KAPITEL
38
Die Energie im Briefing-Raum war fast greifbar, als Maddocks mit seinem Laptop und den Akten unterm Arm eintrat. Er setzte sich zu den anderen Officers an eine lange hufeisenförmige Tischreihe und nickte Bowditch und Eden zu, die ihm gegenübersaßen. Sie waren die Einzigen, die er kannte. Ihre Reaktion fiel lau aus. An der Wand hingen zwei große Smart Screens, die ein traditionelles Whiteboard flankierten. Ganz oben auf dem Whiteboard standen mit schwarzem Filzstift geschrieben die Worte: OPERATION ÄGIS.
Das Briefing würde um Punkt zwölf Uhr mittags beginnen, und genau in dieser Sekunde trat ein schwarzhaariger Officer in RCMP-Uniform – hellgraues Hemd mit Insignien am Revers, dunkle Hosen, dunkelblaue Krawatte, Waffengürtel – ein und ging zum Kopf der Tischreihe.
Die Uniform erinnerte Maddocks an etwas, das sein Ausbilder bei der Depot Division in Saskatchewan gesagt hatte. Am fünften Tag hatten die Kadetten zum ersten Mal ihre Mountie-Uniformen anziehen dürfen. Ihr Ausbilder hatte sie angewiesen, sich ihre Hemden anzusehen und sich zu fragen, warum sie grau waren und nicht weiß oder blau oder schwarz wie bei den meisten Polizeibehörden weltweit. Er hatte ausgeführt, dass die Kadetten ihre Hemden als eine Art Symbol
dafür sehen sollten, worum es bei der Polizei ging. Denn in der Strafverfolgung gab es nicht immer nur Schwarz und Weiß. Manchmal waren die Antworten auch grau, und in der Karriere der Kadetten würde irgendwann der Tag kommen, an dem sie auf ihre Hemden hinabblicken und sich daran erinnern mussten.
»Guten Tag zusammen«, sagte der Officer am Kopf der Tafel. »Für jene unter Ihnen, die es nicht wissen, ich bin Sergeant Parr Takumi und ich leite die Operation Ägis.«
Der Mann, der uns das Wissen vorenthalten hat, mit dem wir Sophia Tarasov hätten retten können.
Maddocks war fest entschlossen, diese Information jetzt in vollem Ausmaß zu hören zu bekommen.
Takumi leitete eine Vorstellrunde. Anwesend waren RCMP-Mitglieder aus den Abteilungen für Bandenkriminalität und Menschenhandel sowie ein Vertreter der Grenzsicherheit und ein weiterer Mann von Interpol.
»Zu uns hat sich heute Detective Sergeant Maddocks vom MVPD gesellt, der eine Ermittlung zum Bacchanalian Sexclub an Bord der Amanda Rose
leitet«, führte Takumi aus und sah Maddocks an. »Dort wurden sechs minderjährige, mit einem Barcode versehene Mädchen entdeckt, die man gegen ihren Willen auf der Amanda Rose
festgehalten hat. Das MVPD hat sie in Gewahrsam genommen und an einen nicht genannten Ort gebracht. Gestern hat man eine der jungen Frauen mit herausgeschnittener Zunge tot aufgefunden. Seither hat Operation Ägis die Zuständigkeit übernommen.«
Niemand am Tisch murmelte etwas oder zeigte sich überrascht, wie Maddocks bemerkte. Dieses Team war eindeutig vertraut mit Barcode-Mädchen und mit herausgeschnittenen Zungen. Und mit seinem Fall. Unter dem Tisch ballte er die Hand zur Faust. Es half ihm, äußerlich kühl und ruhig zu bleiben.
