Kapitel 17

E s bedurfte mehrerer anstrengender Teleportationssprünge, bis Ezekiel den Tempel der Mystischen im Süden erreichte. Teleportation verlangte jedem Magier viel ab und selbst Ezekiel konnte eine derart große Entfernung nicht ohne Pausen zurücklegen. Aber die lange Reise hatte sich gelohnt, nach einem letzten Sprung erschien Ezekiel mitten in den Heights, jener großen Bergkette, welche die Südgrenze des Arcadia-Tals bildete.

Sich auf seinen Stab stützend, erklomm Ezekiel einen Felsvorsprung und ließ sich darauf nieder. Von hieraus, knapp oberhalb des Kiefernwaldes, hatte er einen perfekten Ausblick auf den Tempel.

Dies war exakt der Platz, den er schon damals benutzt hatte, als er das letzte Mal in die Heights gekommen war. Seinen Mantel um sich ausbreitend, ließ er die Umgebung auf sich wirken.

Die Sonne ging hinter den Berggipfeln unter, die teilweise trotz der Hitze des Sommers immer noch schneebedeckt waren und sich im Dämmerlicht erst rot, dann blau und schließlich violett färbten. Die Matriarchin und der Patriarch malten dem alten Magier einen erstaunlichen Willkommensgruß an den Himmel.

Bis in die Ferne erstreckten sich die imposanten Bergketten, deren Anblick Ezekiel trotz seiner vielen Besuche in den Heights jedes Mal den Atem raubte. In einer so majestätischen und friedvollen Landschaft war es kein Wunder, dass die Mystischen die Mentalmagie gemeistert und die Kunst der Meditation so gut wie perfektioniert hatten. Natürlich blieb das für sie nicht folgenlos: Die Mystischen waren zwar physisch auf Irth anwesend, aber kaum vollständig dort. Ihre verträumte, scheinbar geistesabwesende Art war ebenso berüchtigt wie die Tatsache, dass sie zur Dämpfung ihrer mentalen Fähigkeiten gerne mal einen tranken.

Der letzte Teleportationssprung hatte gehörigen Tribut gefordert, also verbrachte Ezekiel einige Zeit damit, aus dem Ausblick Kraft zu schöpfen und sich auf seine Herzfrequenz zu konzentrieren. Es war nicht mehr weit bis zum Tempel, aber er wollte ihn gestärkt betreten. Schließlich wusste er nicht, was ihn dort erwartete.

Nachdem er sich ausreichend erholt hatte, machte er sich auf den Weg und bestieg den gewundenen, in Fels gehauenen Pfad hoch zum Zuhause seiner alten Freunde.

Sein letzter Besuch war Jahrzehnte her, doch jede Wendung des Pfades war noch in sein Gedächtnis eingebrannt. Den Atem anhaltend, erklomm er die letzten paar Stufen und kam direkt vor dem hoch aufragenden Tempel zum Stehen.

Obgleich groß, war das Gebäude recht schlicht gehalten und strahlte so eine heimelige Bescheidenheit aus. Die hellen Mauern waren wie eine leere Leinwand. Ezekiel wusste, dass hinter ihnen ein weitläufiges Gelände mit Gärten, Wohnhäusern und Übungsplätzen lag.

Nervös blieb er an der Eingangstür stehen. Adrien ging ihm durch den Kopf. Einer seiner Schüler war bereits gefallen – ausgerechnet derjenige, von dem er nie erwartet hätte, sich Selbstverherrlichung und Propaganda hinzugeben. Die Furcht, dass sein Schüler in den Heights sich ähnlich entwickelt haben könnte, traf ihn in die Brust wie der Kriegshammer eines Rearicks.

Aber er musste Gewissheit haben.

Er verbannte die Angst aus seinem Kopf, klopfte mit dem Ende seines Stabs gegen die große Eichentür und wartete auf Antwort. Sie kam nicht schnell, aber das überraschte ihn nicht.

Die Mystischen hatten ein anderes Zeitgefühl als die Tieflandbewohner der Städte und Wälder. So wie Ezekiel und Hannah oft während der Meditation die Zeit vergaßen, geschah es auch den Mystischen. Für sie war Meditation fast schon zum Dauerzustand geworden, so alltäglich wie für den Rest der Welt das Atmen.

