Kapitel 22

E s hätte der friedlichste erste April seit Langem sein können, aber sobald die Sonne unterging und die Grillen zu zirpen begannen, kam die dunkle Magie zum Vorschein. Die magischen Wesen, die in der Stadt lebten, hatten sich an die Anwesenheit der dunklen Magie gewöhnt. Auch die dunklen Schüler der Schule und ihre Eltern, die herkamen, um nach ihren Kindern zu sehen oder sie nach den Ferien absetzten, zogen kaum noch Aufmerksamkeit auf sich. Als sich also ein paar dunkle Zauberer in einem leeren Gebäude in der Nähe des Friedhofs von Charlottesville trafen, beunruhigte das niemanden besonders.

»Weißt du was? Ich finde es schon urkomisch, dass sie hier alle diese Fallen und Sensoren aufgestellt haben, um sicherzustellen, dass wir nicht zurück in die Stadt kommen und dann nichts machen, wenn wir tatsächlich hier sind. Sie sind echt zu gutgläubig, wenn sie so doof sind, uns zu erlauben, unsere Kinder in ihre Schule zu schicken. Ich weiß nicht, warum sie nicht damit rechnen, dass wir das total ausnutzen werden.«

Der ältere dunkle Zauberer schmunzelte, rückte die Kapuze seiner Robe zurecht und setzte sich auf einen steinernen Sarkophag. Sein langes graues Haar rutschte unter der Kapuze hervor und verdeckte einige der Furchen, die seine Wangen und Stirn zierten. Er war ein mächtiger Zauberer, der viele Jahrhunderte lang dunkle Magie praktiziert hatte und an der Seite von Rhazdon eine lange Zeit auf Oriceran gelebt hatte.

»Ich sagte doch, diese Lichtwesen setzen zu viel Vertrauen in die Welt. Sie denken, sie können uns täuschen, verjagen oder sogar vom Licht überzeugen.« Die Zauberer lachten laut auf und ihre Stimmen hallten von den Wänden der alten Hütte wider, in der rissige und zerbrochene Grabsteine und andere Friedhofsausstattungen, Gartengeräte und ein kleiner Schreibtisch für den Friedhofswärter untergebracht waren.

»Sie haben jahrhundertelang versucht, uns auszuschließen, Phaedrus. Aber mit deinen enormen Kräften weißt du besser als jeder andere, dass sie uns nicht mehr lange in Schach halten können. Wir finden immer einen Weg.« Der jüngere Zauberer nahm seine Kapuze ab und schüttelte sein dunkles Haar über der Rückseite seines Gewandes aus.

Phaedrus nickte und wirbelte seinen Zauberstab wie einen Taktstock zwischen seinen Fingern hin und her. »Der junge Apollo«, er lächelte den anderen Zauberer an. »Du bist viel weiser, als ich dachte. Aber was mich wirklich beschäftigt, ist, dass wir im Moment keinen Zugang zu den Schülern haben, die wir manipulieren müssen. Die Jugend ist die Kraft hinter aller Magie. Sicher, die Ältesten wie ich sind da, um sie in die richtige Richtung zu schubsen, sie zu unterrichten und das Chaos aufzuräumen, wenn es zu turbulent wird, aber sie sind die wahren Akteure. Wir brauchen sie, um voranzukommen.«

Apollo biss sich auf die Lippe und ging in dem kleinen Raum hin und her, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Sie waren aus einem bestimmten Grund nach Charlottesville gekommen, gleich nachdem Direktorin Berens die drei dunklen Zauberer in der Stadt bezwungen hatte. Sie hatten versucht, das entstandene Chaos schnell zu beseitigen, aber es war zu spät. Die Schule war bereits in Alarmbereitschaft und suchte nach jeder Spur von dunkler Magie in der Nähe der Schule. Außerdem hatten sie es den dunklen Familien und Zauberern fast unmöglich gemacht, zu verfolgen, was in der Schule vor sich ging.

Apollo nickte, holte tief Luft und blieb vor Phaedrus stehen. »Leider ist unser Plan mit dem Toombie gescheitert und der Junge konnte von den Professoren der Schule geheilt werden. Inzwischen haben sie herausgefunden, was wir vorhatten und sie rechnen damit, dass wir es wieder versuchen.«

»Das heißt, es ist Zeit für einen neuen Plan.« Phaedrus lächelte schmierig.

