KAPITEL 12
Angie lief mehrmals von ihrem Auto im unterirdischen Parkhaus zu ihrer Wohnung im obersten Stock, um die Aktenkisten und die Vorräte, die sie auf ihrem Heimweg gekauft hatte, nach oben zu bringen. Als sie mit der letzten Ladung in der Wohnung war, schob sie mit dem Fuß die Tür zu und stellte die zweite Aktenkiste auf den Boden neben die erste, wobei sie zusammenzuckte, als die Muskeln in ihrem verletzten Arm protestierten. Sie rieb sich den Arm und starrte hinunter auf die Kisten.
KISTE 01 JANE DOE SAINT PETERS #930155697-2
KISTE 02 JANE DOE SAINT PETERS #930155697-2
Sie ließ zu, dass die Aufregung in ihr hochstieg, als sie die Tür abschloss und ihre Regenjacke auszog. Sie konzentrierte sich lieber auf ihren ungelösten Fall, als Entscheidungen darüber zu treffen, ob sie morgen ihre Uniform hervorholen und sich beim Social-Media-Schreibtisch melden sollte oder nicht. Außerdem hielt das ihre Gedanken davon ab, zu Antonio hinter der Bar zu schweifen oder zum Club. Oder sich missmutig mit ihrem gescheiterten Geburtstagsessen mit Maddocks zu befassen und was es ihr bedeutete, und ob sie um eine funktionierende Beziehung mit ihm kämpfen wollte.
Sobald sie Mantel und Schuhe ausgezogen hatte, schaltete sie alle Lampen in ihrer kleinen Wohnung und den Gasofen an. Sie zog warme Leggings und einen Fleece-Pullover über, dazu dicke Socken und UGG-Stiefel. Trotzdem schien die Kälte in ihren Knochen zu kauern, als wäre gestern im Krankenhaus ein nasskalter Schauer aus den Schatten ihrer Vergangenheit gekrochen und in ihr Innerstes vorgedrungen.
Nachdem sie ihren Esstisch mit Chlorreiniger abgewischt hatte, deckte Angie die Oberfläche mit einer Hülle aus schwerer Plastikfolie ab. Sie hatte die Rolle im Baumarkt geholt, zusammen mit 1x1-Meter-Melaminplatten, einer Heißklebepistole und einem Päckchen farbiger Filzstifte. Idealerweise sollten die Fallaktenkisten in einem Labor oder einem ähnlich sterilen Umfeld geöffnet werden, für den Fall, dass sich darin noch brauchbare biologische Indizien befanden. Man sollte den richtigen Verfahrensweisen für den Umgang mit Beweisen folgen. Aber die Beweismittelkette war schon lange unterbrochen. Arnold Voigt hatte laut seiner Witwe die Kisten mehrfach in seiner Wohnung geöffnet. Er oder seine noch lebenden Familienmitglieder konnten alle möglichen Verunreinigungen eingebracht haben. Die Kisten hatten außerdem in einem Keller gestanden, der vielleicht feucht gewesen war. Welche Beweismittel auch immer also in diesen Kisten lagen, sie würden kaum vor Gericht zulässig sein.
Wenn sie jedoch Beweise fand, die man noch einmal untersuchen konnte, könnte es sie zu neuen Anhaltspunkten führen, zu etwas, das man doch vor Gericht verwenden konnte. Und ja, sie dachte wie eine Polizistin – sie wollte nicht nur Antworten, sie wollte auch juristische Gerechtigkeit. Dieser kleinen Jane Doe war ein Unrecht angetan worden – ihr selbst. Männer mit Waffen hatten eine junge Frau mit dunklem Haar im Schnee über die Straße gejagt – eine Frau, die vielleicht ihre Mutter gewesen war. Jane Does Gesicht war zerschnitten worden, Blut überall, Spermaflecken auf einem Pullover, der bei dem Kind gefunden wurde. Schüsse waren abgefeuert worden. Zeugen hatten Reifen quietschen gehört. Vielleicht jene von dem Transporter, der vom Tatort weggefahren war. Mit der Frau darin, gefangen. Oder tot.
