26. KAPITEL

Am nächsten Morgen wachte ich früh auf und verschaffte mir als Erstes einen Überblick über meine Vorräte. Das meiste lagerte im Räucherschuppen und bestand aus Holzscheiten und etwas getrocknetem Seetang. Ich musste auch an meine Kleidung, die Schlafmatte, meinen Schlafsack, die Eimer und andere Werkzeuge denken. Als ich damit beschäftigt war, meine Sachen durchzugehen, und dann das Feuer fürs Frühstück machte, war ich mir ziemlich sicher, dass ich beobachtet wurde.

Ich suchte die nähere Umgebung mit verstohlenen Blicken ab, wollte mich aber nicht allzu offenkundig umschauen. Der Wald war dunkel, Versteckmöglichkeiten gab es zuhauf, aber ich meinte, etwas Oranges zwischen den Kiefern aufblitzen zu sehen. Sie hatten also Shaun losgeschickt, damit er mir nachspionierte. Nun, zu diesem Zweck hätten sie ihm wenigstens eine grüne Jacke geben können. Unverdrossen kam ich meinen morgendlichen Aufgaben nach, bereitete mir Kiefernnadeltee zu und aß eine spärliche Mahlzeit. Und die ganze Zeit arbeitete es in meinem Kopf.

Duncan wusste, dass ich das Buch irgendwo versteckt hatte, und hoffte nun, mich dabei zu ertappen, wie ich dies Versteck aufsuchte. Zuvor war ich immer nachts zur Höhle gelaufen, um nicht gesehen zu werden, aber ich hatte nicht wirklich geglaubt, dass ich beobachtet wurde, jedenfalls nicht dauerhaft. Dennoch, im Verlauf des Tages hatte ich ständig das Gefühl, dass mir jemand folgte. Während ich den Strand absuchte, verspürte ich ein Prickeln, und als ich mich umsah, nahm ich Bewegungen zwischen den Bäumen wahr. Wenn ich im Wald unterwegs war, knackten Zweige hinter mir, und als ich den Weg zum Tipi zurückging, entdeckte ich Fußspuren an den Stellen, an denen noch Schnee lag. Die anderen waren nicht besonders gut darin, heimlich vorzugehen. Andererseits brauchten sie das wohl auch nicht. Selbst wenn sie merkten, dass ich sie sah, was sollte ich denn machen? Wie sollte ich verhindern, dass sie mir folgten?

Aber die ständige Überwachung belastete mich, als der Abend anbrach. Irgendwann musste ich ja anfangen, die Sachen in die Höhle zu schaffen und meine Zuflucht einigermaßen wohnlich zu machen. Am wichtigsten war, dass ich für die kommenden Tage Proviant organisieren musste. Ich tat so, als würde ich mich jeden Moment schlafen legen, legte mich dann angezogen in mein Tipi und wartete.

Ich konnte nicht genau einschätzen, wie viel Zeit vergangen war, aber es kam mir wie Stunden vor. Das Feuer war heruntergebrannt, und ich machte keine Anstalten, es neu zu entfachen. Ich wollte durch nichts zu erkennen geben, dass ich noch wach war, und wog meine Chancen ab. Wenn ich sofort aufbrach, die anderen mich aber verfolgten, würde ich alles verlieren. Wenn ich einschlief, würde ich kostbare Zeit vergeuden, meinen Fluchtort zu gestalten. Schlimmer noch: Was konnte ich mitnehmen? Nichts würde sie davon abhalten, mein Tipi erneut zu durchsuchen. Es würde Verdacht erregen, wenn mein Schlafzeug und die Kleidung nicht mehr da wären.

Letzten Endes, als meine Augen schon vor Müdigkeit brannten, beschloss ich, mit allem noch zu warten. Ich wollte in der nächsten Nacht aufbrechen. Wenn die anderen mich in dieser Nacht beobachteten, würden sie irgendwann zufrieden registrieren, dass ich nirgends hinging – so hoffte ich zumindest. Eine Nacht in der Kälte Wache zu halten reichte ihnen hoffentlich, sodass sie kein Verlangen verspürten, es in der folgenden Nacht zu wiederholen. In Gedanken ging ich meine Habseligkeiten durch. Ich musste alles nach und nach fortschaffen, in kleinen Mengen.