Gerade, als er ein zweites Mal anklopfen wollte, geriet die Tür in Bewegung. Ein Mann, der schätzungsweise ein Viertel so alt war wie Ezekiel, mit schmalem Gesicht und einer noch schmaleren Nase, stand vor ihm. Er trug einfache Gewänder, die Ezekiels sehr ähnlich waren, bis auf die fehlenden Gebrauchsspuren.

Der Mann trat zur Seite und neigte den Kopf, um seine Einladung und Gastfreundschaft zu bekunden. Ezekiel nickte, lächelte und betrat den großen Eingangsflur, dessen gewölbte Decke den Blick zum Himmel lenken sollte. Er blieb direkt hinter der Türschwelle stehen und wartete, doch der Mystische starrte Ezekiel nur schweigend an, sodass er sich fragte, ob sein Gastgeber wohl ein Schweigegelübde abgelegt hatte. Diese Praxis war für die Mystischen nicht ganz unüblich.

Schließlich sprach er doch: »Ezekiel, Ihr seid herzlich willkommen in der Heimat der Mystischen von Irth. Wir haben Euch erwartet.« Ein heiteres Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus und Ezekiel fragte sich, ob er wohl schon zu tief ins Glas geschaut hatte.

Er selbst, der bis zu einem gewissen Grad der Mentalmagie fähig war, kannte ihre Gefahren und Konsequenzen. Die Erde durch Astralprojektion zu bereisen und in den Verstand anderer einzutauchen, war weder eine leichte, noch besonders hehre Angelegenheit.

»Danke dir, Bruder. Es ist lange her, dass ich in den Heights war. Mir scheint, die Gemeinschaft hat die letzten Jahre gut überstanden.«

Der Mystische nickte. »Nur wenige nehmen die Reise in die Heights auf sich. Und wer es doch tut, ist voll guter Absichten. Das macht das Leben auf Irth für uns zu einem Traum.«

Ezekiel lächelte und fragte sich insgeheim, ob dieser Traum wohl überdauern würde.

»In der Tat. Ich bin hier, um mit dem Meister zu sprechen. Leider wird der Friede der Heights nicht ganz Irth zuteil und ich brauche Rat von jenem, den ich vor Jahren unterwiesen habe.«

»Folgt mir. Ich werde mit dem Meister sprechen und ein Treffen arrangieren, aber Ihr müsst müde sein, denn der Sprung aus dem Flachland hierher verlangt selbst einem so begabten Magier wie Euch viel ab. Lasst mich Euch Euer Zimmer zeigen und Euch Trank und Speise bringen.«

»Nur Tee für mich.«

Das Elixier, das sie in den Kellern des Tempels zubereiteten, war das Beste im ganzen Land und Ezekiel würde es nur zu gerne nach seinem Treffen trinken, aber vorerst musste er einen klaren Kopf bewahren. Der starke Alkohol wäre sicherlich hilfreich beim Einschlafen, aber er war nicht in die Heights gekommen, um sich zu erholen.

Der Mystische nickte und führte Ezekiel auf sein Zimmer, wo er ihn allein ließ.

Bald kam ein Kind, das kaum älter als vierzehn sein konnte, herein und stellte schweigend ein Tablett mit Essen auf dem kleinen Tisch ab.

In seinem Alter hatte das Kind sicherlich bereits mit der magischen Ausbildung begonnen, denn die Mystischen schöpften einen Teil ihrer Kraft daraus, sehr viel früher damit anzufangen als die Arcadianer. In Kombination mit der Abgeschiedenheit ihres behüteten Berglandparadieses verlieh der frühe Zauberunterricht den Kindern schon frühzeitig ihre Macht.

Kaum war Ezekiels Bauch gefüllt, kehrte ein beachtlicher Teil seiner Energie zurück. Er goss sich einen Becher mit heißem Tee ein und machte es sich auf einem Stuhl vor dem Kamin gemütlich. Die Flammen tanzten und ließen ihn in Grübelei verfallen.

In einem Zustand zwischen Wachen und Schlafen dachte er an seine neueste Schülerin.

Hannah hatte etwas an sich, das anders war als alle anderen. Anders als Adrien.

Ezekiels Vorteil war immer sein Fleiß gewesen, bei ihr war es ihr Geist, der ihre Energie reiner und kraftvoller machte, als seine je sein würde.