»Es wird schwierig, Pläne zu machen, solange wir dunkle Familien haben, die ihre Kinder in die Schule schicken«, sagte Apollo und rollte mit den Augen. »Was denken die denn, was mit ihren Kindern passiert? Dass die magischen Lichtwesen die Dunkelheit aus ihren Seelen löschen können? So funktioniert das nicht. Sie kommen dem in die Quere, was unser Schicksal ist.«

»Atme tief durch, Apollo. Es ist noch nicht alles verloren. Es ist egal, dass einige der dunklen Familien ihre Kinder auf diese Schule schicken. Ich denke sogar, dass es perfekt zu dem Plan passt, über den ich in letzter Zeit viel nachgedacht habe.«

Apollo lehnte sich gegen einen Stapel Stühle und hörte gespannt zu, wie sein Mentor einen Plan erläuterte, den er schon lange vor der Sache mit den Toombies zu schmieden versucht hatte. »Siehst du, Apollo, wir können diese Kinder benutzen, um ein Zeichen zu setzen, nicht nur gegenüber der Lichtmagie, sondern auch gegenüber den dunklen Familien, die anscheinend vergessen haben, auf welcher Seite sie stehen. Man muss ihnen nur einen Schrecken einjagen. Wir können diese Familien nicht einfach bedrohen. Sie haben genauso viel Macht wie einige von uns. Wenn wir ihre Kinder in Gefahr bringen, lösen wir damit einen Krieg aus. Dieser Plan ist wasserdicht. In der Geschichte waren die simpelsten Pläne oft die Besten. Stell dir vor, es gab eine Gruppe von Soldaten, die sich im Krieg mit einer anderen Gruppe befand. Sie bauten ein großes Pferd, versteckten sich darin und wurden in der Mitte ihrer Feinde willkommen geheißen. So konnten sie alle hinterhältig abschlachten. Etwas so Einfaches kann auch auf magische Menschen angewendet werden. Wir haben auch genug naive Hexen, Zauberer und Elfen.«

Apollo gackerte und rieb aufgeregt seine Hände. »Womit sollen wir anfangen? Lassen wir ein paar fies aussehende Kreaturen los, um den Schutzzauber der Schule zu durchbrechen? Die könnten wirklich einiges aufmischen, auch einige der dummen, kleinen Professoren, die meinen, sie könnten die dunklen Familien besiegen. Besonders gerne würde ich den Kopf von Direktorin Berens auf einem Mast hoch über dem Dach des Herrenhauses aufgespießt sehen.«

Phaedrus lachte, klopfte Apollo auf den Rücken und schüttelte den Kopf. »Ich mag es, wie motiviert du bist und finde es gut, dass du über den Tellerrand hinausschaust, aber ich möchte, dass du dich ein wenig zurückhältst und über die Konsequenzen deiner Handlungen nachdenkst. Solche Kreaturen auf dem Schulgelände freizulassen, wäre ein bisschen zu unkontrollierbar. Die Professoren und die Regierung wüssten sofort, dass wir dahinterstecken. Wir wollen nicht kopflos in den Kampf gehen und uns unseren Gegnern ausliefern. Wir müssen ihnen Angst einjagen, aber so, dass sie nicht wissen, vor wem sie sich fürchten müssen.«

Phaedrus ging zum Fenster hinüber und blickte auf das Friedhofsgelände hinaus. Er kratzte mit seinen Fingernägeln am Glas, um die Feuchtigkeit, die sich darauf niedergelassen hatte, wegzuwischen. Er mochte die Leidenschaft, die Apollo an den Tag legte, aber er befürchtete auch, dass ihm sein Übereifer schaden könnte. Wenn Phaedrus ihn nicht bald zügelte, würde er noch alle verraten.

»Meine ursprüngliche Idee hatte auch mit dunklen Kreaturen zu tun, aber jetzt, wo ich die Situation hier erkundet habe, glaube ich nicht mehr, dass das die beste Lösung ist. Wir brauchen etwas, das genug Aufmerksamkeit erregt, dass sie besorgt sind, aber nicht so viel Aufmerksamkeit, dass sie auf uns kommen. Es ist besser, sie sich noch etwas in Selbstgefälligkeit wiegen zu lassen, als ihnen direkt zu zeigen, wozu wir fähig sind. Der Moment für den großen Kampf wird noch kommen, aber manche Lichtmagier sind auch nicht ohne. Um eine erneute blutige Schlacht zwischen den dunklen Familien und den Lichtmagiern zu vermeiden, müssen wir behutsam vorgehen.«

Apollo nickte und gesellte sich zu Phaedrus ans Fenster. »Wir brauchen noch einen anderen Plan, aber keine Ahnung, wie der aussehen könnte.«

Plötzlich sprang die Tür zur Hütte quietschend auf. Dort stand, in Schatten gehüllt, eine dunkle Gestalt. Die beiden dunklen Zauberer zogen ihre Zauberstäbe, aber der Mann trat vor, hob die Hände und schüttelte den Kopf, bevor er die Tür hinter sich schloss. Er zog seine Kapuze herunter und enthüllte sein schwarzes Haar und seinen buschigen Vollbart. Quer über seine linke Wange verlief eine wulstige Narbe.

