Ich schlief wie ein Stein, wachte von Krach aus der Küche auf und stellte einen sich bereits verschlimmernden Kater fest. Die Neonanzeige des Weckers zeigte 1 :45 Uhr, und der Himmel vor dem Fenster bestätigte, dass es Nacht war.
Marina schien zu kochen – was auch immer. Halbe Knoblauchzehen, an denen noch die papierne Haut klebte, waren überall verstreut. In einem Topf lagen spiralförmige Nudeln in einem konsequent nicht kochenden Wasser herum, an dessen Oberfläche Pilzköpfe wie Bojen wippten. Marinas Gesicht war rot und wütend.
Was, zum Teufel, machst du da?, fragte ich, holte mir ein Glas Wasser und wühlte verzweifelt auf den oberen Regalfächern nach Ibuprofen. Auf der Arbeitsfläche lagen inmitten der verstreuten Becher und leeren Flaschen ein zersprungenes Glas mit Oregano und eine Dose Kurkuma, die anscheinend in der Aufregung vom Regal gefegt worden waren.
Den Mund zu einem sauren Lächeln gekräuselt, begann ich die Scherben des Glases aufzulesen. Marina bat mich zu verschwinden. Ich versuche, verdammt noch mal, bloß, mir irgendwas zu essen zu machen, sagte sie.
Lass mich dir helfen. Hey, deine Fusilli brauchen viel mehr Hitze.
Ich mach das schon, keine Sorge.
Wie war LaCage?
Beschissen. Ihre Schultern sackten nach unten.
Warum?
India hat auf der Toilette Koks ausgepackt, ein paar der Tänzerinnen der Kompanie haben mitgemacht, es war das reinste Chaos. Hat mich einfach aufgeregt. Ich mag nicht, wenn Leute es in meiner Gegenwart nehmen, das sollte sie wissen.
Wegen deiner Mom?
Mit einer besorgniserregenden Planlosigkeit gelbe Zwiebeln zerhackend, stammelte Marina wütend: Hör zu, ich wünschte, du wärst dabei gewesen. Es war mein Geburtstag. Ich weiß, dass du dich nicht gut gefühlt hast. Aber ich – ich hätte dich dort einfach gebraucht.
Auf einmal kam es mir so vor, als würde die Luft aus dem Raum entweichen. Die Wände sackten mit verwirrender Geschwindigkeit in sich zusammen. Es tut mir leid, sagte ich, so leise, wie Marina laut war.
Ich weiß auch nicht! Ich habe das Gefühl, für deine Freundinnen und Freunde würdest du alles tun. Du bist so verdammt romantisch, was sie angeht. Manchmal ist es ja ganz süß anzusehen. Aber manchmal denke ich auch: Scheiß drauf, dann hau doch mit ihnen ab, zieh doch mit Tig zusammen statt mit mir! Ich wünsche mir einfach irgendetwas von dir, ich möchte wissen, dass ich Priorität habe, ich möchte wissen, dass ich der Mensch sein könnte, den du zuerst anrufst. Das wollen doch die meisten Leute: wissen, dass sie für ihre Person, verdammt noch mal, eine Bedeutung haben. Von dir bekomme ich nur eine Wand nach der anderen, als gäbe es da etwas, zu dem ich nicht durchbrechen kann. Manchmal wünsche ich mir einfach eine Tür, verstehst du?
Ich habe dich angerufen, als Peter mich gefeuert hat.
Ach, ich war einfach davon ausgegangen, dass Tig oder Thomas nicht rangegangen sind, spuckte sie aus, warf Zwiebeln und Kartoffeln in einen zischenden Topf und rieb brutal ein Stück Cheddar.
Was soll das überhaupt werden, Marina?
Pasta. Was sonst? Lass mich in Ruhe.
Vielleicht ist das hier nicht das Richtige für dich, sagte ich, und ein vertrautes wundes Gefühl stieg in meiner Kehle auf. Ich würde nicht wollen, dass du dein Leben wegwirfst für irgendeine Dreiundzwanzigjährige.
Ihre Augen wurden so groß und rund wie die eines Rehkitzes.
Wie hast du –
Was soll ich sagen, deine blöde Kuh von einer Freundin hat ein verdammt lautes Organ.
Ich weiß gar nicht – hör zu, sie hat es gesagt, nicht ich, du solltest mir nicht die Schuld dafür geben.
Wer sagt denn, dass sie nicht recht hat? Wieso bist du hier? Du könntest in L. A., Chicago, New York sein, du könntest die nächste Kate Jablonski sein oder wie die alle heißen. Lass dich bloß nicht von mir aufhalten.
Ich behaupte ja nicht, dass ich für immer in Milwaukee leben will! Aber ich habe elf Jahre in den größten Städten der Welt verbracht. Vielleicht möchte ich mir an einem anderen Ort etwas Neues aufbauen! Vielleicht möchte ich mir eines Tages ein verdammtes Haus leisten können. Vielleicht möchte ich heiraten, sofern die Heteros das je erlauben, und mit der richtigen Person ein Kind bekommen und einen gottverdammten Garten haben.
Es herrschte eine lärmende Stille.
Warst du jemals mit Alice zusammen?, fragte ich.