»Detective Maddocks’ Team ermittelt außerdem in den Mordfällen von zwei Frauen aus Victoria, die mit dem Bacchanalian Club in Verbindung stehen. Einige der Schlüsselverdächtigen, die an Bord der Amanda Rose
festgenommen wurden, arbeiten noch nicht uneingeschränkt mit dem MVPD zusammen, darunter zwei französische Staatsbürger namens Veronique Sabbonnier und Zaedeen Camus. Beide haben einem Serienvergewaltiger und Mörder an Bord der Jacht Unterschlupf gewährt. Mittlerweile ist dieser Mann unter der Bezeichnung ›der Täufer‹ bekannt. Die Morde an den beiden jungen Frauen aus Victoria stehen nicht mit Operation Ägis in Verbindung. Allerdings sind Sabbonnier und Camus für Operation Ägis von Interesse.«
Takumi machte eine Geste zu einem weiteren Officer am Tisch hin. »Außerdem heißen wir heute Detective Corporal Nelson Rollins willkommen, der Operation Gateway leitet, eine seit Jahren andauernde Undercover-Ermittlung bezüglich der Zusammenarbeit der Hells Angels mit Hafenarbeitern am Port of Vancouver, wodurch kolumbianische Rauschmittel und chemische Grundstoffe ins Land kommen. Die Arbeit des MVPD hat dazu geführt, dass Project Gateway nun mit an Bord ist. Die Befragung, die das MVPD mit Camus durchgeführt hat, konnte eine Verbindung der Hells Angels am Hafen zu einem kriminellen russischen Netzwerk aufzeigen, gegen das Ägis seit acht Monaten ermittelt. Bisher haben wir von dieser Verbindung nichts gewusst. Für jene, die neu am Tisch sind: Ägis wurde ins Leben gerufen, nachdem man die Leichen von fünf nicht identifizierten jungen Prostituierten gefunden hat, die in russisch geführten Clubs gearbeitet hatten. Man hatte ihnen die Zunge herausgeschnitten. Eine der Leichen wurde im Fraser River nahe dem Vancouver Airport gefunden, früh im vergangenen Winter. Sie war nackt. Die Todesursache war Strangulation. Der Alkoholwert im Blut
war sehr hoch, außerdem wurde auch Heroin in ihrem Körper nachgewiesen. Die Leiche der zweiten Frau tauchte vier Monate später auf einem verlassenen Grundstück in Burnaby auf. Die Todesursache war eine Überdosis Heroin. Beiden war die Zunge herausgeschnitten worden. Beiden hatte man einen Barcode in den Nacken tätowiert. Sowohl die Information über die herausgeschnittenen Zungen als auch das Wissen über die Barcodes wurde den Medien vorenthalten. Der gleiche Modus Operandi ist letzten Sommer in Montreal aufgetreten, wo man wieder eine Frauenleiche ohne Zunge und mit tätowiertem Barcode fand. Eine weitere Leiche gab es in Brooklyn, New York, und noch eine draußen in der Wüste vor Las Vegas letzten Frühling. Auch das FBI hat die Informationen über die herausgetrennten Zungen und die Barcodes zurückgehalten. Bei keiner der Leichen wurden Ausweispapiere gefunden. Es gab keine Treffer für Fingerabdrücke und DNS im System, bis wir Interpol kontaktiert haben und zwei unserer Jane Does mit Vermisstenfällen in Europa in Verbindung bringen konnten. Die derzeitige Theorie lautet, dass diese Mädchen über einen russischen Menschenhandelsring in Prag nach Amerika gekommen sind, der den Sexhandel in dieser Stadt vom organisierten albanischen Verbrechen übernommen hat. Durch den Kontakt mit der Gesetzesbehörde in Prag und noch einmal mit Interpol in Europa wurde bestätigt, dass minderjährige, mit einem Barcode versehene Mädchen auf dem UK-Markt und in Europa verkauft oder vermietet wurden. Seit letztem Jahr sind sie in Kanada und nun auch in den Vereinigten Staaten aufgetaucht. Aber bisher ist nicht bekannt, wie man diese Frauen von Prag aus – das als Drehkreuz dient – weitertransportiert. Außerdem wissen wir noch nicht, wo diese Frauen in Nordamerika eintreffen.« Takumi wandte sich an Maddocks.
