8. KAPITEL

Mario hatte sie in sein Zuhause mitgenommen. Belinda hatte das zwar nicht erwartet, aber sie wusste natürlich, weshalb er sie hergebracht hatte.

Sie musste den Blick von seinen eindringlichen, dunklen Augen abwenden. Sie wollte nicht, dass er ihr das Gefühl anmerkte, das sie zu überwältigen drohte. Dieses Begehren, das sich in ihr ausbreitete. Belinda sehnte sich danach, ihrem Verlangen endlich freien Lauf zu lassen.

Die Geschichte zwischen Mario und ihr war noch nicht zu Ende. Das ließ sich nicht leugnen.

Das schmiedeeiserne Tor schwang leise auf und schloss sich auch von selbst wieder hinter ihnen, nachdem sie durchgefahren waren. Vor ihnen erstreckte sich ein Anwesen von offenbar riesigen Ausmaßen.

Belinda versuchte, das Gefühl abzuschütteln, dass sie in der Falle saß. Gefangen in einem Strudel der Ereignisse, dem sie nichts entgegenzusetzen hatte. Sie erinnerte sich daran, wie stark sie sein konnte, wenn es nötig sein sollte. Außerdem war sie immer noch imstande, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Auf gar keinen Fall würde sie sich verführen lassen, wenn es für die Kinder auch nur das geringste Risiko bedeutete.

Nicht einmal von Mario Antonelli.

Neugierig schaute sie durch die Windschutzscheibe, als im Scheinwerferlicht ein imposanter alter Palazzo sichtbar wurde, dessen hell getünchte Wände von Kletterpflanzen bewachsen waren. Die harten Ecken und Kanten der Mauern wurden durch leichte Verwitterungserscheinungen abgemildert, ebenso wie durch die hübsch beschnittenen Lavendelhecken, von denen das Gebäude ringsum eingefasst war.

Eine Frau, die Mario als seine Haushälterin Louisa vorstellte, kam heraus, um sie zu begrüßen. Von dem breiten Eingangsportal mit seinen hohen Marmorstatuen führte sie Belinda zunächst durch einen Innenhof und von dort aus weiter zu einem Seitenflügel des Gutshauses.

Das Gästezimmer und das angrenzende Bad waren in kühlen, hellgrünen und cremefarbenen Tönen gehalten. Die elegante Einrichtung hätte sogar einem Luxushotel alle Ehre gemacht. Eine Tür führte zum Nachbarzimmer, wo die Zwillinge auf einem großen Bett aneinandergekuschelt tief und fest schliefen.

„Angeli“, sagte Louisa lächelnd. „Bellissimi!“

Dann, mithilfe von ein paar Brocken Englisch sowie höchst ausdrucksvoller Zeichensprache, forderte sie Belinda freundlich auf, sich zu duschen, und reichte ihr einen dicken, weichen Bademantel. Außerdem nahm sie deren Kleider mit, die für den nächsten Tag gewaschen werden sollten. Und das Essen würde serviert werden, sobald Belinda sich frisch gemacht hatte.

Diese wusste, dass ihre Kinder bis morgen früh durchschlafen würden. Nur eine Bombe konnte sie noch wecken, wenn sie sich nachts von ihrem ungeheuren Energieverbrauch tagsüber erholten. Daher ließ Belinda sich Zeit, um sich zu entspannen, ihren Kopf freizukriegen und neue Kräfte zu sammeln.

Schließlich zog sie den Bademantel an und kämmte sich ihre nassen Locken durch. Da klopfte es an ihrer Tür. Die heiße Dusche und die wunderbaren Körperpflegeprodukte im Bad hatten einen herrlich beruhigenden Lavendelduft auf ihrer Haut und ihrem Haar hinterlassen. Und Belinda freute sich schon auf das Tablett mit Essen, das Louisa ihr versprochen hatte.

Als sie jedoch die Tür öffnete, stand Mario vor ihr. Er hatte ebenfalls geduscht. Feuchte schwarze Locken klebten an seinen Schläfen, und sein Aftershave duftete nach grünem Wald, nach Sonnenschein und … eben nach Mario.

Belinda kannte diesen Duft. Von jener Nacht, als Mario sie an der Hand gefasst und auf eine Entdeckungsreise mitgenommen hatte, die ihr wie ein Märchen erschienen war.

Jetzt streckte er wieder die Hand nach ihr aus. Ohne zu lächeln, aber mit einem so eindringlichen Ausdruck in den Augen, dass es beinahe bittend wirkte. Er lud sie dazu ein, in die Vergangenheit zurückzukehren.

Er wollte sie.

In einem solchen Blick wäre jede Frau versunken, und auch Belinda konnte diesem Sog nicht widerstehen. Sie musste sich an irgendetwas festhalten.

Und Marios Hand kam ihr da gerade recht.

Der vollständig eingeschlossene Innenhof war wohl der romantischste Ort für ein Abendessen im Freien, den Belinda je gesehen hatte. Bunte Lichterketten hingen zwischen den silbrig glänzenden Blättern der Olivenbäume. In kunstvoll geschmiedeten Leuchtern brannten Kerzen, die einen feinen Vanilleduft verströmten. An der Kopfseite eines rechteckigen Teiches sprudelte ein kleiner Springbrunnen. Und am anderen Ende des Beckens funkelte das Wasser im Schein blütenförmiger Schwimmkerzen.

Das Essen war genauso perfekt wie der äußere Rahmen. Auf einem rustikalen Holztisch standen alle möglichen Arten von Fingerfood, das man ohne Besteck essen konnte: knuspriges Ciabatta-Brot und verschiedene Käsesorten, Obst, Oliven und herzhaft gebratene Fleischstückchen. Belinda war überzeugt, dass es sich bei der Flasche, die aus einer weißen Leinenserviette hervorschaute, die den Eiskübel bedeckte, um einen exklusiven Jahrgangssekt handelte.

