Kapitel 14

A drien trommelte mit den Fingern auf der Lehne seines Ledersessels herum und blickte durch das Erkerfenster hinunter auf Arcadia.

Noch vor wenigen Tagen war ihm alles, was er erschaffen hatte, so mächtig und unzerstörbar erschienen. Und jetzt, da der Gründer zurückgekehrt war, fühlte er sich zum ersten Mal seit Langem … unsicher.

Noch Tage nach der Konfrontation mit seinem alten Mentor hatte er über dessen scheinbare Wiederauferstehung nachgegrübelt und sich darüber geärgert, dass er nicht vorsichtiger gewesen war. Wie viele große Männer hatte er einen Anflug von Hybris zu vermerken. Sich auf die Rückkehr Ezekiels vorzubereiten, war ihm nicht einmal in den Sinn gekommen.

Und nun war es zu spät.

In den Tagen seit ihrer Begegnung war seine Wut allmählich zu Furcht geworden.

Der Projektionstrick des alten Mannes war bezeichnend dafür, wie viel er auf seiner Pilgerreise gelernt haben musste.

Die Illusion, mit der er Adrien so verdammt überzeugend getäuscht hatte, war keine Magie aus Arcadia. Hier praktizierten sie physische Magie, das Studium der materiellen Dinge und ihrer Manipulation und gaben dieses Wissen an die nächste Generation weiter.

Er wusste, dass das Studium magischer Künste keineswegs den Arcadianern vorbehalten war, sondern sich über die Stadtmauern hinaus bis in die entlegensten Winkel und Völker Irths erstreckte. Unterschiedliche Regionen und Gemeinschaften waren Spezialisten für verschiedene Arten von Magie, obwohl sie alle aus derselben ätherischen Sphäre ihre Kraft bezogen. Aber die Magie war nicht gerade ein leichtes Mädchen, das sich jedem einfach so darbot.

Die Magier waren schon gesegnet genug, über die spezifischen Fähigkeiten ihres jeweiligen Feldes zu verfügen und die Vorstellung, dass man in mehr als einem Fachgebiet arbeiten könnte, war schon immer für alle unvorstellbar gewesen. Für alle … außer Ezekiel.

Als sein Mentor sie verließ, konnte er bereits alle drei Künste anwenden, brillierte jedoch nur in der physischen Magie.

Die Projektion, mit der sich Adrien auf dem Queens Boulevard unterhalten hatte und die er törichterweise zu töten versucht hatte, war ein Beweis dafür, dass sein Lehrer alles andere als untätig gewesen war, was die psychischen Künste anging.

Und obgleich man als Meister der Magie vielleicht ein paar billige Tricks aus einem anderen Fachgebiet aufschnappen konnte, war die Projektion des eigenen Wesens in dem Maße, wie Ezekiel es vollbracht hatte, eine ganz andere Nummer, die vermutlich die vollkommene Beherrschung der Mentalmagie voraussetzte.

Genau diese Erkenntnis hatte Adrien zu Tode erschreckt.

Der Rektor war von seiner eigenen magischen Kompetenz im höchsten Maße überzeugt, aber angesichts eines Mannes, der gleich mehrere Künste beherrschte, würde physische Magie vielleicht nicht ausreichen. Was, wenn Ezekiel die letzten Jahrzehnte damit verbracht hatte, an diesen anderen Fähigkeiten zu feilen? Der Gedanke war erschreckend.

Aber er brachte Adrien auf eine Idee.

»Doyle!«, rief Adrien in Richtung der geschlossenen Tür.

Sie schwang auf und sein Assistent betrat den Raum, der prompt einen Blick auf den Stuhl gegenüber vom Schreibtisch warf und vermutlich rätselte, ob er sich setzen sollte.

»Was kann ich für Sie tun, Herr Rektor?«

»Der Magier, ist er heute schon gesehen worden?«

Adrien wusste sehr wohl, wie sinnlos seine Frage war. Ezekiel würde nur gefunden werden, wenn er es auch wollte. Und dann würde der Zauberer sicher bereit für einen Kampf sein.

