Kapitel 17

P asst auf, geht in Deckung!«, schrie Wyatt, wedelte mit einem Arm über seinem Kopf und duckte sich hinter einem Felsen.

Die Jungs waren wieder beim Louper-Training und kämpften diesmal auf einem Berghang auf Oriceran. Viele von ihnen waren noch nie auf Oriceran gewesen und es fiel ihnen schwer, sich auf das Spiel zu konzentrieren, wenn es so viele Dinge um sie herum zu entdecken gab. Trainer Regency versuchte, verständnisvoll zu sein. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass insbesondere die neuen Spieler häufig in Spielen auf Oriceran scheiterten.

Coach Regency hatte einen Zauber angewandt und schwebte über der Szene. Mit Adleraugen beobachtete er, wie seine Spieler interagierten und notierte sich, welche Fähigkeiten sie noch härter trainieren mussten. Er begann jedoch zu bemerken, dass dieses Szenario nicht einfach zu überblicken war. Ein Spielfeld, wie die Straßen des postapokalyptischen Chicago oder eine Arena tief unten im Ozean von Atlantis hätten vielleicht besser funktioniert.

»Kommt schon, Jungs, lasst euch nicht ablenken! Ich weiß, ihr habt Oriceran noch nie gesehen, aber wenn ihr euch auf diesen Kampf konzentriert und ihn übersteht, kann ich euch alle hierher zurück zaubern, damit ihr alles ein wenig länger erkunden könnt. Ihr werdet jedoch nichts zu sehen bekommen, wenn diese Drachen angreifen und euch zu Toast machen.«

Regency stöhnte, rieb sich mit seinen kleinen Händen über das Gesicht und holte tief Luft. Er sah zu, wie mehrere seiner Spieler mit einem Happs gefressen wurden, als der Drache am Berghang vorbeiflog. Seine Klauen trafen mehrere der anderen, die daraufhin den Hang hinunter in den Tod stürzten. Die im Spiel gestorbenen Schüler fanden sich enttäuscht auf dem realen Spielfeld wieder.

»Euer Gegner wird euer Sightseeing zu seinem Vorteil nutzen«, rief der Trainer. »Denkt doch mal nach, wenn ihr in einem Spiel mit einer anderen Mannschaft wärt und die halbe gegnerische Mannschaft wandert herum, riecht an den Rosen und schaut in den Sonnenuntergang, was würdet ihr tun? Ihr würdet es zu eurem Vorteil nutzen. Ihr würdet das ganze verdammte Team auf einen Schlag mit einem riesigen Drachen ausschalten!«

Luke nickte, kletterte über einen Felsbrocken und kickte einen Zombie vom Hang. Er rannte weiter. Es ging ihm ziemlich gut dafür, dass ihm nach der ganzen Aktion am Valentinstag die Motivation gefehlt hatte. Als er seine Mitspieler erreichte, streckte Henry seinen Fuß hinter einem Felsen hervor und stellte ihm ein Bein, während Wyatt ihn zu Boden warf und lachte.

»Wenn du mit den großen Jungs spielen willst, musst du lernen, immer aufmerksam zu bleiben.«

Luke brummte und schob Wyatt zur Seite. »Ich war noch nie hier. Das ist alles fremdes Territorium und ich kann es nicht gebrauchen, dass meine Teamkollegen mir mittendrin einen Strich durch die Rechnung machen.«

Wyatt lachte und zuckte mit den Schultern. »Ich war schon auf Oriceran und kenne diesen Berg in- und auswendig. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass mein Vater diesen Berg schon bestiegen hat. Natürlich hatte er es nicht mit Zombie-Angriffen, Drachen oder gefährlichen Zauberern zu tun, die sich hinter jeder Ecke versteckten. Sein Ziel war es einfach, den Gipfel zu erreichen, was er auch tat. Tatsächlich liegt dieser Berg direkt am Rande des Dunkelwaldes und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich den Gärtner in der Ferne gehört habe.«

Regency gab Wyatt einen Klaps auf den Hinterkopf. »Los, Jungs, konzentriert euch!«

Sie kehrten mit ihrer Aufmerksamkeit zurück zum Spiel. Einer nach dem anderen wurde eliminiert und Henry fand sich am Ende auf der Spitze des Berges wieder, um die Trophäe abzuholen.