Wenn Angie irgendeinen Trost aus dem ziehen konnte, was sie bisher herausgefunden hatte, dann den, dass es so schien, als habe die dunkelhaarige junge Frau verzweifelt versucht, das Kind zu retten. Sie war der Frau wichtig gewesen.
Sie hatte Angie nicht verlassen – die Frau hatte sie vor den bösen Männern beschützt.
Sobald die Plastikfolie um die Tischbeine befestigt war, trat Angie zurück und betrachtete ihr Werk. Ihre Einsatzzentrale nahm Gestalt an. Sie hievte die Kisten von ihrem Platz an der Tür hoch und stellte sie auf die vorbereitete Tischplatte. Dann ging sie dazu über, eine Wand in ihrem Wohnzimmer von gerahmten Fotos und einem Bild zu befreien. Angie arbeitete sorgfältig, aber zügig und benutzte die Heißklebepistole, um die weißen Melaminplatten an der leeren Wand zu befestigen, wodurch sie ein riesiges abwischbares Tatortbrett erhielt. Es würde vielleicht schwierig werden, diese Platten später wieder abzubekommen, aber sie dachte nicht an später.
Während der Kleber trocknete, schob sie ihren Schreibtisch mit dem Computer an die angrenzende Wand. Sie startete den Rechner und öffnete einen Ordner, in dem sie die wenigen Onlineartikel aufbewahrte, die sie aus dem Jahr 1986 zu dem Babyklappenkind gefunden hatte. Sie hatte vor, weitere Fahrten zum Festland zu unternehmen, wo sie damit anfangen würde, die Bibliotheksarchive von Vancouver zu durchforsten, auf der Suche nach Mikrofilmkopien aller Zeitungen aus dieser Zeit.
Diese Artikel konnten potenzielle Spuren liefern, die Namen von Fotografen und Journalisten, die über die Geschichte berichtet hatten, die Namen der Verleger und Redakteure aus der Zeit, mögliche Zeugen. Eine weitere Möglichkeit war es, direkt zu Fernsehsendern und Zeitungen zu gehen auf der Suche nach Archivmaterial, aber sie wollte sehr vorsichtig sein, bevor sie auf Journalisten zuging. Sie würden ihre Geschichte an ihr riechen. Sie wollte nicht in den Nachrichten landen. Schon wieder.
Besonders jetzt, wo sie auf so dünnem Karriereeis lief.
Angie verband ihre Digitalkamera mit ihrem Computer und lud die Fotos herunter, die sie vor dem Krankenhaus und der Kathedrale gemacht hatte. Sie wählte einige aus und drückte auf DRUCKEN. Dann öffnete sie ein Bild, das sie aus einem der Onlineartikel gespeichert hatte – die Phantombildzeichnung von Janie Doe. Die Bildunterschrift lautete: KENNEN SIE DIESES KIND?
Sie klickte auf DRUCKEN.
Während ihr Drucker summte, prüfte Angie ihre Wandplatten. Sie fühlten sich fest an, der Kleber war trocken genug. Ganz oben auf die Wand schrieb sie in schwarzen Großbuchstaben BABYKRIPPENFALL ’86. Unter die Überschrift übertrug sie die Fallnummer, die das VPD auf Voigts Kisten benutzt hatte: JANE DOE SAINT PETERS #930155697-2.
Unter die Fallnummer hängte sie das Phantombild von Janie Doe. Neben die Zeichnung klebte Angie den verblassten Kodak-Abzug, den ihr Jenny Marsden gegeben hatte. Als Nächstes hängte sie die Bilder auf, die sie vor dem Krankenhaus gemacht hatte.
Sie trat einen Schritt zurück und ließ es optisch auf sich wirken. Der Fall fühlte sich jetzt greifbar an. Echt. Es bündelte ihre Konzentration.
