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Als Megan drei Kapitel gelesen und ihr Glas Cabernet ausgetrunken hatte, war Woody immer noch nicht in der Küche aufgetaucht.

Wenn er Schwierigkeiten hatte, aus einem seiner tieferen Rückzüge in sich selbst wieder zurückzukehren, konnte sie ihn manchmal mit Musik dazu ermutigen. Er hörte ihr gern zu, wenn sie auf dem Steinway spielte, und er betrachtete sie dabei, als würde er staunen, dass sie den Tasten des Flügels Musik entlocken konnte.

Manchmal legte sie ihm handgeschriebene Nachrichten hin. Kürzlich hatte auf einem dieser Zettel die Frage gestanden: Möchtest du, dass ich dir Klavierspielen beibringe?

Weder diese noch irgendeine der anderen Nachrichten hatte er beantwortet, aber sie hoffte, dass er es eines Tages tun würde. Das Austauschen von Nachrichten wäre nicht dasselbe wie ein richtiges Gespräch, aber es wäre doch eine befriedigendere Form der Kommunikation als die, die sie bis jetzt mit ihm erlebt hatte.

Durch den Flur ging sie ins Wohnzimmer und schaltete das Licht ein. Am Klavier blieb Megan stehen. Alle Fotos, die in silbernen Rahmen steckten, lagen mit der Bildfläche nach unten auf dem Deckel.

Verna Brickit polierte Silber und Glas einmal in der Woche. Aber noch nie hatte sie die Fotos so liegen gelassen. Und das sah ihr auch nicht ähnlich. Verna war so gewissenhaft, dass es an Besessenheit grenzte.

Woody musste es getan haben. Aber weshalb? Die naheliegendste Antwort war, dass ihm der Anblick seines Vaters auf all diesen Bildern einen plötzlichen Stich versetzt hatte. Sie hatte geglaubt, dass er diesen Verlust nach drei Jahren mittlerweile verarbeitet hätte, doch offenbar war dies weniger der Fall, als sie gedacht hatte. Er war ein Genie, und die Leute neigten zu der Annahme, dass Genies weniger emotional waren als andere Menschen. Aber sie wusste, dass dies auf ihn nicht zutraf; seine Empfindungen waren tief. Manchmal fragte sie sich, ob er nur deshalb schwieg, weil er befürchtete, dass seine lange unterdrückten Gefühle sonst mit vulkanischer Energie hervorbrechen könnten, dass er nicht fähig sein würde, sie zu kontrollieren, und Dinge sagen würde, die sie in ihrer rohen Leidenschaftlichkeit schockieren würden.

Sie ließ die eingerahmten Bilder liegen, wie sie waren. Später würde sie ihn zu den Fotos befragen.

Sie nahm auf der Sitzbank Platz, klappte die Klaviaturklappe hoch, legte die Tasten frei. Dehnte ihre Finger.

Das Dutzend Lieder, die Woody am liebsten hörte und die er sich stundenlang wieder und wieder anhören konnte, war eine bunte Mischung. Die Liedtexte hatten sicherlich eine Bedeutung für ihn, aber Megan vermutete, dass es die Melodien waren, die seine Seele am stärksten berührten.

Nach einigem Überlegen entschied sie sich für Moon River. Diese schöne Melodie voller Sehnsucht und sanfter Melancholie hallte durch das Wohnzimmer, drang in den Flur und die Treppe hinauf, vielleicht um den Jungen aus dem Schneckenhaus herauszulocken, in das er sich zurückgezogen hatte.