»Detective Maddocks hier hat uns eine Theorie unterbreitet, laut der die Mädchen vielleicht unter dem Deckmantel
sowohl legaler als auch illegaler Seafood-Importe über den Port of Vancouver aus Wladiwostok via Südkorea und China eintreffen. Project Gateway hat seither die Ermittlungen auf den Seafood-Handel und die Schiffe aus Südkorea und China ausgeweitet. Es ist noch recht früh für so eine Aussage, aber das könnte der Durchbruch sein, auf den wir alle gewartet haben.« Takumi öffnete eine Akte vor sich. »Bevor wir mit Detective Maddocks’ Briefing weitermachen, folgen nun ein paar kurze Updates.« Er überflog die erste Seite der Akte. »Die fünf überlebenden Barcode-Mädchen von der Amanda Rose
sind zu einem geheimen Ort auf dem Festland gebracht worden. Niemand redet. Sabbonnier und Camus sitzen in Untersuchungshaft, ebenfalls hier im Lower Mainland.« Er ließ den Blick weiter über den Bericht nach unten gleiten. »Das Bildmaterial der Überwachungskameras aus dem Krankenhaus in Victoria wurde von unseren Technikern untersucht und bearbeitet, aber es war keine biometrische Identifikation des Verdächtigen möglich – er hat sein Gesicht nie der Kamera zugewandt. Die Techniker glauben, er hat eine Perücke getragen. Unser Verdächtiger hat keine forensischen Beweise am Tatort hinterlassen, die ihn identifizieren könnten.« Takumi sah auf. »Dieser Verdächtige war erfahren. Ein Profi. Passend zu der Theorie, dass die russische Mafia damit eine Nachricht schicken wollte.« Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Bericht zu. »Eine Autopsie wurde heute Morgen an Sophia Tarasovs Leiche durchgeführt. Die Todesursache war eine Überdosis Heroin. Ihre Zunge wurde ante mortem herausgeschnitten – sie hat noch gelebt und war vermutlich bei vollem Bewusstsein.«
Irgendjemand fluchte leise.
Takumi sah auf. »Detective Maddocks, würden Sie das Team über die Ansätze des MVPD briefen?«
Maddocks beugte sich vor und kam direkt zur Sache. »Bis zu Sophia Tarasovs Tod wusste das MVPD nichts über die
Existenz von und den Mord an weiteren mit einem Barcode versehenen Mädchen, und daher wussten wir auch nicht, in welcher Gefahr sich die sechs Überlebenden in unserer Obhut befanden. Man hat uns nicht über Ermittlungen einer internationalen Interagency bezüglich der Morde an den Barcode-Mädchen informiert, bis jetzt.«
Takumi sah ruckartig von seiner Akte auf. Maddocks fuhr fort. Takumi runzelte die Stirn.
»Mit diesen neuen Informationen, und da das MVPD nun in die Operation Ägis involviert ist, können wir unsere Ermittlungen aus einer frischen Perspektive weiterführen.« Er klappte seinen Laptop auf und verband ihn via Bluetooth mit dem Smart Screen. Er drückte ein paar Tasten, um die Karte des Pazifiks und des östlichen Russlands aufzurufen, die er auch schon Bowditch und Eden gezeigt hatte. Er erklärte, wie Tarasovs Beschreibung des Krabbentattoos und Camus’ Aussage dazu geführt hatten, dass das MVPD die Möglichkeit einer Route in Betracht zogen, die mit Importen von russischen Königskrabben in Verbindung stand.
Er rief eine zweite Karte auf seinem Computer auf, die Karte, die er Bowditch und Eden vorenthalten hatte. Eine GIS-Darstellung der Küstenlinie Washingtons, British Columbias und Alaskas.
Eden tippte mit der Rückseite ihres Stifts auf den Tisch, während sie finster die Karte anstarrte.