* * *

Izzie betrachtete sich im Spiegel und versuchte die fliegenden Härchen zu glätten, die aus ihrem Pferdeschwanz herausgerutscht waren. Sie wischte mit ihren Fingern unter ihren Augenlidern entlang, um den verschmierten Eyeliner abzuwischen. Die nächste Probe von Der Zauberer von Oz stand an und sie wollte dafür gut aussehen. Aus irgendeinem Grund hatte sie das Gefühl, dass sie hübsch sein musste, um Dorothy zu spielen. Ihr war bewusst, wie albern es war, dass sie sich allein durch Make-up gut fühlte, aber ihr machte es trotzdem Spaß, es aufzutragen.

Als sie mit ihrem Aussehen endlich zufrieden war, zog sie ihre Chucks an, schnappte sich vorsichtshalber ihre Jacke und verließ den Schlafsaal. Die restlichen Mädchen im Gemeinschaftsraum schienen zum ersten Mal seit einer Weile nicht gestresst zu sein und lächelten ihr zu. Sie schauten Filme, lernten oder saßen in Grüppchen zusammen und kicherten über den neuesten Klatsch. Izzie dachte darüber nach, wie schön es war, dass für einen Moment alles normal wirkte.

»Hey, Izzie«, rief eines der Mädchen und winkte ihr zu.

»Hey«, antwortete Izzie freundlich.

»Gehst du zur Probe? Ich freu mich schon total auf die Aufführung. Sieh mal, hier sind schon meine Karten.«

»Klasse«, antwortete Izzie. »Das freut mich zu hören, es wird eine wirklich tolle Show.«

Obwohl Izzie froh war, dass die Leute fleißig Karten kauften, machte es sie auch sehr nervös. Sie war noch nie vor großem Publikum aufgetreten, jedenfalls nicht, soweit sie sich erinnern konnte. Es war ihr Debüt und Dorothy war schon immer ihre Lieblingsfigur gewesen. Die anderen Mädchen im Waisenhaus und sie hatten häufig ihre Lieder gesungen. Vielleicht lag es daran, dass Dorothy ihrem Trauma entkommen war und sich in einer schönen neuen Welt wiederfand. Dies war etwas, wovon Izzie glaubte, dass es sich alle Waisen wünschten, auch wenn sie sich eigentlich kaum an die Zeit oder die Kinder dort erinnern konnte.

Auf dem Weg zur Aula kam Izzie am Treffpunkt der Schülerfirma vorbei. Sie hielt kurz inne, als sie hörte, wie Grace eine Runde Applaus für ihre Erfindung erhielt. Izzie konnte nicht anders, als stolz auf sie zu sein. Nebenan war die Gruppe der zukünftigen Manager versammelt, die Izzie um jeden Preis vermeiden wollte. Sie hielten an diesem Tag eine Sondersitzung ab, um die Schülerwahlen zu besprechen und zu entscheiden, wen sie wählen würden, wenn sie nicht selbst kandidierten. Die Wahlen waren für sie eine ernste Angelegenheit, auch wenn Izzie sie für lächerlich hielt.

Als Izzie durch die Türen der Aula kam, lächelte Professor Fowler und winkte. »Dorothy, ich meine Izzie, komm mal her. Es scheint, als könnten wir beginnen.«

Izzie ließ ihre Büchertasche auf einen der Stühle fallen und stieg die Stufen zur Bühne hinauf. Sie holte tief Luft und ging zu ihrer Markierung. Die Scheinwerfer blendeten sie, weshalb sie ihre Augen verdecken musste. Irgendwer hatte sie wohl aus Versehen verstellt. Als es endlich jemand bemerkte und den Scheinwerfer ausschaltete, stand Scarlett plötzlich neben Izzie. Scarlett tat ihr Bestes, um die Rolle der Hexe überzeugend darzustellen, auch wenn der Rest der Schüler sich der Ironie der Besetzung bewusst war.

