Kapitel 11

D as erste Louper-Training der Saison versetzte die Schüler in Aufregung. Außer Luke und Ethan waren fast alle zu früh gewesen und schon fertig umgezogen aufgetaucht. Sie waren bereit, dem Rest des Teams zu zeigen, was für ein Talent in ihnen steckte. Als Luke und Ethan angerannt kamen, waren sie froh zu sehen, dass sie nicht die einzigen Teammitglieder waren, die noch gefehlt hatten. Ein paar Jungs, die schon im Jahr zuvor im Team gewesen waren, schlenderten kurz nach ihnen herein und winkten den Zuschauern auf der Tribüne zu.

Max Regency, der Cheftrainer der SNM Cardinals, trabte in seinem knallroten Trikot auf sie zu. Auf der Vorderseite seines Trikots war ein Abbild des Vogels und auf der Rückseite sein Name und eine große Eins aufgedruckt. Die restlichen Trikots des Teams hatten ebenfalls den jeweiligen Namen des Spielers auf der Rückseite. Ihre Nummern waren danach verteilt worden, wie lange sie schon im Team waren. Professor Regency war dies jedoch egal, ihm ging es um Herz, Können und Motivation. Er hatte seit Beginn der Probetrainings bemerkt, dass es manchen Spielern, die schon länger im Team waren, an allen drei mangelte.

Die erfahrenen Spieler schlenderten umher und winkten ihren Freunden zu, was ihr Trainer sofort unterbinden wollte. Er klatschte in die Hände und schrie den Zuschauern zu: »Wenn ihr nicht zum Team gehört, dann verschwindet vom Spielfeld!«

Die Jugendlichen stöhnten auf und warfen protestierend ihre Hände in die Luft, bevor sie von der Tribüne stapften. Die Spieler rollten mit den Augen und reihten sich in der Gruppe ein. Regency ging hinüber und stellte sich mit einem breiten Grinsen im Gesicht vor sie.

»Ich schätze, ich werde das erste Training mit einer kleinen Rede beginnen müssen. Es ist mir egal, wer letztes Jahr schon in diesem Team war. Es ist mir egal, wer ein Starspieler war. Jeder in diesem Team wird auf dem gleichen Stand beginnen und wie ihr euch verhaltet, trainiert und entwickelt, wird bestimmen, welchen Platz ihr in diesem Team einnehmen werdet.«

Die neuen Spieler sahen einander hoffnungsvoll an. Jeder wollte Stammspieler werden und das Jubeln der Leute auf der Tribüne hören, wenn er auf das Feld hinauslief. Sie alle hatten die Motivation, sich an die Spitze zu kämpfen. Die Älteren schienen sich ihrer Sache jedoch zu sicher zu sein und waren sich offensichtlich nicht bewusst darüber, wie groß die Konkurrenz um sie herum war. Regency nickte seinem Assistenten zu und dieser stolperte über seine eigenen Füße, als er ihm ein Klemmbrett reichte.

»Also gut, Leute, gehen wir die Grundlagen durch. Ich will kein Stöhnen oder Geplapper hören. Einige von euch brauchen eine Auffrischung, andere eine Einführung und ein paar müssen sich daran erinnern, wie zum Teufel man das Spiel überhaupt spielt, weil euer großes Ego dafür gesorgt hat, dass euer Gehirn geschrumpft ist. Louper wird als Team gespielt. Lasst mich das für diejenigen unter euch wiederholen, die scheinbar nicht richtig zuhören können – Louper wird als Team gespielt. Zu Beginn jedes Spiels wird der gewählte Spielmeister einen Zauberspruch sprechen und ihr werdet euch in einer anderen Umgebung wiederfinden. Jedes Spiel wird anders sein. Jedes Mal, wenn ihr dieses Feld betretet, um ein neues Spiel zu beginnen, erwartet euch eine vollkommen neue Situation. Es ist eine virtuelle Welt – ein magischer Zauber, der euch umgibt und in dieser Welt agieren lässt, während ihr eigentlich auf dem Spielfeld herumlauft.

»Am Anfang kann es schwierig sein, sich zurechtzufinden, da je nach Gebiet das, was ihr fühlt, nicht unbedingt mit dem übereinstimmt, was ihr seht. So kann es unter anderem sein, dass ihr euch in einem Sumpf befindet und durch Moore schreiten müsst. Dabei sieht es so aus, als würde euch das Wasser bis zu den Knien reichen und ihr könnt sogar den Gestank des Wassers und der Algen riechen, aber was ihr spürt , ist der Rasen unter euren Füßen. Ihr dürft euch davon nicht ablenken lassen. Wenn ihr das tut, kann ich euch versprechen, dass euer Gegner es spitz kriegt und ausnutzen wird, um euch zu Fall zu bringen.«

Die neuen Spieler sahen sich gegenseitig nervös an. Viele von ihnen hatten Louper schon einmal ausprobiert, aber noch nie in einer richtigen Mannschaft oder mit Magie gespielt. Regency nickte seinem Assistenten zu, woraufhin dieser auf die Spieler zuging und Handbücher mit sich bewegenden, magischen Bildern auf den Einbänden verteilte. Die Regelbücher waren dick und schwer und sie enthielten alles, was sie über das Spiel wissen mussten. Regency bestand darauf, dass sie es so gut wie auswendig können mussten, wenn sie eine Chance haben wollten, das Spiel zu gewinnen.

