7. KAPITEL

Mario hatte es Belinda sehr leicht gemacht, das schwierige Thema aufzuschieben, das sie unbedingt ansprechen musste.

Doch hier waren weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt dafür. Eine solche Offenbarung würde Mario bestimmt nicht gefallen.

Falls Belinda gesagt hätte, dass für sie die Kinder an erster Stelle kamen, hätte er sofort zwei und zwei zusammengezählt. Aber dass die Zwillinge auch seine Kinder waren, das sollte er wirklich nicht vor seinen Kollegen und in aller Öffentlichkeit erfahren.

Lizzy drückte ihr mitfühlend die Hand. Es war eine verständnisvolle und ermutigende Geste zugleich. Das zeigte Belinda auch, wie viel sie mit Lizzy verband und was sie ihr schuldig war. Jetzt musste sie für ihre Freundin da sein. Lizzy stand kurz vor einer Vollnarkose. Und da sie beide Krankenschwestern waren, wussten sie, dass man das nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte.

Angelina war bereit, die Zwillinge zu der von Mario organisierten Unterkunft zu bringen. Also nahm Belinda ihre Kinder in die Arme und sprach leise mit ihnen, um sich zu vergewissern, dass sie damit einverstanden waren.

Die zwei nahmen es als Spiel und flüsterten zurück: „Ja, Mummy. Wir wollen, dass Angelina auf uns aufpasst. Sie ist nett.“

Letztendlich kam es ihr so vor, als wären ihr alle Entscheidungen abgenommen worden.

Drei Stunden später saß Belinda auf einem Stuhl in einem Zweibettzimmer auf der orthopädischen Station. Lizzy schlief friedlich in einem der Betten und Margaret in dem anderen. Der Chirurg war erfreut darüber, wie gut die Operationen bei beiden Frauen verlaufen waren.

Doch nun, nachdem sie all den Stress hinter sich hatte, merkte Belinda, wie unglaublich erschöpft sie war. Der emotionale Aufruhr des heutigen Tages hatte sie total ausgelaugt. Der Schrecken des Busunfalls, die Angst um das Leben ihrer Liebsten. Der Schock, Mario so unverhofft wiederzusehen. Dann, dass sie Gemma und Stefano zurücklassen musste, um Margaret auf dem Rettungsflug zu begleiten. Die Erkenntnis, dass die Anziehung zwischen ihr und Mario trotz der vergangenen Jahre genauso stark war wie zuvor. Schließlich hatte sie auch noch zusehen müssen, wie ihre beste Freundin in den OP gerollt wurde. Und dann die Anspannung, mit der sie darauf gewartet hatte, dass Lizzy zurückkam.

Es war einfach alles zu viel.

Belinda spürte nichts mehr außer einer merkwürdigen Benommenheit, als Mario nach einer Weile in das Zimmer kam, um sie abzuholen.

„Bist du so weit?“, erkundigte er sich. „Soll ich dich dahin bringen, wo du und die Kinder untergebracht seid?“

Sie stand auf. Sogar ihre Beine fühlten sich taub an. Sie beugte sich über Lizzy und strich ihr ein paar blonde Strähnen aus der Stirn. „Es ist alles in Ordnung“, sagte sie. „Die Operation ist gut verlaufen, und die Schwestern hier sind sehr nett. Morgen früh schaue ich wieder bei euch rein.“

„Mmm.“ Lizzy öffnete die Augen halb. „Ja. Geh ruhig und spiel ein bisschen mit Mario.“ Dann fielen ihr die Augen wieder zu. „Viel Spaß.“

Von wegen Spaß, dachte Belinda. Mit steifen Schritten ging sie zur Tür, wo Mario stand und auf sie wartete. Sie war froh, dass er Lizzys schläfriges Gemurmel dieses Mal sicher nicht mitbekommen hatte. Belinda war viel zu müde, um mit irgendwem zu spielen. Und viel zu erschöpft, um auch nur das geringste Interesse in dieser Hinsicht zu haben.

Sobald sie an der Tür war, streckte Mario die Hand aus und berührte sie am Arm. Eigentlich nicht mehr als eine höfliche Geste, um ihr zu bedeuten, in welche Richtung sie auf dem stillen, nur noch dämmrig beleuchteten Korridor gehen sollten.

Doch diese Berührung seiner Finger auf ihrem nackten Oberarm fühlte sich an wie ein Brandmal.

Belinda spürte die Hitze, die von jeder Fingerspitze ausging und auf ihrer Haut zu glühen schien. Ein Feuer, das ihr ins Blut schoss, sie durchströmte und die gefühllosen Zellen mit Tausenden von Empfindungen überflutete. Auf einmal wurde ihr ganzer Körper mit schmerzhafter Intensität wieder zum Leben erweckt.