Wie wünschte er sich, er könne mit dem Orakel über Hannah sprechen. Lilith würde sicherlich das Geheimnis ihrer Macht entwirren.

Aber für diese spezielle Reise blieb keine Zeit und er hoffte, dass zumindest der Meister der Mystischen einige Antworten auf seine Fragen haben würde.

Sein Geist wanderte von seiner neuesten Schülerin zu seinem ältesten. Als Junge war auch Adrien anders gewesen als alle anderen. Damals hatte Ezekiel seine griesgrämige Grundeinstellung und seinen Zynismus der Tatsache zugeschrieben, dass er ein Waisenkind war, das zum Überleben schon Unsagbares hatte tun müssen. Ohne Zweifel hatte dies maßgeblich zu der Person beigetragen, zu der sich Adrien entwickelt hatte. Aber es musste noch etwas anderes geschehen sein.

Eigennatur und Erziehung hatten aus ihm ein Monster geschaffen und Ezekiel war nicht da gewesen, um ihm zu helfen und seine gute Seite zu bestärken. Der Zauberer verfluchte seinen damaligen Leichtsinn, Arcadia Adrien zu überlassen. Wäre er doch nur geblieben, dann hätten der Junge und die Stadt sich womöglich zum Besseren entwickelt.

Das Quietschen der Holztür riss ihn aus seinen von Schuldgefühlen getränkten Gedanken.

»War das Mahl angemessen?«

Ezekiel konnte nicht umhin, über die eigentümliche Ausdrucksweise der Mystischen zu schmunzeln, während er dem Mann den Flur hinunter folgte. »Sehr angemessen, wie auch der Rest eurer Gastfreundschaft.«

Der Mystische nickte und starrte Ezekiel stumm an. Das Klosterleben war auf Effizienz getrimmt und die Kommunikation innerhalb ihrer Gemeinschaft für Außenstehende nicht gerade leicht zu durchschauen. Nach einer gefühlten Ewigkeit sprach der junge Mann endlich.

»Unser Meister wird Euch nun empfangen.«

* * *

Als Ezekiel die Treppe zum Haus des Meisters hinaufstieg, wuchs die Vorfreude in seinem Herzen. Selah, der Meister, war während Ezekiels Zeit im Tempel sein primärer Schüler gewesen. Ihre gemeinsame Arbeit hatte nicht nur den Grundstein für die Gemeinschaft der Mystischen gelegt, sondern auch eine Freundschaft begründet, von der Ezekiel wusste, dass sie Zeit und Entfernung überdauerte.

Es gab zwar viel zu besprechen über Adrien, Arcadia und Ezekiels neue Schülerin, aber er konnte es kaum erwarten, einen seiner liebsten Freunde wiederzutreffen.

Sein Geleit öffnete Ezekiel die Tür und ließ ihm den Vortritt.

Der Zauberer trat über die Schwelle und sah sich um in der Hoffnung, seinen Freund zu sehen. Doch statt eines großen, dunkelhäutigen Mannes mit fröhlichem Lächeln war da eine Frau, die nicht älter als Mitte zwanzig sein konnte, mit einem Gesicht, das in seiner Schönheit ganze Kriege hätte auslösen oder aufhalten können. Ihr Haar war dunkel, schimmerte aber teilweise kastanienrot.

Sie erhob sich, als er eintrat, und schenkte ihm ein Lächeln aus sternweißen Zähnen.

»Meister Ezekiel. Lange habe ich auf diesen Tag gewartet.«

Er stockte unentschlossen. »Ihr seid …«

»Eine Frau? Ja. Jung? Durchaus.«

»Nicht Selah«, schloss er vorsichtig.

Sie schlug die Augen nieder. »Verzeiht mir. Ich dachte, Ihr wüsstet von seinem Ableben. Selah ist vor zwei Jahren in die nächste Ebene fortgeschritten.« Sie sprach gefasst und beinahe im Dialekt des Tieflandes, bis auf einige verbliebene Eigenheiten in der Aussprache. »Seine Abreise verlief schnell und angemessen. Nun habe ich den Vorsitz inne. Bitte, setzt Euch.« Sie deutete auf einen Stuhl am Kaminfeuer.

Ezekiel nahm gehorsam neben ihr Platz. Offenbar war Hannah nicht die einzige junge Frau mit besonderen Talenten.

