»Fühlen Sie sich dafür verantwortlich?«
Zum ersten Mal spüre ich, dass in ihrer Stimme ein wertender Tonfall mitschwingt. Bis jetzt ist Rosie freundlich und konziliant gewesen. Sie hat jede Menge beschwichtigende Plattitüden von sich gegeben wie »Oh, wie schrecklich für Sie« und »Das muss niederschmetternd gewesen sein«, doch jetzt kommen wir zum scharfkantigen Kern unter all dem Zuckerguss. Trage ich Verantwortung?
»Ich denke, bei allem, was sich ereignet hat, fühle ich mich besonders schlecht, wenn es um Shaun geht«, sage ich wahrheitsgemäß. »In jenem Moment bin ich um mein Leben gerannt und konnte mir rationales Denken nicht leisten. Ich handelte instinktiv, und Instinkte sind nicht clever. Sie beruhen nicht auf Vernunft oder Logik. Dein Körper sagt dir, was du zu tun hast, um ihn zu schützen. Manchmal geht das Überleben mit Schmerz einher – den man sich selbst oder jemand anderem zufügt.«
»Denken Sie, dass Shaun versucht hat, Sie zu fangen? Dass er Sie gar nicht um Hilfe bitten wollte für Zoe, sondern Sie zu Duncan bringen wollte?«, fragt Rosie.
»Ich weiß es nicht. Ich möchte mich da nicht festlegen, nicht, wenn er sich nicht mehr verteidigen kann«, antworte ich und spüre, wie ihre Augen über mein Gesicht wandern, hungrig auf etwas, in das sie ihre makellosen Zähne schlagen kann. Ich halte ihr stand, antworte nur dann, wenn ich mit meinen Worten auch leben kann. Wenn ich wirklich davon überzeugt bin.
»In der Rückschau bezweifle ich, ob Shaun wusste, was er tun würde. Vielleicht benötigte er meine Hilfe, vielleicht wollte er Duncan zufriedenstellen. Vielleicht hatte er überhaupt keine Entscheidung getroffen und handelte instinktiv – vielleicht wollte er mich ja auch erst einmal fangen und dann überlegen, wie es weitergehen sollte. Bei dieser Frage werden wir nie eine Antwort bekommen, nicht wahr? Ich bin hier, er nicht.«