»Laut Tarasovs Beschreibung wurden sie in einem kleinen Boot von dem Container im Port of Vancouver weitertransportiert.« Maddocks markierte den Hafen auf dem Bildschirm. »Und zwar an einen abgelegenen Ort irgendwo an der Küste, wo die Mädchen gefangen gehalten wurden, vermutlich ein paar Wochen lang. Tarasov konnte sich nicht daran erinnern, wie lang die Bootsfahrt bis zu ihrem Ziel gedauert hat – die Frauen waren zu diesem Zeitpunkt allesamt sehr schwach
und krank –, doch zu ebenjenem Versteck an der Küste ist Veronique Sabbonnier via Wasserflugzeug gekommen und hat sich sechs Mädchen von den neun ausgesucht, die dorthin gebracht worden waren. Die übrigen zehn aus Wladiwostok hat man an einen anderen Ort gebracht, möglicherweise per Lastwagen. Sabbonnier hat diesen sechs Mädchen die Augen verbunden und sie auf die Amanda Rose
in Victoria fliegen lassen. Dieser Flug mit dem Wasserflugzeug dauerte etwa ein bis zwei Stunden. Tarasov war sich, was die Dauer betrifft, jedoch nicht sicher. Womit diese gesamte Küstenlinie infrage kommt.« Er drückte auf eine Taste und ein Bereich der Karte wurde gelb hinterlegt. Er umfasste Vancouver Island, die Gulf Islands, die San Juan Islands, das gesamte Küstengebiet British Columbias sowie den Alaska Panhandle und das nördliche Gebiet von Washington State.
Eden sagte knapp: »Diese ganze Region ist voller Buchten, Inseln und endloser unbewohnter Wildnis.« Sie war eindeutig verstimmt, weil Maddocks ihnen diese Information am Vortag vorenthalten hatte. Hätte er ihnen jedoch all das gesagt, dann würde er heute eindeutig nicht
an diesem Tisch sitzen, als Teil von Operation Ägis.
»Hat Tarasov noch irgendetwas
anderes gesagt, das das Gebiet weiter eingrenzen könnte?«, hakte sie nach.
»Nicht bevor man sie ermordet hat.« Maddocks versetzte ihr einen harten Blick, und Edens Mund zuckte. »Abgesehen von einer Beschreibung ihrer Unterkunft und einer alten, russisch sprechenden Frau in Schwarz, die sich um sie gekümmert hat. Außerdem eine vage Beschreibung eines Mannes, weiße Hautfarbe, vielleicht Ende vierzig oder fünfzig, vielleicht schon Anfang sechzig, der sich eine Maske aufgesetzt und das Licht gedimmt hat, wenn er gekommen ist, um ›die Ware zu testen‹. Tarasov hat an seinem Hals dasselbe Krabbentattoo beschrieben.« Maddocks holte das Phantombild eines Mannes auf den
Bildschirm. »Das hier ist reingekommen, nachdem wir die Fallakten an Ägis übermittelt hatten.«
Takumis Blick schoss zu dem Gesicht des Mannes auf dem Bildschirm. Seine Miene verfinsterte sich. Er sah Maddocks an.
»Das ist die Beschreibung des männlichen Verdächtigen im Mordfall Tarasov. Es wurde von unserem MVPD Officer zur Verfügung gestellt, der vor dem Krankenhausbereich Wache gestanden hat, als sich der Mann in einem Arztkittel Zugang verschafft hat.«
Schweigend musterte die Gruppe das Bild. Es zeigte das kantige Gesicht eines Mannes, der etwa Ende fünfzig sein konnte und über keine auffälligen Merkmale verfügte. Die Augen standen weder zu eng beisammen noch zu weit auseinander. Gerade Nase. Regelmäßige Lippen, weder dick noch schmal. Durchschnittliches Kinn. Weiße Hautfarbe. »Leider konnte unser Zeuge uns keine Augenfarbe liefern und ist sich nicht sicher, wie genau dieses Phantombild ist. Aber immerhin zeigt es, was unser Verdächtiger nicht ist.«
Takumi räusperte sich. »Das sind alles wertvolle Informationen. Bis jetzt haben wir angenommen, dass die Mädchen, die man hier in BC gefunden hat, vielleicht über die Ostküste nach Nordamerika gelangt sind und dann übers Land oder durch die Luft über Montreal transportiert wurden. Bis jetzt hatten wir weder den Port of Vancouver noch die Hells Angels mit den Russen in Verbindung gebracht. Tarasovs und Camus’ Aussagen haben das alles ins Spiel gebracht. Zusammen mit dieser Küstenlinie.« Er deutete auf den gelben Bereich auf der Karte. »Irgendwo in diesem Bereich befindet sich eine Art Lager, ein nordamerikanischer Knotenpunkt, von dem aus die Mädchen aus Prag weiterverkauft werden. Wir müssen diesen Ort finden.« Takumi wandte sich an Rollins.
