E s war Spieltag und die SGM Cardinals waren in aller Munde. Die ganze Schule war voller Aufregung und Vorfreude. Luke und seine Mannschaftskameraden liefen schon den ganzen morgen nervös durch die Flure und das Aufwärmen hatte noch nicht einmal begonnen. Sogar Wyatt und Henry waren aufgeregt und das kam so gut wie nie vor.
»Ich bin nur gestresst, weil es das erste Spiel dieses Jahr ist, das ist alles«, behauptete Wyatt und rollte mit den Augen.
»Möglich oder vielleicht ist es, weil wir bei weitem nicht genug trainiert haben und uns die andere Mannschaft absolut fertig machen wird«, sagte Henry mit panischer Stimme.
»Du bist so ein Pessimist. Mach dich mal locker. Wenn du so spielst, bist du nach drei Sekunden erledigt. Du weißt doch, dass das nur die Nerven sind. Ich weiß nicht, warum du dir das immer wieder antust.«
Wyatt hatte recht, ob Henry es hören wollte oder nicht. Beim ersten Spiel des Jahres wurde er so nervös, dass er sich regelmäßig übergeben musste, bevor er auf das Spielfeld ging. Gleichzeitig hatten die Cardinals ihre ersten Spiele der Saison gewonnen, seit er zwei Jahre zuvor ins Team gekommen war, also war seine Nervosität auch irgendwie sein Glücksbringer.
An diesem Nachmittag waren die Gegner der Cardinals die Sandpipers, eine Privatschulmannschaft aus der Bay Area. Louper war nicht die bekannteste Sportart und es wäre ein wenig langweilig, würden sie nur gegen andere Teams aus der Region spielen. Magie ermöglichte es den beiden Mannschaften, gegeneinander zu spielen, ohne jemals einen Fuß auf dasselbe Feld setzen zu müssen. Das war das Praktische an Magie. Sie sparte der Schule nicht nur Geld, sondern bewahrte die Schüler auch vor realen Handgreiflichkeiten zwischen den Teams, die ein echtes Problem gewesen waren, als die Mannschaften tatsächlich zum Spielen anreisen mussten.
Die Zuschauer auf den Tribünen konnten die Spielzüge beider Mannschaften auf ihren Feldern verfolgen, aber die Spieler konnten nur ihr eigenes Team sehen. So blieb das Spiel fair und sicher und konnte von fast jeder magischen Schule aus gespielt werden. Wyatt stieß Henry mit dem Ellbogen in die Seite und nickte dem Team zu.
»Sie sehen nicht viel stärker aus als letztes Jahr.«
Henry gluckste. »Gut, denn wir haben sie letztes Jahr besiegt und ich würde das wirklich gerne wiederholen. Doch ich will eine Herausforderung. Ich habe keine Lust, mich die ganze Zeit zu langweilen.«
Die Spieler stellten sich auf dem Spielfeld auf. Sie sahen das andere Team gerade lange genug, um einander zuzunicken und einen kurzen Eindruck der gegnerischen Mannschaft gewinnen zu können, dann mussten sie sich auf sich selbst konzentrieren. Der Schiedsrichter nahm seinen Platz in der Mitte des Feldes ein, dann pfiff er und hielt die Hand in die Luft, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu gewinnen.
»Es gelten die gleichen Regeln wie immer«, rief der Schiedsrichter. »Ihr habt ein gemeinsames Ziel und die Gewinnermannschaft muss dieses Ziel als erstes erreichen. Heute werdet ihr euch durch die Savannenlandschaft von Kenia kämpfen. Egal, ob euer Team direkt in den Kampf einsteigt, eine Unterbrechung zur Lagebesprechung beantragt oder eine Erkundungsgruppe losschickt, um den Rest der Simulation zu erkunden, euer Fokus liegt darauf, das Ziel zu finden, ohne vorher zu sterben. Viel Glück für beide Teams.«
Der Schiedsrichter wirbelte seinen Zauberstab über seinen Kopf und erzeugte eine blaue Kuppel über dem Feld. Die Jungs schlossen ihre Augen und als sie sie wieder öffneten, standen sie inmitten der Savanne. Die Teams würden sich Leoparden und Zombies, die Schätze bewachten, der heißen Sonne und wütenden Elefanten stellen müssen, anstatt Touristen zu spielen. Um sie herum fanden sie nur eine üppige Graslandschaft vor und am Horizont erkannten sie die Wolkenkratzer von Nairobi. In der Ferne rannte eine Gazellenherde vor einem Löwen davon, der sich anpirschte.
