Güterabwägung
Das Gute am Getrenntleben ist, dass man seine Schuhe im Wohnzimmer ausziehen kann, um sie dann drei Tage dort liegen zu lassen, bis man sie wieder anziehen möchte. Und man muss nicht darüber reden. Gut ist auch, dass man jeden Tag sein Lieblingsgericht zubereiten kann. Neulich gab es vier Tage hintereinander Nudelauflauf, weil Nick dieses fabelhafte Gericht zu einem Hauptbestandteil seines Lifestyles erklärt hat. Vorletzte Woche hatten wir aus demselben Grund drei Mal Döner. Und wir grillen gerne in der Küche, weil wir Höhlenmenschen sind. In der WG von Sara und Carla wäre so etwas nicht vorstellbar. Es gibt dort auch keine Pizzakartons im Altpapier. Und keinen Kaffee, sondern Tee aus dem Himalaja und Duftkerzen.
Gut am Getrenntleben ist auch, dass der Hausrat geteilt wurde und man nur noch die Hälfte von dem ganzen Krempel besitzt, mit dem man vorher gemeinsam vier Mal umgezogen ist. Die Teilung wurde harmonisch vollzogen, und jeder erhielt ungefährlich gleich viel, auch wenn ich im Nachhinein den Eindruck habe, fragwürdige Entscheidungen getroffen zu haben.
Beispiel: Ich habe den großen Topf, sie hat die zwanzig Kuchengabeln. Doof daran ist, dass sie den Topf häufiger bei mir ausleiht und erst wieder zurückgibt, wenn ich ihn brauche. Eigentlich hat sie immer den großen Topf. Aber offiziell habe ich den großen Topf, und sie hat dafür die zwanzig silbernen Kuchengabeln, die ich jedoch erst wieder zum Beerdigungskaffee benötige, wenn ich tot bin. Da stellt sich dann doch mitunter ein Gefühl latenter Ungerechtigkeit ein. Bei mir blieben zum Beispiel auch die Tischdecken, nicht aber der Tisch. Andersrum wäre es mir lieber.
Und ich habe jetzt zwei Waffeleisen, aber keine Kinder mehr, die den ganzen Sonntag über Waffeln bestellen. Ich könnte natürlich Waffeln für die Kleinkinder der Nachbarn backen, doch damit sind die vermutlich nicht einverstanden. Das Mehl. Der Zucker. Das Fett. Aber mit einem Waffeleisen kann man nun einmal keinen Rohkostteller zubereiten. Jedenfalls sitze ich hier auf den Waffeleisen und dem zwölfteiligen Fondueset, während Sara die Küchenmaschine und die Geschirrtücher bekam. Wahrscheinlich hat sie damals den Umstand ausgenutzt, dass sie genau wusste, dass man die Geschirrtücher und die Küchenmaschine häufiger benötigt als das Fondue und die Waffeleisen.
Sie macht von diesem über die Jahre angehäuften Herrschaftswissen skrupellos Gebrauch. Sie hat den Bräter, ich habe den Römertopf. Sie hat die Bügelstation, ich habe den Schokoladenbrunnen. Versuchen Sie mal, mit einem Schokoladenbrunnen ein Oberhemd zu bügeln. Inzwischen habe ich das meiste nachgekauft, und mein Haushalt ist wieder annähernd so groß wie es unser gemeinsamer war. Aber ich würde mich nicht beschweren, denn erstens ist das langweilig, und zweitens hat das Getrenntleben ja noch weitere positive Seiten.
Man bleibt nämlich immer in der Kommunikation. Es gibt für Ältern eine Menge zu besprechen, weil man dauernd über die Zukunft der Kinder reden muss. Und darüber, ob ich das Überbrückungskabel habe und ob sie noch weiß, in welchem Ordner der Vertrag von der Lebensversicherung wohnt. Mir scheint, der Gesprächsstoff geht nie aus. Ebenfalls gut ist, dass ich jetzt im Bad so lange brauchen kann, wie ich will. Früher waren das zehn Minuten, aber inzwischen lebe ich den weiblichen Anteil meiner Persönlichkeit voll aus und brauche bis zu dreißig Minuten. Ich genieße den Anblick von lediglich fünf Tiegeln, Dosen und Flaschen vor dem Spiegel, ich muss den Aufsatz der elektrischen Zahnbürste nicht wechseln, weil niemand anders das Ding benutzt, und ich verwende einfach so vier Handtücher gleichzeitig. Weil ich es kann.
Auch gut ist, dass ich mein Handy am Bett liegen habe, ohne darüber zu diskutieren, dass das angeblich schädlich ist und elektromagnetische Schwingungen sämtliche Erinnerungen an meine Kindheit auslöschen. Niemand wirft meine Zeitungen weg, keiner kauft mehr Brottrunk oder Buttermilch. Das ist das Gute. Das Doofe am Getrenntleben ist eigentlich nur, dass man sich wirklich nur sehr langsam daran gewöhnt.