»Detective Rollins, können Sie uns über die neuesten Informationen von Project Gateway briefen?«
Maddocks entkoppelte seinen Laptop vom Smart Screen, damit Rollins seinen eigenen verbinden konnte.
Rollins beugte sich vor, damit ihn alle am Tisch gut sehen konnten.
»Wir wurden gestern am späten Nachmittag von Sergeant Bowditch darüber informiert, dass die mögliche Transportroute der Mädchen mit den russisch-chinesisch-koreanischen Seafood-Importen in Verbindung stehen könnte. Seither arbeiten unsere Officers rund um die Uhr daran, die Daten aus dem Hafen zusammenzutragen und mit dem möglichen Zeitfenster abzugleichen, in dem Tarasov und die anderen Mädchen möglicherweise per Frachtschiff angekommen sind. Wir haben zwei Schifffahrtsunternehmen identifiziert, die für uns von besonderem Interesse sind: Atlantis Seafood Imports und Orca Products. Beide haben binnen dieses Zeitrahmens Lieferungen von Königskrabben erhalten, die der Markierung zufolge entweder aus China oder Südkorea stammten.« Rollins drückte auf eine Taste und die Profile zweier Seafood-Import-Unternehmen erschienen auf dem Bildschirm.
»Beide Unternehmen befinden sich im Besitz eines komplexen Geflechts aus Tochterunternehmen. Derzeit arbeiten unsere Kriminaltechniker daran, die Eigentumsstrukturen zu entwirren und den Bankkonten bestimmte Namen zuzuordnen. Darüber hinaus haben wir eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung der Warenlager und der Manager beider Unternehmen angeordnet. Des Weiteren sind wir mit unserem verdeckten Ermittler in Kontakt getreten, der vor neun Monaten die Gemeinschaft der Hafenarbeiter infiltriert hat. Er hat uns berichtet, dass unter jenen Hafenarbeitern, die mit den Hells Angels kollaborieren, das Gerücht geht, dass eine ›Special-A-Lieferung‹ ansteht. Offensichtlich sind die Männer nervös. Möglicherweise geht es bei dieser Lieferung um verschleppte Frauen. Und wiederum möglicherweise befinden sich die Frauen in Containern an Bord
eines der Schiffe, die aufgrund des Streiks immer noch darauf warten, in den Hafen einfahren zu können.« Er räusperte sich. »Wir arbeiten mit den zuständigen Behörden daran, Zugang zu den internationalen Schiffen zu bekommen, die derzeit im Burrard vor Anker liegen, aber wir müssen jeden Schritt in Verbindung mit unseren Undercover-Agenten so planen, dass unsere Verdächtigen dadurch nicht misstrauisch werden.«
Takumi mischte sich ein. »Genau das kann gar nicht genug betont werden. Es darf keine Schritte geben, die unsere verdeckten Ermittler gefährden. Keine Information darf diesen Raum verlassen. Das würde nicht nur die Sicherheit unserer Undercover-Leute gefährden, sondern möglicherweise auch verhindern, dass wir diese Special-A-Lieferung bis zu ihrem Endziel nachverfolgen können – bis zu jenem Knotenpunkt an der Küste, wo man Sophia Tarasov und die anderen Mädchen weiterverkauft hat.