10. KAPITEL

Ich spüre das Unbehagen der Person, die mir Fragen stellt – das verraten mir ihre Hände, die sie nicht stillhalten kann. Sie flattern wie unruhige Vögel auf und ab, während sie an ihren lackierten Nägeln zupft und ihre Ringe dreht. Eine Frau, die für Frisuren und Make-up zuständig ist, taucht hinter der Moderatorin auf, die mir die Fragen stellt, doch ich gebe ihr mit einem finsteren Blick zu verstehen, dass sie mich in Ruhe lassen soll. Bislang habe ich erfolgreich jeden Versuch abgewehrt, die Falten um meinen Mund oder die Schatten unter meinen Augen zu kaschieren, ganz zu schweigen von den Narben im Gesicht und an meinen Händen.

Mein kurzgeschorenes Haar ist gewaschen worden. Die Kleidung, die ich am Leib trage, stammt von dem Team, das für die Garderobe zuständig ist. Meine alten Sachen passen mir nicht mehr, und ich hatte noch keine Zeit gehabt, mir etwas anderes als Leggings und Kapuzenpullis zu besorgen. Der dicke Fair-Isle-Pullover und die Arbeitshose sehen auf lächerliche Weise pittoresk aus: als hätte ich ein Jahr lang Ziegen gezüchtet und jeden Sonnenuntergang mit einem Lächeln auf den Lippen verfolgt. Aber die Klamotten sind warm, und da ich so furchtbar abgemagert bin, brauche ich diese wärmenden Sachen.

Kameraleute rufen irgendetwas, und jemand eilt an uns vorüber. Die Scheinwerfer werden etwas heller, und die Moderatorin bekommt ihr Zeichen.

»Guten Abend, ich bin Rosie Donnelly, und heute Abend habe ich Madeline Holinstead zu Gast, eine der Überlebenden von Buidseach Island. Maddy – jetzt, da die Strapazen hinter Ihnen liegen, sind wir alle sehr gespannt, Ihre Version der Story zu hören. Was können Sie uns über die Vorfälle und Ereignisse auf der Buidseach Isle erzählen, vor allem über Ihre wundersame Rettung?«

Rosies strahlendes Lächeln erinnert mich an eine Glühbirne, hell und leer. Ich erwidere ihr Lächeln nicht, lasse mich aber auf ihren Blick ein und spüre, wie mein Herz gleichmäßig in meiner Brust schlägt, mit der rhythmischen Wucht der Brandung.

»Ich werde Ihnen alles erzählen, was auf dieser Insel passiert ist, aber vorher möchte ich noch etwas festhalten.«

»Sicher«, sagt Rosie mit sanfter Stimme und beugt sich ein wenig vor, als wären wir Freundinnen und als würde sie auf ein geflüstertes Geheimnis warten. »Wir sind ja hier, um Ihre Version zu hören.«

»Dann möchte ich eines klarstellen: In meiner Story gibt es keine Wunder, auch keine Rettung. Ich habe überlebt. Ich bin entkommen. Und trotz der Bemühungen aller anderen Beteiligten bin ich hier, um Ihnen zu erzählen, was wir auf dieser Insel getan haben.« Ich lehne mich zurück und bilde mir einen Moment ein, dass ich eine vertraute, dunkle Gestalt sehe, genau außerhalb des Lichts der Studioscheinwerfer. Ich atme ein und nehme den Geruch von Haarspray und Kiefernnadeln wahr.

»Ich werde Ihnen erzählen, wozu sonst niemand den Mumm hat … Ich werde Ihnen die Wahrheit erzählen.«