H ier bitte, Misses Berens«, sagte eine der Schülerinnen und reichte ihr die frisch gedruckte Ausgabe der SGM Times .
»Danke, meine Liebe«, antwortete die Direktorin und nahm die Zeitung entgegen. Sie klemmte sie unter ihren Arm, während sie durch den Flur ging und die Schüler zu ihrem nächsten Unterricht scheuchte.
Als alle in den Klassenzimmern verschwunden waren, setzte sich die Direktorin auf eine Bank und blätterte in der Zeitung. Es gab Artikel über die bevorstehenden Abschlussprüfungen, einen Bericht über die Valentinstagsparty, wobei glücklicherweise der Teil ausgelassen wurde, in dem sich die Wandler in Wölfe verwandelt hatten und eine ausführliche Beschreibung anderer Ereignisse rund um die Schule, darunter die baldige Schulaufführung und das erste Louper-Match des Jahres. Sie lächelte und klappte die Zeitung zu, wobei sie fast den Artikel auf der Titelseite übersah. Das Bild auf der Vorderseite zog ihre volle Aufmerksamkeit auf sich.
Peter hatte einen Artikel über das illegale Go-Kart-Rennen geschrieben, das auf dem Schulgelände stattgefunden hatte. Es war die neueste Schlagzeile für den Sportteil, den die Times wegen des gestiegenen Interesses an den bevorstehenden Louper-Spielen hinzugefügt hatte. Sie kniff die Augen zusammen, las den Artikel und war amüsiert darüber, dass keine Namen genannt wurden.
»Die Geschwindigkeit und Kraft der Go-Karts übertraf alles, was ich je gesehen habe. Die Fahrer zeigten sich voller Tapferkeit, während sie durch den Wald rasten und dabei nur ein Meter Fahrbahn vor ihnen sichtbar war. Hätte nicht einer der ungenannten Fahrer – ihr wisst, wer gemeint ist – unrechtmäßig einen Hauch von dunkler Magie ausgeübt, wäre ein gewisser Mittelstufenschüler der Sieger gewesen. Leider wurde das Rennen direkt danach abgebrochen und die Schüler kehrten zur Schule zurück.«
Misses Berens las den Artikel laut vor, ihre Stimme wurde lauter vor Frustration.
Ganz oben war ein unscharfes magisches Bild zu sehen, dass die Rennautos zeigt, die jedoch zu schnell davonrasten, um irgendwelche Gesichter erkennen zu lassen. Sie sah auf, als eine Schülerin mit ihren Büchern an der Brust vorbeihastete und versuchte, keinen Blickkontakt herzustellen. Sie räusperte sich und stand auf.
»Melanie, ich möchte, dass du Peter für mich holst. Du weißt schon, der …«
Melanie nickte. »Ich weiß, wer Peter ist. Er arbeitet für die Zeitung, richtig?«
Misses Berens nickte und das Mädchen huschte los, um Peter zu suchen. Sie seufzte und ging in ihr Büro, um auf den Jungen zu warten. Nervös tippte sie mit den Fingern auf die Zeitung, die auf ihrem Schreibtisch lag und schaute auf die Holzkiste im Regal. Als ob sie nicht schon genug Sorgen hatte, musste sie sich jetzt auch noch darum kümmern, dass Schüler nicht nur illegale Zaubereien auf dem Schulgelände verübten, sondern auch noch in der Zeitung darüber schrieben.
Zu allem Überfluss hatte sie auch noch mit Izzies Aktion im Zaubertränkeunterricht zu tun. Nun, sie war sich bewusst, dass durch das Einatmen der Kräuter jeder Visionen bekommen hätte, aber es beunruhigte sie, dass Izzies Vision nicht aus Sonnenschein und Gänseblümchen bestanden hatte. Ihre Version schien gefährlich und von dunklen Gedanken beeinflusst gewesen zu sein und handelte wahrscheinlich von ihrer Vergangenheit, von der sie eigentlich nichts wissen sollte. Die Direktorin wurde von Sekunde zu Sekunde besorgter darüber, dass Izzie anfing, sich an Dinge zu erinnern, an die sie sich eigentlich nicht erinnern sollte. Selbst wenn sie in Form von Träumen oder Visionen kamen, von denen Izzie sich nicht sicher sein konnte, ob sie real waren, war das gefährlich. Das Schlimmste aber war, dass Misses Berens nicht wusste, was sie dagegen tun konnte. Aufgrund der Erinnerungskugeln, die immer dunkler wurden und ihrer Unfähigkeit, Izzies Eltern ausfindig zu machen, gab es nicht viel, was sie tun konnte. Es war zu gefährlich, ihr die Wahrheit zu sagen, nicht nur für ihren Verstand, sondern auch um Izzie nicht anfälliger für Attacken seitens ihrer Jäger zu machen. Es war jedoch offensichtlich, dass die Jasper-Elfe viel zu mächtig wurde.
