III.

STANFORD UNIVERSITY

»I went to Stanford to law school, I might to do that again, but if I did it again, I liked to ask much more tough questions why I was doing it.«

Peter Thiel43

Der Weg nach Stanford

Cleveland, Sommer 2016. Peter Thiel scheint mit seiner neuesten Mission wieder zu Hause angekommen. Auf dem Parteitag der Republikaner zur Inthronisierung von Donald Trump schlägt am zweiten Tage des Parteikonvents seine Stunde. Unter großem Beifall der Delegierten betritt Peter Thiel gutgelaunt das Rednerpult. Er trägt einen blauen Anzug, blaues Hemd und eine blau-silbern gestreifte Krawatte. Sein jungenhafter Charme macht gleich deutlich, dass er kein herkömmliches Mitglied des Polit-Establishments ist. Thiel, am 11. Oktober 1967 als Peter Andreas Thiel in Frankfurt am Main als Deutscher geboren, wanderte mit seinen Eltern Klaus und Susanne Thiel in die USA aus, als der kleine Peter gerade ein Jahr alt war. Den Delegierten des Parteitags erzählt er, wie seine Eltern damals nach Amerika kamen und ihren Traum von einer erfolgreichen Zukunft just in Cleveland fanden.44 »Mein Vater studierte Ingenieurwesen an der Case Western Reserve University, gerade in Verlängerung der Straße, wo wir uns gerade befinden. Weil im Jahre 1968 nicht nur eine Stadt, sondern ganz Amerika High Tech war.« Cleveland steht symbolisch für den Niedergang des alten Amerika. Insgesamt verlor die Stadt allein seit dem Jahr 2000 rund ein Fünftel seiner Bevölkerung.45 Thiel macht am Rednerpult anhand seiner eigenen Familienbiografie sehr persönlich und plastisch verständlich, dass eine ähnliche Erfolgskarriere und das Leben des amerikanischen Traums in der aktuellen Zeit so nicht möglich wäre. Gerade für ihn als Einwanderer, der es geschafft hat, ist diese Situation inakzeptabel und eine wesentliche Motivation seines politischen Engagements.

Bereits als Dreijähriger wird Peter Thiel mit den harten Fakten des Lebens konfrontiert. Auf einem Teppichläufer sitzend fragte er seinen Vater, aus was denn der Teppich bestehe. Sein Vater antwortete ihm, er entstamme einer Kuh. Der kleine Peter insistierte weiter und wollte wissen, was mit der Kuh geschah. »Die Kuh starb«, so sein Vater. Peter hakte erneut nach und wollte wissen, was dies bedeutet. Sein Vater erklärte ihm, dass die Kuh nicht mehr am Leben sei und dass eines Tages der Tod alle Tiere und Menschen inklusive seinen Vater und ihn selbst erwarte.46 Diese schonungslose Aufklärung als Dreijähriger war nicht nur ein Schock für den kleinen Peter, sondern ist bis heute eine maßgebliche Richtschnur geblieben für sein Streben nach technischem Fortschritt zur Verbesserung und Verlängerung des menschlichen Lebens. In einem Interview für die Silicon-Valley-Sendung Studio 1.0 mit der Bloomberg Journalistin Emily Chang geht Thiel davon aus, dass er 120 Jahre alt werden kann. Dafür nimmt er wenig Zucker zu sich und hält sich an einen speziellen Diätplan. Nichtsdestotrotz bedarf es seiner Meinung nach großer technologischer Durchbrüche, um Krankheiten wie Krebs und Alzheimer oder gar den Tod zu besiegen. Thiel selbst investiert massiv in Biotechnologiefirmen, um die Gesellschaft auf den »next level« zu bringen.47