Während der nächsten Tage nahm ich meine nächtlichen Ausflüge wieder auf. Aber etwas war anders: Hatte es sich vorher ziemlich dämlich angefühlt, nachts im Dunkeln herumzuschleichen, so war es nun auf einmal eine todernste Angelegenheit. Ich schlug einen Umweg zur Höhle ein, machte kehrt und versteckte mich zwischendurch längere Zeit, für den Fall, dass ich doch verfolgt wurde. Es kostete viel Zeit, zwischen Höhle und Tipi hin und her zu pendeln, außerdem konnte ich jedes Mal nur wenig Gepäck mitnehmen. Meistens war es Holz, das ich sorgfältig gespalten und dann in meinem Rucksack verstaut hatte. Ich hatte bereits eine Menge, würde aber noch mehr brauchen. Ein Feuer in Gang zu halten war die einzige Möglichkeit, gegen die Kälte anzukämpfen, Essen zuzubereiten und Wasser abzukochen. Feuer war Leben.

Zu diesem Zweck musste ich eine Möglichkeit finden, ein Feuer in der Höhle zu machen, ohne dass Lichtschein oder Rauch Aufmerksamkeit erregten. Das Licht war nicht das Problem, hatte ich doch intensiv Andrews Special-Air-Service-Survivalbuch studiert und wusste daher, dass ich nur ein Loch zu graben brauchte, um mein Feuer vor neugierigen Blicken zu verbergen – so was klappte sogar im Freien. Was die Höhle betraf, so wäre meine Feuerstelle allein aufgrund der Trennwand quer vorm Eingang nicht zu sehen. Problematisch war allerdings der Rauch. Am ersten Abend in der Höhle untersuchte ich die rückwärtige Wand der Kaverne genauer. Es gab dort einen weiteren Spalt, der zu schmal war, um hindurchzukommen. Offenbar lag dahinter eine weitere Kaverne oder eine Art Tunnel, der tiefer unter der Anhöhe hindurchführte. Genau unterhalb dieses Spalts grub ich das Loch für meine Feuerstelle. Der Rauch würde zum Spalt aufsteigen und irgendwo weiter oben einen Abzug finden, so hoffte ich. Es war im Augenblick die beste Lösung.

Mein Feuerholz schichtete ich entlang der rückwärtigen Wand auf, jedes Scheit ein Garant für Wärme. Das zerrissene Fischernetz und Stricke spannte ich von einer Wand zur anderen und hängte daran Werkzeuge und Pflanzen zum Trocknen auf. Die wenigen Stunden, die ich nachts in der Höhle zubrachte, waren die einzige Zeit, in der ich mich sicher fühlte. Die Höhle war nicht länger eine unheimliche Erinnerung an die Behausung der Hexe, sondern ein geschützter Rückzugsort. Im Vergleich dazu fühlte sich mein Tipi so sicher an wie ein Spielhaus für Kinder.

Als mehr und mehr Tage verstrichen, bekam ich wieder Panik. Denn die Zeitspanne einer Woche, die ich mir selbst gesetzt hatte, war ja schließlich nur eine Schätzung. Ich hatte keine Ahnung, wann Duncan die Geduld verlieren würde und aufkreuzte, um das Buch zu verlangen. Ich konnte einfach nicht wissen, was er machen oder wann er wieder aktiv werden würde. Noch musste ich jede Menge Brennholz und die meisten meiner größeren Sachen in die Höhle schaffen. Andererseits musste es weiterhin danach aussehen, als würde ich in meinem Tipi wohnen. Ich wusste, dass die anderen mich beobachteten, und war mir obendrein sicher, dass wieder jemand meine Sachen durchwühlt hatte, während ich fort gewesen war. Da ich mich leise fortbewegen musste, konnte ich nicht allzu viel Gepäck mitnehmen, wenn ich mich wieder auf den Weg zur Höhle machte.