Die Landschaft war atemberaubend schön, aber die Spieler waren nicht zum Sightseeing dort. Sie wussten, dass einige Gefahren in den Schatten lauerten und sich höchstwahrscheinlich ebenfalls in den Gebäuden der Stadt versteckten. Dies war nicht einfach nur eine schöne afrikanische Savanne. Es war eine virtuelle Welt, die darauf ausgelegt war, die Spieler durch Magie abzulenken, sie dann aus dem Spiel herauszureißen und auf dem Feld stehenzulassen, damit sie sich wie Idioten fühlten, während die Leute auf der Tribüne sie anstarrten. Keiner aus dem Team wollte das gern erleben.
Wyatt forderte alle auf, sich zu versammeln. »In Ordnung, Leute. Wir wissen, was zu tun ist. Wir haben eine Vorstellung davon, was auf uns zukommt und es ist wichtig, dass wir uns nicht von der Kulisse ablenken lassen. Wir spielen gegen ein anderes Team und wir müssen das Ziel unbedingt vor ihnen erreichen. Also lasst uns als Team zusammenhalten und wenn von uns nur noch eine Person übrig bleiben sollte, feuern wir sie vom Spielfeldrand aus an, auch wenn sie uns nicht sehen kann. Wir teilen uns in drei Gruppen auf. Eine geht raus in die Savanne, eine in die Stadt und eine die Straße beim Tierschutzgebiet runter, etwa drei Meilen östlich von hier. Ihr wisst alle, was eure Aufgabe ist, wenn ihr den Schatz seht. Vertraut mir, wir werden es wissen, wenn einer ihn gefunden hat. Viel Glück da draußen Jungs und passt aufeinander auf.«
Das Team hielt die Hände in die Mitte des Kreises und rief seinen Schlachtruf, wie sie es immer vor dem Training taten. Die Nervosität war in den Gesichtern der Neulinge deutlich zu sehen, als sie sich zu kleineren Gruppen zusammenschlossen und in die ihnen zugewiesenen Richtungen aufbrachen. Es war unwahrscheinlich, dass einer von ihnen das Ende des Spiels von der virtuellen Welt aus miterleben würde, aber jeder Spieler hatte seine Aufgabe in ihrem Masterplan und eine Rolle, die er erfüllen musste, ob groß oder klein, um das Ziel zu erreichen und den Schatz zu finden.
Luke schmierte sich etwas schwarze Schminke auf die Wangen und reichte sie an seine Teamkollegen weiter. Er war einer der Jungs, die sich auf den Weg in die Savanne machten. Seiner Meinung nach war es das beste Versteck für den Schatz, denn niemand wollte von einem Löwen gefressen werden. Die meisten aus seiner Gruppe waren Neulinge, genau wie er. Sie hatten das Spiel also alle noch nie im echten Modus gespielt. Luke machte das aber nichts aus. Er hatte zuvor nur mit seinem Vater gespielt und obwohl er ein Talent für Louper hatte, hatte ihn der Vorfall auf dem Ball verunsichert.
»Seid wachsam, Jungs. Hier draußen gibt es eine Menge Kreaturen, die jede Sekunde Unaufmerksamkeit ausnutzen werden, flüsterte Luke, während sie weitergingen.
»Geht es dir gut nach der ganzen Partysache?«, fragte einer der Jungs.
»Mir geht’s gut, danke, dass du fragst. Du bist so ziemlich der Einzige, der das getan hat.«
»Kein Problem, Bro. Ich hatte eigentlich schon früher vor, zu fragen, aber ich wollte dich nicht vor allen in Verlegenheit bringen. Ich weiß, wie das sein kann.«
Luke klopfte ihm auf die Schulter und nickte, weil er genau wusste, was er meinte. Sein Teamkollege hatte beim ersten Training nicht die leiseste Ahnung gehabt, wie Louper funktionierte. Das ganze Spiel war ihm fremd gewesen. Doch als sie das erste Mal zusammen gespielt hatten, hatte Luke festgestellt, dass die Unerfahrenheit gar kein großes Problem war. Tatsächlich war der Junge ziemlich gut darin geworden, aber seine große Schwäche war, dass er sich leicht von seiner Umgebung ablenken ließ, wann immer sie Leerlauf hatten. Es war eine schwer zu durchbrechende Angewohnheit, wenn man an Orte geschickt wurde, an denen man noch nie gewesen war und wo man schon immer mal hinwollte.