Thiels Vater war Chemieingenieur und arbeitete im Management für verschiedene Bergbauunternehmen. Die Familie war entsprechend gezwungen, häufig umzuziehen. Als Peter sechs Jahre alt war, man schrieb das Jahr 1973, riss der erste Ölpreisschock die westliche Welt abrupt aus den Wachstumsträumen, und in Amerika gewann die Nuklearenergie an Bedeutung. Die Familie Thiel zog es nach Swakopmund in Südafrika, einer kleinen Hafenstadt an der Küste der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Peter entdeckte sein Faible für Schach, beschäftigte sich mit Atlanten, Büchern über die Natur sowie französischen Comics. Aber auch stundenlange Abenteuer im ausgetrockneten Flussbett hinter dem Haus seiner Eltern gehörten zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Bereits als Fünfjähriger kannte er alle Länder der Erde und konnte eine Weltkarte aus dem Kopf malen. Thiel besuchte sieben verschiedene Grundschulen. Selbst bezeichnet er sich im Studio 1.0-Interview als eine Kombination aus Außenseiter und Eingeweihter. Diese Kombination habe ihn stark geprägt. Thiels Kindheit war behütet und geprägt von der klassischen Rollenverteilung. Sein Vater arbeitete als Chemieingenieur und seine Mutter kümmerte sich um den Haushalt. Beide Eltern legten viel Wert auf Bildung.48

Die Schulausbildung in Swakopmund war geprägt durch Disziplin. So war das Tragen von Schuluniformen bestehend aus Blazer und Krawatte Pflicht. Für jedes fehlerhaft ausgesprochene Wort wurde man vom Lehrer mit einem Linealhieb auf die Hand getadelt.49 Seine Abneigung gegenüber jeglicher Form der Gleichförmigkeit und Reglementierung zeigt sich in seiner späteren Rolle als Libertärer und freiheitsliebender Denker.

Mit neun Jahren kehrte Peter mit seiner Familie wieder zurück in die USA. Zunächst wieder nach Cleveland, im Jahr darauf, 1977, an die Westküste nach Foster City nördlich von Stanford. Foster City entstand in den 1960er-Jahren auf dem Reißbrett als neue Planstadt. Die Stadt hat den Charakter einer Halbinsel und besteht zu 80 Prozent aus Wasser. Möglicherweise sieht er deshalb die Zukunft von Staaten und Städten auf dem Meer und fördert entsprechende Initiativen großzügig.50

Obschon der Begriff »Silicon Valley« von dem Journalisten Don Hoefler im Rahmen einer Artikelserie über die Chipindustrie in dem Elektronik-Wochenblatt Electronic News erstmals am 11. Januar 1971 erwähnt wurde und sich zahlreiche Technologiefirmen wie Apple, Fairchild Semiconductor, Hewlett Packard und Intel in diesem Tal zwischen San Francisco und San Jose angesiedelt hatten, war der Begriff noch nicht allgemein gebräuchlich für das sich nun sprunghaft entwickelnde Tech-Tal.51 Die Elektronikfirmen, aber auch die lokale Stanford University, profitierten stark von den üppigen Budgets des amerikanischen Militärs. Just im selben Jahr, als die Thiels in die Nähe von Stanford zogen, führte das junge, aber revolutionäre Computerunternehmen Apple seinen ersten Kassenschlager Apple II im Markt ein.52 Der Personal Computer war geboren. Unternehmen wie Apple und ihre Gründer wurden auf einen Schlag bekannt, und die Presse und Medien griffen die Erfolgsstorys der aufstrebenden Start-ups der Westküste begierig auf. Der zehnjährige Peter Thiel wurde somit direkter Zeitzeuge einer sich anbahnenden Revolution.