Schließlich, am fünften Abend, beschloss ich, mehrmals in der Nacht zur Höhle zu laufen. Ich war mir ziemlich sicher, dass man mich nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr beobachtete oder verfolgte, und so nervenaufreibend es auch war, sich im Dunkeln durch den Wald zu tasten, so war ich lieber in einer Nacht fertig, anstatt weitere Tage abzuwarten und irgendwann zu viel riskiert zu haben. Ich konnte eine Tour mit meinem Schlaflager machen, dann zurückkommen, um Kleidung und andere persönliche Dinge zu holen, ehe ich den Rest des Brennholzes schleppte. Gut, für den Transport der Scheite wäre bestimmt mehr als eine Tour erforderlich, aber damit wollte ich mich erst beschäftigen, sobald es unvermeidlich war.

Die Nacht war günstig für mein Vorhaben. Ich hatte mich mit den Mondphasen beschäftigt, da es bei Vollmond schwieriger ist, sich in den Schatten zu verbergen. In dieser Nacht aber war Neumond, um mich herum nichts als Dunkelheit. Ich rollte meinen Schlafsack und die Isomatte übereinander auf und verschnürte sie mit einem Strick. Mit längeren Stricken bastelte ich eine Art Riemen, sodass ich das Gepäck auf dem Rücken tragen konnte. Dann wartete ich, bis die Dunkelheit am tiefsten war, und eilte los.

Wie bereits zuvor näherte ich mich der Höhle auf Umwegen. Mehrmals ging ich ein Stück weit zurück und wartete eine Weile zwischen Brombeersträuchern. Aber ich hörte niemanden im Wald, nur meine eigenen Geräusche. Es war insgesamt sehr still, da die meisten Tiere noch Winterschlaf hielten. Die anderen würden noch lange auf Nahrung warten müssen.

Endlich erreichte ich die Höhle und löste den Strick, der Schlafsack und Isomatte zusammenhielt. Es war ein Kampf, beides durch den Spalt zur Kaverne zu quetschen, Stück für Stück. Im Innern der Kaverne schlug ich mein Schlaflager in einer Art Nische linker Hand auf, geschützt vor dem Luftzug vom Eingang.

Dann verließ ich die Höhle wieder und schob die Tarnwand aus Flechtwerk und Lehmbewurf vor den Eingang. Ich war froh, wie wirkungsvoll diese bewegliche Wand war. Selbst wenn ich tagsüber an der Höhle vorbeikam, sah der eigentliche Eingang stets wie eine natürliche Einbuchtung innerhalb der Felswand aus, nur von Farnkraut überwuchert. Ich machte mich wieder auf den Weg zu meinem Tipi und hatte schon Muskelkater in den Beinen, weil ich die ganze Zeit durch den aufgeweichten Boden stapfen musste.

Im Tipi ärgerte ich mich, dass ich nicht früher mit dem Packen begonnen hatte. Ich war damit beschäftigt gewesen, den Schein zu wahren, und hatte tagsüber nicht zu viel Zeit in meiner Unterkunft zubringen wollen. Jetzt musste ich im Dunkeln herumtasten, Kleidung zusammensuchen und in meinen Rucksack stopfen, mit anderen Utensilien wie Seife, Handtüchern, Wäsche und dem Rest der Dinge des täglichen Bedarfs. Als ich plötzlich ein Geräusch hörte, erstarrte ich, die Hand noch im Rucksack. Kam dort jemand den Kieselstrand herauf? Ich lauschte angestrengt und versuchte, meinen dumpfen Herzschlag auszublenden. Schritte! Nicht in unmittelbarer Nähe des Tipis, aber laut auf den Kieseln am Strand – da kamen offenbar mehrere, die ziemlich langsam auf den losen Kieseln vorankamen.