Einige glaubten, das Zeitalter des Wahnsinns habe bei all seinen Grausamkeiten zumindest die Gleichberechtigung aller Menschen unabhängig von Hautfarbe, Stand und Geschlecht erreicht. Aber Arcadia bewies, dass es sich dabei nur um eine idealistische, realitätsferne Hoffnung handelte. Reiche, weiße Männer waren noch immer an der Macht, aber diese Frau und Ezekiels neue Schülerin könnten erste Anzeichen für den nahenden Untergang der Patriarchalgesellschaft sein. Immerhin hieß es, auch die Queen Bitch sei ungewöhnlich gewesen.

Eine Frau, die in einer von Männern dominierten Welt aufstieg und die Macht, Größe und Gerechtigkeit des schönen Geschlechts ein für alle Mal bewies.

Ezekiel jedenfalls musste man, was das anging, gar nichts mehr beweisen, er glaubte daran: Veränderung war nah .

»Mein Name ist Julianne. Und es ist mir eine Ehre, die Mystischen in unserem gemeinsamen Streben nach Frieden anzuführen.«

Ezekiel nickte. »Wie habt Ihr …?«

Sie lächelte und hielt einen Finger hoch. »Zuerst einen Toast. Wir müssen angemessen vorgehen.«

Sie nahm zwei kristallene Kelche vom Tisch, welche die Flammen des Feuers tanzend an die Wände reflektierten, und reichte einen davon Ezekiel. Sie hob ihren eigenen feierlich.

»Auf die Matriarchin und den Patriarchen.«

Ezekiel hob sein Glas ebenfalls und stieß mit ihr an. Der Duft des starken Gebräus stieg in seine Nase, noch bevor die Nässe seine Zunge bedecken konnte. Er nippte behutsam und nahm so wenig wie möglich zu sich, ohne unhöflich zu erscheinen.

Seine Vorsicht war verschärft angesichts der Tatsache, dass er es hier nicht wie gedacht mit einem alten Freund zu tun hatte. Die Mystischen waren gute Menschen, aber es hatte ihnen noch nie sonderlich viel ausgemacht, den Verstand Anderer zu durchstöbern.

Statt Vertrauensbruch sahen sie darin ein offenes Angebot zum Schmökern.

Und nichts öffnete die mentalen Barrieren eines Telepathieopfers so verlässlich wie Alkohol. Er musste so lange auf der Hut bleiben, bis er ihr vertrauen oder zumindest feststellen konnte, ob sie wie Adrien der Dunkelheit zugetan war.

Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und stützte ihr Kinn auf eine Hand.

»Eure Abwehr ist stark, Magier.«

»Ja. Verzeiht mir. Ich pflege Fremde nicht in meinen Geist zu lassen.«

»Verständlich. Wo Ihr herkommt, ist es üblich, dass Menschen Magie für ruchlose Zwecke missbrauchen. Wir aber sind nicht wie die Tieflandbewohner. Die Gedanken seines Gegenübers zu kennen, erhöht die Vertrautheit und beschleunigt das Kennenlernen.«

»In der Tat. Nun, ich bitte um Vergebung, aber wir werden es langsam angehen müssen. Lebenslange Erfahrung hat diesen alten Mann zu einem Geschöpf der Vorsicht gemacht.«

Sie nickte. »Wie Ihr wünscht, Meister Magier. Ich bin zu jung, als dass ich Euch hätte kennen können, als Ihr das letzte Mal diese Hallen betratet. Aber Ihr seid hier eine Legende, fast wie die Matriarchin und der Patriarch. Ich wurde in einem kleinen Dorf nördlich von Arcadia geboren, aber Meister Selah hörte auf einer seiner Pilgerreisen von meinen Gaben und brachte mich hierher. Meine Eltern waren mehr als glücklich, ihre verrückte Tochter loswerden.

Ich lebte mich hier im Tempel schnell ein und wurde als eine von dreien ausgewählt, um direkt von Meister Selah zu lernen. Die Frage nach seinem Nachfolger beschäftigte ihn – etwas, das er zweifellos von Euch gelernt hat. Er lehrte uns Achtsamkeit und die alten Künste, wir waren viel jünger als die meisten Magieschüler. Es war nicht vorgesehen, dass ich so früh seinen Platz einnehme, aber Selahs Übergang kam Jahre früher, als wir alle erwartet hatten.«

Ezekiels Kehle schnürte sich zu und er hätte gerne gefragt, wie es zu Selahs Tod gekommen war, entschied sich aber dafür, seine Gastgeberin in ihrem Tempo fortfahren zu lassen.