Es war alles Teil des Märchens, in das sie so mühelos zurückgekehrt war. Und es störte sie nicht, dass sie statt eines hinreißenden Kleides einen Morgenrock trug oder dass ihr Make-up abgewaschen war und ihr Haar in nassen Ringellocken herunterhing. Ihrem Aussehen schenkte sie keine Beachtung, ebenso wenig wie dem Rest der Welt um sich herum.

Wie in einem schönen Traum wusste Belinda intuitiv, dass in der realen Welt alles in Ordnung war. Ihre Kinder befanden sich in der Obhut von Louisa, und ihre Freundin Lizzy wurde im Krankenhaus gut versorgt. Also konnte sie sich diesem Traum einfach überlassen und so tun, als gäbe es keine problematischen Konsequenzen. Wenn sie aufwachte, würde die Realität wieder einsetzen. Aber für den Augenblick konnte sie die wunderbare Fantasie genießen. Und vor allem die Gesellschaft des Mannes, der im Zentrum dieser Fantasie stand.

Als Star in einem Traum, der zunehmend erotischer wurde, spielte Mario seine Rolle perfekt. Er murmelte leise Worte auf Italienisch, voller Zärtlichkeit und Liebe.

Er reichte Belinda ein Glas Sekt und ließ dann seine Fingerspitzen über ihren Arm bis zum Hals hinaufgleiten. An ihrem Kinn entlang, bis er unendlich sanft ihre leicht geöffneten Lippen berührte.

Mario hielt ihr kleine Appetithäppchen an den Mund, von denen er glaubte, dass sie ihr schmecken würden. Weiche Käse und Schinken auf einem Stückchen frischem Brot, eine salzige Olive und eine saftige, reife Erdbeere. Das ganze Mahl stellte eine Art Vorspiel dar, das köstlicher war, als es jedes Essen sonst hätte sein können.

Als Mario sich schließlich erhob und zu Belinda herüberkam, stand sie ohne das geringste Zögern auf. Sie hob ihm das Gesicht zum Kuss entgegen, während er ihre Hüften umfasste. Sie schlang ihm die Arme um den Hals und presste sich an ihn. Ihr ganzer Körper sehnte sich danach, von ihm berührt zu werden.

Mario neigte den Kopf, und seine Lippen waren so dicht vor ihren, dass Belinda nur noch ein elektrisierendes Vibrieren spürte. Es dauerte einen Moment, bis seine Worte in ihr Bewusstsein drangen.

„Heute Nacht, carissima“, flüsterte er. „Heute Nacht gehörst du mir. Sí?

Als ob sie imstande gewesen wäre, Nein zu sagen. Ihr fiel kein einziger Grund ein, warum sie diese Nacht nicht erleben sollte. Es war ja nur ein Traum, oder? Ein Märchen.

„Ja“, hauchte sie.

Dann wurde sie hochgehoben. Belinda hielt sich an Mario fest und bekam nur verschwommen mit, wie er sie vom Kerzenschein und dem rieselnden Springbrunnen wegtrug. In ein Zimmer, das ebenso männlich wirkte wie die starken Arme, in denen sie sich so geborgen fühlte.

Schwere weinrote Vorhänge schlossen alles andere da draußen aus, und derselbe Farbton fand sich auch in den alten persischen Teppichen wieder, die verstreut auf dem gefliesten Fußboden lagen. Das Mahagonibett mit seinem geschwungenen Kopf- und Fußteil glänzte in der sanften Beleuchtung. Dieses Bett war der einzige Ort auf der ganzen Welt, wo Belinda in diesem Moment sein wollte.

Sie wollte von Mario mitten aufs Bett geworfen werden und dabei ihren Bademantel verlieren. Sie sehnte sich danach, die feurige Leidenschaft wiederzuentdecken, die sie mit diesem Mann zusammen erleben konnte.

Belinda wollte es nicht nur, sie brauchte es. Genau das hatte ihr in ihrem Leben gefehlt. Und zwar schon immer. Bevor sie Mario begegnet war und einen kurzen Augenblick des Glücks mit ihm geteilt hatte, aber auch danach.

Unwillkürlich entrang sich ihr ein leises Stöhnen, was seine Wirkung auf Mario nicht verfehlte. Seine Augen verdunkelten sich. Sie wurden fast schwarz, und ein Schauer ging durch seinen Körper, der zeigte, wie sehr er sich beherrschen musste.

Doch schnell hatte er sich wieder in der Gewalt. Jede Bewegung, jede Berührung, jeder Kuss und jedes Zungenspiel wurde von ihm bewusst eingesetzt. Langsam und so unglaublich zärtlich, dass Belinda beinahe die Tränen gekommen wären. Sie wünschte, sie könnte die richtigen Worte finden, um ihm zu vermitteln, wie tief ihre Gefühle gingen. Die richtigen Worte, um auszudrücken, wie sehr sie ihn liebte.

Ihr Liebesakt war wie ein Tanz aus Geben und Nehmen, Schmecken und Berühren. Die unerträglich lustvolle Erregung steigerte sich bis zu dem Punkt, an dem es unmöglich war, noch irgendetwas zurückzuhalten. Als Mario und Belinda im Feuer ihrer Leidenschaft aufgingen und sich darin verzehrten.

Vielleicht dauerte es Minuten, vielleicht auch Stunden. Sie befanden sich an einem Ort, wo Zeit keine Bedeutung hatte. Belinda lag in Marios Armen. Sie spürte seinen Herzschlag, seinen keuchenden warmen Atem an ihrem Nacken.

Wieder und wieder hörte sie ihn ihren Namen sagen.

„Bella …“