DIE SCHUL(UNHEILS)-VERSAMMLUNG
Der neue Schulleiter trat ans Mikrofon. Er trug einen weißen Anzug, einen weißen Hut und hatte einen prächtigen silberweißen Bart. Unglaublich buschige weiße Augenbrauen wucherten über den oberen Rand der dunklen Sonnenbrille, die er trug. In einer Hand hielt er einen weißen Stock mit einem seltsam geschnitzten Kopf als Knauf.
Dirk, der zusammen mit Suus und Chris ganz hinten in der Halle stand, grinste vor sich hin, als er die Sonnenbrille sah. Hasdrubans Augen waren schwarz wie die Nacht – kein bisschen Weiß war darin zu sehen. Die Menschlinge würden glatt durchdrehen, wenn sie in diese Augen blicken müssten – das war der Grund, warum Hasdruban eine Sonnenbrille trug.
Hinter dem Weißen Zauberer stand noch eine weitere eigenartige Gestalt, ebenfalls weiß gekleidet und mit schlohweißem Haar und bleicher, fast durchscheinender Gesichtshaut: Miss Dumm, Dirks ehemaliges Kindermädchen, oder auch die Weiße Hexe, wie sie in den Darklands genannt wurde. Hinter ihr hatte man ein paar Reihen Stühle aufgestellt, auf denen mehrere Lehrerinnen und Lehrer und der Schulbeirat saßen.
Der Zauberer-Rektor klopfte mit dem Zeigefinger leicht auf das Mikro. »Funktioniert dieses magische Gerät … ich meine, dieses, äh … Mikrofon? Könnt ihr mich hören?«, fragte er mit dröhnender, befehlsgewohnter Stimme.
»Jawohl, Sir!«, rief fast die ganze Schülerschar, die total verblüfft zur Bühne starrte. Vollkommen weiß gekleidet, ein vom Bart fast überwuchertes Gesicht und eine dunkle Sonnenbrille? Was für ein Typ war der denn?
»Gut. Dann will ich anfangen. Ich bin euer neuer Schulleiter. Ihr könnt mich Weißer … nein, Moment. Ihr werdet mich mit ›Doktor Hasdruban‹ anreden.« Er machte eine Pause und starrte auf die versammelten Schüler hinunter. Sie starrten zurück.
»Von heute an gilt eine neue Schulordnung. Alles wird anders! Unsere Losung wird sein: harte Arbeit, strenge Disziplin, voller Einsatz! Und warum machen wir das? Natürlich, um unser Bildungsziel zu erreichen. Aber dieses Ziel ist nur zweitrangig!«
Die Kinder blinzelten zu ihrem neuen Schulleiter hinauf; Verwirrung stand auf allen Gesichtern geschrieben. Wovon redete der überhaupt?
Die Stimme des Rektors wurde immer lauter. »Zweitrangig! Denn unser erstes, unser wichtigstes Ziel wird sein, das Böse auszumerzen, wo immer wir ihm begegnen! Es vollständig und total zu vernichten! Es in jedem seiner schleimigen Verstecke aufzuspüren und ein für alle Mal zu zerstören!«
Ein paar Lehrer rutschten unruhig auf ihren Stühlen herum und blickten mit gehobenen Augenbrauen auf ihren neuen Boss. Nur die Mitglieder des Schulbeirats nicht: Sie starrten mit gläsernem Blick einfach geradeaus ins Leere.
Dirk runzelte die Stirn. Waren sie verhext worden? Hatte sie ihr neuer Führer, der Weiße Zauberer, in hirnlose Jasager verwandelt?
»Und wir werden Regeln einführen! Neue Regeln! Regel eins lautet: Alle schwören dem Weißen Zaub… äh, ich meine, dem Schulleiter unbedingte Gefolgschaft und bedingungslosen Gehorsam!«
Miss Dumm berührte Hasdruban leicht mit der Hand an der Schulter. Der Zauberer drehte sich gereizt zu ihr um.
»Was?«, bellte er. »Sehen Sie denn nicht, dass ich beschäftigt bin?«
Ein paar Kinder kicherten. Der Schulleiter wandte sich wieder den Kindern zu und brüllte im Befehlston: »Silentium, elendes Gewürm!« Normalerweise hätten sie bei einem solchen Ausspruch nur noch lauter gelacht, aber Hasdruban hatte es derart drohend ausgerufen, dass sich sofort tiefste Stille ausbreitete.
Miss Dumm reichte dem Rektor einen Zettel. Bekanntlich redete sie nie, sondern verständigte sich nur durch solche Zettel. Hasdruban riss ihr das Papier grob aus der Hand und las schnell, was darauf stand.
