Kapitel 26

N ach dem Wochenende kehrten die Schüler zu ihrer normalen Routine zurück. Sie hatten jeden Tag mehrere Unterrichtsstunden, die sie speziell auf die bevorstehenden Abschlussprüfungen vorbereiten sollten. Während der Übungsstunden herrschte in der Bibliothek mehr Betrieb als über den Rest des Jahres und selbst Ethan befand sich dort. Er hatte sich dabei ertappt, wie er Leo Decker um jeden Preis auswich, während er all den Stoff nachholte, den er das ganze Jahr über vernachlässigt hatte. Dieser Tag begann jedoch nicht mit einem typischen ruhigen Morgen.

Chaos war in der Schule ausgebrochen, aber nicht wegen eines Streiches von Ethan oder wegen eines dunklen Zaubers, der einen der Schüler verletzt hatte, wie im Jahr zuvor. Stattdessen war es etwas Ungewöhnliches – etwas, das niemand erwartet hatte, während er die Flure entlangging. Die Plakate der Kandidaten für die Klassensprecher- und Schulsprecherwahl hingen noch an den Wänden und auch die Fotos darauf bewegten sich nach wie vor. Doch als die Schüler an diesem Morgen, die Flure hinunterschlenderten, bemerkten sie, dass sich die Reden der Poster verändert hatten.

»Mein Name ist Scarlett und ich kandidiere als Schulsprecherin. Ich möchte euch ein Geheimnis über mich verraten, etwas, das sonst niemand weiß. Spät in der Nacht, wenn alle im Bett sind und sich die Dinge, die ich ihnen gesagt habe, durch den Kopf gehen lassen, liege ich oft da und weine mich in den Schlaf.«

»Hallo, Schule der grundlegenden Magie , mein Name ist Wyatt. Ich kandidiere als Schulsprecher. Ich verrate euch ein Geheimnis, etwas, das sonst niemand weiß. Ich benutze das Geld und den Einfluss meines Vaters, damit die Leute mich mögen. Sie sagen, ich sei ein netter Kerl, aber das ist Blödsinn und es macht mir nichts aus. Ich werde lieber wegen meines Geldes gemocht, als dass ich mich anstrengen muss, um echte Freunde zu finden.«

»Mein Name ist Kathleen und ich kandidiere als Klassensprecherin der Mittelstufe. Ich werde euch meine Geheimnisse verraten, aber zuerst möchte ich euch ein Geheimnis über das Mädchen verraten, das genau hier neben meinem Plakat steht.«

Das Mädchen sah sich um und fragte sich, ob das Plakat von ihr sprach. Sie verdrehte die Augen, aber als die Stimme fortfuhr, wurde ihr panisch klar, dass es sehr wohl um sie ging und es sich keineswegs um einen Trick handelte.

»Dieses Mädchen heißt Annabelle Lace und ich weiß, dass sie ein Notizbuch in ihrer Kommode versteckt, in dem sie ihren Namen und den von Kyle Lovett mit Herzen und Luftballons umrandet hat. Sie träumt davon, dass er in sie verliebt ist. Aber die Wahrheit ist … kommt näher heran, denn es ist ein wirklich großes Geheimnis.«

Die drei Leute, die in der Nähe standen, sahen sich an und beugten sich dann vor, um das Geheimnis zu hören.

»Kyle Lovett ist heimlich in Professor Hudson verliebt.«

Sofort brach Chaos im Flur aus. Die restlichen Schüler eilten panisch den Flur entlang, weit genug von den Plakaten entfernt, um ihre Geheimnisse zu bewahren, aber nahe genug, um die Geheimnisse über die Kandidaten und andere zu hören. Niemand wollte zu seiner nächsten Stunde gehen, wenn etwas so Aufregendes in den Fluren passierte. Während einige Schüler in Tränen ausbrachen, lachten andere und zeigten auf die erwähnten Schüler, wie Kyle Lovett. Er wusste nicht einmal, was los war, bis er den Flur entlang ging und alle in Gelächter ausbrachen.

