»Rat-a-tat-tat!«, klopfte es laut an Dirks Zimmertür. Schnell versteckte er die Schattenbrille, scheuchte Aknus in den Schrank und ging zur Tür. Dave die Sturmkrähe war glücklicherweise bereits auf dem Weg in die Darklands; um den Vogel musste er sich also keine Gedanken machen.
»Ah, da ist er ja, unser kleiner Hannibal Lecter!«, sagte Dr. Wings, als Dirk die Tür öffnete.
»Was Dr. Wings so unprofessionell und indiskret ausdrückt, soll natürlich heißen: Wir freuen uns, dich wiederzusehen, mein Junge«, sagte Professor Randle mit falscher Fröhlichkeit und warf seinem Kollegen einen wütenden Blick zu.
Dirk seufzte hörbar. Wieder mal eine dieser entsetzlichen Wings-Randle-Therapiesitzungen, der reinste Albtraum!
»Seid gegrüßt, minderwertige Hirnverdreher«, sagte Dirk und lächelte zu den beiden Psychologen auf. Beide blinzelten eingeschüchtert, wie alle, die Dirks »Lächeln« zu sehen bekamen.
»Was meinen Sie, sollten wir nicht noch einen Erwachsenen hinzuziehen?«, fragte Randle.
Dr. Wings zögerte einen Augenblick mit der Antwort. »Nein, ich glaube nicht, er ist ja noch ein Kind. Wir schaffen das alleine. Nicht wahr?«
Randle nickte. »Ja, natürlich, natürlich. Und … gehen wir hinein?« Er machte eine einladende Handbewegung, sodass sein Partner vorausgehen musste.
Sie hatten zwei Stühle vom Esszimmer mitgebracht, die sie mitten im Zimmer aufstellten. Dirk musste es sich auf dem Bett bequem machen, auf dem Rücken, als läge er auf der Couch eines Psychiaters.
»Nun, Dirk«, begann Randle, »wir haben von deinem Rektor, Dr. Hasdruban, eine Menge über dich gehört und auch von deinem Vater, Dr. Purjoy.«
»In der Tat, Dirk«, sagte Wings, beugte sich vor und hielt ihm eine Tüte hin. »Fruchtgummi?«
Dirk achtete nicht auf die angebotenen Süßigkeiten. »Und was hat dieser alte fanatische Idiot über mich erzählt?«, wollte er wissen.
Wings blinzelte verwirrt. »Wen meinst du … deinen Vater oder den Rektor?«
»Hasdruban natürlich!«, erwiderte Dirk gereizt.
Wings kniff die Augen zusammen und schaute ihn scharf an. Randle lächelte vage.
»Ach, alles Mögliche, alles Mögliche«, sagte er ausweichend.
Wings versuchte, Dirk zu beruhigen. »Bist du sicher, dass du keinen Fruchtgummi haben willst, Dirk? Dr. Hasdruban mag sie nämlich neuerdings sehr, weißt du. Er mag sie sogar ganz arg!«
»Ja, stimmt, er ist richtig in Fruchtgummis vernarrt, genau wie der gute alte Wings hier!«, sagte Randle angewidert.
»In echt? Na ja, über Geschmack lässt sich eben streiten«, sagte Dirk.
»Nun, jedenfalls sind wir nicht hergekommen, um uns mit Dirk über Fruchtgummis zu unterhalten, oder?«, fauchte Randle Wings an.
»Nein, nein, natürlich nicht«, nickte Wings schnell und schob die Tüte in seine Jackentasche. »Dr. Hasdruban hat uns erzählt, dass man dich im Physiklabor überrascht hat, als du eine, äh, nun, eine Art Feuerwaffe herstellen wolltest.«
»Was?«, brauste Dirk auf. »Das ist gelogen!« Und es war gelogen. Sicher, Dirk würde wahrscheinlich eine Waffe konstruieren können, aber die Sache wäre einfach zu riskant. Wenn man ihn dabei erwischte … nun, vielleicht würden sie ihn in eine Jugendverwahranstalt stecken? Oder von der Schule verweisen und in eine Sonderschule für Schwererziehbare schicken. Ganz zu schweigen von der unerwünschten Aufmerksamkeit, die das erregen würde. Misstrauisch kniff er die Augen zusammen. Das also war das Spielchen, das Hasdruban trieb! Falsche Gerüchte und Lügen über ihn zu verbreiten! Dieser verschlagene alte Schuft!
»Ach, komm schon, Dirk, uns brauchst du nichts vorzuschwindeln, wir stehen doch auf deiner Seite, mein Junge«, sagte Wings.