George Packer beschreibt in seinem Buch über den Niedergang der amerikanischen Gesellschaft, »The Unwinding«, das Valley zu diesem Zeitpunkt Ende der 1970er-Jahre als eines der Vorzeigebeispiele für das Leben der Mittelklasse in der Nachkriegszeit. Nirgendwo sonst in den USA spielte die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie oder Religion eine so unbedeutende Rolle wie im Valley. Packer bezeichnet das damalige Leben dort als »egalitär, gebildet und komfortabel«.53 Der kalifornische »Way of Life« zeigte sich auch in der neuen Schule von Peter Thiel. Angesagt waren nicht mehr Schuluniformen. Überforderte Lehrer machten es den aufmüpfigen Schülern leicht zu rebellieren. Thiel hielt sich aus diesen Auseinandersetzungen heraus und konzentrierte sich wie schon in Südwestafrika darauf, gute Zensuren zu bekommen. Für ihn ging es bei jedem Test um »Leben und Tod«, wie Packer bilanziert. Schnell kristallisierte sich heraus, dass Thiel überragende Fähigkeiten in mathematischem und logischem Denken entwickelte. Auch als Schachspieler machte er auf sich aufmerksam. Bei den unter 13-Jährigen wurde er als siebtbester Spieler der USA geführt. Der Drang nach guten Noten und die Duelle am Schachbrett förderten in ihm die Obsession nach dem ständigen Wettbewerb mit seinen direkten Klassenkameraden.54 Später sollte in ihm die Erkenntnis reifen, dass der ständige Wettbewerb ihn blind machte und ungesund ist. In der Podcast Show des Bestsellerautors Tim Ferriss antwortete er 2014 auf die Frage, was er am liebsten verändern oder verbessern würde: »Mit Blick auf meine jüngeren Jahre würde ich sagen, ich war auf einem ungesunden Kurs und ungesund wettbewerbsorientiert. Wer so ist, erreicht auf dem Gebiet, auf dem er gegen andere antritt, gute Leistungen – doch auf Kosten vieler anderer Dinge.«55

Neben seiner Begeisterung fürs Schachspiel richtete sich sein Fokus auf Science-Fiction-Literatur. Besonders angetan war er von Isaac Asimov und Robert Heinlein.56 Stundenlang konnte er mit seinen Freunden Dungeons & Dragons, ein Mitte der 1970er-Jahre auf den Markt gekommenes Strategiespiel, in dem Verliese und Drachen im Mittelpunkt standen, spielen. Statt fernzusehen, was im Hause Thiel bis zum Alter von zwölf Jahren untersagt war, spielte Peter auf dem Heimcomputer TRS-80 das damals beliebte textbasierte Abenteuerspiel Zork.57 Thiel entwickelte eine große Vorliebe für J. R. R. Tolkiens Herr der Ringe, die er gleich mehrfach gelesen hat. Das ging so weit, dass er sich bei der Namensgebung von zwei seiner Investmentfirmen, Valar Ventures und Mithril Capital, und seiner Big-Data-Firma Palantir, bei Tolkiens Fantasienamen bediente. Aber auch inhaltlich erschlossen sich für ihn durch Tolkien erste philosophische Leitlinien, die ihn für sein späteres Leben stark prägen sollten: Der Wert des Individuums gegenüber mechanischen und kollektiven Kräften sowie die wechselseitige Wirkung von Macht und Korruption.58 In dem Interviewformat »Confirm or Deny« der New York Times outete sich Thiel Anfang 2017 als großer Fan von »Star Wars«, da die Filme seiner Meinung nach im Gegensatz zu »Star Trek« kapitalistisch geprägt sind.59 Die Vorlieben für Computerspiele, Schach, Mathe, Science Fiction und Raumfahrt entsprachen vielfach den Hobbies hochbegabter Jugendlicher der 1970er- und 1980er-Jahre. Heute würde man diese Spezies als »Nerds« bezeichnen. Auch sein späterer Freund und Geschäftspartner Elon Musk und Amazon-Chef Jeff Bezos frönten in ihrer Jugend ähnlichen Hobbies. Nicht umsonst haben Musk und Bezos später ihre eigenen Raumfahrtfirmen gegründet, und Thiel selbst gehört zu den großen Finanziers von SpaceX.

