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Kipp fuhr aus einem Traum hoch, in dem er zusammen mit Dorothy und Rosa in einem Auto gesessen hatte. Der Junge schrie in der Leitung.
Es war ein Junge, daran gab es keinen Zweifel mehr, kein anderer Hund, sondern ein besonderer Junge, der die Leitung benutzen konnte, ob er es begriff oder nicht. Ein Junge wie kein anderer, und er war in Gefahr.
Kipp sprang im Bett auf und bellte zweimal.
Ben Hawkins schaltete erschrocken die Nachttischlampe ein, setzte sich auf und blinzelte sich den Schlaf aus den Augen. »Hey, was ist los?«
Kipp sprang vom Bett, tappte zur Tür des Motelzimmers, stellte sich auf die Hinterbeine und tastete mit den Pfoten nach dem Riegel.
Aber das reichte nicht. Damit schien er nur zu signalisieren, dass er sich erleichtern musste. Aber das musste er nicht.
Er rannte zum Nachttisch, auf dem Ben seine Brieftasche und den elektronischen Schlüssel des Range Rovers abgelegt hatte.
Dann stellte er sich wieder auf die Hinterbeine, nahm die Schlüsselkette zwischen die Zähne und rannte mit den aus seinem Maul baumelnden Schlüsseln zur Tür zurück.
Ben stieg aus dem Bett und fragte: »Was ist denn jetzt in dich gefahren?«
Das Leben war viel komplizierter, wenn man kein Wandalphabet und keinen Laserpointer hatte.
Kipp ließ den Schlüssel vor der Tür fallen.
Er lief schnell zum kleinen Tisch am Fenster, stellte sich wieder auf die Hinterbeine und erreichte mit der Schnauze das gebundene Buch, das Ben gelesen hatte.
Er brachte es zur Tür. Ließ es neben den Schlüssel fallen.
Dann drehte er sich um und betrachtete seinen neuen Gefährten.
»Das Motel gefällt dir nicht? Du willst eins mit mehr Komfort? Hör mal, Scooby-Doo, ich hab ungefähr eine Stunde Schlaf gekriegt.«
In der Leitung schrie der Junge vor Entsetzen.
Ben hatte ein Rasierset aus dem Range Rover mitgebracht. Es lag im Badezimmer. Das würde er selbst einpacken müssen.
Außerdem hatte er einen Koffer dabei, den er jedoch noch nicht geöffnet hatte. Er stand neben der verspiegelten Tür zum Wandschrank.
Vor Frustration hechelnd lief Kipp zum Koffer und stieß ihn um. Er sah seinen Begleiter an.
Ben hatte seine Jeans in den Schrank gehängt. Während er sie herausholte und anzog, sagte er: »Na schön, was versuchst du mir mitzuteilen? Dass du pinkeln musst?«
Er war ein Navy SEAL gewesen. Dumm konnte er also nicht sein. Vielleicht lag es daran, dass er gerade erst aufgewacht war.
Kipp nahm den Griff des umgestoßenen Koffers ins Maul, ging rückwärts und schleifte das Samsonite-Gepäckstück quer durch das Zimmer zur Tür.
Ben setzte sich auf den Bettrand, zog die Socken an, die er in seinen Sneakern liegen gelassen hatte, und stellte fest: »Du bist ein sehr merkwürdiger Hund.«
Der Motelschlüssel lag auf dem Tisch, dort, wo das Buch gelegen hatte.
Kipp holte ihn, brachte ihn zur Tür und ließ ihn auf den Koffer fallen.
»In Kriegsgebieten passieren auch merkwürdige Dinge. Manchmal hätte man tot sein müssen, ist es aber nicht, und man kann sich nicht erklären, wieso.«
Nachdem er sich ohne weiteren Kommentar die Schuhe angezogen hatte, kam Ben zur Tür, stand da und betrachtete den Koffer, das Buch, die Schlüssel.
»Zum Beispiel kommt man um eine Ecke, und da steht ein Feind mit einem automatischen Karabiner, drei Meter entfernt. Er drückt ab, das Gewehr hat eine Ladehemmung, und du erschießt ihn, statt selbst erschossen zu werden.«
Kipp wedelte mit dem Schwanz.
»Wenn das so ungefähr dreimal passiert, fängst du an zu glauben, dass die Welt viel seltsamer ist, als du immer gedacht hast.«
Kipp nickte.
»Oder ich verlier vielleicht den Verstand.«
Kipp schüttelte den Kopf. Nein.
»Tja, sieht aus, als könnte ich nicht wieder ins Bett gehen. Und du musst vielleicht nicht pinkeln, aber ich. Und danach hauen wir hier ab.«