Ihr eigenes verletztes Gesicht von vor zweiunddreißig Jahren schaute zurück. Angie berührte die Narbe an ihrer Lippe.
Wer bist du, Janie Doe? Was haben deine Augen gesehen, das so schlimm war, dass du dich nicht mehr daran erinnern kannst?
Angie schüttelte sich, zog ein Paar Tatorthandschuhe an und nahm ihre Kamera. Sie ging zurück zum Tisch und fotografierte die versiegelten Kisten aus mehreren Blickwinkeln. Dabei stellte sie sicher, dass die Fallnummern zu sehen waren. Sie würde jeden Schritt dieser sehr persönlichen Ermittlung dokumentieren.
Der Begriff »Cold Case« war umstritten, das wusste Angie. Er erweckte den Eindruck, dass ungelöste Fälle nicht zu knacken waren. Aber ein Cold Case war nur ein Konzept – es gab nicht die eine Standarddefinition. Es war einfach ein Fall, der den Strafverfolgungsbehörden gemeldet und untersucht worden war. Doch wegen unzureichender Beweise oder fehlender dringender Tatverdächtiger war niemand festgenommen und angeklagt worden. Und weil die Zeit verging, weil neue Spuren fehlten, weil der Druck auf Verwaltungen und Polizeibehörden, höhere Aufklärungsraten zu liefern, wuchs, wurden diese Fälle nicht mehr aktiv von Ermittlern bearbeitet.
Die Zeit kann deine Feindin oder aber deine Freundin sein. Sie stellte ihre Kamera ab und griff nach dem Cuttermesser.
Eine Binsenweisheit besagte, dass sich die Chancen, einen Mord aufzuklären, nach den ersten vierundzwanzig bis zweiundsiebzig Stunden rapide verringerten. Die Gründe dafür waren offensichtlich: Die Chance, nicht verunreinigte Beweise zu finden, war am Anfang am größten. Zeugen waren noch vor Ort anwesend, ihre Erinnerungen an die Ereignisse waren frisch. Es war außerdem weniger wahrscheinlich, dass die Täter die Gelegenheit hatten, Geschichten und Alibis untereinander abzusprechen.
Dennoch, wie Jenny Marsden angemerkt hatte, veränderten sich über die Jahre die Beziehungen der Menschen, die in einen Fall verwickelt waren, stark. Zeugen, die einst Angst gehabt hatten, sich zu melden, waren vielleicht nicht mehr so zögerlich. Und mit den Fortschritten in der Forensik seit den späten Achtzigern konnten winzige Spuren, die früher nichts ausgesagt hätten, auf DNS getestet werden. Das alte Zehnfingerabdruck-Kartensystem in Papierform war ebenfalls mit dem Aufkommen des digitalisierten Papillarleisten-Bildsystems revolutioniert worden – digitale Scans von Abdrücken wurden jetzt in automatisierten Abdruckerkennungsdatenbanken gespeichert, zu denen ständig neue Daten hinzugefügt wurden.
Man könnte das hier aufklären, dachte Angie, griff erneut zum Cutter und begann, vorsichtig durch das gelbe Klebeband der ersten Kiste zu schneiden. Ihr Herz klopfte erwartungsvoll. Es war möglich.
Sie öffnete den Deckel und Enttäuschung machte sich breit – nur eine Heftmappe mit losen Akten lag darin sowie zwei ziemlich dünne Notizbücher und Zeitungsausschnitte in einer Plastikhülle. Sie sagte sich, dass das nicht unbedingt bedeutete, dass die Untersuchungsakten unvollständig waren.
Es ist nicht die Menge, sondern die Qualität, die zählt.
Sie hatte Glück, sie überhaupt zu haben.
Angie ging zur zweiten, größeren Kiste über, zerschnitt das Klebeband und öffnete den Deckel. Ihr Puls wurde schneller. Darin lagen mehrere braune Papiertüten, auf denen in Großbuchstaben BEWEISMITTEL stand. Fast zitternd vor Adrenalin nahm Angie ihre Kamera und schoss weitere Fotos. Dann stellte sie die Kamera ab und holte die oberste Tüte heraus. Auf der Seite stand zum Inhalt: STOFFBÄR, BABYKLAPPE ST. PETER’S HOSPITAL.