Ende der 1970er Jahre taumelte die USA von einer Niederlage zur nächsten. Der Ölpreisschock zog die Wirtschaft nach unten. Inflation und Zinsen stiegen auf über zehn Prozent. Die Erstürmung der US-Botschaft im November 1979 und die anschließende Geiselnahme von 52 Diplomaten über 444 Tage, aber auch der Einmarsch der Russen Weihnachten 1979 in Afghanistan traumatisierte die USA. Synonym für die damalige Malaise war US-Präsident Jimmy Carter von der demokratischen Partei. Thiel entwickelte in dieser Zeit schon ein Gespür für politische Siegertypen. In der achten Klasse sammelte er Zeitungsausschnitte von dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten Ronald Reagan. Reagan war zuvor bereits Gouverneur von Kalifornien und schickte sich an, 40. Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. Insbesondere beim jungen Publikum kam der bis dahin älteste Präsident der USA sehr gut an.60 Mit Reagan kehrte der Optimismus zurück. Beeinflusst durch den neuen Konservatismus, den Abbau der Bürokratie und die Stärkung des Individuums in der Reagan-Ära wurde Thiel in seinem libertären Streben bestärkt. Reagans charismatische und zupackende Art muss Thiel beeindruckt haben. In einem Interview mit dem Fortune-Magazin bekundete Thiel denn auch Respekt vor Reagan, der seiner Meinung nach »die Probleme gelöst und die richtigen Antworten gefunden hat.«.61

Für Thiel ist Amerika aktuell in einer ähnlichen Situation wie 1980. Der Niedergang ist überall sichtbar und wird von ihm in jedem Interview angeprangert. Die Reminiszenz an Reagan, der optimistische Grundton der 1980er-Jahre und die Botschaft »Let’s make America great again« haben ihn denn auch dazu gebracht, offen für Donald Trump zu votieren und ihn sowohl mit seiner Rede auf dem Parteitag als auch mit einer Millionenspende finanziell zu unterstützen.

Für Thiel war die Zeit um 1985 geprägt durch »viel Optimismus«.62 Dieser manifestierte sich bei ihm im selben Jahr in seinem glänzenden Abschluss an der San Matheo High School, wo er mit lauter »A«-Bestnoten brillierte.63 Thiel standen nun alle Wege offen. Sein bisheriges Leben war geprägt vom Wettbewerb um gute Noten, was ihm denn auch den gewünschten Zugang zu den Top-Universitäten geben sollte und damit das Ticket für eine erfolgreiche Karriere.

An allen Hochschulen, an denen er sich bewarb, bekam er eine Zusage, Harvard inklusive. Er entschied sich gegen Harvard, da er Angst vor dem Wettbewerbsdruck und möglichen Niederlagen hatte.64 Harvard ist für ihn heute auch Sinnbild des fehlgeleiteten Wettbewerbsdenkens in der Gesellschaft und in der Wahrnehmung von Eliteuniversitäten. In der Vorlesungsreihe »How to Start a Start-up« an der Stanford University mit dem Titel »Competition is for Losers« zitierte Thiel im Herbst 2014 den ehemaligen Außenminister und Harvard-Professor Henry Kissinger. Dieser dozierte über das akademische Handeln mit den Worten, »die Kämpfe waren so gewaltig, weil die Einsätze so gering waren.« Dieser »Wahnsinn«, so Thiel, dass Menschen bei kleinen Einsätzen wie verrückt kämpfen, ist für ihn ganz rational gesehen eine einfache Funktion einer logischen Gleichung ohne Unbekannte und damit eine Trivialität ohne Wert.65

