Wieder zu Hause angekommen, setzte sich Dirk an seinen Schreibtisch und rief Dave zu sich. Er nahm ihm die Botschaft ab, die an Daves Bein befestigt war, und rollte sie auf. Voller Aufregung begann er zu lesen.
EUCH ZUM GRUSSE, KAISERLICHE DIRKHEIT!
Es ist fürwahr wunderbar, von Euch zu hören, mein Herr und Gebieter! Dave wird sich als höchst nützliches Getier erweisen – durch ihn können wir nunmehr regelmäßig mit Euch korrespondieren. Ich sende Euch heute ein besonderes Fläschchen – ein Geisterfläschchen, das ich in der Dunklen Bibliothek gefunden habe. Ich habe meinen Vetter, den Kobold Aknus Ekzemian, in das Fläschchen gefüllt. Er wird Euch alle Neuigkeiten berichten. Wie geht es Eurer Königin Suus? Bitte lasst sie wissen, dass wir sie sehr vermissen!
Mit rotztriefenden Grüßen
Euer Kanzler Agrasch, genannt Rotztropf
»Pah!«, stieß Dirk hervor. »Sie scheinen mehr an Suus interessiert zu sein als an mir!« Obwohl er zugeben musste, dass Suus ihren Job drüben in den Darklands ganz gut hingekriegt hatte und deshalb dort sehr beliebt war. Na gut, dass sie ihren Job gut hingekriegt hatte, glaubten nur Leute, die auf Frieden und Harmonie abfuhren. Aber wem gefällt so etwas schon? Er, Dirk, war der eigentliche, der ursprüngliche Dunkle Lord, der einzige und der wahre! Sollte das nun auf einmal nichts mehr wert sein?
Aber egal – er durfte sich nicht von solchen Gedanken ablenken lassen. Jetzt gab es Wichtigeres zu tun!
Er nahm die kleine Geisterflasche in die Hand. Es handelte sich um eine magische Einwegflasche, in der man beliebige Geschöpfe, sogar Leute, aufbewahren konnte. Wenn man sie dann später herausließ, nahmen sie wieder ihre ursprüngliche Gestalt an. Vorsichtig pulte er das magische Siegel von der Öffnung. Ein dünner grüner Rauchfaden kräuselte sich heraus und ergoss sich in die Luft wie ein kleiner Wasserstrahl. Mitten in der Luft verdichtete er sich und nahm allmählich eine vertraute Gestalt an – ein kleiner Kobold! Dieser hier war ziemlich hässlich (ehrlich gesagt, waren die meisten Kobolde ziemlich hässlich). Seine Nase war zwar nicht so lang wie Agraschs Rotzkamin, ragte aber trotzdem recht weit aus dem grünen Gesicht, das über und über mit rotbraunen Flecken bedeckt war. Die Flecken sahen wie übergroße Muttermale aus. Und aus jedem einzelnen wuchs ein langes schwarzes Haar! Kotz!
Der Kobold verfestigte sich mit einem schlüpfrig-klebrigen Plopp!Er trug ein schmutziges Lederwams – auf dem aber, was Dirk sehr beruhigte, sein eigenes Siegel prangte: das Große Siegel des Dark Lord – und eine ebenfalls dreckige Wollhose. Im Gürtel hing eine alte, rostige Koboldaxt, in die Darkland-Runen eingraviert waren. Außerdem hatte er einen Ledersack über eine seiner knochigen, von behaarten Muttermalen übersäte Schulter geworfen. Aber worin seine Füße steckten, passte überhaupt nicht zu seinem schmutzigen Outfit: ein feines Paar glänzende Stiefel aus blau und weiß gefärbtem Leder mit golden funkelnden Schnürbändern.
»Uuurrrghhh!«, stieß Agraschs Vetter mit rauer, aber auch leicht quäkender Stimme hervor. »Das war gruselig!« Dann blickte er zu Dirk auf. »Ah! Eure Kaiserliche Dunkelheit, ich entbiete Euch Grüße von Eurem Eisernen Turm!«
»Ich grüße dich, Lakai!«, sagte Dirk. »Es ist gut, endlich wieder einmal ein freundliches Gesicht zu sehen!«
»Danke, Eure Superbösheit!«, antwortete der Kobold. »Ich bin 'n Fetta von Agrasch und heiß Aknus Ekzemian. Is mir 'ne Ähre, Euch persönlich kennenzulernen!«
Aknus streckte seine fleckige, haarige grüne Hand aus. Anscheinend erwartete er wirklich, ein Dark Lord würde sich so weit erniedrigen, einem einfachen Kobold die Hand zu schütteln. Dirk hob nur eine Augenbraue.
Aknus schaute ein wenig verwirrt aus seiner Schmutzwäsche. Dirk nickte in Richtung Boden.