»Sage uns doch mal, Damien … äh, Dirk, meine ich, sage uns doch mal, was das mit der Waffe soll? Bist du über irgendetwas sehr wütend? Möchtest du uns nicht davon erzählen?«, fragte Randle.
»Ja, sicher bin ich wütend – der Rektor ist eigentlich der Weiße Zauberer und plant, mich umzubringen. Sehen Sie nicht, was er mit meinem Arm gemacht hat? Er hat ihn mit einem Degen aufgeschlitzt!«, sagte Dirk und streckte ihnen zum Beweis seinen verbundenen Arm hin.
»Aber, aber, Dirk! Du wirst doch hoffentlich nicht von uns erwarten, dass wir dir das glauben – dass dein Schulleiter in Wirklichkeit ein Zauberer aus einer anderen Welt ist, der dich mit einem Degen angegriffen hat!«, rief Wings.
Darauf wusste Dirk keine Antwort. Nein, er erwartete nicht von ihnen, dass sie ihm diese Geschichte glaubten. Eigentlich wollte er nur eins: dass diese Sitzung so schnell wie möglich zu Ende ging, damit er auf Dave warten und nachschauen konnte, was er ihm aus den Darklands mitgebracht hatte.
»Wir wissen, dass du dir den Schnitt selbst zugefügt hast, Dirk«, fuhr Randle fort. »Dein Vater hat es uns gesagt.«
»Pflegevater!«, entfuhr es Dirk, bevor er es verhindern konnte.
»Ah! Darum geht es also!«, sagte Wings. »Du bist frustriert, weil du ein Pflegekind bist, und sehnst dich wahrscheinlich nach deinem eigenen Vater?«
»Und deshalb fügst du dir selbst Verletzungen zu? Jetzt kommen wir der Sache endlich näher!«, rief Randle erfreut.
Dirk verdrehte die Augen – die beiden waren wirklich Idioten im Doppelpack. Und dann bemerkte er etwas: Die Schranktür war einen winzigen Spaltbreit aufgegangen; eine lange grüne Nase erschien und schnüffelte in der Luft …
Dirk starrte die Nase fasziniert an. Wings und Randle folgten seinem Blick – aber die Nase war wieder blitzschnell verschwunden, noch bevor sie etwas bemerken konnten. Dirk wandte sich wieder den beiden Therapeuten zu und seufzte.
»Ja, Sie haben recht, so ist es. Ich säble an mir selbst herum, weil mir meine wirklichen Eltern fehlen …« Wenn er zu allem Ja sagte, was sie vermuteten, würde die Sitzung früher zu Ende sein, dachte er, und murmelte in sich hinein: »Spielt ja wohl keine Rolle, dass meine Eltern schon seit ein paar tausend Jahren tot sind.«
Wieder bemerkte er aus dem Augenwinkel eine Bewegung: Ein knotiger grüner, haariger Arm kam aus dem Schrank. Dirks Puls ging schneller. Wenn sie sich jetzt umdrehten, dann …
Er musste sich beherrschen, um nicht laut loszukichern.
»Die Waffe, Dirk. Möchtest du nicht darüber sprechen?«, fragte Wings.
»Was für eine Waffe? Das ist doch nur eine üble Lüge, die dieser Verrückte, Dr. Hasdruban … hm … Okay, Sie haben recht. Ich wollte tatsächlich, äh, damit herumballern! Aber natürlich nur an einem sicheren Ort. Um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen und so weiter«, sagte Dirk, obwohl ihm völlig schleierhaft war, warum jemand so etwas tun sollte, nur um mehr Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Aber die Menschlinge waren sowieso höchst eigenartige Geschöpfe, wahrscheinlich glaubten sie das wirklich.
Aknus' Hand schob sich immer näher an Wings' Jackentasche heran.
»Aha! Wusste ich es doch!«, sagte Randle. »Gut gemacht, Dirk, jetzt kommen wir wirklich vorwärts!«
Dirk verschluckte sich fast an seinem Lachen, als die Koboldhand in Wings' Jackentasche glitt, den Beutel Süßigkeiten herauszog und wieder im Schrank verschwand.
Wings runzelte die Stirn. »Was ist so komisch, Dirk?«, fragte er, offensichtlich hatte er den Verlust seiner kostbaren Fruchtgummis noch nicht bemerkt.
»Ach, nichts, gar nichts.«
Da erschien mitten im Raum zwischen ihnen wie aus dem Nichts ein runder schwarzer Fleck. Dirk geriet fast in Panik. Wings und Randle starrten staunend darauf. Der Fleck wuchs ein wenig, dann knallte es laut und Dave die Sturmkrähe flatterte in das Zimmer. Dave kreiste mit wild schlagenden Flügeln im Raum herum und krächzte, als ob er in der Hölle geröstet würde, dann flog er durch das offen stehende Fenster hinaus. Der schwarze Fleck flackerte und verschwand.