Ich saß in der Falle, gelähmt von meiner Unentschlossenheit. Wenn ich blieb, waren sie in wenigen Augenblicken bei mir. Und was würden sie dann tun? Es war klar, dass sie jetzt nicht in der Nacht vorbeikamen, um zu verhandeln. Wenn ich sofort loslief, müsste ich Sachen zurücklassen. Den Rest meiner Kleidung, auch Brennholz. Wären diese Sachen aber noch da, wenn ich zurückkehrte? Schwer zu sagen.

Im Grunde hatte ich keine Wahl, und ich handelte. Eine Hand auf dem halbvollen Rucksack stürmte ich aus dem Tipi und rannte auf direktem Weg zum Wald. Sowie ich im Schatten der Kiefern war, drehte ich mich trotz meines Fluchtinstinkts um, weil ich wissen wollte, was die anderen vorhatten. Mit dem Ärmel wischte ich über die Linse der Body-Cam, um Schmutz oder Wassertropfen zu entfernen. Tief in meinem Innern wusste ich, dass ich eine Art Zeugen brauchte für das, was sich nun ereignen würde.

Ihre Umrisse schälten sich aus der Dunkelheit, und plötzlich waren da batteriebetriebene Taschenlampen, keine brennenden Fackeln und Mistgabeln. Doch die Atmosphäre war nicht weniger bedrohlich. Ich sah, wie sie wie auf Absprache das Tipi umstellten, Duncan baute sich vor dem Eingang auf. Er umfasste einen der drei Stützpfosten und schüttelte ihn.

»Maddy, komm raus. Sofort.«

Stille. Sie warteten einen Moment ab. Dann schob Duncan den Plastikvorhang beiseite und leuchtete mit seiner Lampe ins Innere des Zelts.

»Sie ist weg!«

Die Gestalten schauten einander verwundert an. Dann sah ich, wie sie im Lichtkegel ihrer Taschenlampen die nähere Umgebung nach mir absuchten. Ich war dankbar, dass ich diesen Ort für mein Tipi ausgewählt hatte. Denn ich war über festen Boden geflohen, nicht über Sand. Es gab keine Fußspuren, die mich hätten verraten können. Duncan fing an, wahllos Dinge aus dem Tipi zu werfen, meine Kleider lagen verstreut draußen am Boden.

»Ihr Schlaflager ist weg. Die ist getürmt.« Angewidert schleuderte er das letzte Stück Kleidung zu Boden. »Scheiße! Ich dachte, ihr hättet sie im Auge behalten!«

Er wandte sich einem seiner Gefährten zu – es schien Shaun zu sein, von der Größe und Statur her. Shaun stand offenbar mit hängenden Schultern da und brachte irgendetwas zu seiner Verteidigung vor, denn im nächsten Moment platzte Duncan der Kragen.

»Ach so, kalt war es also? Verdammte Scheiße! Ich wusste nicht, dass du so ein Weichei bist. Toll, denn jetzt wissen wir nicht, wo sie steckt, oder? Sie oder das Buch oder sonst irgendwas, was sie vor uns verbirgt.«

»Sie wird schon zurückkommen.« Das war Gills Stimme, klar und schneidend wie der Schrei einer Seemöwe. »Und dann kriegen wir sie, nicht wahr, Duncan?«

»Aber wenn sie ihr Schlaflager mitgenommen hat, dann wird sie heute Nacht wohl kaum zurückkommen, oder?«, entgegnete der scharf. »Sehr unwahrscheinlich, dass wir die hinterhältige Schlampe in die Finger kriegen, wenn Shaun den Fall übernimmt«, spottete er. »Gill, bring ihre Klamotten rauf ins Camp. Alles, was wir gebrauchen können.«

Gill kam der Aufforderung sofort nach, klaubte meine Sachen vom Boden auf und hatte schnell ein ganzes Bündel Zeug zusammen. Ich sah, wie eine andere Gestalt zu Duncan trat. Da das Licht der Taschenlampe sie einen Moment erfasste, sah ich, dass es Andrew war. Jetzt konnte ich auch erkennen, dass Duncan dunkle Streifen im Gesicht trug, als hätte er sich eine Kriegsbemalung mit Holzkohle verpasst – wie bei einer Guerilla-Mission. Es hätte lustig ausgesehen, hätte ich nicht so große Angst gehabt.

