„Ich konnte nicht warten!“, stieß Belinda hervor. „Als ich in dem Café saß und auf dich wartete, bekam ich einen Anruf von meiner Freundin Lizzy. Sie hatte Dienst in der Notaufnahme, und meine Mutter war gerade ins Krankenhaus eingeliefert worden. Es sah nach einem schweren Schlaganfall aus, und sie hätte jeden Moment sterben können.“
Mario hatte das Gefühl, als wäre er frontal gegen eine Wand gelaufen.
„Ich konnte dir auch keine Nachricht hinterlassen“, fuhr Belinda fort. „Ich hatte deine Telefonnummer nicht. Und ich kannte nicht mal deinen Nachnamen! Ich habe nach dir Ausschau gehalten, während ich versuchte, ein Taxi zu kriegen. Aber du warst nicht da. Und der Zeitpunkt, für den wir uns verabredet hatten, war schon vorbei.“
Man merkte ihr an, dass es sie Mühe kostete, die Tränen zu unterdrücken. „Ich wusste, dass du vorhattest, dich mit einer Frau zu treffen, die von dir schwanger war. Sie wollte, dass du sie heiratest. Wir beide waren nur eine einzige Nacht lang zusammen, Mario. Es war absurd zu glauben, dass du wirklich auftauchen würdest oder dass ich mit ihr konkurrieren könnte. Wie hieß sie noch? Juliana?“
„Konkurrieren?“ Mario war erstaunt. Belinda hatte tatsächlich den Namen seiner Exfreundin behalten. „Von Konkurrenz kann gar keine Rede sein.“
„Was meinst du damit?“
Unwillkürlich kam er auf Belinda zu. So nahe, dass er ihre Körperwärme spürte. Er sah, wie ihre Augen sich verdunkelten und ihr eine Träne über die Wange lief.
„Das hier“, stieß Mario rau hervor und riss Belinda in seine Arme. „Das meine ich.“
Er hielt sie eng an sich gepresst, sodass er ihren Herzschlag fühlen konnte. Genau wie seinen eigenen. Mit der Hand, die er in Belindas Locken vergraben hatte, bog er ihren Kopf zurück. Dann gab er dem alles verzehrenden Verlangen nach, diese Frau zu küssen.
Doch Belinda machte sich sofort aus seiner Umarmung los. So als müsste sie jemandem ausweichen, der sie schlagen wollte. Sie wirkte ebenso erschrocken wie er.
Einen Moment lang glaubte Mario, etwas in ihren Augen aufblitzen zu sehen. Etwas, das darauf hindeutete, dass sie sich der überwältigenden Anziehungskraft zwischen ihnen genauso bewusst war wie er.
Aber dann verwandelte sich dieser Ausdruck in etwas anderes. Angst? Nein, unmöglich. Mario hätte Belinda nie irgendetwas antun können. Niemals.
Sie schluckte und versuchte mühsam, ihre Beherrschung zurückzugewinnen. „Was fällt dir ein?!“ Belinda hatte gehofft, dass ihre Worte energischer klingen würden. Aber dummerweise gehorchte ihre Stimme ihr nicht so recht.
Achselzuckend hob Mario die Hände. Diese Geste erschien jedoch wesentlich lässiger, als ihm in Wahrheit zumute war. Er hatte wie unter einem Zwang gehandelt, und so etwas passierte ihm normalerweise nie. War er wirklich darauf vorbereitet, ein zweites Mal von dieser Frau in den Bann gezogen zu werden? Sich aufs Neue verletzlich zu machen?
Auf gar keinen Fall!
Das Vernünftigste wäre gewesen, sich bei Belinda zu entschuldigen, sie aus seinem Büro zu komplimentieren und endgültig aus seinem Leben zu streichen.
Es war das, was sein Verstand ihm sagte. Aber Marios Herz kämpfte dagegen an. Es wollte sich absolut nicht fügen. Vielleicht hatte es an dem leichten Schwanken in Belindas Stimme gelegen, dass er schwach geworden war. Dass er dem Verlangen nach ihr einfach nicht hatte widerstehen können.
Wenn er sie jetzt wegschickte, würde er sie womöglich nie wiedersehen. Doch er brauchte noch etwas Zeit.
Zeit, um nicht nur seinen Kopf, sondern endlich auch sein Herz von ihr zu befreien.
