Als ich von meiner Portionier-Schicht bei Leon’s zurückkehrte, stellte ich fest, dass Marinas Freundinnen ihre Wohnung geschmückt hatten. Weiße und goldene Ballons waren an die Möbelecken gebunden, und in der Chemex stand nun ein gigantischer Blumenstrauß.
Alice und India hatten mich auf den ersten Blick gehasst. Sobald sie aus dem Flugzeug gestiegen waren und mich mit Marina auf der riesigen pendlerblauen Teppichfläche im MKE warten sahen, hatte ich ihre schlimmsten Befürchtungen erfüllt und sie meine ebenfalls. India war groß und blond, sie trug Federohrringe und wadenlange Baumwollkleider. Toter Lagerbestand, erwiderte sie achselzuckend, als ich ihr ein Kompliment dafür machte, und ich nickte, ohne zu wissen, was der Begriff bedeutete. Ihre Stimme war sehr, sehr leise. Es war, als hätte man einem Katzenbaby die menschliche Sprache beigebracht. In ihrer mit vielen Ringen geschmückten Hand hielt sie einen gläsernen To-go-Becher, der zur Hälfte gefüllt war mit etwas, was nach Karottensaft aussah.
Alice war Yogalehrerin und hatte sich als Beweis dafür Hindutempel auf die Arme tätowieren lassen. Ihre Haut war zu einem tiefen, erschreckenden Orange gebräunt. Sie trug ein altmodisches Mechanikerhemd, die kurzen Ärmel straff aufgerollt. Über der Brusttasche war der Name Dean eingestickt. Sie hatte sich das Haar in einem kreischenden Pink gefärbt und trug es in einem kurzen Bob, der kleine Halbmonde in ihre Wangen schnitt.
Ich beobachtete sie begierig in dem Versuch, mein Mädchen durch diese beiden neuen getönten Brillengläser besser zu erkennen. Die drei kreischten, hüpften und umarmten sich. Hauptsächlich um mich nicht als Teil des Flughafenmobiliars zu fühlen, knipste ich Bilder mit meinem Telefon. Drei Köpfe zusammen, breit und weiß grinsend, das Haar zusammengedrängt in einem Dickicht aus Gold, Pink, Grün.
Ohhh, sagte ich ganz unironisch. Ihr seht aus wie die Powerpuff Girls.
Marina lachte leise. Keine der anderen reagierte darauf, und wir stapelten uns in den Kia Soul.
Die Powerpuff Girls waren wieder zusammengekommen, soll heißen, Alice hatte sich selbst und India zum Anlass von Marinas achtundzwanzigstem Geburtstag nach Milwaukee eingeladen. Eindeutig davon ausgehend, dass ich noch nichts für den Tag geplant hatte, machten die beiden sich ans Werk, ihre Vorstellung von einer angemessen prachtvollen Feier zu entwerfen. Ich fühlte mich gefangen und unwohl. Doch angesichts von Marinas sichtlichem Glück wurde ich weich.
Sie und ich hatten eine schwierige Zeit hinter uns. Als ich ihr erzählt hatte, dass ich für den Job in Washington, D. C., für den Amit mich weiterempfohlen hatte, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden war, war sie wie versteinert. Ich sehe mich nicht in D. C., sagte sie, die Tanzszene dort ist nicht das, was mir für mich vorschwebt. Sie fügte hinzu: Aber offensichtlich fragst du mich auch gar nicht, ob ich mit dir dort hinziehe.
Trotzdem half sie mir, mich auf das über Skype geführte Vorstellungsgespräch vorzubereiten. Schminkte mich. Wünschte mir viel Glück. Das ist das Problem mit Marina. Sie glaubt verschiedene bedauerliche Dinge über sich selbst, hält sich für einen schlechten Menschen, wie es so vielen von uns beigebracht wurde. Dabei hat sie ein reines Herz, durch dessen Kammern Güte pumpt. Sie ist fast immer großzügig.