In diesem Moment hörte sie ein leises Klopfen an der Tür.
»Herein«, rief Direktorin Berens.
»Ja, Misses Berens?«, fragte Peter nervös, als er das Büro betrat.
»Setz dich.« Sie schob ihm die Zeitung zu. »Ich möchte, dass du mir sagst, wer das Go-Kart-Rennen organisiert hat.«
Peter verschluckte sich fast an seiner Spucke und hustete. »Es tut mir leid, aber ich kann meine Quellen nicht preisgeben. Das ist eine Regel für Reporter.«
Direktorin Berens war angespannt, daran bestand kein Zweifel, aber bei Peters Antwort und dem ernsten Blick auf seinem Gesicht konnte sie sich ein Lächeln nur schwer verkneifen. »Aber du weißt, dass es eine Grenze gibt, oder?«
Peter sah verwirrt aus. »Welche Grenze?«
»Die Grenze wird überschritten, sobald sich Schüler in Gefahr begeben und die Situation nicht mehr allein bewältigen können. Bevor es zu spät ist!«
Peter lief es kalt den Rücken hinunter, als er an die schrecklichen Dinge dachte, die während dieses Rennens hätten passieren können. Nicht nur wegen der Verletzungsgefahr bei Unfällen oder einem außer Kontrolle geratenen Go-Kart, sondern auch da die Schule seit geraumer Zeit immer wieder von dunkler Magie heimgesucht wurde. In Wirklichkeit war er sich nicht sicher, ob er in einer Gefahrensituation schnell genug hätte handeln können, um zu verhindern, dass jemand ernsthaft verletzt wurde.
»Ja, ich verstehe das Problem«, sagte er mit zittriger Stimme.
»Gut. Es ist eine sehr komplexe Welt da draußen und ein Teil dieser Welt versucht, der Schule zu schaden. Als Journalist muss es dein Ziel sein, alles im Auge zu behalten. Ich möchte, dass du erkennst, dass man die Grenzen manchmal schneller erreicht, als einem bewusst ist.«
* * *
Am nächsten Tag begannen die Freunde mit einem neuen Unterrichtsfach, das eigentlich für später im Jahr angesetzt worden war. Professor Rupert Wilson war ein Lichtelf mit silbernem Haar, das ihm über den Rücken hing und einer jugendlichen Ausstrahlung, obwohl er schon mehrere hundert Jahre alt war. Sein Unterrichtsfach war Dimensionslehre . Er war ein lustiger Lehrer, dennoch nahm er seine Arbeit ernst, da er wusste, dass es für die Schüler lebenswichtig war, diese Art von Magie zu verstehen. Sie konnte nützlich sein, aber gleichzeitig auch extrem gefährlich.
»Morgen! Mein Name ist Professor Wilson und ich bin euer Lehrer für Dimensionslehre für den Rest dieses Schuljahres. Ihr fragt euch wahrscheinlich, was Dimensionslehre ist. Nun, dieses Fach umfasst viele Inhalte, aber für dieses Jahr werden wir uns darauf beschränken, einen Blick zurück auf die Geschichte der Lehre zu werfen und das aus mehreren Perspektiven. Wenn ihr an eure Schulbücher denkt, werden die meisten Geschichten aus Sicht der Gewinner erzählt, oder? Nun, die meisten Leute verstehen nicht, dass nicht immer alles schwarz oder weiß ist. Gleichzeitig, egal wie sehr wir die Sieger bewundern, waren sie nicht immer auf der richtigen Seite.«
Professor Wilson nahm eine Schachtel in die Hand und begann, im Klassenzimmer herumzugehen. Er nickte jedem Schüler zu, während er allen eine Brille überreichte. Die Schüler sahen ihn einen Moment lang verwirrt an, starrten auf die schwarz umrandeten Brillen hinunter und fragten sich, warum in aller Welt sie diese brauchen würden. Sie waren mit der Erwartung zum Unterricht erschienen, dass der Lehrer ihnen Texte vorlesen oder sie Präsentationen vorbereiten lassen würde, aber anscheinend hatte Professor Wilson eine andere Vorstellung. Als alle Brillen verteilt waren, kehrte der Professor nach vorne zurück und nahm seine eigene Brille in die Hand.