Doch Thiel legte vor den Studenten noch mit einem weiteren Seitenhieb auf die Business Schools und auf Harvard im Besonderen nach. Für ihn sind die Harvard-Studenten eine ganz bestimmte Art von Individuen. Er bezeichnet sie als »Anti-Asperger«-Persönlichkeiten, die extrovertiert sind und wenig eigene Ideen haben. Stecke man diese für zwei Jahre zusammen, komme am Ende ein großer Herdentrieb heraus, der genau die falschen Entscheidungen treffe. So wie Ende der 1980er-Jahre, als alle Harvard-Absolventen in die Finanzbranche drängten und dem damaligen Anleihestar Mike Milken nacheifern wollten. Später landete Milken nach einem der größten Wall-Street-Finanzskandale im Gefängnis. Und als der Tech-Boom 1999 und 2000 auf die Spitze zusteuerte, wollte jeder Harvard-Absolvent ins Silicon Valley. Zwei Jahre später war die Tech-Blase geplatzt, und der NASDAQ-Index verlor in der Spitze rund 80 Prozent an Wert. Zwischen 2005 und 2007, auf dem Höhepunkt des Hypothekenbooms, wollte jeder in die Private-Equity- und Investmentbanking-Branche gehen. Im September 2008 ging Lehman Brothers pleite und löste ein weltweites Wirtschafts- und Börsenbeben aus. Den Studenten sagte er, dass er selbst »nicht wisse, welche Art von Therapie er empfehlen solle«. Sein Ausgangspunkt und seine Empfehlung sei aber, was vielleicht »zehn Prozent« des Weges ausmache, »niemals zu unterschätzen, wie groß ein Problem ist«.66

Zurück ins Jahr 1985. Peter Thiel hatte nach seinem brillanten Schulabschluss keinen konkreten Plan, für welches Studienfach er sich entscheiden sollte. Er hatte zu diesem Zeitpunkt eine grundsätzlich optimistische Sicht auf die Dinge. Seiner Meinung nach standen ihm praktisch alle Möglichkeiten offen. »Du kannst eine Menge Geld verdienen, eine angesehene Stelle bekleiden, etwas intellektuell Stimulierendes tun und irgendwie auch alles miteinander kombinieren. Das war Teil des Optimismus, der in den 1980er-Jahren herrschte, und ich fühlte mich nicht gezwungen, konkreter zu werden. Der Anspruch war, irgendwie eine Wirkung auf die Welt zu haben.«67

Schlussendlich entschied er sich für das Naheliegende. Nachdem er schon in jungen Jahren mit seinen Eltern oft umgezogen und weit herumgekommen war, entschied er sich für ein Studium an der Eliteuniversität Stanford, die in direkter Nachbarschaft zu seinem Elternhaus lag. Studienfach Philosophie.

Ausbildung an der Stanford University und Stanford Law School

Warum ausgerechnet Philosophie? Aufgrund der mathematischen Begabung von Thiel hätte eher ein naturwissenschaftliches Studium oder gar Informatik nahegelegen, zumal Stanford schon in den 1980er-Jahren einen glänzenden Ruf in den Computerwissenschaften hatte. Marc Andreessen, einer der führenden Venture Capitalists im Silicon Valley und Erfinder des Internet-Browsers, meinte vor einiger Zeit, dass nur Studiengänge, die einen mathematischen Hintergrund haben, Sinn machen, Abschlüsse in Geisteswissenschaften hingegen meist als Schuhverkäufer enden würden.68

Wie sich aber bei Peter Thiel schnell herausstellen sollte, war das Philosophiestudium eine gute Wahl. Im zweiten Studienjahr, es war das Winterhalbjahr 1986/87, besuchte er den Kurs »Mind, Matter and Meaning« des renommierten Professors Michael Bratman.69 Dabei wurde er auf den Mitstudenten Reid Hoffman aufmerksam. Die Begegnung sollte für beide richtungsweisend sein. Nach der Vorlesung setzten sie ihre Unterhaltung auf dem braun gepflasterten Innenhof der Stanford Uni, im Studentenjargon einfach Quad genannt, fort. Über zwei Stunden dauerte der erste intellektuelle Schlagabtausch der beiden. Es ging um Grundsätzliches, wie so oft in der Philosophie. Also um das Leben und die Welt als Ganzes. Der Grundstein für eine nunmehr 30-jährige Freundschaft war gelegt. Vom Start weg vertraten der schmächtige Thiel und der bullige Hoffman nicht nur rein äußerlich gegensätzliche Thesen. 25 Jahre nach ihrer ersten Begegnung sagte Hoffman im Interview mit dem Forbes Magazin, dass es damals der Beginn eines jahrzehntelangen anspruchsvollen intellektuellen Austauschs von Positionen war. Thiel betonte dabei, dass die Diskussion »nicht gegensätzlich geführt werde, sondern immer mit Bedacht auf die Wahrheit«.70