Wings und Randle saßen stumm da und blickten mit offenen Mündern ins Leere. Dirk konnte sich nicht mehr beherrschen und kicherte ein bisschen.
Wings stammelte: »W… was in drei Teufels …«
»… Namen war d… das?«, brachte Randle den Satz zu Ende.
Dirk riss sich zusammen. Jetzt half nur noch ein Bluff. »Nur ein Vogel«, sagte er schnell. »Eine Krähe – hat sich auf dem Dach gegenüber eingenistet, kommt ab und zu hier herein, flattert einmal im Zimmer herum und verschwindet wieder.« Aufmerksam beobachtete er, wie sie auf die Ausrede reagierten.
»Ah, hm«, murmelte Wings, »klar … Kommt einfach durch das Fenster geflattert …«
»Ja, kann gar nicht anders sein«, nickte Randle. »Ist doch klar. Krähen machen so was. Absolut. Ich meine, eigentlich habe ich nicht gesehen, wie … hm, hm. Wings, haben Sie …?«
Wings starrte seinen Kollegen an. »Nein, hab ich nicht. Nicht gesehen, wie … überhaupt nicht … äh. Also: Ich habe eine Krähe durch das Fenster herein- und wieder hinausfliegen sehen. Genau das hab ich gesehen.«
»Ja, genau das haben Sie. Und ich auch! Natürlich, was denn sonst?«, nickte Randle hastig.
»Dann, nun, dann … wäre das ja wohl geklärt …«, murmelte der immer noch völlig verblüffte Wings.
»Augen zu und durch, wie?«, sagte Randle.
Dirk grinste verschlagen. Das war wirklich irre komisch. Damit wurden sie nicht fertig – deshalb mussten sie einfach so tun, als sei nichts geschehen! Was für ein Paar. Er warf einen Seitenblick auf den Kleiderschrank. Wäre doch lustig, wenn jetzt auch noch der Kobold heraushüpfen würde! Wie sie wohl dann reagieren würden?
Aber nein, das würde heißen, die Sache ein wenig zu weit zu treiben.
»Ich glaube, unsere Sitzung ist ohnehin zu Ende, was meinen Sie, Wings?«, fragte Randle seinen Kollegen.
»Stimmt genau«, nickte Wings, während sie ziemlich hastig aufstanden. »Bis zum nächsten Mal, junger Mann«, verabschiedete sich Wings.
Als sie zur Tür gingen, griff Wings in die Tasche, um einen Fruchtgummi herauszuholen. Aber da war nichts … Er blieb wie angewurzelt stehen. Sein Kopf schwenkte herum. Er ballte die Fäuste. Drehte sich zu Randle um.
»Geben Sie sie sofort wieder her!«, fauchte er.
»Was?«, fragte Randle verblüfft. »Wovon reden Sie?«
»Ich sag's nur noch einmal. Ein einziges Mal: Geben. Sie. Sie. Her! Oder, beim Teufel, ich werde Sie …«, knurrte Wings mit hochrotem Gesicht.
Dirk sprang schnell auf und öffnete ihnen die Tür.
»Sie durchgeknallter Volltrottel, was ist jetzt wieder los mit Ihnen?«, schrie Randle, was aber Wings nur noch weiter auf die Palme trieb.
Dirk schob Randle sanft in den Flur hinaus. Wings lief ihm wutschnaubend nach. »Verdammt, Randle, Sie Dieb! Ich weiß, dass Sie es waren! Wer denn sonst?«
»Heilige Schneegans, Wings, jetzt sind Sie aber wirklich total übergeschnappt!«, gab Randle wütend zurück, während Dirk die Tür leise hinter ihnen schloss.
»Sie … Sie …!« Es klatschte, dann krachte es, gefolgt von gegenseitigem Anbrüllen. Mit Dirks Selbstbeherrschung war es endgültig vorbei – er bog sich vor Lachen. Rasch riss er die Schranktür auf – und dort saß Aknus, der sich den Mund mit Fruchtgummis vollstopfte und Dirk überglücklich angrinste.
»Dasch isch escht gut, Dirkische Hoheit!«, manschte Aknus mit vollem Mund. »Mjam, mjam, majm!«
»Die schwarzen lässt du für mich übrig, du kleiner grüner Fresssack!«, befahl ihm Dirk und tätschelte ihm den Kopf. Aber wenn er es sich richtig überlegte, sollte er vielleicht doch lieber nichts essen, das Aknus angefasst hatte. Außerdem musste er sich auf der Stelle die Hände waschen, weil er Aknus' Kopf getätschelt hatte.