Quantensprünge
Seit einiger Zeit denke ich über einen Wechsel in den Dienstleistungsbereich nach. Eigentlich habe ich schon damit begonnen. Ich unterhalte nämlich eine Paketannahmestelle. Bei uns im Haus. Wenige Wochen nach unserem Einzug haben sämtliche Paket- und Postzusteller kapiert, dass ich zu Hause arbeite. Ich bin immer da und drücke immer auf den Summer, wie eine gut konditionierte Labormaus. Also bringen sie alles, was nicht in Briefkästen passt, zu mir in den dritten Stock, damit sie es nicht wieder mitnehmen müssen.
Abends kommen die Nachbarn zu mir und holen ihre Postsendungen ab. Zuerst fand ich das lustig und kommunikativ, denn man lernt auf diese Weise als Zugezogener schnell viele neue Leute kennen. Aber nicht alle, denn manche Nachbarn ignorieren die Zustellbenachrichtigungen in ihren Briefkästen. Oder die Zusteller werfen keine ein. Oder im Briefkasten lebt ein kleines Tier, das von
diesen Zettelchen lebt und alle aufisst. Ich stellte also die übrig gebliebenen Päckchen und Pakete auf die Seite. Manche blieben zwei oder drei Wochen. Der Stapel wurde größer, ich schichtete um. Schließlich schrieb ich selber kleine Abholzettel und warf sie in die Briefkästen der Leute, die nicht vorbeikamen.
Manche holen jetzt ihre Post, andere nicht. Das sind die, die am meisten im Internet bestellen. Ihr Interesse an Warensendungen endet offenbar direkt nach dem Bezahlen. Eine Nachbarin nimmt mich als Dienstleister inzwischen richtig ernst. Neulich klebte sie eine Haftnotiz an meine Wohnungstür, der zufolge ich das Paket am Dienstag zustellen könne.
Letzte Woche stellte ich dann fest, dass ich inzwischen auch Pakete für die Bewohner der Nachbarhäuser links und rechts von uns annehme. Wildfremde Leute klingeln abends und holen Pakete ab. Ich lasse mir die Abholzettel zeigen, weil ich bei Weitem nicht mehr alle Menschen kenne, deren Post ich im Flur horte. Und es sind auch nicht alle Nachbarn freundlich. Manche reichen einfach nur stumm ihren Zettel durch die Tür, und ich muss dann auf die Suche gehen. Es ist harte Arbeit,
besonders das Umschichten der Päckchen. Ich habe ein System entwickelt, damit ich die Sendungen schneller finde. Logistisch nicht ohne Anspruch. Und gestern Abend ist dann etwas Einschneidendes in meinem Leben passiert.
Es klingelte, und der Manager von oben stand vor der Tür. Er grüßte freundlich und fragte nach seiner Postsendung. Dann gab er mir den Abholzettel. Ich ging nach hinten und holte das Paket, welches offenbar ein neues Kaminbesteck enthielt. Ich reichte es ihm durch die Tür und dann: Drückte er mir eine Zwei-Euro-Münze in die Hand und verschwand. Ich war völlig perplex. Mein erstes selbst verdientes Geld im Dienstleistungssektor. Auf Anhieb irritierend, aber nicht ohne Zauber.
Während ich also eine fabelhafte Fachkraft im Bereich der Paketausgabe darstelle, bin ich im Mülltrennungssektor keine große Kapazität. Es nervt mich, dass ich neuerdings auch noch den Kompost vom Müll trennen soll. Meine Küche sieht bereits aus wie ein Wertstoffhof. Ich besitze Behälter für das Glas, für Plastik, für Papier und für Abfall. Und dabei bleibt es.
Sollte das Kompostsammeln demnächst gesetzlicher Zwang werden, bin ich bereit, mich nackt vor
das Münchner Amtsgericht zu ketten, um dagegen zu protestieren. Darüber kann ich sehr ausführlich sprechen. Da Sara und ich jedoch in zwei Haushalten leben, muss ich sie dafür anrufen. Wir reden oft. Zum Beispiel über eine Entscheidung, die sie mit mir als Mitbewohner niemals in die Tat hätte umsetzen können. Sie hat sich nämlich eine Katze zugelegt. Ich hasse Katzen nicht, ich kann sie nur nicht ausstehen. Für mich teilt sich die Weltbevölkerung in Hunde- und Katzenmenschen. Und auch ohne einen Hund zu besitzen, würde ich mich eher auf dessen Seite stellen. Hunde sind einfach bessere Menschen als Katzen. Einwände gegen diese These sind zwecklos. Ein schuldbewusst auf den Gehweg kackender Hund erinnert mich einfach stärker an mich selbst als eine Katze, die eine tote Amsel vor die Tür legt. Und damit basta.
Bei unserem letzten Telefonat berichtete Sara mir von einer Sensation: Carla wäscht jetzt selber. Es ist ein Quantensprung für uns alle und offensichtlich ein Ergebnis der Nähe zu ihrer Mutter. Ein später pädagogischer Erfolg. Oder ganz normal. Kann auch sein. Carla verkündete ihrer Mutter jedenfalls, dass sie eigenhändig Klamotten aufgehängt habe und drängte Sara zum Wäscheständer, um das
Ergebnis ihrer fronhaften Betätigung zu präsentieren. Und tatsächlich: Carla hatte mit ihren eigenen Händen die Kleidung aus der Waschmaschine gezogen und Stück für Stück auf den Wäscheständer drapiert. Gut, es handelte sich um trockene schmutzige Wäsche. Aber ich finde, man sollte sie dafür nicht kritisieren. Allem Anfang wohnt ein Zauber inne.