Professor Fowler begann, die Melodie von Somewhere over the Rainbow zu summen. »Also gut, Izzie, heute werden wir endlich »Somewhere over the Rainbow «, üben. Wir fangen an, sobald du bereit bist.«

Izzie war extrem nervös, aber da ihr niemand Aufmerksamkeit zu schenken schien, sondern sich alle unterhielten und lachten, während sie auf ihre Einsätze warteten, hoffte sie, dass sie das Lied ohne größere Zwischenfälle überstehen würde. Sie atmete tief ein und presste ihre Hände gegen ihr Zwerchfell, dann schaute sie zum Klavierspieler hinüber und nickte. Die Musik begann und sie schloss die Augen. Sie stand im glühenden Licht der Scheinwerfer und stellte sich vor, wie es wäre, Dorothy zu sein.

»Somewhere over the rainbow

way up high … «

Als sie fertig war, bemerkte sie, dass alle still geworden waren und nun in den vorderen Reihen der Aula saßen, um ihr beim Singen zuzuhören. Die Schüler waren bezaubert davon, wie schön ihre Stimme klang. Es war, als wäre das Lied nur für sie geschrieben worden. Alison saß versteckt im hinteren Teil der Aula, da sie ihre Freundin nicht nervös machen wollte. Sie hörte zu, wie Izzies wunderschöne Stimme durch die Aula hallte, aber noch schöner war die Seele, die auf der Bühne funkelte. Sie lächelte, stolz darauf, wie gut Izzie sich schlug.

Die Tür auf ihrer linken Seite wurde aufgeschlagen, was alle erschreckte. Die Gnome, gekleidet in ihren Munchkin-Kostümen, ignorierten das Gekicher der Schüler und bahnten sich ihren Weg hinein, wobei sie sich fast synchron fortbewegten. Hinter ihnen liefen einige genervte Erstklässler, die nun mit der Probe für ihre Szenen als fliegende Affen dran waren, obwohl sie nicht wussten, wie sie sich das eingebrockt hatten. Alles, woran sie sich erinnerten, war, dass Professor Fowler ihnen eine Art Keks angeboten hatte und sie kurze Zeit später ihre Kostüme in der Hand hielten. Mittlerweile war es auch zu spät, um einen Rückzieher zu machen, denn sogar die Direktorin hatte ihnen für ihre Mithilfe bei der Schulaufführung gedankt. Sie hofften nur, dass keiner ihrer Freunde auftauchen würde.

»Ich kann nicht glauben, dass man uns das aufgebrummt hat«, jammerte einer der Neulinge. »Das ist die unbedeutendste Rolle, die man bekommen kann und ich sehe lächerlich aus, habe keinen Text und fuchtle mit den Armen auf der Bühne herum wie ein Idiot.«

Scarlett kicherte und schnippte dem Erstklässler gegen die Stirn. »Denk daran, es gibt keine kleinen Rollen, nur kleine Erstklässler.«

Sie begannen einen weiteren Durchlauf des gesamten Stücks. Die meisten Schauspieler waren es schon ein Dutzend Mal durchgegangen, aber jeder wusste, dass Professor Fowler absolute Perfektion erreichen wollte. Sie stand wie eine Dirigentin direkt vor der Bühne, fuchtelte mit den Armen und verlangte, dass alle ihren Text weiter übten, auch wenn sie ihn perfekt gesprochen hatten.

Izzie machte das aber nichts aus. Sie hatte ihren Text auswendig gelernt.

Scarlett biss die Zähne zusammen und zwang sich zu einem Lächeln. »Ich kann natürlich glücklicher tun. Davon träume ich schon lange.«

»Oh, gut«, antwortete Professor Fowler mit einem freudigen Aufschrei und klatschte in die Hände, während sie auf die andere Seite der Bühne ging.

Scarlett lehnte sich zurück, rollte mit den Augen und schnaubte genervt. Izzie musste ihr etwas zugestehen. Sie gab sich wirklich Mühe, nett zu klingen und für Scarlett war das eine besondere Leistung. Sie hätte sich genauso gut von dem Stück abmelden können, als sie nicht ihre Wunschrolle bekommen hatte, aber stattdessen nahm sie die Situation an und machte das Beste daraus. Allerdings fand Izzie es schon irgendwie seltsam, dass die Rolle der Guten Hexe ausgerechnet mit ihr besetzt worden war.