K annst du schlafen?«, flüsterte Izzie und schaute zu Alison, die in dem Bett neben ihr lag. »Ich meine, ich weiß, dass du eigentlich nicht schläfst, aber bist du müde? Oder meditierst du?«
Alison kicherte, schüttelte den Kopf und wandte sich Izzies hell leuchtender Seele zu. »Nein, ich bin nicht müde. Ich bin während der Freistunde hergekommen und habe meditiert. Ich habe mich tagelang nur ausgeruht, anstatt zu schlafen, also hat mich mein Körper quasi zur Meditation gezwungen. Aber im Moment bin ich hellwach. Denkst du, was ich denke?«
»Zeit für einen nächtlichen Spaziergang?«, fragte Izzie aufgeregt.
Alison setzte sich mit einem breiten Lächeln auf und nickte. »Ich dachte schon, du fragst nie!«
Die Mädchen hüllten sich schnell in die wärmste Kleidung, die sie finden konnten. Es war immer noch Februar und der Boden war nicht nur vereist, sondern auch noch mit Schnee bedeckt. Alison und Izzie waren froh, dass sie zu Weihnachten neue Handschuhe und Schals bekommen hatten. Dieser Winter schien zwar nicht so intensiv zu sein wie der im letzten Jahr, aber sobald der Februar kam, sah das Schulgelände grundsätzlich aus wie ein Winterwunderland. Die Äste der Bäume waren von einer Schneeschicht umhüllt, die im Mondlicht glitzerte und schimmerte. Der Schnee unter ihren Füßen war ebenfalls vereist und knirschte bei jedem Schritt unter den Stiefeln. Der Wind, der über die Felder peitschte, war kalt und rau, aber dies störte die beiden Mädchen nicht. Sie waren einfach nur glücklich, einen ihrer Spaziergänge machen zu können. Sie hatten in letzter Zeit viel zu tun gehabt und Izzie war erschöpft gewesen, nachdem sie tagelang ihre Erinnerungen durchforstet und über alles nachgedacht hatte, was passiert war. Daher war es schon eine Weile her, dass sie einen Spaziergang gemacht hatten.
»Geht es dir besser? Ich meine, nachdem du vor ein paar Tagen einfach aus der Klasse herausgerannt bist, habe ich mir echt Sorgen gemacht«, fragte Alison, als sie über das Gelände liefen.
Izzie zuckte mit den Schultern und sah zu den Sternen auf. »Ja, ich denke schon. Mir sind nur ein paar Dinge wieder eingefallen, das war alles wirklich verwirrend und hat mich überrumpelt. Es scheint, als würde sich alles in meinem Leben ständig verändern und ich komme einfach nicht hinterher. Meine Träume sind wie Erinnerungen und meine Erinnerungen sind wie Träume und nichts scheint mehr zusammenzupassen. Ich weiß es nicht … Vielleicht werde ich die Wahrheit nie erfahren, aber ich muss zumindest versuchen, sie herauszufinden.«
Alison streckte ihre Hand aus und drückte Izzies. Sie schenkte ihr ein Lächeln. »Du musst tun, was du für richtig hälst. Wenn es für dich das Beste ist, deiner Vergangenheit auf den Grund zu gehen, dann unterstütze ich dich natürlich.«
Izzie drückte ihre Hand zurück. »Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann.«
Die Mädchen gingen zum Stall, quetschten sich zwischen den großen Türen hindurch und schalteten das Licht an. In der ersten Box stand das hübsche Fohlen, das im letzten Jahr geboren worden war. Allerdings war es deutlich gewachsen. Es war schon fast halb so groß wie seine Mutter. Sein Fell glänzte und seine Mähne stand wie ein Irokese von seinem Kopf ab. Sobald es Izzies Stimme hörte, kam es direkt zur Stalltür und rieb seine Nase an Izzies Stirn. Izzie lächelte und küsste es auf die Nase.
»Du weißt wirklich, wie man jemanden aufheitert.« Sie kicherte und warf einen Blick auf Alison.
Die Mädchen setzten sich vor den Boxen ins Stroh. Izzie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand.