»Ich habe einen Plan«, verkündete der Mann. »Ich habe ihn sogar schon für euch getestet. Alles, was ihr tun müsst, ist, meinen Anweisungen zu folgen und ehe ihr euch verseht, habt ihr sie eingelullt und sie fressen euch aus der Hand.«

Phaedrus trat vor und kniff seine Augen zusammen. »Wer sind Sie?«

Der Mann schüttelte den Kopf. »Ein Freund. Jemand, der die gleichen Interessen hat wie ihr. Jemand, der den Kampf bereits begonnen hat und dir genau sagen kann, was passieren wird, wenn du deinen Plan ausführst. Schon vor dem Scheitern des Toombie war mir klar, dass es nicht funktionieren würde. Die Lichtmagie wird immer stärker und es gibt immer mehr magische Wesen da draußen, die sowohl diese als auch die dunkle Magie gleichzeitig kontrollieren können.«

»Redest du von dem Mädchen? Sie ist doch schon seit einer Weile tot.«

Der Mann sagte kein Wort, strich sich nur über den Bart und wartete darauf, dass die Zauberer sich entschieden, ob sie seine Hilfe wollten. Phaedrus entdeckte das Zeichen der dunklen Familien auf seiner Kleidung und erkannte, dass der Fremde, ob er nun zu ihrer Familie gehörte oder nicht, auf ihrer Seite war. Phaedrus klopfte Apollo auf die Schulter und nickte, um ihn wissen zu lassen, dass alles in Ordnung war.

»Also gut, Fremder, was ist dein Plan?«

Der Mann grinste. »Wir haben diesen Streich schon einmal gespielt – vor etwa zwei Jahrzehnten, als eine der letzten Schlachten zwischen den hellen und den dunklen Familien in vollem Gange war. Es ist eigentlich ganz einfach. Man vergiftet die Wandler, sodass sie nicht kontrollieren können, wann sie sich in Wölfe verwandeln. Aber nicht so undurchdacht wie in der Vergangenheit, als man einzelne Wandler mitten in der Stadt verwandelt hat. Du musst mehrere Wandler auf einmal verwandeln, am besten an einem Tag, an dem alle Schüler versammelt sind, da wird es die größte Wirkung haben. Am helllichten Tag, wenn niemand erwartet, einen Wandler in voller Wolfsgestalt zu sehen. Aus irgendeinem Grund macht es viel mehr Eindruck, diese Verwandlung vollkommen unerwartet am Tag zu sehen. Lasst ein paar Wölfe, um ihre kostbaren Kinder herumlaufen und ich kann euch versprechen, dass nicht nur die dunklen Familien Terror machen werden. Von da an wird alles seinen Lauf nehmen. Man wird mit dem Finger auf die Wandler und die Schule zeigen, Anschuldigungen erheben und der Krieg wird nach und nach wieder aufflammen. Außerdem wird die Situation die Schule verwundet zurücklassen und sie werden unfähig sein, sich selbst vollständig zu schützen. Was ihr sucht, wird zu euch kommen, wenn es keine Wahl mehr hat.«

Phaedrus lehnte sich gegen den Schreibtisch und starrte den Mann an, während er sprach. Als er fertig war, wurde es still in der Hütte. Apollo war sich unsicher, was Phaedrus sagen würde. Sie hatten diese Waffe in der Vergangenheit schon einmal benutzt, wenn auch nicht auf diese Art und Weise. Erst vor Kurzem hatten sie begonnen, sich auf die Kinder zu konzentrieren und festgestellt, dass diese nicht nur die Macht besaßen, die die dunklen Zauberer brauchten, sondern sich auch hervorragend als Druckmittel eigneten. Sie konnten einen mächtigen Lichtzauberer, eine Hexe oder einen Elfen von überall herlocken, sogar aus den entferntesten Dörfern von Oriceran, wenn sie dachten, dass ihre Kinder in Gefahr waren.

Phaedrus nickte, woraufhin seiner Kehle ein Glucksen entwich und zu einem inbrünstigen, tiefen Lachen wurde. Apollo lachte ebenfalls und erkannte, dass sie gerade eine Entscheidung getroffen hatten. Sie würden die Wandler und damit die Schule als Ganzes angreifen.