»Ach so, klar, 'türlich! Hätt fast geglaubt, ich hätt's nur mitm hundsgemeinen Menschlingsknirps zu tun!« Aknus sank auf ein Knie. »Aknus Ekzemian, Koboldlakai, stets zu Euren Diensten, o Dunkler Herr!«
»Schon besser!«, nickte Dirk huldvoll. »Erhebe dich, Aknus, und erstatte deinem Herrn Bericht!«
Gehorsam stand Aknus auf, wischte sich die Tropfnase ab und sagte: »Na ja, Eure Verdunkelung, Agrasch Rotztropf und Krätze Knallfurz haben alles ziemlich gut im Griff. Aba weil Ihr un der Weiße Zauberer – möge sein Bart schwarz werden – nie nich da sin, is nich viel los. Alle machen halt einfach mit dem weida, was sie halt sonst so machen tun, und so …«
»Willst du damit etwa behaupten, dass es den Darklands besser geht, solange wir nicht da sind?«, fragte Dirk leicht verärgert.
»Was! Nö, nie un nimma! In echt, Eure Oberbosheit, 'türlich nich! Bessa dran ohne den ollen Weißling, klar doch, aba nie nich ohne Euch, Meister, ganz bestimmt nich!«
»Gut denn, Aknus, fahre fort«, sagte Dirk und tat so, als sei er wieder besänftigt. In Wirklichkeit machte ihm die Sache gewaltig Spaß. So ein bisschen wie in den alten Zeiten. Schließlich sollte Aknus nicht denken, dass Dirk etwas anderes als der alte Dark Lord war. Denn eigentlich war er hier auf diesem Planeten viel netter als damals in den Darklands. Na gut, jedenfalls weniger unnett.
»Hmmm … Die ollen Knackis von den Vereinten Gut-Staaten waren bisher ziemlich ruhig, 'n paar Patrouillen gerieten sich paarmal in die Haare, aba sonst nix Ernstes. Und am Turm ham sich noch viel mehr Orks versammelt un auch viele Koboldgoblins. Jetz ham wir 'ne viel größere Armee. Und Suusville wächst imma weida, weil 'n Teil von den Menschlings wieda zurückkommt, jetz gibt's da alles Mögliche zu kaufen. Läuft eigentlich ganz gut, Suusville.«
Dirk verschränkte verstimmt die Arme. Suus hatte gut regiert, aber sobald Dirk auch nur daran dachte, stieg unwillkürlich Ärger in ihm hoch. Friede, Freude, Eierkuchen, wahrhaftig! Pustekuchen! »Genug davon!«, befahl er grob. »Hast du irgendwelche Informationen mitgebracht, die mir hier auf der Erde etwas nützen?«
»Aba klar!«, sagte Aknus. »Agrasch hat mir für Euch 'n paar Sachen mitgegeben!« Er griff in seinen Ledersack und nahm zwei große weiße Kristalle heraus. »Das hier sin zwei, äh, Antennenställe … oder so was«, nuschelte der Kobold verlegen.
»Ah – zwei Anathema-Kristalle! Hervorragend!«, rief Dirk erfreut, hielt die Kristalle ins Licht und studierte sie eingehend. Bekanntlich musste man nur einen Kristall neben einer Person auf den Boden werfen, sodass er in tausend Splitter zersprang, um sie von den Darklands zur Erde zu schicken. Außerdem ließen sich auf diese Weise Dark Lords in gewöhnliche Menschlingskinder verwandeln, wobei auch gleichzeitig die gesamte Essenz des Bösen aus ihnen herausgesogen wurde. Mit dem Kristall hatten Suus und Chris letztes Mal Dirk »gerettet« – aber dabei auch gleichzeitig dafür gesorgt, dass nicht nur der Dark Lord, sondern auch Chris und Suus selbst sowie Gargon und Rufino durch die Abgrundtiefen Untiefen zwischen den Welten auf die Erde geschleudert wurden, wo sich der Dark Lord wieder in die Gestalt von Dirk dem Schuljungen verwandelt hatte.
»Aba Agrasch«, fuhr Aknus fort, »lässt ausrichten, dass die zwei Antennen… äh, Kristalle die einzigen sin, die noch übrig geblieben sin. Hat inner ganzen Dunklen Bibber… Bibberthek nach dem Zeug gesucht, un er weiß auch nich genau, ob sie hier überhaupt richtig funktionieren tun. Also, ob sie die Leute wirklich den ganzen Weg inne Darklands schießen oder ob sie unnerwegs nich hängen bleiben? Keine Ahnung, aber Agrasch meint, dass sie Euch trotzdem nützen könn.«
»Jedenfalls nützen sie mir hier mehr, als wenn sie im Eisernen Turm herumliegen, das ist schon mal sicher. Sonst noch was Nützliches?«
»Na ja, das hier noch.« Der Kobold reichte Dirk einen Lederbeutel, der mit Goldmünzen gefüllt war.