Durch die Ereignisse der vergangenen Wochen war Lukes Selbstvertrauen angeknackst und mit ihm auch seine Vorsicht. Er kniete sich im Gras hin, ohne darüber nachzudenken und blickte neugierig zu den anderen Jungs, als deren Augen groß wurden und sie langsam zurückwichen. Er neigte seinen Kopf zur Seite und verstand nicht, was ihr Problem war, bis er das Knirschen von Pfoten hinter sich hörte. Als er sich umdrehte, erkannte er auf Kopfhöhe einen Leoparden. Aus seinem Mund tropfte Speichel und sein Magen knurrte so laut, dass Luke erschauderte. Bevor er sich bewegen konnte, griff der Leopard an. Luke fiel zurück, legte den Arm über sein Gesicht und wartete auf einen tödlichen Biss.
Als er nach ein paar Sekunden immer noch nicht spürte, wie sich die Zähne des Leoparden in ihn bohrten, öffnete er überrascht die Augen. Enttäuscht stellte er fest, dass er frühzeitig aus dem Spiel genommen worden war. Er schlug mit der Faust auf den Boden, gedemütigt und entmutigt. Dieses Spiel fütterte seine Selbstzweifel, die er durch die Party bekommen hatte, nur weiter. Obendrein hatte er seitdem Izzie gemieden. Nicht, weil er sie nicht sehen wollte – er wollte sie sehr gerne sehen – sondern weil es ihm zu peinlich war, was passiert war und wie er sie behandelt hatte, um ihr gegenüberzutreten.
Die Menge tobte auf der Tribüne und jubelte dem Team lautstark zu. Als Luke jedoch auftauchte, ertönte ein tiefes Stöhnen. Sie hatten alle gedacht, er sei einer der besten Spieler, aber das war das Spannende am Louper – man wusste nie, wann der nächste Bösewicht um die Ecke kam und einem den Hals aufschlitzte. Bei Luke war es der Biss eines Leoparden gewesen, während sich die beiden anderen Jungs auf dem Feld in Fallen verfangen hatten, die im Dreck aufgestellt waren. Der letzte war von einem Zombie gefressen worden. Sie waren alle neu im Team, also war Coach Regency nicht sonderlich überrascht. Jedoch hatte er sich von Luke Größeres erhofft, auch wenn er versuchte, verständnisvoll zu sein, da er wusste, was er gerade durchmachte.
Das Spiel ging weiter. Luke nahm auf der Bank an der Seitenlinie Platz und verfolgte die nächsten Schritte seiner Teamkameraden. Er zog jedes Mal eine Grimasse, wenn einer seiner Teamkollegen rausflog. Es blieb nie aus, dass sie auf eine grausame und möglichst unterhaltsame Art und Weise ausgeschaltet wurden. Es sah nicht gut für sie aus. Das andere Team hatte noch mehrere Spieler auf dem Feld, während ihr Team nur noch aus Wyatt bestand, der im Moment verloren zu sein schien. Er kämpfte jedoch tapfer und am Ende gewannen die Cardinals zur Überraschung aller.
Die Fans hatten fassungslos dagesessen, als Wyatt sich in einer kleinen Höhle am Rande der Ebene versteckt und dort noch vor den Sandpipers die Trophäe gefunden hatte. Es war nicht nur Muskelkraft, mit der sie das Spiel gewonnen hatten. Es war auch Köpfchen und eine ganze Menge Glück. Der Preis bestand aus Münzen, die gerecht unter ihnen aufgeteilt wurden, damit sie im Kemana ausgegeben werden konnten. Außerdem waren sie der Teilnahme am Meisterschaftsturnier einen Schritt näher gekommen, welches das große Ziel aller Spieler war.
Luke, der ein guter Teamkollege sein wollte, ging zu Wyatt hinüber und klatschte ihn ab. »Das war super cool, Bro. Tut mir leid, dass ich so früh ausgeschieden bin.«
Wyatt grinste und zuckte mit den Schultern. »Nur damit du es weißt, in meinem ersten Spiel hat mir ein Gegner den Kopf von den Schultern abgetrennt, sobald ich die Welt betreten habe. Ich habe nicht einmal die Karte zu Gesicht bekommen.«
Sie lachten beide und Luke war einfach nur froh, dass Wyatt ihn ausnahmsweise mal nicht ärgerte.