Sie zögerte, dann öffnete sie die Tüte vorsichtig. Der Kopf eines Teddybären schaute heraus, das Fell steif von getrockneten Blutresten. Blut – ihr Blut. Die Zeit verlangsamte sich. Vorsichtig nahm sie den Teddy aus der Beweistüte und betrachtete ihn genau. Nicht viel anders als der, den sie in der neuen Babykrippe gesehen hatte, die ihr Jenny Marsden gezeigt hatte. Dieser Bär hatte auch ein T-Shirt, auf dem SAINT PETER’S HOSPITAL stand. Aber die Buchstaben auf seinem kleinen T-Shirt waren kaum lesbar unter den braunen Flecken.
Das da ist mein Blut, das ich in den Händen halte. Von mir, als ich vier war. Dieser Teddy war mit mir in der Babyklappe. Ein Blitz grellen Lichts traf sie an der Schläfe und ließ Spiegelscherben der Erinnerung durch ihr Gehirn schneiden. Schmerz brannte an ihrem Mund. Angie keuchte. Eine Frau schrie.
Uciekaj, uciekaj!
Lauf, lauf!
Wskakuj do srodka, szybko.
Geh rein.
Siedz cicho!
Sei still!
Ihre Welt drehte sich, als würde sie nachts durch einen Schneesturm fahren, die wirbelnden Flocken grell leuchtend im Scheinwerferlicht. Dann kam diese eindringliche, blecherne, schreckliche Kindermelodie.
A-a-a, kotki dwa… Ah-ah-ah,
Zwei kleine Kätzchen.
Es waren einmal zwei kleine Kätzchen.
Zwei kleine Kätzchen,
beide gräulich braun.
Ein Schock – tief, wie ein Erdbeben – erfasste sie und begann, ihren Körper zu schütteln. Lautes Klopfen dröhnte in ihrem Kopf. Lauter. Angie konnte nicht atmen. Atme, atme, Angie…
Mehr Klopfen. Schneller. Fester.
»Angie!«
Sie gab sich einen Ruck und ihr Blick ging Richtung Boden. Jemand klopfte, versuchte hereinzukommen. Schrecken packte sie an der Kehle.
Siedz cicho!
Sei still!
Desorientiert starrte sie auf die Tür, versuchte angestrengt, sich wieder auf die Realität zu konzentrieren. Jemand hatte geklingelt, um ins Haus gelassen zu werden. War es einer ihrer Nachbarn?
Weiteres Klopfen. »Angie? Ich weiß, dass du da drin bist. Ich habe den Nissan auf deinem Parkplatz unten gesehen.«
Maddocks?
Panik stieg in ihr auf. Ihr Blick huschte durch die Wohnung.
»Ich komme rein, okay? Ich komme rein.«
Schlüssel – sie hatte vergessen, dass sie ihm die Schlüssel zum Gebäude und zu ihrer Wohnung gegeben hatte. Mit zitternden Händen versuchte Angie, den Bären wieder in die Beweismitteltüte zu stecken. Aber die glänzenden Knopfaugen sahen sie an. Sie war plötzlich nicht in der Lage, den Kopf des Bären zurück in sein dunkles Gefängnis zu schieben. Sie nahm ihn wieder heraus.
Die Tür ging auf. Angie blieb reglos stehen, den Bären in den behandschuhten Händen. Maddocks tauchte im Türrahmen auf, seine ganzen ein Meter fünfundneunzig. Schwarzer Mantel. Zerzaustes blauschwarzes Haar. Rote Krawatte zu einem frischen weißen Hemd. Der Tag hatte sein Kinn stoppelig werden lassen, Schatten unter seine Augen gemalt und Erschöpfung in die Falten seines Gesichts gegraben. Unter einem Arm trug er Jack-O. In der anderen Hand hielt er eine Flasche Rotwein und einen Umschlag. Aus seinen dunkelblauen Augen sah er sie durchdringend an.