»Nein, Sir. Keine Spur. Unsere Männer haben rund um die Uhr Wache gehalten und die Kapitolgarde war durchgehend auf der Jagd nach ihm, aber vergeblich.«

»Vielleicht suchen wir an den falschen Orten«, überlegte Adrien. »Ich brauche eine Mannschaft. Keine große, aber mit Männern, denen wir uneingeschränkt vertrauen können und die sich auch außerhalb der Stadtmauern behaupten können. Stellst du mir eine solche Truppe zusammen?«

Doyle lächelte, offenbar hocherfreut, ausnahmsweise mal nützlich zu sein.

»Natürlich, Sir. Für eine Aufgabe wie diese kommt mir eine ganz bestimmte Ressource in den Sinn: Stellan und seine Männer. Sie sind genau dafür ausgebildet und tauchen in den Unterlagen der Kapitolsadministration nicht auf. Man weiß ja nie, wann man mal eine Geheimoperation braucht.«

»Ausgezeichnet, Doyle.«

Adrien erklärte seinem Assistenten, dass er aus seiner Begegnung mit Ezekiels Projektion gefolgert hatte, sein Mentor habe zur Verbesserung seiner Mentalmagie selbst die Rolle des Schülers eingenommen.

»Nun«, sagte Adrien gedehnt, »die einzigen, die laut unserer Kenntnis in diesem Maße Mentalmagie beherrschen, sind die Mystischen. Das bedeutet, Ezekiel hat möglicherweise eine Zeit lang mit ihnen gelebt. Womöglich hat er sie dann auch überredet, ihm mit seiner närrischen Rettungsmission zu helfen. Und diese einfältigen Mönchsköpfe sind genauso idealistisch wie der alte Mann.«

»Ja, Sir. Sie könnten Ärger machen.« Doyle räusperte sich. »Wenn ich so kühn sein darf … was wäre, wenn wir etwas Offensives auf die Heights loslassen würden? Vielleicht ist es an der Zeit, die Maschine zu testen?«

Adrien winkte ab. »Nur ein Schuljunge greift mit Anlauf an, Doyle. Wir brauchen etwas Eleganteres. Ich möchte, dass du die Männer losschickst, damit sie diese Sterngucker im Auge behalten und mir einige Informationen liefern. Sie können ruhig grob werden, wenn nötig, aber ich will keinen Krieg vom Zaun brechen. Verstanden?«

»Vollständig.«

Adrien verengte seine Augen zu funkelnden Schlitzen. »Kann ich darauf zählen, dass dieser Stellan es nicht vermasselt?«

»Ich würde ihm mein Leben anvertrauen, Sir.«

Adrien nickte. »Nun gut, aber diese Mission ist weit mehr wert als dein Leben, Doyle. Vielleicht traust du dir und deinem Stellan ein bisschen zu viel zu.«

Doyle errötete bis über beide Ohren. »Ähm, na ja, Sir. Mir selbst vielleicht.«

Adrien lachte. »Ich ziehe dich doch bloß auf, mein Sohn. Nun lass mich allein und schicke diese Männer an die Arbeit. In spätestens zehn Tagen erwarte ich einen Bericht.«

Wieder allein mit seinen Gedanken, wandte sich Adrien zurück zum Fenster und überlegte, wie im Namen der Matriarchin er Ezekiel wohl aus seinem Versteck locken könnte.

Er wusste, dass die kollektive Macht innerhalb der Akademie weit größer war als das, was Ezekiel sich auf seiner Pilgerreise hätte aneignen können – selbst wenn er ein Jahrhundert lang gebüffelt hätte. Schließlich war er nur ein einzelner Mann.

Er wusste sicherlich nicht viel über die Magitech-Waffen und die Maschinen, die in der Fabrik von Arcadia gebaut wurden. Aber Ezekiel war nicht dumm. Wenn er einen Angriff plante, würde er nach stärkeren Verbündeten suchen als den Mystischen.

Und da traf es ihn. »Das Mädchen!«, rief er aus.

Von den wenigen Berichten, die er seit Ezekiels Rückkehr erhalten hatte, war sein augenscheinlich einziger Kontakt dieses Mädchen vom Queens Boulevard gewesen.