»Also, wenn ihr nun in dieser virtuellen Zauberwelt seid, arbeitet ihr als Team zusammen, um die verschiedenen Hindernisse und Herausforderungen zu überwinden, während ihr euch mit euren Gegnern messt. Ihr werdet feststellen, dass die Spieler in eurem Alter oftmals gleich stark sind. Ihr solltet also nie übermütig werden. Es gibt immer einen Spieler, der allen anderen in seinem Team weit überlegen ist. Das ist derjenige, auf den ihr aufpassen müsst. Wenn ein Spieler besiegt wird, ist er direkt ausgeschieden. Dass ihr raus seid, merkt ihr spätestens, wenn die virtuelle Welt verschwindet und ihr euch auf dem realen Spielfeld wiederfindet. Das heißt, ihr werdet eure Teamkollegen sehen können, aber ihr seid für sie nicht mehr sichtbar. Für die anderen Spieler seid ihr dann einfach verschwunden, zumindest bis zum Ende des Spiels.«

Ethan kratzte sich am Kopf und neigte ihn zur Seite. »Also, wie gewinnt man ein Spiel?«

Professor Regency lächelte und nickte. »Das ist eine sehr gute Frage, Ethan. Die Antwort scheint recht einfach, die Ausführung ist es jedoch meistens nicht. Wer es bis zum Ende schafft und die Trophäe holt, ist der Gewinner. Selbst wenn es nur eine Person aus dem Team ist, die es bis zum Ende schafft, gewinnt das gesamte Team. Ihr erhaltet jeder einen Preis aus Münzen, die ihr im Kemana verwenden könnt und eine Teamtrophäe. Nur zur Klarstellung, da es in der Vergangenheit diesbezüglich Missverständnisse gab, wird das Preisgeld gleichmäßig unter den Teammitgliedern aufgeteilt, unabhängig davon, wann man im Spiel ausgeschieden ist.«

Die Jungs tuschelten untereinander. Sie hatten nicht gewusst, dass sie einen Preis wie Münzen für das Kemana gewinnen konnten. Es war eine zusätzliche Motivation, als Team zu spielen, damit es wenigstens einer von ihnen bis zum Ende schaffen konnte. Ethan begann zu verstehen, warum der Trainer darauf bestand, dass es eine Teamleistung war. Wenn sie nicht als Teamkollegen zusammenarbeiteten, konnten sie sich nicht gegenseitig beschützen und dafür sorgen, dass jemand, egal wer es aus dem Team war, es bis zum Ende schaffte.

Professor Regency nickte Wyatt zu und winkte ihn zu sich. »Wyatt ist einer der besten Charakterentwickler, die ich je getroffen habe. Er wird euch genau erklären, was ihr tun müsst, um zu den stärksten Spielern der Liga zu werden.«

Wyatt schenkte allen sein übliches charmantes Lächeln und nickte den Jungs zu, als er nach vorne trat. »Also, wir wissen alle, dass es unser Ziel ist, die stärksten, klügsten und mutigsten Charaktere zu entwickeln. Doch die große Frage ist, wie gelingt uns das? Nun, im Grunde ist das, was man in der Realität ist – ob muskulös, klug oder schnell – auch die Ausgangslage fürs Spiel. Wenn du also in der Realität trainierst und Muskeln aufbaust, wird dein Charakter im Spiel auch stärker. Wenn du lernst und schlauer wirst, wirst du dies auch im Spiel und so weiter … Das hört sich alles nach guten Gründen an, im echten Leben schlauer und stärker zu werden, aber ihr müsst bedenken, dass nicht nur die guten Dinge auf eure Charaktere übertragen werden, sondern auch die schlechten. Wenn ihr zu hart trainiert und euch verletzt, wird euer Charakter auch im Spiel verletzt sein. Wenn ihr die ganze Nacht aufbleibt, um zu lernen, zu feiern oder andere Dinge zu tun, über die ich jetzt hier nicht weiter reden möchte, wird sich das auch auf eure Charaktere auf dem Spielfeld auswirken und ihr werdet unaufmerksam. Ich weiß nicht, wie es bei euch ist, aber wenn ich schon müde auf das Spielfeld gehe, fühle ich mich fast doppelt so müde, wenn ich in meinen Charakter schlüpfe.«