Sie waren gekommen, um mich zu überrumpeln. Um das in die Tat umzusetzen, was sie vorgehabt hatten – und das verhieß sicher nichts Gutes. Ich war wie gelähmt und traute mich nicht, mich zu bewegen, da sie mich sonst hören oder sehen würden. Ich wollte nur, dass sie endlich verschwanden, damit ich das Weite suchen konnte. Aber es hatte nicht den Anschein, dass sie in Eile waren.

Mir entging nicht, dass Duncan und Andrew die Köpfe zusammensteckten. Dann verschwand Andrew im Tipi und trat mit einem schwelenden Ast von meiner Feuerstelle wieder ins Freie. Er reichte Duncan den Ast und holte einen weiteren. Duncan fuchtelte mit dem glimmenden Ast herum, bis das trockene Holz richtig Feuer gefangen hatte – der flackernde Schein erzeugte Schatten auf seinem bemalten Gesicht.

»Was machst du da?«, hörte ich Zoe fragen. Besorgnis lag in ihrer Stimme.

Duncan antwortete ihr, indem er den brennenden Stock auf das Zelt warf. Die äußere Schicht der Kiefernzweige, die das Dach bildeten, war noch nass vom Regen, aber darunter befand sich mehr als genug brennbares Material, ganz zu schweigen von der Plastikfolie. Nach wenigen Momenten breiteten sich die Flammen aus, und Andrew hielt seinen Ast auf der anderen Seite meines Zelts wie eine Fackel an die Konstruktion. Gill klatschte in die Hände und jubelte, ehe sie sich bei jemandem unterhakte, es konnte eigentlich nur Maxine sein. Ich sah gelähmt mit an, wie die Unterkunft, die ich vor Monaten gebaut hatte, wie ein Scheiterhaufen in Flammen aufging. Einen Augenblick lang sahen die Gestalten rund um mein Tipi aus wie Festbesucher, die auf ein Feuerwerk warteten. Es schien fast normal zu sein, dass sie dort standen, am Strand, und das lodernde Feuer betrachteten. Dann fing sich der helle Schein des Feuers in meinen Augen, und ich hörte Gills schrille Stimme.

»Da hinten ist sie!«

Der Strahl der Taschenlampe blendete mich wie ein Leuchtfeuer. Ich war zuerst starr vor Angst, aber die Schritte, die in meine Richtung kamen, verliehen mir frische Kraft. Ich rannte tiefer in den Kiefernwald, floh vor den Rufen und lauten Stimmen hinter mir.

Neue Angst erfasste mich, als ich begriff, dass ich gejagt wurde, dass ich Beute war. Achtlos stürmte ich durch das Unterholz, das ich zuvor vorsichtig umgangen hatte. Ich knickte mit einem Fuß um, als ich im matschigen Untergrund wegrutschte. Ein Zweig peitschte durch mein Gesicht. Die Kiefernnadeln stachen gegen mein Auge, sodass ich aufschrie.

Die Stimmen meiner Verfolger scheuchten mich immer tiefer in den Wald. Ich kämpfte mich weiter durchs Dickicht, blindlings, mit gesenktem Kopf. Irgendwann schaute ich auf und merkte, dass ich keine Ahnung hatte, wo ich überhaupt war. Panik betäubte alle anderen Gedanken – selbst die vertraute Umgebung war fremdartig und furchteinflößend geworden. In der Dunkelheit gab es keine natürlichen Orientierungspunkte mehr. Ich war vollkommen verloren.

Doch ich rannte weiter, traute mich nicht, stehen zu bleiben. Mein Herz raste, erste Seitenstiche machten mir das Atmen schwer. Plötzlich hatte ich den unebenen Boden unter den Füßen verloren, fiel und stürzte in eine Senke. Der harte Aufprall verschlug mir den Atem. Mein Knöchel war verstaucht, die Kleidung durchnässt, mein Atem kam rasselnd, während ich wie ein Fisch an Land nach Luft schnappte. Ich versuchte, mich aufzurappeln, und spürte einen stechenden Schmerz im Fußknöchel.