Etwas war faul daran, aber Adrien konnte es noch nicht genau benennen. An dieser Göre musste etwas Ungewöhnliches sein, das Ezekiels Aufmerksamkeit rechtfertigte.

Er betrachtete sein fein gearbeitetes Schachspiel aus Marmor, das auf der anderen Seite des Raumes stand und ihm fiel ein, dass sie auch nur eine Schachfigur sein könnte. Ein Bauernopfer. Adrien musste nur noch herausfinden, wer ihr nahestand, dann könnte er Ezekiel dazu zwingen, sich seinem Willen zu unterwerfen.

Er rief Doyle zurück und beauftragte ihn mit der Aufspürung des Bauernopfers vom Queen-Bitch-Boulevard.

* * *

Hannah öffnete ihre Augen und beendete damit ihre Meditation. Eine Stunde war vergangen – zumindest war sie sich da ziemlich sicher – aber angefühlt hatte es sich wie fünf Minuten.

Die Stunden der Arbeit, die sie jeden Morgen allein in ihre Meditation investierte, machten sie zwar zu einem verrückten Mönch, aber die Resultate waren der Wahnsinn.

Sie hatte immer geglaubt, bei der Beherrschung von Magie ginge es darum, die richtigen Bewegungen oder Zaubersprüche zu lernen oder die richtigen Magitech-Waffen zu führen. Aber Ezekiel hatte recht.

Sie machte die schnellsten Fortschritte – und erholte sich am ehesten – wenn sie sich auf ihr Inneres konzentrierte. Sie hielt ihrem Lehrer einen ausgestreckten Finger entgegen und prüfte mit der anderen Hand den Puls an ihrem Handgelenk. Das dumpfe Pochen unter ihrer Haut war stetig und sehr langsam. Hannah war sich ziemlich sicher, dass sie mit mehr Übung in der Lage sein würde, ihr gesamtes Blut zum Stillstand zu bringen.

Sie blickte hoch und verkündete: »Pocht noch, Zeke. Aber kaum.«

»Gut. Nichts ist wichtiger als das, was hier drin ist.« Er deutete auf ihre Brust an der Stelle, die ihr Herz barg. »Kontrolliere das und du kontrollierst alles.«

Hannah nickte. »Aber du hast auch schon mal davon gesprochen, Leidenschaft zu entfesseln. Was ist mit dem Tag, an dem mein Bruder fast gestorben wäre? Da hat mein Herz ganz sicher höllisch gepumpt.«

»Sicher. Und du hast verdammtes Glück gehabt, dass deine Kraft dich nicht an Ort und Stelle verbrannt hat.«

»Jep, das wär echt bitchig gewesen. Wie die Matriarchin!« Sie zwinkerte Ezekiel zu. Sie hatten immer noch nicht viel über die Matriarchin und den Patriarchen gesprochen, obwohl er eindeutig ein wahrer Verfechter der beiden war. Verdammt, vielleicht war er sogar alt genug, sie selbst gekannt zu haben!

Religion hoben sie sich für später auf, im Moment stand ihre Ausbildung im Mittelpunkt. Er machte oft genug Bemerkungen über die Gottheiten, benutzte ihre Namen häufig und nicht als Schimpfwörter wie sie und die anderen auf dem Boulevard.

Aber er versuchte nicht, ihr seinen Glauben aufzudrängen – was sie positiv überraschte, denn anfangs hatte sie ihn in Gedanken mit dem Propheten verglichen.

Das einzige, was sie sicher wusste, war, dass der alte Jedidiah laut Ezekiel in Bezug auf öffentlichen Magiegebrauch so ziemlich alles falsch verstanden hatte. Die magischen Künste waren nicht nur für die Reichen gedacht, sondern für jeden, der die Kraft in seinem Inneren gefahrlos zu nutzen vermochte.

Sie folgte Ezekiel ein paar Stufen hinunter, die von ihrem Turm in den Wald führten. Heute stand Naturmagie an, kein Zweifel. Er verfolgte einen ausgeklügelten Lehrplan, denn er wollte sicherstellen, dass sie nicht in einer Kunst vorpreschte, sondern in allen gleichmäßig vorankam. Dass sie eine Polymagierin wurde, hatte oberste Priorität, also galt es: Je ein Tag für jede Zauberkunst. Ihre Trainingseinheiten wurden an ihrem Fortschritt gemessen, nicht nach Zeit.

