M3

Marina drückte ihre Zigarette aus und fragte: Also, du kommst doch zu meiner Aufführung, oder?

Hatte es vor, die ist am achtundzwanzigsten?

Marina nickte, schien zu zögern, und fragte dann: Weißt du schon, nun ja, hast du darüber nachgedacht, wo du hinwillst, nachdem du aus deiner Wohnung ausgezogen bist?

Für einen langen Augenblick blieb ich stumm, während die Verwundbarkeit sich auf mich legte wie Tau.

Darüber habe ich noch nicht nachgedacht, antwortete ich schließlich.

Oh. Okay. Aber der Termin ist in gut drei Wochen, oder?

Ich starrte sie an, meine Kehle rau vor Wut. Das Architekturbüro hatte mir soeben abgesagt. Ganz eindeutig war ich nicht einmal gut genug dafür, für eine Firma ans Telefon zu gehen. Und hier war nun Marina, die mir nicht ihr Zuhause anbot, obwohl sie wusste, dass ich es nicht über mich bringen würde, mich selbst einzuladen, und obwohl sie wusste, dass ich nicht genug Geld hatte, um den ersten Monat Miete für eine neue Wohnung zu bezahlen, von einer Kaution ganz zu schweigen. Erst als ich mich später an diesen Augenblick zurückerinnerte, erkannte ich, dass ihr diese Dinge, die mir ganz offensichtlich erschienen, einfach weil sie mich mit der Wucht einer Lawine nach unten rissen, womöglich gar nicht so klar gewesen sein mochten.

Ich habe keine Ahnung, was ich machen soll, spuckte ich aus, solang ich keinen Job finde und dieser Nichtsnutz mich nicht bezahlt – aber mach dir keine Sorgen, ich werde mich dir nicht länger aufdrängen, als dir lieb ist!

Bei Einbruch der Nacht verließ Marina den Schauplatz unseres Streits, um mit ihrer Strive-Dance-Crew etwas trinken zu gehen. Ich rief Amit an.

Ich wollte ihn um Geld bitten, konnte mich aber nicht dazu durchringen. Ich deutete es mehrmals an. Erzählte von der Kündigung meiner Vermieterin, von meiner erfolglosen Jobsuche und davon, dass Peter mich nicht bezahlte.

Du solltest dir einen Anwalt besorgen und dir das Geld von ihm holen, das ist unerhört, sagte Amit. Oder droh ihm damit, es vor ein Zivilgericht zu bringen –

Und womit soll ich den Anwalt bezahlen, Bhai Sahib? Mit meiner Muschi?

Frustriert über seine Ahnungslosigkeit und selektive Großzügigkeit, gab ich mich damit zufrieden, ihn wegen Kelli Jo zu schikanieren.

War es so ein schönes Gefühl, ihr Retter zu sein?, fragte ich mit einer Stimme, die vor Gehässigkeit zitterte und zu gleichen Teilen eisig und ätzend war. Ist es dir schwergefallen, dich von ihren Problemen zu lösen und davon, wie gut es sich angefühlt hat, ihr zu helfen? Denkst du, du hast da – vielleicht – selbst mit einer – Sucht zu kämpfen gehabt?

Amit atmete lange und schleppend aus und gab keine Antwort.

Du darfst auch etwas Fieses zurück sagen, stichelte ich. Kein Grund, so heilig zu sein. Nicht mir gegenüber.

S, sagte Amit in einem Tonfall übertriebener Geduld, was soll ich deiner Meinung nach sagen oder tun? Es tut mir sehr leid, dass du gefeu … entlassen worden bist. Aber ich weiß, dass du es schaffen wirst. Denn du hast es bislang immer geschafft. Du solltest mit deinen Eltern sprechen, wenn du kannst. Und ich helfe dir gern, als dein Freund –

Dann hilf mir!, platzte es aus mir hervor. Ich habe noch zweihundert Dollar auf dem Konto und noch drei Wochen lang ein eigenes Dach über dem Kopf! Ich bin ganz allein in diesem verdammten gottverlassenen Land, und meine Eltern haben genügend eigene Probleme. Hilf mir!

Eine weitere lange Pause.

Ich kann dir ein bisschen Geld schicken, wenn du es wirklich brauchst, auch wenn meine Ersparnisse gerade ehrlich gesagt ziemlich aufgebraucht sind. Hast du nicht gesagt, du hättest etwas Geld in einem Sparbrief? Kannst du den auflösen?

Ja, aber das kostet eine Strafgebühr von zweihundert Dollar oder so, Amit –

Ich denke, sagte er, du solltest dir überlegen, ob das, worum du mich bittest, wirklich das ist, was für dich am hilfreichsten ist.

Ich hörte ihm zu und konnte nichts erwidern. In der Spiegelung von Marinas Wohnzimmerfenster beobachtete ich eine Frau mit einem Telefon am Ohr, die stumm weinte und das Gesicht vor der düsteren Nacht verzerrte.

Amit fügte hinzu: Hey, hör zu, kannst du einfach deinen Lebenslauf auf den neuesten Stand bringen und ihn an mich schicken? Emilys Schwester arbeitet für einen Dienstleister der National Archives. Ihre Abteilung sucht nach einer Programmassistentin. Das hat Emily mir heute erzählt.

National Archives?

Ja, in D. C. Ich glaube, du würdest die Projektplanung übernehmen, vielleicht bei ein paar Veranstaltungen mithelfen, eine Menge über Geschichte lernen und einen Haufen Papiere durchstöbern. Es ist eine zufällige Idee. Womöglich ist die Bezahlung nicht allzu gut. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass du in der Beraterszene bleiben willst. Und ich denke, du wärst für den Job geeignet.

Aber, sagte ich, die Nase voller Rotze, ich hatte eigentlich nicht geplant, Milwaukee zu verlassen. In D. C. kenne ich niemanden.

Du kanntest dort auch niemanden, als du hingezogen bist.

Außerdem, na ja, läuft meine Arbeitserlaubnis in weniger als zwei Jahren aus. Peter sagte, er würde eventuell Sponsor für meine Greencard werden –

Hör zu, meine Liebe, unterbrach Amit mich. Es wird Zeit, dass du zurück in die Realität kommst, denn diesen Mann kannst du als Sponsor komplett vergessen.