»Kurz vor seinem Übergang erwählte er mich als seine Nachfolgerin. Wie Ihr Euch sicher vorstellen könnt, waren die Menschen um ihn herum … überrascht. Meine Berufung war eine große Herausforderung, aber da ich genug Beruhigungstrunk und Zeit allein hatte, war es bisher eine Ehre.«

Ezekiel grinste verständnisvoll und nippte wieder an seinem Kelch. Er wollte nicht unhöflich sein – ganz zu schweigen davon, dass das feinste Getränk in ganz Irth förmlich nach ihm rief. Mit dem zweiten Schluck fühlte er, wie die wohlige Wärme in seinem Bauch bis zu seinem Gesicht wanderte. »In der Tat, es gibt für uns alle einen Anlass zum Trinken.«

Julianne lachte in sich hinein. »Wir Mystischen sind da ganz Eurer Meinung, allerdings ist jener Anlass für uns allgegenwärtig. Zugegeben, wir sind Experten darin geworden, das Ausmaß der Wirkung unseres kleinen Tranks zu beurteilen – immer darauf bedacht, nicht zu übertreiben. Wir haben die Kontrolllektionen nicht vergessen, die Ihr Selah gelehrt habt, denn er gab sie an uns weiter.« Sie hielt inne und starrte eine Weile lang in die Flammen des Kaminfeuers.

Ezekiel verstärkte alarmiert seine mentalen Barrieren, da er befürchtete, sie könnte erneut versuchen, sich einzuschleusen. Sie wirkte tatsächlich leicht enttäuscht, als sie fortfuhr.

»Es wird noch Gelegenheit geben, uns besser kennenzulernen, aber darf ich mich jetzt schon erkundigen, was Euch zurückgeführt hat zu unserem bescheidenen Heim hier in den Heights?«

»Natürlich. Ich wünschte, ich wäre nur aus persönlichen Gründen gekommen, aber die Ereignisse des Tieflandes haben mich hierher getrieben.« Ezekiels Ausdrucksweise passte sich ein wenig der Juliannes an – eine Gewohnheit, die er im Laufe jener Jahre entwickelt hatte, die er inmitten der verschiedensten Völker Irths verbracht hatte.

Ezekiel bemühte sich, die furchtbare Verfassung Arcadias und die Geschichte von Adriens Herrschaft so anschaulich wie möglich zu erzählen.

Sie hörte ihm aufmerksam zu und nippte an ihrem Kelch.

Als er geendet hatte, nickte sie bedächtig. »Ja, Selah war lange Zeit misstrauisch gegenüber Eurem ehemaligen Schüler – eine Einstellung, die ich teile. Jene von uns, die nach Arcadia und in andere Gebiete von Irth reisen, berichten mir und manchmal teleportiere ich mich selbst in die Ferne, um die Entwicklungen mit eigenen Augen zu sehen. Adriens unersättlicher Machthunger ist offenkundig. Aber glaubt nicht, dass sich seine Besessenheit nur innerhalb der Mauern Arcadias ausbreitet. Seine dunklen Absichten reichen weiter, in noch besorgniserregendere Gefilde.«

»Magitech?«

Langsam hob sie ihr Glas an die Lippen und trank, wobei sie den Augenkontakt zu Ezekiel nicht brach. »Ja. Unsere Nachforschungen haben ergeben, dass jene Waffen und Werkzeuge, die er mit magischer Kraft versieht, lediglich als Teststücke gedacht sind. Er hat es auf Größeres abgesehen als magiebetriebene Lampen und automatische Türen. Etwas Globales. Adrien möchte seine Doktrin über Magiegebrauch in ganz Irth verbreiten … und damit auch seine Macht.«

Ezekiel runzelte die Stirn. »Euer Volk pilgert immer noch, trotz der Bedrohung?«

Julianne stellte ihren Kelch auf einem Tisch ab, hielt den kristallenen Stiel jedoch umklammert. »Manche wagen es noch, aber es werden immer weniger und das bringt uns in eine schwierige Lage. Unsere Magie ist am stärksten, wenn wir die Pilgerreise machen, aber dadurch, wie Adrien den Verstand der Tieflandbewohner korrumpiert hat, geht von ihnen nun ein wachsendes Risiko aus. Er benutzt einen Mann namens Jedidiah – genannt der Prophet – um Falschinformationen über den Gebrauch von Magie zu verbreiten. Es ist eine äußerst raffinierte Täuschung, denn er tut es in Eurem Namen.«