»Freust du dich auf die Party am Valentinstag dieses Jahr?«
»Weißt du, das tue ich tatsächlich. Letztes Jahr war mega und ich glaube, dieses Jahr wird noch besser werden. Ich liebe es, wenn alle tanzen, weil es dann überall so viel Magie zu sehen gibt. Die Energie im Raum ist verrückt und dadurch kann ich fast alles sehen – ganz zu schweigen von der Aufregung, die die Luft elektrisiert.«
Izzie lächelte breit. »Außerdem hat Luke mich schon gefragt und Tanner hat dich auch schon eingeladen. Es ist schön, mit einem Date zur Party zu gehen. Bei der ersten Party, auf der wir waren, bin ich mir ziemlich sicher gewesen, dass ich das Mauerblümchen sein würde, mit dem niemand tanzen wollte.«
Alison lachte und schüttelte den Kopf. »Das würde ich nie zulassen. Wenn dich sonst niemand zum Tanzen aufgefordert hätte, wären du und ich über die Tanzfläche geschwebt, so wie Ethan und Peter es jedes Jahr tun.«
Die Mädchen kicherten bei dem Gedanken an Peter und Ethan, die über ihre eigenen Füße stolperten und einander umherwirbelten. Sie störten immer die romantischen Paare, aber alle anderen fanden es urkomisch. Alison räusperte sich, tippte nervös mit den Fingern auf ihr Knie und blickte zu dem beruhigenden Wirbel, der sich durch Izzies Energie bewegte.
»Weißt du, Winter mag dich.«
Izzie lachte spöttisch und antwortete ironisch: »Ja, wahrscheinlich. Wie kommst du denn darauf? Es ist eine Party zum Valentinstag, nicht Halloween, um Himmels willen. Willst du mir Albträume bescheren?«
Alison brach in Gelächter aus und schüttelte den Kopf. »Ich meine es ernst. Er steht total auf dich.«
Izzie rümpfte die Nase. »Als ob. Er kommt aus einer der dunklen Familien und gibt sich alle Mühe, gemein zu mir zu sein. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er mich den Wölfen zum Fraß vorwerfen würde, wenn er könnte. Lach nicht, du weißt, wie ich das meine.«
Alison zuckte mit den Schultern und beobachtete die Seelen der Pferde. »Er ist ja nicht immer so. Die meiste Zeit kann er seine Augen nicht von dir abwenden. Ich bin ja nicht die einzige, der es aufgefallen ist. Jedem in eurer Nähe ist es schon aufgefallen. Er starrt dich an, als würde er dahinschmelzen und immer, wenn du in Lukes Nähe bist, sieht er aus, als würde es ihm sein Herz zerreißen. Wenn er nicht von dunkler Magie umgeben wäre, wäre es irgendwie süß.«
»Ich finde das überhaupt nicht süß. Man kann nicht jemanden mögen und ihn gleichzeitig wie Dreck behandeln. Außerdem würde Luke ihn zum Abendessen verspeisen, wenn er wüsste, dass Winter so fühlt. Wandler nehmen Familie sehr ernst. Sie sind super loyal. Bevor du was sagst, bezüglich dem Wort Familie , ich meine damit nicht blutsverwandt, sondern diejenigen, um den sie sich wirklich sorgen.«
Alison stand lachend auf und hob ihre Hände. »Okay, okay. Ich habe nicht vorgeschlagen, dass du Luke fallen lässt und auf die dunkle Seite wechselst. Ich wollte dir nur erzählen, was in seiner Seele zu sehen war, als ich euch beide beobachtet habe.«
Izzie lachte halbherzig. Sie hasste die Vorstellung, dass Winter Gefühle für sie haben könnte. Er gehörte zu einer Gruppe von Menschen, die magische Wesen verachteten, die nicht so dunkel waren wie sie. Obendrein waren sie für die Erschaffung vieler Gestaltwandler verantwortlich. Luke war ein Wandler. Vielleicht nicht einer, der direkt von den dunklen Familien erschaffen wurde, aber definitiv einer, der von ihnen missbilligt wurde. Egal, ob Winter tief im Inneren ein guter Kerl war oder nicht, er würde sie erst verstehen, wenn er aufhörte, mit den anderen dunklen magischen Wesen herumzuhängen.
Alison und Izzie schalteten das Licht aus und schlossen das Scheunentor hinter sich, dann gingen sie den Hügel hinunter zum Waldrand, in dessen Nähe sich Dorvu in der Regel befand. Als sie dort ankamen, pfiffen und riefen sie nach ihm, aber hörten kein Schmatzen in den Büschen, wie es normalerweise der Fall war. Stattdessen flog ein Schatten über sie hinweg und verdunkelte den Mond für einen Moment. Izzie sah auf und beobachtete, wie der Drache versuchte, direkt über ihnen in der Luft anzuhalten. Er wackelte hin und her, während seine Flügel wild schlugen und er im zickzack flog. Dann überschlug er sich, verlor an Höhe und fiel in eine riesige Schneewehe, die einige Meter von ihnen entfernt war.
Dorvu steckte seinen Kopf aus dem Schnee, neigte ihn zur Seite und blickte liebevoll in Alisons und Izzies Richtung. Alison konnte die wild wirbelnde Energie des Drachens sehen und kicherte. Er führte etwas im Schilde, höchstwahrscheinlich etwas Schelmisches. Dorvu hatte tagelang geübt kontrolliert zu fliegen, aber er hatte es nie über eine kurze Strecke hinaus geschafft, bevor er zu Boden stürzte.