Ezekiel hatte während seiner eigenen Ausbildung viel vom Orakel gelernt, war aber auch durch Negativerfahrungen gebrandmarkt. So bedauerte er zum Beispiel, dass seine physischen Zauber bis heute viel stärker waren als die psychischen oder natürlichen, denen er sich bediente. Wenn es nach ihm ginge, würde Hannah stärker werden als ihr Meister.

Wenn es hart auf hart käme und die Frage wäre, welche Zauberkunst sie benutzen sollte, wollte er, dass sie mit ›JA!‹ antwortete. Verdammt noch mal alle drei zusammen.

»Was steht heute an?«, fragte sie, als sie sich dem Waldrand näherten. »Plaudern wir mit ein paar Bäumen?«

»Nö.«

»Wasserskulpturen?«

»Nein.«

»Sodomie? Bisschen den Huftier-Fetisch bedienen?«

»Hannah, bitte !« Ezekiel schüttelte missbilligend den Kopf, wie so oft entsetzt angesichts ihrer vulgären Natur. »Nichts von alledem. Deine Fähigkeiten schreiten schnell voran. Es ist an der Zeit, den nächsten Schritt in Richtung neue Magie zu wagen.«

Als sie auf Sal hinunterblickte, der mit peitschendem Schwänzchen neben ihr her wuselte, wusste sie, dass Ezekiel auf seine Verwandlung anspielte. Sie hatte gewusst, dass sie dieses Thema irgendwann vertiefen würden, hatte sich aber nicht gerade darauf gefreut.

Wie die Echse in einen … was auch immer verwandelt wurde, blieb ihr ein Rätsel und falls der alte Mann verlangte, dass sie es wiederholte, war Hannah nicht sicher, ob sie der Herausforderung gewachsen war.

Nicht, dass sie es nicht selbst in Betracht gezogen hätte. Sie hatte sogar versucht, ohne Ezekiels Wissen eine Ameise zu verwandeln. Aber das verdammte Ding war einfach weiter gekrabbelt.

Sie erreichten ihren üblichen Platz am Fluss und setzten sich auf die Felsen. Hannah schloss die Augen und genoss das Gefühl von Sonnenstrahlen auf ihrer Haut. Die Tage, die sie in den kargen Übungsräumen des Turms verbrachte, zogen sie runter. Egal, wie heiß es draußen wurde, der Turm war immer kalt, feucht und stank nach Schimmel.

Sie beobachtete schweigend die Strömung des Wren und konnte sich dank all der Übung schon in eine Art lockere Meditation versetzen, während sie darauf wartete, dass ihr Mentor endlich mal zur Erklärung ansetzte.

»Jep, er steht mir bei«, witzelte sie. »Ich habe ihn total lieb, verdammt noch mal! Soll ich ihn mehr im Zaum halten oder was?«

Nach einer weiteren, quälend langen Runde des Schweigens antwortete Ezekiel endlich.

»Ich möchte, dass du Sal veränderst.«

Sie tauschte einen Blick mit der Echse aus. Sals Zunge zischte hervor und blieb an seinem geschlossenen Augenlid kleben. Ezekiel hatte ihn noch nie zuvor beim Namen genannt, das kam ihr seltsam vor. »Die Eidechse?«

»Er ist keine Eidechse, Hannah. Nicht mehr. Du hast ihn verändert. Das Wesen, dem du auf dem Markt begegnet bist, ist jetzt ein vollkommen anderes.«

»Ähm, okay. Und was zum Teufel soll ich bitteschön mit ihm machen?«

Er zuckte mit den Achseln. »Diese Entscheidung liegt nicht bei mir. Das ist eine Sache zwischen euch beiden. Ich habe keine Verbindung zu deinem Freund. Für mich ist er nur ein Geschöpf von vielen. Seit du dich an Sal gebunden hast, wurde die Möglichkeit, dass sich ein anderer Magier mit ihm verbindet, unmöglich gemacht – soweit ich weiß. Das von euch geteilte Band kann weder leicht gebrochen noch untergraben werden.«

»In Ordnung.« Sie blickte auf Sal herab und inspizierte die Stacheln, die aus seinen Wirbeln herausragten. Hannah war sich nicht sicher, aber sie schienen seit dem Tag, an dem sie ihn aufgenommen hatte, gewachsen zu sein wie der Rest von ihm.