Ich dachte, ich hätte das Vorstellungsgespräch verpfuscht. Ich beantwortete die Fragen angemessen, aber ich hatte nicht annähernd die Menge an Erfahrung mit Archivtätigkeiten, die sie sich wünschten. Ich versuchte meiner Gesprächspartnerin, einer taffen Lesbe mit kastanienbraunem Pferdeschwanz, einer runden Brille und einem Bild von ihrer Ehefrau und ihr selbst an der Wand, den Changemanagement-Prozess zu erklären. Wieder und wieder bemühte ich mich, den Geist von Peters Rockstar heraufzubeschwören – eine hungrige Effizienz, ein gewinnendes Auftreten, die Fähigkeit, ein tiefes persönliches Verlangen nach Ordnung in der eigenen Welt in die Verwaltung von Unordnung im Dienste des Kapitals zu verwandeln.
Hinterher war ich aus dem Zimmer getreten und hatte Marina mit ihren Kopfhörern unter einem Seidenkopftuch durch das Wohnzimmer springen und schlängeln sehen. Sie übte für die Vorstellung ihrer Kompanie. Sie legte die Kopfhörer ab.
Wie war es?
Ich denke nicht, dass ich umziehen werde, nach D. C. oder sonst wohin. Zumindest nicht für diesen Job!
Um nicht den Anschein zu erwecken, vor Selbstmitleid zu zerfließen, streute ich noch ein Lachen ein. In diesem Augenblick kam mir ungebeten das rosarote Haus in den Sinn. Mit Marina zusammen zu sein und auch nur den Versuch zu starten, gemeinschaftlich mit meinen Freund* innen in einem Haus zu leben, während ich weiter zur Miete wohnte, aber günstig (aber von welchem Geld?), könnte die Entscheidung rechtfertigen, zumindest noch ein paar Monate in Milwaukee zu bleiben und weiter nach Arbeit zu suchen. Ich sollte, dachte ich, den verdammten Projektplan fertigstellen und ein paar realistische Vorschläge hinzufügen, wie die Vision schrittweise über die Jahre verwirklicht werden könnte.
Marina schlang ihre Arme um mich. Ich spürte, wie etwas in ihr auftaute. Du kannst so lange hierbleiben, wie es nötig ist, sagte sie, und ich wusste, dass wir beide in Gedanken bei dem verweilten, was unsagbar war – Jenny Shins Besetzung ihrer Wohnung, und dass Marina wahrscheinlich gern aus einem Grund zusammenleben würde, der über reine logistische Bequemlichkeit hinausging. Es tat weh. Wer möchte schon in der Wohnung der eigenen Freundin lediglich geduldet sein? Ich gab Marina einen Kuss auf die Wange. Sie roch süßlich und herb.
Ich freue mich so, dass du morgen Alice und Indy kennenlernst, sagte sie. Sie sind der Knaller, so lustig und liebenswert und unterhaltsam. Und sie können es nicht erwarten, dich kennenzulernen, Babe. Ist schon eine Weile her, seit wir beide Spaß hatten. Ich möchte mit dir ausgehen, in Bars gehen, mit meinem Girl tanzen –
Yay, sagte ich und dachte daran, wie viel Getränke in Bars kosteten, was mich nicht ganz so überzeugend klingen ließ. Und ich freue mich auf deine Aufführung, murmelte ich gegen ihr Schlüsselbein.
Du kommst also.
Natürlich komme ich. Sehe ich etwa so aus, als hätte ich einen besonders vollen Terminkalender?
Später an jenem Tag ging ich mit Marinas Kreditkarte zum Public Market, um unsere Weinvorräte für den Besuch aufzufüllen. Die Luft draußen roch nach warmem, frisch geschnittenem Gras. Auf einmal vermisste ich Thom mit einem schmerzhaften Ruck, vermisste ausgerechnet, wie es sich anfühlte, mit einem Freund gemeinsam an der Umsetzung von irgendetwas zu arbeiten, auch wenn es etwas so objektiv Nutzloses war wie der Changemanagement-Plan für einen Inbox-Wechsel. Ich blieb lange vor dem Glaskasten mit den Hummern stehen und sah dabei zu, wie die Kreaturen in Zeitlupe übereinanderkrochen.
Am nächsten Abend wippten zwei goldene Ziffern mit einer Helium-Heiterkeit über Marinas Bücherregal auf und ab. Auf der Arbeitsfläche aus Granit stand gefühlt ein halber Schnapsladen. Auch wenn ich meine Finanzspritzen von Leon’s einberechnete, waren die Flaschen zusammen mehr wert, als ich besaß. Guter Champagner, Tequila, Wodka, Bourbon. Wein, Bier, Sprudelwasser für die Langweiler.