Dann blickte er auf. Seufzte. Und fuhr fort: »Nun gut – die Sache mit dem Gefolgschaftsschwur und so lassen wir lieber, aber trotzdem: Ich erwarte unbedingten Gehorsam, sonst wird es für euch üble Folgen haben!«
Wieder wurde seine Stimme lauter. Wie ein Irrer wütete er weiter: »Und wenn ich üble Folgen sage, dann meine ich üble Folgen! Und ich meine nicht solche läppischen, jämmerlichen Strafen wie ›Nachsitzen‹ oder ›Strafarbeiten‹, sondern ich meine töten, verstümmeln, köpfen, verbrennen, prügeln, total fertigmachen! Oh ja! Und das alles ist nur die Vorspeise für die Ketzer, Verräter und Lakaien der Dunkelheit!«
Die Lehrer starrten Hasdruban mit offenen Mündern an. Aber die Schulbeiräte lächelten nachsichtig ins Leere, als liefe alles bestens und nach Plan. Und die Schüler starrten in noch größerer Verwirrung zu ihm hinauf. Niemand wagte einen witzigen Zwischenruf, niemand flüsterte, niemand produzierte einen Achselhöhlenfurz oder schnalzte auch nur mit der Zunge. Für solche Späße waren sie nun viel zu eingeschüchtert.
Wieder beugte sich Miss Dumm vor und reichte Hasdruban einen weiteren Zettel. Er drehte sich um und starrte sie an. Sie hielt ihm den Zettel direkt vor die Augen und wedelte ein wenig mit ihm herum.
»Gut, in Ordnung, in Ordnung!«, sagte er und riss ihr den Zettel aus der Hand, las ihn, zerknüllte ihn und warf ihn wütend auf den Boden. Angewidert verzog er das Gesicht.
»Bei den Neun Höllen!«, bellte er, schüttelte voller Frustration den Kopf und stemmte die Hände in die Hüften. Dann holte er tief Luft und seufzte theatralisch. »Pah! Nun … gut … Also … Das war natürlich nur … scherzhaft gemeint! Scherzhaft! Jawohl! Selbstverständlich wird hier nichts dergleichen … nichts Derartiges … Aber Disziplin, jawohl, Disziplin wird herrschen! Strengste Disziplin! Unbarmherzige Disziplin! Nachsitzen wird es geben! Und Strafarbeiten wird es geben, genau wie es im Gesetz steht!«
Hasdruban hielt einen Augenblick lang inne und starrte drohend auf die versammelte Schülerschar hinab.
»Und jetzt zur Regel Nummer drei!«, verkündete er. »Alles ist unverzüglich dem Schulleiter zu melden! Jeder Einzelne von euch wird jeden anderen bespitzeln, wird ihn oder sie ›verpetzen‹, wie ihr das nennt. Der kleinste Verstoß gegen die Regeln, jede Vorwitzigkeit, egal wie nebensächlich sie auch erscheinen mögen, muss mir sofort angezeigt werden! Das gilt vor allem für alles BÖSE! Habt ihr mich verstanden? Das BÖSE muss gnadenlos verfolgt und vollständig ausgemerzt werden! Das BÖSE muss vernichtet werden!«
Hasdruban hob seinen Stab und deutete damit auf die versammelte Schülerschar.
»Und ihr wisst, was ihr seid, ihr Bösen!«, brüllte er. »Ihr wisst es und ich weiß es und ihr werdet SCHON BALD den heiligen Zorn der Gerechtigkeit zu spüren bekommen!«
Speichel spritzte aus seinem Mund, sodass die Kinder in der ersten Reihe angewidert zurückzuckten. Die ausweichende Bewegung setzte sich wie eine kleine Welle fort. Hasdruban unterbrach seine Tirade, um sich den Mund mit einem weißen Taschentuch abzuwischen.
»Ich fasse zusammen«, fuhr er nun etwas ruhiger fort. »Ich bin euer neuer Schulleiter, Dr. Hasdruban. In meiner Schule gelten ab sofort drei Regeln – Folgsamkeit, Disziplin, Bespitzelung. Ist doch ganz einfach, oder nicht?«
»Ja, Dr. Hasdruban«, antworteten die Kinder eingeschüchtert.
»Gut!«, rief der Schulleiter. »Ihr könnt gehen! Ab mit euch in eure Kerk… äh, Klassenzimmer, los, verschwindet!«
Still schlichen die völlig verblüfften Kinder aus der Aula; die meisten waren offensichtlich zutiefst verängstigt.
Dirk, Suus und Chris warfen sich vielsagende Blicke zu, als sie sich mit der Kindermenge aus dem Saal drängelten.
»Ich denke mal, dass du das Böse bist, von dem er ständig gefaselt hat«, flüsterte Chris.
»Ach, denkst du das?«, fragte Dirk zurück. »Aber er meint nicht nur mich, sondern auch euch beide.«
»Ich überlege schon, wie ich meinen Eltern mein nächstes Zeugnis erklären soll«, sagte Chris. »Tut mir leid, Dad, dass es so schlecht ist, aber der Schulleiter glaubt, dass ich der Böse bin.«
»Hihihi«, kicherte Suus leise. »Aber mach dir keine Sorgen, Mum, es hört sich schlimmer an, als es ist – ehrlich!«
Mühsam unterdrückten die drei »Bösen« ihr Gelächter, als sie durch den Korridor gingen.