»Gut! Ich bin sicher, dass ich damit etwas Nützliches anfangen kann«, sagte Dirk und ließ den Beutel schnell in seiner Hosentasche verschwinden. »Noch was?«
»Nööö, eigentlich nich, Eure Gemeinheit. Ich kann Euer treuer Leibwächter sein und so weida, außerdem kann ich lesen un schreiben, genau wie mein Fetta Agrasch!«
»Gute Idee, Aknus, aber das Problem ist, dass ich dich nirgendwohin mitnehmen kann, die Eingeborenen hier würden glatt durchdrehen. Vor allem, wenn ich dich in die Schule mitbringen würde!«
»Schule? Was – hamse hier 'ne Zauberschule? Oda 'ne Gladiatorenschule?«, fragte Aknus aufgeregt.
»Schön wär's, aber so eine Menschlingsschule ist schlimmer, Aknus, viel schlimmer, als du dir jemals vorstellen könntest!«, sagte Dirk.
Da klopfte es an der Tür.
»Schnell, hier rein«, sagte Dirk und schubste Aknus nicht sehr sanft in den Kleiderschrank. »Und keinen Mucks, hörst du? Niemand darf dich sehen, niemand und niemals, kapiert?«
»Ja … jawoll, Eure Grobheit«, stieß Aknus, nun völlig verängstigt, hervor, während Dirk ihm die Schranktür vor der langen Nase zuschlug.
»Wer ist da?«, fragte Dirk. Die Zimmertür ging einen Spaltbreit auf und Dr. Jack Purjoy streckte den Kopf herein.
»Abendessen, Dirk!«, sagte er.
»Okay, komme in ein paar …«, sagte Dirk – und im selben Moment tönte ein sehr lautes »HATSCHI!« aus dem Schrank, gefolgt von einem halb unterdrückten »Uurgghhh!«.
Dr. Jacks Augenbrauen schossen hoch. »Was war das denn?«
»Äh, nur ein Xbox-Spiel … Komme gleich runter«, antwortete Dirk und schob die Zimmertür zu, sodass Dr. Purjoy mit einem »He, jetzt mal langsam!« rasch den Kopf zurückziehen musste. Aber derartiges Benehmen war er von Dirk inzwischen gewohnt, deshalb protestierte er nicht, sondern sagte nur noch: »Aber trödle nicht herum, sonst wird es kalt«, und stieg wieder die Treppe hinunter.
Kaum war er weg, als Dirk auch schon die Schranktür aufriss. »Du komplette Flitzpiepe! Ich hab dir doch gesagt, du sollst … Heiliger Scheiterhaufen, was hast du gemacht!«
Aknus' Niesen war buchstäblich explosiv gewesen – er hatte Dirks Grim-Reaper-Morgenmantel vollständig besprüht … mit unzähligen winzigen Tröpfchen aus grünlichem Rotz und stinkender Koboldspucke.
»Tut mir leid, Eure Grimmige Dunkelheit, aba echt«, murmelte Aknus beschämt.
22. November Herzausreißer
Ich werde so bald wie möglich einen der Kristalle verwenden. Vielleicht können wir dann alle in die Darklands zurückkehren, ich würde Gargon und Rufino dortlassen und mit dem zweiten Kristall wieder auf die Erde zurückkehren, um mit Hasdruban abzurechnen. Aber andererseits: Warum können wir dann nicht gleich in den Darklands bleiben? Hmm. Suus wäre vielleicht bereit dazu, nur bei Christopher bin ich nicht so sicher. Aber Aknus kann ich nicht auf der Erde zurücklassen, oder? Aknus … Was mache ich nur mit einem Kobold? Ich kann ihn doch nicht ewig im Kleiderschrank wohnen lassen! Womit soll ich ihn ernähren? Und wo … würg … ich darf gar nicht daran denken – wo soll er hin, wenn er aufs Klo muss? Soll ich ihn etwa jedes Mal ins Bad schmuggeln? Oder noch schlimmer, ihm einen Eimer in den Schrank stellen? Und wer soll den Eimer leeren?
22. November Herzausreißer
Ha, ha, Suus und Chris sind total bescheuert! Ich hab ihnen von Anfang an gesagt, dass die Sache mit der Band nicht funktioniert! Wenn sie so weitermachen, werden sie entdeckt. Und dann? Die Menschlinge werden Gargon in ein Versuchslabor stecken und an ihm herumexperimentieren und Rufino kommt in die Klapsmühle, zusammen mit anderen Idioten, die behaupten, Ritter aus einer anderen Welt zu sein.