Sie warf ihm einen Seitenblick zu, der ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Ezekiel erinnerte sich an den alten Mann im Kapitolpark und wie seltsam es gewesen war, ihn über den Gründer predigen zu hören, während er Ezekiels Position zum Magiegebrauch aufs Schlimmste pervertierte. Jetzt ergab das alles einen Sinn. Der Prophet war nur ein weiterer Teil der Doktrin, die Adrien zu verbreiten suchte. Sein ehemals brillanter Schüler war offenkundig zum bösen Superhirn mutiert.

»Das größere Problem für uns«, fuhr Julianne fort, »ist, dass wir auf der Pilgerfahrt nach Menschen mit der mystischen Gabe suchen und sie aufnehmen, wie Selah es damals bei mir tat. In jenen Gebieten, die Adrien korrumpiert hat, erfahren wir jedoch bestenfalls Misstrauen und schlimmstenfalls Gewalt. Niemand will sich uns mehr anschließen. Unsere Zahl schrumpft, und bald könnte unsere Kunst ganz vom Antlitz Irths verschwinden.«

»Magische Ausrottung.«

»Von der schlimmsten Art«, stimmte sie zu. In dem Bewusstsein, dass seine Audienz bald vorbei sein würde, trank Ezekiel beherzt noch mehr von dem Gebräu, um sein schweres Herz zu erleichtern.

»Julianne, deswegen bin ich zurückgekehrt. Adrien ist eine Bedrohung für die Magie – für ganz Irth – und er muss aufgehalten werden. Aber ich kann es nicht allein tun, und nur die Matriarchin weiß, wie wenig Unterstützung Arcadia für unser beider Sache bereithält. Ich brauche die Hilfe von Verbündeten jenseits der Stadtmauern.«

»Ich verstehe Euren Vorschlag, jedoch muss ich Euch wohl daran erinnern, dass wir Mystischen kriegerische Angelegenheiten nicht gewohnt sind. Wir sind ein friedliches Volk. Wir verkehren mit der barmherzigen Seite der Gerechtigkeit.«

Genau dieses Argument hatte er damals aus Selahs Mund gehört, der die Glaubensdoktrin an ein friedliches Leben an seine Schafsherde weitergegeben hatte. Dies war der Grund, warum sich die Mystischen in den Heights verbargen.

»Julianne, es gibt eine Zeit und einen Ort für Barmherzigkeit und sie ist ein guter Begleiter des zornigen Schwerts. Doch Gnade ganz ohne Zorn bedeutet Machtlosigkeit. Es ist an der Zeit, eure Lebensweise zu verteidigen. Der Schlange den Kopf abzuschlagen, bedeutet Barmherzigkeit für die Unterdrückten.«

Sie nickte erneut und er hoffte inständig, dass sie seine Argumente anerkannte. Aber er brauchte mehr als bloß passive Zustimmung. Er beschloss, seine letzte Karte auszuspielen.

»Da ist noch mehr«, verkündete er. »Ich unterrichte seit Neuestem jemanden Besonderes, der eine einzigartige Gabe hat und uns helfen könnte, dieses Land zurückzuerobern.«

Sie hob eine Augenbraue. »Wie ist sein Name?«

»Nicht sein, sondern ihr Name. Hannah . Und sie entstammt der Wurzel von Adriens Unterdrückung, was in ihr eine unumstößliche Entschlossenheit genährt hat, sein Imperium zu stürzen und Arcadia wieder zu dem zu machen, was es einst werden sollte. Wenn wir die Wurzel allen Übels ausgraben, verhindern wir, dass sein Einfluss weiter wuchert. Wir können ihn von den Heights fernhalten.«

Er trank seinen Wein aus und stellte den Kelch auf seinen Beistelltisch. »Aber wenn Ihr die Bedrohung weiterhin ignoriert, Euch in Eurer Bergfestung verschanzt, dann werden sie kommen. Vielleicht nicht heute oder morgen, aber eines Tages werden sie kommen, und dann wird es euer Ende sein.«