Beide konnten zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen, welche umwälzende Tragweite ihr Gespräch für die Technologiebranche und die Gesellschaft haben sollte. Thiel und Hoffman sollten die Entwicklung der sozialen Medien maßgeblich prägen. Peter Thiel als erster externer Investor für Facebook und Reid Hoffman als Gründer von LinkedIn. Sowohl Thiel als auch Hoffman wurden mit ihrem Gespür und ihrem visionären Geist zu den ungekrönten Königen des Web 2.0 und ganz nebenbei zu den wohlhabendsten und einflussreichsten Unternehmern und Risikokapitalgebern des Silicon Valley. Das Forbes Magazine führt auf seiner Midas-Liste der besten Venture Capital Dealmaker für das Jahr 2016 denn auch beide unter den Top 20. Peter Thiel auf Platz 10 und Reid Hoffman auf Platz 18.71

Ihre damaligen Führungsambitionen und politischen Ansichten zeigten sich auch in den studentischen Senatswahlen. Thiel gewann als rechter, Hoffman als linker Kandidat einen Sitz. 25 Jahre später betont Hoffman in dem Forbes-Interview, welch enorme Entwicklung und Bedeutung die unternehmerisch geprägte Start-up-Szene an der Stanford University in der Zwischenzeit erlangt hat. Zu ihrer Zeit war es noch nicht so, dass Studenten im Grundstudium dachten, »ich verlass die Uni und gründe eine Firma«. Thiel war deshalb sehr überrascht, als sich für seine Start-up-Vorlesung im Jahr 2012 innerhalb von einer Woche mehr als 300 Studenten einschrieben. Thiel spürte dabei eine ähnliche »Intensität« wie in den Boom-Jahren Ende der 1990er-Jahre, aber diesmal fühlte es sich für ihn »realer« an als damals. Thiel erinnert sich im Gespräch zudem an eine Veranstaltung über die »next great companies« Anfang 2005 an der Stanford University gemeinsam mit Hoffman und Sean Parker (ehemals Berater von Facebook), kurz nachdem Hoffman LinkedIn aus der Taufe gehoben hatte. Wie sich später herausstellen sollte, war dies der Ausgangspunkt für das Web 2.0, und Facebook und LinkedIn standen mit ihnen als Protagonisten für die »next great companies«.

Häufig verfügen die erfolgreichsten Investoren über verblüffend einfache Weisheiten für ihre Anlageentscheidungen. Was für Warren Buffett und Charlie Munger der »Circle of Competence« ist, also der Kompetenzrahmen für Anlageentscheidungen, ist für Peter Thiel der »Fünf-Meilen Radius von Stanford«, um neue Investments in Start-ups ausfindig zu machen.72 Thiel spricht hier aus eigener Erfahrung als Start-up-Unternehmer. Neben der Begegnung mit Hoffman sollte er noch weitere kongeniale Partner an der Stanford University kennenlernen, die für seinen weiteren Weg von großer Bedeutung waren.

