegt hätte? Ich muss einen Schutzengel gehabt haben.

Sie würde wegen Drogen am Steuer angeklagt werden. Ein erstmaliges Vergehen. Die Strafe würde 850 Dollar betragen, und nach Zahlungseingang könnte sie an ein Familienmitglied übergeben werden.

Aber all das wussten wir in diesem Augenblick noch nicht. Die einzige Person, mit der KJ aus dem Gefängnis heraus hatte sprechen können, war ihre Schwester.

Ihre Augen wurden feucht, als sie mich bat: Sag Mitty, dass es mir leidtut, okay? Hab das Gefühl, ihn so schlimm enttäuscht zu haben. Ich will ja mit dem Programm weitermachen, aber die machen es einem so schwer. Ist wie ein verdammter Hindernisparcours, nur dass es dein ganzes Leben ist. Und es kostet verflucht viel Geld! Ich kann’s überhaupt nur machen, weil Mitty dafür bezahlt.

Amit liebt dich, versicherte ich ihr, da ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte. Dümmlich fügte ich hinzu: Es wird alles gut.

KJ beugte sich vor. In diesem Augenblick sah sie so jung aus, jünger als ich. In meinem Mund schmeckte ich eine Zärtlichkeit, vermischt mit Verzweiflung. Wie Sodbrennen, während man süßen Tee trinkt.

Kommst du zu meinem Gerichtstermin?, fragte sie leise. Ich möchte nicht allein sein. Kommst du? Und kannst du vielleicht schauen, ob Mitty mir was schicken kann? Ich hoffe, er hat noch genug Geld, ich meine, für seine eigene Miete und so. Mann, ich hasse mich so dafür, dass ich jemals Skag ausprobiert habe, eine einzige beschissene Entscheidung, und – mmm. Es ist so verrückt, ich hab keine Ahnung, was passieren wird. Ich weiß nicht mal, ob meine Sis zu meinem Gerichtstermin kommt. Sie hat echt genug von meiner Scheiße.

Deine Schwester kommt bestimmt, sagte ich mit einer heiteren Leere und nickte so mitfühlend ich konnte.

Wie sich herausstellte, hatte ich recht. Als ich das Wartezimmer des Gerichtsgebäudes betrat, stand dort – mit grimmigem Gesichtsausdruck, in einem straff sitzenden blauen Hemd, das Haar in kurze steife Wellen verwandelt – Tig.