Aus Marinas Badezimmer hörte ich gemeinsames Gelächter, das sanfte Dröhnen eines teuren Föhns. Es waren die letzten Minuten bevor die Gäste erscheinen würden. Ich nahm ein kleines Schnapsglas und spülte meine Demütigung mit einem Schluck von irgendetwas Durchsichtigem und Brennendem hinunter. In gewisser Hinsicht hatten ihre Freundinnen recht gehabt. Niemals wäre mir eingefallen, eine derartige Party zu planen, ganz zu schweigen von deren zweitem Akt: ein Tisch im LaCage, Tanzen im Pint. Selbst wenn ich die finanziellen Mittel dafür gehabt hätte. Ich wäre nicht auf die Idee gekommen, dass eine Person sich wünschen könnte, auf eine solche Weise gefeiert zu werden.
Während der Party war ich unglücklich und nervös, aber ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Irgendwann war ich so betrunken, dass ich kaum noch ein Gespräch führen konnte. Was nicht weiter schlimm war, da ohnehin niemand mit mir sprach. Ich sehnte mich nach meinen Freund* innen, die einzuladen mir in Anbetracht der Tatsache, dass ich finanziell nichts beigesteuert hatte, nicht richtig erschienen wäre. Als Marina die Wunderkerzen auf ihrem Kuchen auspustete, küsste ich sie einen winzigen Augenblick, ehe sie in der Menge verschwand. Danach war ich dazu verdonnert, die große Masse aus Schaum und Zuckerguss in Stücke zu schneiden. Mit einem nicht-klebrigen Lächeln Teller zu verteilen.
Alle Geräusche schienen sich in einer chaotischen Endlosschleife abzuspielen, die Remixe von Maxwell und Metronomy hämmerten in meinem Schädel. So leise ich konnte, brachte ich mich selbst zum Kotzen.
Als ich aus dem Badezimmer kam, stand Alice mit leicht gekräuselter Lippe vor mir. Hi!, sagte ich fröhlich und dümmlich und schlüpfte hinaus in den Flur. Unsicher, wohin ich als Nächstes gehen sollte. Weiter ins Treppenhaus, entschied ich, mit seinem metallischen Echo, seiner weißen Verschwiegenheit. Ich ließ mich schwer auf eine Stufe plumpsen und flüchtete dann, aufgewühlt durch den Lärm der Party, der auch noch durch all diese Türen drang, nach oben. Irgendwelche Bewohner* innen im vierzehnten Stock, eine Etage über Marina, hatten einen zerbrochenen Standspiegel auf ihren Treppenabsatz gestellt. Die Blässe meines Gesichts fuhr wie ein Stromschlag meine Wirbelsäule hinauf. Meine Wangen waren schweißbedeckt vom Erbrechen, meine Wimpern feucht, aber was mich in diesem Augenblick so erschreckte, war, dass ich in jenem dunklen Treppenhaus mit seinen optischen Täuschungen und dem angeschrägten Spiegel für weiß hätte gehalten werden können.
Die Party dröhnte unter mir, zum Glück nun unhörbar, die Party, auf der ich mich so hilflos den Elementen ausgesetzt gefühlt hatte, so auflösbar wie Tigs alte Badekugeln, auf der das einzige andere Braune Gesicht, das ich gesehen hatte, das von Shaka war, der in der Nähe des Kühlschranks herumstand, umgeben von einer Horde hungriger Hetero-Frauen. Ich lief noch weiter die Treppe hinauf und drückte die Tür auf.
Das Dach war dunkel und rein und offen. Ich lief darauf eine Runde, und mein Herz beruhigte sich, bis ich Alice’ Stimme vernahm, ihre Brotmesserschärfe.
Ich bitte dich nur, nicht dein Leben wegzuwerfen für irgendeine Dreiundzwanzigjährige.
Als Antwort ein gequältes Lachen.
Ich spähte über den Rand des Daches und sah Marinas blassen Kopf direkt neben dem ihrer Freundin, zwei Balkone unter mir.