»In Ordnung, setzt eure Brillen auf.«
Die Schüler setzten sich jeder eine Brille auf die Nase und keuchten. Was wie eine normale Brille aussah, war alles andere als normal. Als sie sie aufsetzten, fanden sie sich in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort wieder.
»In meinem Unterricht lernt ihr, wie ihr alles, was ihr bisher in anderen Fächern gelernt habt, kombiniert und in der Realität anwendet. Das ist sehr wichtig, für manche Situationen in eurer Zukunft sogar überlebenswichtig. Zuerst beschäftigen wir uns mit den Unruhen 1968 in Chicago während der Democratic National Convention, einschließlich der Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den friedlichen Demonstranten im Grant Park. Ich habe es so gestaltet, dass die rechte Linse die Ereignisse aus der Sicht der Polizisten und die linke Linse die Situation aus der Sicht der Demonstranten zeigt.«
Die Schüler sahen zu, wie Tausende von Polizeibeamten auf Antikriegsdemonstranten zu marschierten, die McCarthy und den Rückzug aus Vietnam unterstützten. Der Professor stellte einige Fragen, um die Schüler auf jedes Detail aufmerksam zu machen. Die meisten der Schüler waren auf der Seite der Demonstranten.
»Was würdet ihr in der Situation tun?«
Kathleen hob die Hand. »Wenn ich dort gewesen wäre, hätte ich mich hingesetzt, wie sie es während der Civil-Rights-Märsche getan haben. Wenn ich einer der Polizisten gewesen wäre, hätte ich das Gesetz befolgt und keine unbewaffneten Menschen angegriffen. Einige der Polizisten waren zwar nicht aggressiv, aber ich finde, dass das Nichtstun und zusehen, wie die Kollegen unschuldige Menschen attackieren genauso schlimm ist. Der Job der Polizisten ist es, die Bevölkerung zu schützen und das haben sie nicht getan.«
Ethan schüttelte den Kopf. »Ich denke, die Polizisten waren im Unrecht, aber gleichzeitig haben sich die Demonstranten auch unfair verhalten. Denkt mal darüber nach, wie es sein muss, vor einer Gruppe von Leuten zu stehen, die einen stundenlang verspotten, während man sich alles gefallen lassen soll. Menschlich oder magisch, wir haben alle eine Toleranzschwelle und es sieht für mich so aus, als ob die Polizisten einfach aufgrund der Situation durchgedreht sind. Diese Zeit war wirklich schrecklich und alle waren von dem Verlust so vieler Menschenleben in Vietnam betroffen.«
Der Professor tippte sich ans Kinn. »Wenn du dabei gewesen wärst, wie hättest du dich verhalten? Hättest du Magie eingesetzt? Und wenn ja, was hätte das gebracht?«
Izzie holte tief Luft und hob ihre Hand. »Es kommt wirklich auf die Situation an. Ich denke, wenn Magie eine alltägliche Sache im menschlichen Leben wäre und die Demonstranten sie verantwortungsvoll eingesetzt hätten, um die Situation zu entschärfen, hätte sie helfen können. Gleichzeitig hätten die Polizisten sie nutzen können, um die Menge zu beruhigen.«
Sie diskutierten verschiedene Szenarien und ließen sich von dem Thema mitreißen. Viele ertappten sich dabei, dass sie die Argumentationen beider Seiten verstanden und es schockierte sie. Am Ende hatten alle die Unterrichtseinheit genossen und freuten sich bereits auf die nächste. Einigen Schülern war von den Brillen übel geworden, daher mussten sie mit dem Kopf zwischen den Knien sitzen und tief durchatmen.
Direktorin Berens kam ins Klassenzimmer und ging nach vorne zu ihrem Kollegen. Sie schmunzelte, als sie an den betroffenen Schülern vorbeiging, die immer noch versuchten, ihre Übelkeit zu kontrollieren. Professor Wilson stellte die letzten Brillen zurück in den Kasten und nickte der Direktorin zu. Er wusste, dass sie vorbeikommen würde, hatte sie aber früher erwartet. Daher nahm er an, dass sie mit anderen Dingen beschäftigt gewesen war. Professor Wilson wollte sich nicht einmal vorstellen, wie schwer es war, die Direktorin dieser Schule zu sein. Sie lehnte sich an den Schreibtisch, verschränkte die Arme und nickte in Richtung der Brillen im Kasten.
»Wie haben sie sich geschlagen?«
Professor Wilson zuckte mit den Schultern. »Wie ich es erwartet habe, überall neue Eindrücke und Meinungen.«