Belinda war vollkommen durcheinander. Hatte Mario sie etwa küssen wollen?
Aus einem Instinkt heraus war sie sofort zurückgewichen. So, wie sie vor einer offenen Flamme zurückgezuckt wäre.
Mario hatte die Macht, sie zu tief zu verletzen. Das spürte Belinda genauso intensiv wie die unglaubliche Anziehungskraft, die dieser Mann noch immer auf sie ausübte. Ihr Herz hämmerte wie verrückt. Und der einzige Schutzmechanismus, der ihr in diesem Moment zur Verfügung stand, war Distanz. Sie musste genügend Abstand halten, um die ungeheure Stärke dieser Anziehungskraft zu verringern.
Nur reichte das leider nicht. Belinda holte tief Luft. „Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?“ Durch ihre bebende Stimme wirkte ihre Empörung jedoch nicht gerade überzeugend.
Die Augenbrauen zusammengezogen, breitete Mario die Hände aus. Es war eine beinahe hilflose Bewegung, die zeigte, dass er die Frage nicht beantworten konnte. Doch dann sah er Belinda scharf an. „Du hast geweint“, meinte er. „Die meisten Frauen möchten getröstet werden, wenn sie weinen.“
Mechanisch fasste Belinda sich an die Wange, die tatsächlich feucht war. „Ich habe nicht geweint“, widersprach sie. Hastig rieb sie sich das Gesicht. „Außerdem muss ich jetzt zurück in die Notaufnahme. Vielleicht ist Lizzy inzwischen gekommen. Bei den Kindern wird sie meine Hilfe brauchen.“
„Ich komme mit“, erklärte Mario.
„Nicht nötig.“ Das war das Letzte, was Belinda wollte.
Mario durfte sie unter keinen Umständen mit den Kindern zusammen sehen. Er brauchte nur zu hören, wie einer der Zwillinge sie „Mummy“ nannte, um die Wahrheit zu erraten. Und wenn das geschah, würde der Teufel los sein. Daran bestand kein Zweifel.
Natürlich musste sie es Mario sagen. Sie konnte seine Kinder nicht einfach wieder mit nach England nehmen, ohne dass er Bescheid wusste. Aber Belinda brauchte Zeit zum Nachdenken. Sie wollte die Sache mit Lizzy besprechen und sich über die möglichen Folgen klar werden. Das Leben, das sie für sich und ihre geliebten Kinder aufgebaut hatte, war bedroht. Und das Ergebnis könnte eine Katastrophe für alle Beteiligten werden.
„Doch, das ist allerdings nötig“, erwiderte Mario gelassen. „Du sprichst weder Italienisch, noch kennst du dieses Krankenhaus. Euer Urlaub wurde unterbrochen, und vielleicht braucht ihr Unterstützung, um eine Unterkunft zu finden und die Rückreise zu organisieren. Mag ja sein, dass du keinen Wert auf meine Gesellschaft legst. Aber ich vermute, dass deine Freundin Lizzy und die Kinder meine Hilfe durchaus begrüßen würden.“ Er hielt Belinda die Tür auf. „Komm mit.“
Mario hatte recht. Er war so vernünftig und rücksichtsvoll. Eigentlich gab es keinen Anlass, sich vor ihm zu fürchten.
Irgendwie kriege ich das schon hin, dachte Belinda im Stillen. Wenn sie möglichst nahe bei Lizzy stand, würde es vielleicht nicht auffallen, wer von ihnen beiden nun gemeint war, wenn die Kinder sie mit „Mummy“ anredeten.
Abgesehen davon wurde es allmählich spät. Ein Blick auf die Uhr zeigte Belinda, dass Marios Arbeitstag wahrscheinlich bald zu Ende war. Bestimmt hatte er eine Frau und mehrere Kinder zu Hause. Immerhin war das einer der Gründe, weshalb Belinda ihn nie ernsthaft gesucht hatte, um ihm von der Existenz der Zwillinge zu erzählen.
„Ich möchte nicht, dass du unseretwegen Überstunden machst“, sagte sie deshalb zu ihm. „Du willst sicher bald nach Hause, um den Abend mit deiner Familie zu verbringen.“
Belinda ging auf die Tür zu. Als Mario schließlich auf ihre Bemerkung reagierte, stand sie daher fast neben ihm. Bei seinem Tonfall blieb sie wie angewurzelt stehen.
„Meine Familie?“