„Du kommst mit mir“, erklärte Mario bestimmt.

Unwillkürlich stockte ihr der Atem, als ihr bewusst wurde, was heute vielleicht alles noch geschehen mochte.

Und sie war machtlos dagegen.

„Wir fahren jetzt schon ziemlich lange“, meinte Belinda.

Viel zu lange für ihren Geschmack. Sie saß zurückgelehnt auf dem bequemen, weichen Sitz in Marios niedrigem Sportwagen. Der Ledergeruch schien den männlich-erotischen Duft noch zu verstärken, den sie von der Fahrerseite her wahrnahm.

„Die … Unterkunft liegt etwas außerhalb der Stadt“, antwortete Mario.

„Aber das ist doch meilenweit vom Krankenhaus entfernt“, protestierte Belinda.

Sie versuchte, sich aufzusetzen, aber das ging nicht. Der Sitz war so beschaffen, dass man gar nicht anders konnte, als sich entspannt zurückzulehnen.

„Wie soll ich denn zu Lizzy kommen?“, fragte sie. „Gibt es so weit draußen denn überhaupt noch einen öffentlichen Nahverkehr?“

„Den brauchst du nicht. Dir steht ein Auto plus Fahrer zur Verfügung“, erwiderte Mario.

Energisch schüttelte Belinda den Kopf. „Das gefällt mir nicht, Mario. Ich würde lieber etwas zentraler wohnen.“

„Das hier ist besser für die Kinder“, entgegnete er. „Es gibt dort einen großen Garten. Einen Fluss, frische Luft.“

Belinda machte einen erneuten, allerdings ebenso vergeblichen Versuch, sich aufzurichten, um sich ihm gegenüber zu behaupten. „Das klingt nach einer Art Landgut. Wahrscheinlich eine sehr teure Unterkunft.“

Mario warf ihr einen schnellen Seitenblick zu. „Ist Geld ein Problem für dich, Bella?“

„Nein!“ Sie wurde rot. Doch das lag nur zum Teil daran, dass es ihr peinlich war, über ein so persönliches Thema mit ihm zu sprechen.

Eher hing es damit zusammen, dass er diesen Namen benutzte. Wie konnte es angehen, dass ein einziges Wort sie sofort in die Vergangenheit zurückversetzte? Dass sie sich Dinge wünschte, die niemals Wirklichkeit werden konnten? Belinda brauchte Mario nicht. Ihr Leben war schön, so wie es war. Sie hatte ihre Kinder. Ihre beste Freundin. Ein Zuhause und einen Beruf, der sie erfüllte. Bisher war sie immer glücklich gewesen. Und sie war es noch.

Aber ihre Absicht, sich selbst davon zu überzeugen, wurde komplett vereitelt, als Mario beim Schalten zufällig ihr Bein streifte. Er bog von der Schnellstraße, auf der sie bisher gefahren waren, auf eine andere Straße ab.

Belinda hätte fast laut aufgestöhnt. „Ich bin nicht arm“, sagte sie abweisend. Es fiel ihr schwer, sich von Marios Berührung zu distanzieren. „Ich habe das Haus meiner Mutter geerbt, und außerdem arbeite ich halbtags. Ich komme gut zurecht. Was aber nicht heißt, dass ich es mir leisten kann, mein Geld für eine exklusive Urlaubsunterkunft zu verschwenden.“

„Du arbeitest bloß halbtags? Wieso denn das?“, fragte er erstaunt.

Sie ignorierte die Frage geflissentlich. Glücklicherweise heulte der Motor in diesem Moment auf, da Mario vor einem großen schmiedeeisernen Tor abbremste. Dahinter lag eine dunkle, von Bäumen gesäumte Auffahrt.

„Wo sind wir?“, wollte Belinda wissen. „Ich sehe kein Schild.“

Mario hatte angehalten. „Ich hab dir doch gesagt, dass es sich um einen privaten Wohnsitz handelt.“

„Wessen Wohnsitz?“ Fragend sah sie ihn an, und sein Schweigen war ihr Antwort genug.

„Oh nein!“, rief sie aus. „Das ist dein Anwesen?“

„Sí.“

„Und du hast die Kinder hierherbringen lassen?“ Vor Angst setzte ihr Herzschlag einen Augenblick lang aus. Hatte Mario die Wahrheit bereits erraten? War dies womöglich sein erster Schachzug, um ihr die Zwillinge wegzunehmen?

„Ich habe vor allem dich hierhergebracht, Bella. Und ich nehme an, du weißt auch genau, warum“, gab er zurück.