Mister Regency klatschte in die Hände und schwenkte seinen Zauberstab. »Also gut, Jungs, mal sehen, was ihr drauf habt. Euer erstes Spiel ist Rot gegen Blau.«

Die Jungs schauten an sich hinunter. Die eine Hälfte trug plötzlich rote und die andere blaue Leibchen. Die Magie von Regency veränderte sich zu einem grünen Nebel, der sie umkreiste und in ihre Nasen und Münder drang. Sie taumelten hin und her, blinzelten heftig und fanden sich auf den Straßen von New York City wieder. Die Aufgabe des Teams war es, verlassene U-Bahn-Tunnel und Wolkenkratzer zu durchsuchen, während sie die Augen nach Gegnern offen hielten.

Luke schien, obwohl er noch nicht so viel gespielt hatte wie einige der Jungs, ein Naturtalent zu sein. Er tauchte auf und verschwand wieder, versteckte sich vor seinen Gegnern, schaltete sie aus und beschützte seine Teamkollegen. Er versuchte mehrmals, Ethan zu retten, aber es war sein allererstes Spiel, also verbrachte er die meiste Zeit damit, an der Seitenlinie zu warten, bis er das nächste Mal an der Reihe war.

Ethan machte das aber nichts aus. Er hatte Spaß am Spiel und konnte es kaum erwarten, besser zu werden. Er hatte bereits beschlossen, Luke aufzufordern, mit ihm zu trainieren, damit er im Spiel stärker und schlauer wurde, was ihm schließlich auch im echten Leben helfen konnte.

Luke war nicht derjenige, der am Ende die Trophäe fand, aber er war immer noch im Spiel, als sie entdeckt wurde und dies war deutlich mehr, als er von dem ersten Trainingstag erwartet hatte. Sein Team, das mit den roten Leibchen, schaffte es, die Spieler des blauen Teams zu schlagen, bevor diese überhaupt ahnen konnten, wo die Trophäe war. Es hatte nicht geschadet, dass Wyatt im Gewinnerteam gewesen war, aber auch unabhängig davon hatte Mister Regency schon erkannt, dass Wyatt und Luke zusammen unschlagbar waren. Als sie in die Realität zurückkehrten, klatschte Professor Regency begeistert in die Hände. Er fand, dass sich die Jungs besser geschlagen hatten, als er es anfangs gedacht hatte.

»Das war wirklich gut, Leute. Richtig gut. Wer hat Lust auf eine weitere Runde?«

Die Jungs jubelten alle, sogar Ethan, der schon ganz schön müde war. Er wusste, dass er sich nie verbessern würde, wenn er nicht ausreichend trainierte und er mochte diese ganze Louper-Sache noch viel mehr, als er ursprünglich geglaubt hatte. Max lächelte und verbreitete erneut grünen Nebel um die Mannschaft herum. Als sie ihre Augen öffneten, fanden sie sich in einer dichten Sumpflandschaft wieder, umgeben von seltsamen Kreaturen, die es alle auf sie abgesehen hatten. Sie rannten um ihr virtuelles Leben. Die Jungen mussten aufpassen, wo sie hintraten, um nicht im Schlamm zu versinken, während sie versuchten, den Sumpf zu durchqueren.

Es dauerte nicht lange, bis Luke und Wyatt erkannten, dass sie alle innerhalb weniger Minuten ausgeschaltet werden würden, wenn sie weiterhin durch den Schlamm behindert wurden. Wyatt blieb stehen und sah Luke prüfend an, um sicherzugehen, dass er das Gleiche dachte. »Also gut, Leute … wenn wir hier lebend und mit der Trophäe in den Händen herauskommen wollen, müssen wir nach oben schauen, nicht nach unten. All diese Lianen sind dick genug, um unser Körpergewicht zu halten. Versucht, euch damit aus dem Schlamm zu ziehen. Ihr werdet einen Widerstand spüren, aber denkt daran, dass es nur ein Zauber ist. Er ist nicht wirklich da, also benutzt euren Verstand, um euch hochzuziehen und weiterzuschwingen, bis wir trockenes Land erreichen. Seid ihr bereit?«

Die Jungs griffen nach den Lianen und schwangen sich mithilfe ihres Körpergewichtes hin und her. Als Luke sich geschickt fortbewegte und Wyatt zufrieden nickte, wusste er, dass er seinen Platz gefunden hatte, auch wenn es nur für ein paar Stunden am Tag war. Wenn er Louper spielte, fühlte er sich wie jeder andere Schüler.