»Es sieht so aus, als würde unser kleiner Kumpel wirklich ein echter Drache werden«, lachte Izzie.
Alison schaute auf die zurückgebliebene Energiespur über ihrem Kopf, die bis zur Seele des Drachen führte. »Es sieht so aus, als würde er es immer nur diese kurze Strecke schaffen, aber zumindest versucht er es. Wir können ihm da ohne Flügel auch nicht wirklich helfen.«
Izzie seufzte. »Es wäre verdammt cool, wenn wir über das Schulgelände fliegen könnten. Ich müsste nie wieder auf den Fluren Scarlett aus dem Weg gehen.«
Die Mädchen lachten und quatschten weiter über all die Dinge, die sie tun würden, wenn sie fliegen könnten. Sie tätschelten dem Drachen zum Abschied den Kopf und machten sich auf den Weg zu Horaces Hütte. Als sie die Spitze des letzten Hügels erreichten, sah Izzie den Rauch eines kleinen Feuers vor Horaces Hütte. Die Mädchen fassten sich an den Händen und rannten den Hügel hinunter. Sie kicherten und mussten aufpassen, nicht zu stolpern und in den Schnee zu fallen.
Horace saß in seinem klapprigen alten Holzstuhl am Feuer und sein Golden Retriever an seiner Seite. »Hey, Mädels, schön euch zu sehen. Ich habe zwei zusätzliche Stühle hergestellt, nur für den Fall, dass ihr heute Abend auftaucht. Scheint, als hätte ich den richtigen Riecher gehabt.«
Izzie lächelte, als sie sich neben Horace auf einen Stuhl fallen ließ und den Hund streichelte. »Das ist klasse, danke. Wir suchen immer nach dir, wenn wir draußen sind.«
Alison lächelte und nickte. »Das stimmt, obwohl ich glaube, dass unsere Runden mit der Zeit immer länger werden. Es ist fast so, als hätten wir jetzt eine Checkliste mit all den Orten, die wir aufsuchen müssen.«
Horace lachte, während er sich die Hände am Feuer wärmte. »Ja, so ist das meistens im Leben.«
Izzie rieb ihre Hände aneinander und lächelte Horace an. »Erzähl uns eine Geschichte, Horace. Etwas aus längst vergangenen Zeiten.«
»Etwas von vor langer Zeit, hm? Tatsächlich hat mir erst diese Woche jemand etwas erzählt, das ich noch nicht gewusst habe. Scheinbar haben vor Tausenden von Jahren genau hier in Charlottesville, Riesen auf diesem Gelände gelebt.«
Alison starrte Horace überrascht an und beobachtete, wie seine Energie um ihn herumwirbelte. »Wirklich? Als ob gigantische Riesen auf diesem Gelände Platz hätten?«
Horace nickte. »Anscheinend. Ich find das ziemlich interessant und tatsächlich sagt man, dass die Riesen unsere Seen und Bäche in dieser Gegend ausgehöhlt und somit erschaffen haben. Natürlich klingt das mehr nach einem Märchen als nach der Realität, aber gleichzeitig lebe ich in einer Hütte hinter einer Zauberschule, also weiß ich auch nicht, was ich noch glauben kann.«
Die Mädchen lachten und hörten zu, wie Horace weitere Geschichten erzählte, die er von den Professoren aufgeschnappt hatte. Er wusste alles Mögliche, Geschichten über magische Kreaturen, Kriege, die große Liebe und viele mehr. Als er fertig war, fielen den beiden Mädchen immer wieder ihre Augen zu. Sie liebten seine Erzählungen, aber die Sonne ging bald auf und sie hatten bereits früh am Morgen Unterricht.
»Ihr Mädels seht aus, als würdet ihr gleich auf euren Stühlen einschlafen.« Horace grinste. »Ich nehme es euch nicht übel, das hat wahrscheinlich auch nichts mit meinen erzählerischen Fähigkeiten zu tun.«
Izzie lachte, stand auf und strich das Hundefell von ihrer Hose. »Ganz und gar nicht. Ich habe sehr gerne zugehört, aber ich muss zugeben, dass ich ziemlich erschöpft bin.«
Auch Alison stand auf, nickte und streckte ihren gesamten Körper. »Ich auch. Ich liebe die Geschichten, aber selbst ich werde langsam müde und wir müssen bald zum Unterricht.«
Die Mädchen verabschiedeten sich und machten sich auf den Weg zurück zur Schule. Izzie blickte ein letztes Mal über ihre Schulter, bevor sie die Eingangshalle betrat. Wenn sie so über das hügelige Gelände schaute, konnte sie sich gut vorstellen, wie die Riesen früher dort gelebt hatten.