Prägenden Einfluss auf Peter Thiels Weltbild und seine Grundsätze für Geschäfts- und Investitionsentscheidungen sollte das Werk des bereits erwähnten französischen Philosophen und Stanford-Professors René Girard haben. Thiel las nach eigener Aussage Girards Hauptwerk »Things Hidden since the Foundation of the World« erstmals in seinem Philosophie-Grundstudium. Für Thiel ist es das Meisterstück des von ihm so bewunderten französischen Philosophen. Bei Girard geht es um das große Ganze, bei dem Gewalt und Religion eine wichtige Rolle spielen. Herzstück von Girards Denkmodell ist die Theorie des Nachahmens (»mimetic theory«). Laut Girard gründet sich das menschliche Verhalten auf Nachahmung. Begehren und Triebe, die auf Nachahmung beruhen, führen zu Konflikten und Auseinandersetzungen. Die Eskalation einer gewalttätigen Auseinandersetzung kann nur durch das Herhalten eines Sündenbocks aufgelöst werden. Christliche Theologie und damit Religion ist ein wichtiger Bestandteil der Arbeit von Girard und hat auf Thiel ebenfalls großen Einfluss.73 Thiel wurde von seinen Eltern als evangelischer Christ erzogen. Laut Thiel sind die christlichen Bezüge sowie die Evolution sehr »wertvoll« und »bieten einen differenzierten Blick auf die Dinge«. »Es hilft dir, deine Ideen sicher zu verteidigen, oder gibt einem ein tieferes Verständnis, warum sie falsch sind.«74 René Girard vertritt seine Theorien und Ansichten über das Stilmittel Interview, das für sein Buch von zwei Psychiatern durchgeführt wurde. Dabei spannt er einen großen Bogen über die Anthropologie, Religion, Literatur und Psychoanalyse bis zu modernen gesellschaftlichen und kulturellen Theorien. Girards Werk ist nach Aussagen von Thiel »dicht bepackt« und es gibt »keinen einfachen Zugang«.

Das Werk von Girard kreist, wie gesagt, um Nachahmung und Wettbewerb. Thiel doziert in einem Interview mit Business Insider, dass wir Menschen der Nachahmung nicht ausweichen können und wir so handeln, wie wir handeln, weil andere Leute genauso handeln. »Das ist der Grund, warum wir uns alle um dieselben Dinge streiten: dieselben Schulen, dieselben Jobs, dieselben Märkte. Ökonomen sprechen davon, dass Wettbewerb die Gewinne marginalisiert, eine ganz wichtige Aussage. Girard fügt noch hinzu: Wettbewerber tendieren dazu, auf Kosten ihrer eigentlichen Ziele besessen von ihren Rivalen zu werden. Außerdem sagt die Intensität des Wettbewerbs nichts über den zugrundeliegenden Wert des Gegenstands aus. Menschen kämpfen erbittert um Dinge, die keine Bedeutung haben, und sie kämpfen mit der Zeit immer erbitterter.«75

Peter Thiel hat aus Girards Erkenntnissen vielleicht die wesentliche DNA seiner erfolgreichen Arbeit als Unternehmer und Investor gezogen. »Man kann sich nicht vollständig der Nachahmung entziehen, aber wenn man feinfühlig ist auf dem Weg, der uns führt, ist man gegenüber Vielen schon einen großen Schritt voraus.«76 Ein Ratschlag, den er selbst als »Contrarian« seit seinem Studium erfolgreich beherzigt hat. Amazon-Gründer Jeff Bezos stimmt in einem Interview mit Walter Isaacson zu, dass Peter Thiel zuallererst ein Contrarian ist. Aber laut Bezos liegen »Contrarians häufig falsch«. Bezos machte diese Aussage Ende Oktober 2016, just zwei Wochen vor den US-Präsidentschaftswahlen vor dem Hintergrund von Thiels Unterstützung von Donald Trump.77 Doch Thiel sollte mit Trump richtig liegen, und Bezos nahm, trotz der Meinungsverschiedenheit mit Trump, Mitte Dezember am viel beachteten Treffen der wichtigsten Tech-Vertreter mit Trump teil – arrangiert von dessen Tech-Berater Peter Thiel.

Marc Andreessen, Erfinder des Internet-Browsers, Freund und häufiger Co-Investor von Thiel, sagt, dass er »exakt mit der Hälfte« von dem, was Thiel sagt, übereinstimme. Für Thiel sind Kapitalismus und Wettbewerb Gegensätze. Bei perfektem Wettbewerb müssten alle Gewinne eliminiert werden. Start-up-Unternehmer sollen nach Monopolen Ausschau halten. Laut Marc Andreessen hat Thiel damit zwar recht, aber wenn man eine gute Idee hat, solle man dafür kämpfen. Andreessen gehört zu denjenigen, die mit der Entwicklung des ersten kommerziellen Internet-Browsers Mosaic und der Gründung von Netscape zwar Geschichte geschrieben und einen riesigen Markt, den des Internet Business, erst möglich gemacht haben, aber durch die geradezu erdrückende Konkurrenz von Microsoft aus dem Markt gedrängt wurden. Für Marc Andreessen hat Thiel den intellektuellen Level im Silicon Valley deutlich angehoben, insbesondere, »wenn die Rede auf Philosophie, Geschichte, Politik und das Schicksal der Menschheit kommt. Vor Peter dachten nur Wenige über diese Dinge nach. Sie waren stattdessen darauf fixiert, was kann der neue Chip?«78