Nach etwa einer Stunde kam Professor Hudson um die Ecke, stemmte die Hände in die Hüften und versuchte herauszufinden, was um alles in der Welt passiert war. Sie schaute auf das Poster neben ihr, als es eines ihrer Geheimnisse ausplauderte. Sie riss das Poster von der Wand und warf es in einen Mülleimer, dann ging sie den Flur entlang und sprach einen Zauber, der alle Poster zum Schweigen brachte. Eine Animation nach der anderen fror ein und die Schüler huschten zum Unterricht.

Professor Fowler bog um die Ecke und wusste sofort, was vor sich ging. Sie war gekommen, um zu helfen, den Verantwortlichen zu finden. Während einige es urkomisch fanden, hatte es andere Schüler in emotionale Zwickmühlen gebracht und ein paar Konflikte ausgelöst. Die Lehrerin stand in der Mitte des Flurs, schloss die Augen, zog Energie vom Boden durch ihre Brust nach oben. Dann entsandte sie eine Welle an Magie, um die magische Spur von den Plakaten zu beleuchten, aber als sie den schimmernden Fußabdrücken folgte, verschwanden sie plötzlich.

»Hast du den Verantwortlichen gefunden?«, fragte Professor Hudson.

»Nein, die Spur hat sich einfach aufgelöst.«

Professor Hudson verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf. »Das war kein Schüler, der das abgezogen hat. Die ganze Sache war viel zu clever und die Tatsache, dass sich die Spuren in Luft auflösen? Nun, kein Schüler, den ich kenne, wäre dazu in der Lage. Jemand mit dunklen Absichten versucht hier Ärger zu machen und wir müssen die Direktorin informieren, bevor es außer Kontrolle gerät.«

Professor Fowler stimmte zu und eilte den Flur hinunter in Richtung des Büros von Misses Berens. Professor Hudson stand einen Moment lang da und starrte die Wände an. Sie fragte sich, wer genau versuchte, sich mit der Schule anzulegen, aber es schien, als wäre dies nur der Anfang.

* * *

Nach dem Ende des Unterrichts wurden die Ereignisse immer noch diskutiert. Allerdings mussten sich die Schüler auch auf den bevorstehenden Abend vorbereiten. Der Abend, auf den Izzie und alle ihre Freunde die letzten Wochen gewartet hatten, war endlich gekommen und die Schülerschaft versammelte sich in der Aula für die Premiere des Stücks Der Zauberer von Oz . Izzie stand hinter der Bühne, rieb ihre Hände aneinander und spähte durch einen Schlitz im Vorhang. Die Ränge waren voll besetzt. Sie drehte sich mit großen Augen um, strich mit den Händen über ihr blau-kariertes Kleid und ging hinüber zu dem Fahrrad, das an der Wand lehnte.

Professor Fowler hatte einen ausgestopften Hund verzaubert, sodass dieser nun herumlief und bellte, aber genau wusste, was er tun sollte. Es war die perfekte Idee gewesen, um Toto einzubeziehen, ohne einen echten Hund auf die Bühne schicken zu müssen. Die Lichter im Auditorium flackerten, um das Publikum zur Ruhe zu bringen und Izzie merkte, wie sie immer aufgeregter wurde. Die schweren Vorhänge öffneten sich und sie wartete ein paar Sekunden auf ihren Einsatz.

»Wird schon schiefgehen«, flüsterte Izzie.

Sie vertiefte sich in die Rolle. Oben auf der Bühne stand nicht mehr Izzie, sondern Dorothy und diese konnte es kaum erwarten ihr Lieblingslied zu präsentieren. Als die Musik zu spielen begann, nahm sie einen tiefen Atemzug und schloss die Augen. Sie hatte es schon eine Million Mal gesungen, eigentlich konnte also nichts schiefgehen. Bis es nach etwa drei Zeilen doch passierte.

