Samstagsstress
Wer als Jugendlicher am Samstagabend mit seinen Eltern rumsitzt, hat entweder eine juckende Krankheit oder den Anschluss verpasst. Auf meine Frage am Mittag, was so für den Abend anliege, erklärte mir Nick denn auch neulich, dass sie sich bei Finn treffen würden. Er habe zugesagt, sechs Tiefkühlpizzen mitzubringen. »Und wer bezahlt die?«, fragte ich. »Na ihr, schließlich seid ihr für meine Ernährung verantwortlich.« Aha. Man muss in so einer Situation als Eltern hart bleiben. Gut, dann ist man eben mal für eine Stunde der Spießerarsch, aber die Kinder beruhigen sich auch wieder. Hauptsache, man bleibt konsequent, dachte ich. Zehn Minuten später fuhr ich mit Nick zum Supermarkt, um die Pizza zu kaufen.
Bald darauf, ich verstaute die Tiefkühlkost im Eisfach unseres Kühlschrankes, brummte Nicks Handy, und es ergab sich eine Planänderung, weil Finns kleine Schwester Scharlach bekommen hatte. Man könne dort nicht auftauchen, hieß es nun. Also kam Option Nummer zwei in Betracht, die Feier bei Charlotte. Aber Nick hatte kein Geschenk. Ich schlug ihm vor, einfach sechs Pizzen mitzubringen, aber er lehnte ab, weil Charlottes Eltern einen Bioladen führen, und er wolle sich dort nicht unbeliebt machen. Es müsse ja keiner wissen, dass seine Eltern die totalen Tiefkühlasos seien. Manchmal bin ich wirklich sprachlos.
Er organisierte dann den Transport zu Charlotte, der vorsah, dass ich seine Freunde einsammeln und um 20 Uhr bei Charlotte abliefern würde. Sie lebt im übernächsten Dorf, das sind zwanzig Kilometer. Leider wohnen nicht alle Fahrgäste direkt auf dem Weg. Ich überschlug, dass die Hinfahrt ungefähr 38 Kilometer betrug. Das machte mich bockig. Ich sagte: »Warum fährt nicht mal ein anderer Vater?« Nick erklärte mir darauf, dass es nicht seine Schuld sei, dass wir auf dem Land leben. In der Stadt gebe es diese Probleme nicht. Er drohte damit, per Anhalter zu fahren. Wenn es mir lieber sei, dass er bei irgendwem in irgendein Auto stiege, solle ich es jetzt einfach sagen.
Dann gab er seinen Freunden Bescheid, dass der Shuttle ab 19 Uhr bereitstehe. Ich zählte vier Telefonate. Mein Auto hat aber nur fünf Plätze. Ich wies Nick auf diesen Fakt hin, dessen Auswirkungen er zunächst nicht nachvollziehen konnte. »Wieso jetzt? Ich und Finn und Damian und Aziz und Valentin sind doch fünf. Wo ist das Problem?« Ich gab ihm zehn Sekunden Bedenkzeit, dann sagte ich: »Stimmt. Ihr seid fünf. Und wer von euch Schlaumeiern fährt das Auto?« Er sagte: »Na du.« Mein Sohn griff zu seinem Handy, und ich dachte, dass er den Taschenrechner aktivieren wollte, aber er schrieb Aziz eine Nachricht, der zufolge dieser leider im Kofferraum Platz nehmen müsse, was ich in Anbetracht der Flüchtlingsthematik bei Aziz irgendwie ziemlich krass fand. Jedenfalls war ich dagegen.
Nun stand Nick vor dem Dilemma, eine Person aus dem Transportservice wieder ausladen zu müssen. Aber wen? Er nannte mich Voll-Otto, zumal ich verkündete, für die Rückfahrt nicht zur Verfügung zu stehen. Dies löste eine Welle von Kurzmitteilungen aus, und ich erfuhr, dass die Eltern von Aziz kein Auto besitzen. Die Eltern von Finn und Damian waren nicht da und der Vater von Valentin fährt grundsätzlich keine fremden Kinder zu Partys. Er möge es nicht, wenn die in seinem Auto säßen, und außerdem koste es ihn zu viel Geld. Soso. Ich habe seinen Sohn bisher ungefähr zwei Mal um den Äquator chauffiert.
Nach einer Stunde löste sich das Problem quasi von selber, weil Finn von seinen Eltern dazu verurteilt wurde, den Abend bei der Ballettaufführung seiner kleinen Schwester zu verbringen, die komischerweise plötzlich kein Scharlach mehr hatte. Damit war ein Platz im Auto frei. Dann jedoch herbe Planänderung: Charlotte musste ihre Party absagen, weil ihre Eltern ein schlecht verborgenes Depot von Wodkaflaschen, Hugo und Energydrinks im Garten entdeckt hatten und diesen Vertrauensbruch souverän sanktionierten.
Also bestellte Nick den Fahrdienst bei mir bis auf Weiteres ab, hielt mich aber im Stand-by-Modus für den Fall, dass sich noch irgendwas ergab. Da war es bereits halb sieben. Und es blieb dabei. Nick verbrachte den Samstagabend mit seinen Eltern und ging um halb elf ins Bett. Beides musste sich für ihn anfühlen wie eine katastrophale Niederlage.