»Angie, alles in Ordnung?« Er trat ins Zimmer. Sein Blick zuckte zunächst zu ihrem Tisch, dann auf ihre Schreibwand. »Was ist los?« Er schob die Tür mit dem Absatz zu und setzte Jack-O ab. Das dreibeinige Tier humpelte zu dem Hundebett, das Angie neben den Gasofen gestellt hatte für die Gelegenheiten, wenn Maddocks zu Besuch kam. Der kleine Kerl rollte sich auf seinem Bett zusammen und sah sie misstrauisch an. Maddocks kam zum Tisch. Er sah auf den blutverkrusteten Bären in ihren Händen. Dann richtete er den tiefblauen Blick auf sie. Mitgefühl lag darin.
Eine kleine Stimme meldete sich in ihrem Inneren. Du verdienst ihn nicht, so einen Mann. Du bist auf professioneller Ebene zu neidisch auf ihn. Er wird dich verletzen. Du wirst dich selbst verletzen, indem du das versaust. Besser zuerst gehen, bevor er es tut.
»Sind das alte Beweismittel?«, fragte er. »Von dem Babyklappenfall? Hast du sie vom VPD?«
Angie räusperte sich, schob den Bären wieder richtig in die Beweismitteltüte und versiegelte sie. »Du hättest nicht kommen sollen – ich habe dir gesagt, du sollst nicht herkommen.«
Er spannte die Kiefermuskeln an. Dann ging er zur Küchentheke, stellte die Weinflasche ab, legte den Umschlag darauf und zog seinen Mantel aus. Er hängte ihn über eine Stuhllehne und fing an, ihre Küchenschränke zu öffnen. Er fand zwei Gläser, die er auf die Arbeitsplatte aus Granit stellte. »Gib mir eine Chance, mich wenigstens wegen dem Abendessen zu entschuldigen und auf deinen Geburtstag anzustoßen.« Er entkorkte den Wein, während er sprach, und füllte zwei Gläser. Er kam zu ihr und hielt ihr eines hin.
Sie weigerte sich, das Glas zu nehmen, drehte ihm den Rücken zu und zog sich die Handschuhe aus. »Ich will, dass du gehst, Maddocks.«
Er stellte die Gläser wieder auf die Theke und legte dann eine Hand auf ihre Schulter. Sie war groß, diese Hand. Warm. Zuverlässig. Wie er. Sie wurde ruhiger.
»Erzähl mir von der internen Untersuchung. Was haben sie gesagt?«
Sie traute plötzlich ihrer Stimme nicht. In ihrem Bauch begann es wieder zu zittern. Er drehte sie langsam herum. Sie sah auf in seine Augen.
»Es tut mir so leid, dass ich heute nicht für dich da war, Angie.« Eine Pause. »Wie … lautet die Entscheidung?« Er legte eine Hand an ihre Wange. Sie sehnte sich danach, sich in seine Berührung fallen zu lassen. Aber gleichzeitig wollte sie sein Mitleid nicht. So würden ihre Kollegen sie sehen, wenn sie von ihrer Bewährung erfuhren – bemitleidenswert. Manche, wie Harvey Leo, würden sogar Schadenfreude empfinden angesichts ihres Abstiegs zum Social-Media-Schreibtisch. Sie hatte nicht vor, ihnen in die Hände zu spielen, sie würde nicht das Opfer werden. Die in Ungnade gefallene Polizistin in Uniform, das misshandelte kleine Mädchen, in einer Klappe zurückgelassen mit zerschnittenem Gesicht und einem blutigen Teddybären und Sperma auf einem Pullover.