Von irgendwo aus den Zuschauerreihen im Theater aus hörte sie eine Stimme rufen: »Ach, hört doch, wie das kleine Waisenkind singt. Man hätte besser Annie aufführen sollen, anstatt den Zauberer von Oz

Izzie räusperte sich zwischen den Noten und straffte ihre Haltung. Sie versuchte, den Zwischenrufer in der Menge zu ignorieren, aber es wurde immer schwieriger. Mehrere der Lehrer liefen durch die Gänge, um herauszufinden, wer geschrien hatte. Doch jedes Mal, wenn sie in die Nähe zu kommen schienen, kam die Stimme aus einer anderen Richtung. Alison, Kathleen und der Rest ihrer Freunde wollten Izzie unbedingt helfen, aber sie hatten keine Ahnung, wie. Izzie begann, unter dem Druck zusammenzubrechen und Tränen stiegen ihr in die Augen.

Scarlett stand am Bühnenrand hinter dem Vorhang und sah zu, wie sich das Chaos entfaltete. Sie umklammerte den Vorhang und dachte an die Geheimnisse, die die Poster am Morgen von ihr verraten hatten, dann biss sie sich auf die Lippe und tat etwas sehr Überraschendes. Sie holte tief Luft, ging auf die Bühne und kam Izzie zu Hilfe. Sie trat nicht als Scarlett, sondern als Glinda, die Gute Hexe, auf und schwenkte ihren funkelnden Zauberstab, um Glitzer über die Köpfe der Zuschauer zu verteilen. Mit einem gezielten Schwenker schickte sie einen Lichtstrahl direkt auf den Zwischenrufer zu, der mit großen Augen erstarrte, als sie ihm einen Todesblick zuwarf.

Es war kein Geheimnis, dass man auf sich achtgeben musste, wenn Scarlett einem ihren berüchtigten Todesblick zuwarf. Jeder Schüler in der Aula fürchtete sich vor ihr. Der Zwischenrufer nickte eingeschüchtert und lehnte sich in seinem Sitz zurück, damit die Lehrer ihn nicht entdecken konnten. Sie knickste vor der Menge, wirbelte ihren Zauberstab um Izzie und zwinkerte ihr zu.

»Manchmal findet man mehr als eine böse Hexe in der Menge, aber zu deinem Glück war diese ziemlich leicht zu erledigen«, sagte Scarlett immer noch in ihrer Rolle, lächelte und klimperte mit den Wimpern.

Die Menge klatschte, als Scarlett sich verbeugte und von der Bühne huschte, um Izzie ihr Lied singen zu lassen. Bevor sie die Bühne verließ, drückte sie Izzies Hand und nickte ihr zu, um sie wissen zu lassen, dass alles in Ordnung war. Draußen im Publikum lehnte sich Kathleen zu Alison und hielt ihre Hand vor den Mund.

»Wer hätte das gedacht? Ich schätze, sogar Scarlett kann hin und wieder das Richtige tun.«

Alison lächelte und nickte. »Ich glaube, dass Scarlett auch ein Herz hat, aber ich werde mir keine Hoffnungen für die Zukunft machen.«

Mit neuem Selbstvertrauen ging Izzie nach vorne an den Bühnenrand und schmetterte den Rest des Liedes heraus. Als sie den letzten Ton gesungen hatte, blieb kein Auge mehr trocken. Es war einen Moment lang still, bevor das gesamte Publikum aufstand und ihr einen tosenden Applaus spendete. Sie lächelte und zwinkerte ihren Freunden zu, dann setzte sie die Szene fort. Das Stück war noch besser geworden, als sie es sich vorgestellt hatte, vor allem, weil sie Scarlett an ihrer Seite gehabt hatte. Sie wusste nicht, warum Scarlett es getan hatte, aber sie war ihr trotzdem sehr dankbar.