Dann hörte ich Schritte über mir.

Ich erstarrte, lag reglos in einer matschigen Lache. Sämtlicher Schmerz wurde von dem schwarzen Loch meiner Panik aufgesogen. Irgendjemand war in unmittelbarer Nähe, fast über mir. Ich hörte das Knacken von Zweigen und das Knirschen von kleinen Steinen unter Stiefelsohlen.

Als mich eine Hand am Arm packte und mich umdrehte, unterdrückte ich mühsam einen Schrei. Wenn die Gestalt mir nicht eine Hand auf den Mund gelegt hätte, hätte ich mich bestimmt verraten. Es war Zoe, und sie sah beinahe so verängstigt aus wie ich.

»Leise!«, zischte sie. »Du musst weg von hier – lauf in die Richtung.« Sie deutete nach links. »Dort sucht noch niemand.«

Ich brachte mich mühsam in eine sitzende Position, kam in die Hocke. »Danke«, wisperte ich.

»Ich weiß gar nicht, was mit denen los ist«, sagte Zoe, und ich merkte, dass sie den Tränen nahe war. »Die sind alle völlig zu … Ich weiß nicht, was ich tun soll.«

Kalte Angst fraß sich in meine Panik. Es war nicht nur so, dass die anderen mich jagten, sie waren darüber hinaus high von Fliegenpilzen, völlig unberechenbar, und halluzinierten. Einerseits konnte ich darauf hoffen, meinen Verfolgern zu entkommen, da ihre Wahrnehmung eingeschränkt war – Rauschzustände wirken sich auf die motorischen Fähigkeiten aus. Andererseits war gar nicht auszudenken, was sie mir antun würden, wenn sie mich in ihrem Zustand kompletter Unzurechnungsfähigkeit in die Finger bekamen.

Von weiter rechts hörte ich, wie jemand durch Farnkraut und totes Unterholz krachte.

»Lauf! Jetzt!«, flüsterte Zoe und schob mich von sich.

»Pass auf dich auf«, zischte ich und tauchte in der alles umfassenden Dunkelheit ab.

Mein lädierter Fußknöchel schrie regelrecht danach, langsamer zu werden, aber ich traute mich nicht. So schnell ich konnte, humpelte ich in geduckter Haltung durch den Kiefernwald. Nach ungefähr fünfzig Schritten sah ich einen umgestürzten Baum, der auf einem größeren Felsbrocken ruhte. Da wusste ich, dass die Höhle in nördlicher Richtung lag. Ich zwang mich durchzuhalten und zog das verletzte Bein nach. Mein Auge war zugeschwollen von dem Zweig, ich konnte kaum noch etwas sehen. Dann hatte ich eine kleinere Böschung zu spät bemerkt, stürzte erneut und verrenkte mir die Schulter, weil sich mein Rucksack an irgendetwas verfing. Die Bäume über mir bewegten sich; mir war, als sei der ganze Wald in Aufruhr und suche nach mir.

Endlich erreichte ich die kleine Lichtung mit dem verborgenen Eingang zur Höhle. Ich war vollkommen ausgelaugt und zitterte vor Kälte und Anspannung. Mit letzter Kraft robbte ich bäuchlings zu der Tarnwand, schob sie beiseite und kroch ins Innere der Höhle. Nachdem ich die Tarnung hinter mir wieder zurechtgerückt hatte, entledigte ich mich des Rucksacks und zwängte mich in die Kaverne. Außer Atem und unter Schmerzen lehnte ich mit dem Rücken an der Wand. Mit tauben Fingern tastete ich nach dem Griff meines Beils und hielt es fest umklammert. Dann wartete ich, bereit, mich gegen jeden Eindringling zu wehren.

Doch irgendwann verlor ich das Bewusstsein.