« Er wandte sich an Rollins. »Danke, Detective. Mittlerweile hat Ägis ebenfalls einen verdeckten Ermittler aus Quebec im Einsatz, der dort vor zwei Jahren einen Ring des organisierten russischen Verbrechens infiltriert hat. Derselbe Ring führt einen Club, in dem eines der mit Barcode versehenen Opfer gearbeitet hat. Dieser Ermittler wurde daraufhin Operation Ägis zugewiesen. Er ist weiter nach Westen gereist und hat nun Zugang zu einem russischen Club hier im östlichen Teil Vancouvers, der lose mit dem Club in Montreal in Verbindung steht. Es ist ein Nachtclub namens Club Orange B. Seit den Siebzigerjahren ist es ein Treffpunkt für potenzielle Kriminelle mit russischem Hintergrund. Die Informationen unseres verdeckten Ermittlers passen zu den Informationen von den Docks – irgendetwas wird erwartet. Bald. Aber niemand scheint zu wissen, wann genau. Was auch zu der Theorie über den Hafenstreik passt. Jene im Club, von denen wir glauben, dass sie mit der Sache in Verbindung stehen, sind offenbar ungeduldig. Der Union der Hafenarbeiter wurde vom Hafen ein
Vertrag angeboten, und es ist möglich, dass er schon bald von der Union ratifiziert und der Streik damit beendet wird. Sobald das geschieht, werden die Schiffe nach und nach einlaufen. Wir müssen bereit sein. Zu Informationsbeschaffungszwecken ist es unserem verdeckten Ermittler heute Morgen um 3:50 Uhr gelungen, ein kleines Feuer in einem der Vorratsräume des Club Orange B zu legen, das den Alarm ausgelöst hat. Unser Überwachungsteam ist unter dem Deckmantel der zuständigen Feuerwehr hineingelangt. Die Feuerwehr hat den Club geräumt und die elektrische Versorgung unterbrochen, während unser Team Überwachungsgerätschaften an von unserem Ermittler identifizierten Schlüsselpositionen installiert hat. Es war ein schneller Einsatz mit minimalem Schaden im Lagerraum. Nun haben wir eine Livebildüberwachung der Räumlichkeiten des Clubs.«
»Und die Russen haben nach dem Feuer keinen Verdacht geschöpft?«, fragte Maddocks.
Alle Augen richteten sich auf ihn.
»Bisher gibt es für uns keinen Grund, das anzunehmen«, antwortete Takumi. »Bei der Installation scheint alles glattgegangen zu sein. Die Aufnahmen aus dem Club werden rund um die Uhr von einem Überwachungsteam in einem Gebäude auf der anderen Straßenseite überwacht. Wir suchen nach Hinweisen auf die ›Lieferung‹. Möglicherweise steht der Club auch in Verbindung zu dem Versteck, das Tarasov beschrieben hat.«
Damit schloss Takumi das Briefing. Während die anderen hinausgingen, rief er Maddocks zu sich und reichte ihm ein dickes Dossier.
»Nun, da Sie die erforderliche Sicherheitsfreigabe haben, sollten Sie sich hiermit vertraut machen. Hintergrundinformationen.« Der Blick seiner schmalen Augen
bohrte sich in Maddocks, die Energie, die er verströmte, war fast körperlich spürbar. »Danke, dass Sie sich zu uns gesellt haben.«
Maddocks nahm das Dossier an. »Ich weiß es zu schätzen, integriert worden zu sein.«
Doch Takumi hielt das Dossier noch einen Moment fest. »Nichts verlässt Ägis, verstanden? Sie verwenden diese Informationen, um Ihre lokale Ermittlung zu lenken, aber Sie geben diese Informationen nicht weiter.«
Maddocks hielt den Blick des Mannes und schwieg. Er musste nichts sagen – die Grenzen zwischen ihnen waren gesteckt. Keiner von beiden traute dem anderen voll und ganz. Takumi ließ das Dossier los.
»Bis morgen früh bin ich auf dem Laufenden«, sagte Maddocks und verließ den Raum.
Takumi sah ihm nach.