Er streichelte mit dem Daumen ihr Kinn entlang. Und etwas Wildes und Wütendes brach in ihr hervor – der verzweifelte Wunsch, ihre eigenen Unsicherheiten niederzubrennen, den Schmerz zu töten, sich abzuschirmen von der Angst vor dem, was ihre eigenen Erinnerungen hervorbringen mochten, den Realitäten ihrer Kindheit, denen sie vielleicht ins Auge sehen musste. Sie packte seine Krawatte und zog ihn mit einem Ruck an sich. Sie umfasste seinen Kopf, streckte sich und presste ihren Mund hungrig auf seinen. Seine Lippen waren kalt von draußen. Er zögerte eine Millisekunde, bevor er plötzlich ihren Hintern umfasste und ihre Hüften eng an sein Becken drückte. Er erwiderte den Kuss, hart, mit der Zunge teilte er ihre Lippen, öffnete ihren Mund weit und nahm sie in Besitz. Lust blendete Angie, als sie spürte, wie sein Schwanz an ihrem Bauch härter wurde.
Verzweifelt, blindwütig stieß sie ihn gegen die Wand neben der Tür, taub gegenüber dem Schmerz in ihrem Arm. Ein Bilderrahmen krachte zu Boden. Sie küsste ihn heftig, ihre Zungen umspielten einander, verwickelten sich, paarten sich. Rasch öffnete er seine Hose und schob ihre Hand hinein. Er war heiß und hart, als sie die Hand um ihn schloss. Der große Inspektor der Mordkommission, der ehemalige Detective der RCMP, der ihren Nervenzusammenbruch nicht gemeldet und sie damit gedeckt hatte. Der Liebhaber, der sie gebrochen und wieder aufgebaut hatte. Der Mann, der ihr beigebracht hatte, sich zu fügen, beim Sex zu vertrauen. Der Mann, der auf einer alten Jacht wohnte, die er genauso wie seine sinkenden Ehe- und Familienträume zu retten versucht hatte. Der Vater, dessen Leben sie zusammen mit dem seiner Tochter gerettet hatte. Ein Mann, von dem sie glaubte, ihn lieben zu können – wenn sie es nur zuließe.
Er stieß ein kehliges Stöhnen aus, als sie begann, mit der Hand auf und ab zu gleiten. Er versuchte, sie Richtung Schlafzimmer zu schieben, aber sie wehrte sich, drückte ihn stattdessen fester an die Wand und zog seine Hose herunter. »Jetzt. Hier«, flüsterte sie an seinem Mund, während sie sich aus ihrer eigenen Hose schlängelte. Sie trat einen Stiefel weg und befreite sich aus dem Hosenbein, bevor sie Maddocks zu Boden drückte.
Er hielt ihren Blick, während er zuließ, dass sie seine Handgelenke über seinem Kopf festhielt. Angie setzte sich rittlings auf ihn und schob den Schritt ihres Höschens zur Seite. Sie öffnete die Schenkel und sank hinab auf seinen warmen, harten Schaft. Mit einem lustvollen Seufzer spreizte sie die Schenkel noch weiter und ließ ihn tief in sich gleiten, noch tiefer. Und sie begann, die Hüften zu wiegen, erzeugte Reibung im Inneren ihres Körpers. Ihr Atem kam schnell, schneller. Sie wiegte sich wilder. Sie wurde feucht um seine Erektion herum. Ihr Körper begann zu kribbeln. Eine heiße, rohe Wut explodierte, schoss durch ihren Bauch, ließ sie noch zügelloser werden. Sie schloss die Augen, warf den Kopf zurück, den Mund weit geöffnet, keuchend, Schweiß bedeckte ihre Haut. Und sie ritt ihn hart und schnell und halb bekleidet, zwang ihre Gedanken zurück, durchlebte im Geist noch einmal die allererste Nacht, die sie mit ihm im Foxy Motel verbracht hatte. Sie keuchte plötzlich, verkrampfte und schrie dann laut, als Muskelkontraktionen in rollenden Wellen durch sie hindurchwogten und die Kontrolle über ihren Körper übernahmen.