Sie malte sich aus, was sie sonst noch alles mit ihm anstellen könnte. Ihn weiter wachsen lassen? Seine Farbe ändern? Ihm Daumen verleihen? Nichts davon schien ihr richtig.

Sie schloss die Augen und versuchte, seine Gedanken zu lesen.

Dann überkam es sie: Das perfekte Bild von dem, was Sal werden sollte.

»Ich glaube, ich hab’s im Kopf. Was soll ich jetzt tun?«, fragte sie und zwang sich, das Bild in ihrem Kopf nicht verblassen zu lassen.

Ezekiel schenkte ihr ein sanftes Lächeln. »Ich habe nicht die geringste Ahnung. Das ist deine Magie, nicht meine. Wir befinden uns hier auf ganz neuem Territorium.«

»Nicht. Sehr. Hilfreich.«

»Wie alle Formen der Magie wird es vornehmlich eine Frage der Konzentration sein. Also konzentriere dich auf deine Vorstellung von ihm. Vielleicht funktioniert das ja.«

Sie schnaubte. »Okay, aber wenn etwas schief geht und mir Stacheln wachsen, halt mich bitte auf.«

Hannah schloss ihre Augen. Sie schob Gedanken an Ezekiel, das Rauschen des Wrens und sogar an Sal selbst aus ihrem Kopf, bis sie ihre innere Mitte fand. Alles waberte nun im Hintergrund und alles, was übrigblieb, war sie mit der Kraft, die durch ihren Körper floss.

Kurz schlichen sich Zweifel ein, aber auch die schob sie routiniert beiseite.

Hannah war eine Magierin. Ihr Mentor sagte, sie habe etwas getan, zudem seines Wissens nach niemand sonst in der Lage war. Sie erinnerte sich selbst mehrmals daran und baute so gezielt ihr Selbstvertrauen auf.

Dann schob sie auch das weg.

Wieder einmal waren da nur sie und die Kraft aus dem Äther. Sie öffnete ihre Augen und konzentrierte sich auf Sal, der still zu ihren Füßen saß. Ihre Verbindung zu ihm war stark und er wusste genau, was sie vorhatte. Er präsentierte sich wie ein williger Klumpen Lehm – begierig, sich nach ihren Vorstellungen formen zu lassen.

Dem Gedanken folgend, dass Formveränderung der physischen Magie recht ähnlich war, hielt sie ihre Hände vor sich und führte eine Reihe komplizierter Bewegungen aus, von denen sie keine je praktiziert oder auch nur in Betracht gezogen hatte. Aber sie fühlten sich natürlich an, wie eine altbekannte Routine, deren Bewegungen sie immer wieder wiederholte.

Ihre Finger und Hände kreisten immer schneller umeinander und sie versuchte, die Energie unter ihrer Haut in Richtung ihrer Hände und hinaus in die Echse zu leiten, aber da floss nichts. Es war, als gäbe es immer noch eine Barriere zwischen ihr und Sal.

Nach einer Weile fielen Hannahs Arme schwach an ihre Seiten, schwer wie Blei.

»Nichts.« Sie blickte zu Ezekiel und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. »Es funktioniert nicht.«

Er nickte. »Niemand hat gesagt, dass es leicht sein würde. Versuch es noch einmal. Bitte, Hannah. Das Schicksal von Arcadia könnte davon abhängen.«

Sie nickte zähneknirschend und versuchte, wieder ihr vorheriges Konzentrationsstadium zu erreichen. Sie schloss die Augen und schob das Gefühl von Versagen und Enttäuschung weg. Ezekiels Erwartungen kamen ihr in den Sinn, auch die musste sie weit wegstoßen.

