Halbmarathon im Hallenbad
Wenn man ohne Partnerin lebt, fehlt einem ein wichtiges Korrektiv. Niemand sagt einem, dass da ein Fleck auf der Hose ist, dass die Schuhe nichts mehr taugen oder dass man immer so komisch guckt, wenn es an der Tür klingelt. Man muss sich selbst kritisch betrachten und die richtigen Schlüsse ziehen. Und diese können nur darin bestehen, dass man diszipliniert an sich arbeiten muss.
Mein Selbstoptimierungswahn hat zuletzt Blüten getrieben, die ich in ihrer sinnlosen Pracht bewundere und gleichzeitig beängstigend finde. Zum Beispiel war ich im Hallenbad, weil mir irgendwer erzählt hat, das sei gut für Kopf, Körper und das allgemeine Wohlbefinden. Momentan kann man mich mit derart wirren Argumenten auch von anderen abstrusen Dingen wie Buttermilch, Heilfasten und Dauerlauf überzeugen. Jedenfalls war ich schwimmen, was für mich eine sehr besondere Leistung ist, denn ich kann nicht schwimmen.
Jedenfalls würde ich es nicht schwimmen nennen.
Da ich seit 38 Jahren nicht mehr aus freien Stücken in einer Badeanstalt war und vergessen habe, was man da mitnimmt, packte ich eine Reisetasche, in welche ich meine Badehose, Shampoo, Duschgel, Deo, eine Ersatzunterhose, ein gutes Buch und einen Apfel legte – nur für den Fall, dass ich beim Schwimmen einen Hunger-Ast bekam. Ich nahm morgens um sieben ein Taxi zum Bezirksbad. Nachdem ich mich umgezogen und die chlorig müffelnde Halle betreten hatte, erwog ich, nur zu duschen und wieder nach Hause zu fahren, aber heutzutage sind überall Kameras, und man kann sich nicht unbeobachtet vor dem Frühsport drücken. Dann dachte ich zehn Minuten lang am Beckenrand stehend darüber nach, auf welche Weise ich ins Wasser gehen würde. Vorwärts, rückwärts oder gar nicht.
Währenddessen zogen bunt bemützte Damen quakend an mir vorbei wie ein Trupp weiser Enten. Schließlich versenkte ich mich kerzengerade nach unten hüpfend und begann mit dem Schwimmen. Achtzigjährige Herren durchmaßen mit würdevoller Eleganz das Becken, während ich neben ihnen
ums Überleben kämpfte. Aber nach sechs Minuten und zweiundvierzig Sekunden hatte ich die Bahn absolviert, stieg aus dem Wasser und war begeistert von meinen brennenden Lungen und dem einsetzenden Muskelschmerz. Ich entschied, dass ich in 38 Jahren unbedingt wieder ins Schwimmbad gehen muss.
Dann duschte ich ausgiebig. Ich wollte mich abtrocknen, aber in meiner Reisetasche war kein Handtuch. Niemand hat mir gesagt, dass man das braucht! Ich ging zum Waschbecken, um zwei Dutzend Papiertücher aus dem Spender zu holen, aber es gab keine, nur einen Handtrockner mit Luftstrom. Es sieht sehr seltsam aus, wenn man damit seinen Po trocknet. Also suchte ich Klopapier, aber es war keines da. Als ich zurück in die Umkleide kam, lagen auf einer Holzbank Klamotten, ein Kulturbeutel und ein sorgsam gefaltetes, frisches weißes Handtuch. Ich blickte mich zweimal um – und trocknete mich damit ab. Dann faltete ich das Handtuch zusammen und legte es wieder zu den fremden Sachen.
Ich setzte mich ins Café vor dem Schwimmbad und trank einen Espresso. Nach einer Viertelstunde wollte ich nach Hause und dachte daran,
das Taxi zu nehmen, das vor dem Gebäude stand. Aber es saß kein Taxifahrer darin. Der kam nach weiteren fünf Minuten aus dem Schwimmbad und trug auffallend feuchte Kleidung. Er stieg in sein Auto, und ich fragte, ob er frei sei. Dann fuhr er mich nach Hause.
Auf der Fahrt erzählte er mir, dass er morgens oft zum Schwimmen fahre. Und dass heute tatsächlich irgendein Idiot sein Handtuch benutzt habe. Was er mit dem Handtuch gemacht habe, fragte ich. Weggeschmissen, denn man könne ja nicht wissen, welche Krankheiten einer noch habe, der einfach so fremde Handtücher benutzt. Ich pflichtete ihm bei. Leute gibt es, also ehrlich. Ich gab ihm ein völlig unangemessen hohes Trinkgeld.