Erneut das Absacken der Schultern.
Ich hatte einmal Sex mit – ich bin einmal mit Alice fremdgegangen, murmelte Marina schließlich. Ich kann mich nicht mal mehr daran erinnern. Ich war so betrunken. Ich war für einen Job zurück in L. A., und es ist einfach passiert. Irgendwie war ich danach erleichtert. Es hat mir die Augen geöffnet. Ich kam zurück und erklärte Jenny, wir müssten uns trennen, sie weigerte sich, es zu akzeptieren, und dann steckten wir noch monatelang fest. Wie auch immer, ich weiß nicht, wie oder was du gehört hast, aber ja, Alice ist definitiv eifersüchtig, das ist sicher ein Faktor, außerdem bist du jünger und heiß und interessant auf eine Weise, wie sie es – nun ja. Aber sie ist immer noch meine Freundin.
Auf mich wirkt sie ehrlich gesagt wie das Letzte.
Tja, also, sie ist eine harte Nuss. Aber sie ist meine Freundin. Wir haben eine Menge zusammen erlebt. Wir waren zwei Kids in Boyle Heights, die versuchten, im Leben Fuß zu fassen, richtige Tänzerinnen zu werden. Ich war ein Baby aus Jerz, das vor seinem Leben wegläuft und etwas aus sich machen will, und sie hat mich unter ihre Fittiche genommen, hat mir gezeigt, wie der Hase läuft. Sie ist immer ehrlich zu mir, was nicht heißen soll, dass sie immer recht hat, aber ich kann darauf vertrauen, dass sie die Dinge ausspricht. Alice sagt mir Bescheid, wenn ich zu viel trinke, also, sie sagt mir, was sie denkt. So was zählt, vielleicht nicht für jeden Menschen, aber für mich. Ich weiß auch nicht.
Arme Jenny, bemerkte ich ätzend.
Marina bedeckte ihre Augen mit der rechten Hand, wandte mir den Rücken zu und brach dann in Tränen aus. Dicht aneinandergedrängte Schluchzer prallten von den Küchenwänden ab. Sie wurden heftiger, als ich meine Arme um sie schlang. Marina versuchte mich wegzuschubsen, sich aus meinem Griff zu winden. Das habe ich nicht so gemeint, wiederholte ich immer wieder, versuchte ihr eine Entschuldigung in die heiße Haut zu reiben, während die Angst in meinen Ohren hämmerte.
Endlich berührte sie mein Gesicht und wischte sich die laufende Nase am Handrücken ab. Ich schaffe das schon, krächzte sie. Wir schaffen das schon. Ich muss nur etwas essen und ein bisschen in Selbstmitleid zerfließen. Es war mein verdammter Geburtstag.
Ja. Ja. Ich räume ein wenig auf, damit du dich hinsetzen kannst, bot ich an. Das Herz voller Reue.
Als ich Teller auf den freigeräumten Sofatisch stellte, hörte ich einen Schrei. Gefolgt von Marinas Kreischen: Sieh mich nicht an!
Baby, was –
Komm nicht her, sieh mich nicht an. Ich mache es sauber. Komm nicht her.
Nach sieben erstarrten Sekunden, in denen ich mich fragte, ob Marina sich wohl in die Hose gemacht hatte, missachtete ich ihre Aufforderung. Marina hielt eine geöffnete Cento-Dose in der Hand. Der silberne Deckel flatterte. Sie zitterte wie Espenlaub. Tomaten überall, am Kühlschrank. Auf dem Fußboden. Auf ihrer Oxford-Bluse.
Ich mache es sauber, sagte sie erneut, ich will keine Hilfe, das blöde Teil ist mir einfach aus der Hand gerutscht. Auch das noch! Die Kirsche auf dem Sahnehäubchen dieses verdammten Eisbechers von einem Abend!
Hinter ihr stieg weißer Rauch von den Kartoffeln auf. Ich trat über die Pfützen aus zerstoßenem pinkfarbenem Fruchtfleisch und schaltete den Herd aus. Lass mich dir helfen, beharrte ich sanft und nahm ihr die gelbe Dose aus der Hand, was anscheinend mit erneutem Eifer Tomatensaft auf den Fußboden spritzen ließ.
Yesu, fluchte ich leise. Führte Marina an die Spüle und hielt ihren Arm unter den so kalt wie möglich eingestellten Wasserstrahl. Die Tomaten wurden davongespült.
Und dann blühte an ihrer Zeigefingerspitze ein dunkelroter Ring auf und ließ ein stetiges Rinnsal ihren Arm hinunter und in die Spüle fließen.
Irgendwann, während ich Marina zum Sofa führte, ihr Eis und ein frisches Handtuch brachte und sie beruhigte, als sie sich nahezu hysterisch weigerte, erneut ins Krankenhaus zu gehen, erreichte ich eine selige äußere Ruhe, auch wenn ich innerlich am Zerfließen war. Gib hier direkten Druck drauf, wies ich sie an, und dann, als eine schwarze Linie Blut ihren nackten Schenkel hinunter auf das Sofa zuraste, erkannte ich, dass mir die Situation über den Kopf wuchs. Ich entschuldigte mich, trat hinaus in den Flur und rief meine Mutter an.