Als ihr Kopf wieder angenehm leer war, wählte sie diesmal die Methode der Naturmagie. Sie wandte ihre Handflächen nach oben zum Himmel und verfiel in eine Art Trance. Ihre mentale und emotionale Energie flossen ungebremst durch ihre Adern. Jetzt musste sie das nur noch in Sal hineinleiten und bettelte seinen Körper an, sich ihrer Magie zu öffnen, doch nichts geschah.

Sie beugte sich erschöpft vornüber und stützte sich auf dem Felsen ab. Diesmal war es ihr schnuppe, was Ezekiel dachte, sie wollte einfach nur weggehen. Ein Jahr lang schlafen.

Zur Hölle mit Arcadia. Sollte Adrien es ruhig haben. Die Magie war zu schwer und sie viel zu schwach.

Ezekiel hatte einen schrecklichen Fehler begangen, als er sie erwählte.

»Du schaffst das, Hannah«, beharrte er. »Verdammt, du musst es tun.«

Sie brauste auf. »Ich kann das nicht! Ich habe das noch nie gemacht! Das mit Sal ist irgendwie anders passiert.«

Seine Antwort kam wie ein Peitschenknall. »Sei keine verdammte Närrin. Magie passiert nicht einfach so. Magier sind Magie. Du bist eine Magierin. Du bist Magie. « Er brüllte beinahe und das gab ihr den Rest.

»Lass mich verdammt noch mal in Ruhe, du Freak! Ich bin nur ein Kind!«

Er blieb unnachgiebig. »Du bist kein Kind. Du bist eine Magierin . Du bist dafür geschaffen. Hör auf, dein Leben zu verschwenden.«

Ihre Wut entbrannte, ihre Augen flammten rot auf. »Ich kann nicht!«

»Du kannst!«, rief er, seine Worte begleitet von einem fernen Donnerschlag. »Lass es raus!«

Ein Blitz traf das Wasser, so hell, dass es sie für einen Moment blendete.

Hannah brach über Sal zusammen und bedeckte ihn mit ihren Armen. All die Angst und Frustration, die sie stundenlang methodisch ausgeblendet hatte, strömte aus ihr heraus.

Aber mit dem Einbruch dieser Emotionen kam auch etwas anderes – Sals Präsenz, die sich nach ihr ausstreckte, sie umklammerte – als ob sie eins wären.

Unmöglich zu sagen, wo ihr Körper endete und seiner begann.

»Bitte«, rief sie und visualisierte das Potenzial des Tieres vor ihrem inneren Auge. »Tu es. Für mich.«

Ihr Verstand flackerte, sie verlor den Überblick, wo und wann sie sich befand. Sie dachte vage, sie würde die Welt erbeben und eine intensive Hitze spüren, doch alles, was sie mit Sicherheit fühlen konnte, war das Zucken des Tieres unter ihrer Brust.

Etwas stieß ihr in den Bauch und in die Brust und Hannah sprang zur Seite aus Angst, sie würde ihm wehtun. Als sie nach unten blickte, sah sie, wie sich die Haut auf Sals Rücken zu wölben begann, als ob zwei Bälle sich direkt hinter seinen Schultern durch seine schuppige Haut gruben. Sal sah zu ihr hoch, sein Gesicht so leidvoll verzerrt, dass sie zu schluchzen begann. Sie spürte seinen Schmerz, aber auch seinen Wunsch, ihr zu gefallen, ihr zu gehorchen.

Das Reptil wollte nichts mehr, als seine Qualen zu beenden, doch er weigerte sich, aufzugeben. Sal kreischte, als seine Schuppen die Veränderung schließlich nicht mehr zurückhalten konnten. Die Bälle platzten durch seine Haut, aber es waren gar keine Bälle, sondern etwas Langes und Knochiges auf jeder Seite, das sich nach oben aus seinem Rücken drängte, während seine Schreie über den Fluss hallten. Die Strukturen streckten sich nach beiden Seiten etwa eine Armlänge aus und bildeten zwei herrliche Flügel.

Das letzte, was Hannah sah, bevor sie das Bewusstsein verlor, war ihr Haustier – eine Eidechse, die sich vom Boden abdrückte und mit gespreizten Flügeln gen Himmel stieg.

Aber ich lag falsch , dachte sie, kurz bevor sie auf dem Boden aufschlug. Er ist überhaupt keine Eidechse .