Während andere Unternehmer und Investoren dem Herdentrieb folgen, positioniert sich Thiel meist sehr erfolgreich in genau der entgegengesetzten Richtung. Wer ein überdurchschnittliches Anlageergebnis erzielen will, muss definitionsgemäß anders handeln als die große Masse. Nicht jeder aber ist zum »Contrarian« geboren. Es braucht starke Nerven und viel Disziplin, um sich dem Mainstream zu widersetzen. »Sei ängstlich, wenn andere gierig sind, sei gierig, wenn andere ängstlich sind.«79 Trefflicher als Anlagegenie Warren Buffett, selbst Contrarian durch und durch, kann man diese Strategie nicht auf den Punkt bringen.

Die meisten seiner Freunde teilen seine konservativen Ansichten. Sie genossen ihren Status als Außenseiter und ihre Abkapselung von dem Mainstream. Stanford wurde in den späten 1980er-Jahren zum Schauplatz heftiger Glaubenskämpfe über die Ausrichtung und Zusammensetzung der Studienpläne. Minderheiten und linke Studentengruppen klagten darüber, dass die Kurse nur auf »tote weiße Männer« – gemeint waren damit Geistesgrößen wie Aristoteles und Shakespeare – ausgerichtet waren. Auf der anderen Seite standen die Traditionalisten, die in den antiwestlichen Strömungen die Gefahr sahen, dass die Studienpläne für linkspolitische Agitation missbraucht werden könnten. Mit den linksgerichteten Ansichten konnte Thiel nichts anfangen und fand sie auch nicht in Ordnung. Thiel suchte nach einem Mittel, um die politische Diskussion zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Was lag zu diesem Zeitpunkt näher, als eine Zeitschrift zu gründen, schließlich befand man sich noch in der Vor-Internet-Ära.

Am Ende seines zweiten Studienjahrs in Philosophie machte Thiel Nägel mit Köpfen. Zusammen mit Norman Book gründete er im Juni 1987 die konservative Studentenzeitung The Stanford Review. Erste unternehmerische und politische Ambitionen wurden nun sichtbar. Mit diesem Organ etablierte er ein alternatives Sprachrohr mit konservativem Programm. Die Reagansche Revolution mit dem Wiedererstarken der Werte für Freihandel, gepaart mit Konservatismus, beeinflussten die inhaltliche Ausrichtung der Review.80

Finanzielle und intellektuelle Unterstützung bot Irving Kristol, der Vater des Neokonservatismus. Obschon Thiel selten für die Review schrieb, trug sie in den Anfangsjahren ganz klar seinen Stempel als Herausgeber: Die Artikel waren eine Mixtur aus intellektuell anspruchsvollen Aussagen, durchaus vernünftig klingenden Angriffen auf linke Ideologien und einer schelmisch/boshaften Pointierung der »political correctness« unter den Studenten, dem Lehrkörper und der Verwaltung.81 Nach Aussagen des späteren Chefredakteurs Aman Verjee waren die ersten Jahre geprägt durch »einen konservativen Eifer«. Sowohl Thiel als auch die weiteren Herausgeber David Sacks und Aman Verjee bezeichnen sich als Libertäre, und so war nach Aussage von Verjee in der Review auch Raum für Nuancen.82

Die Auseinandersetzung zwischen linken Ideologen und rechten Konservativen wuchs über Stanford hinaus und wurde zu einem nationalen Phänomen. Anfang 1987 kam der demokratische Präsidentschaftskandidat Jesse Jackson an die Stanford und ließ die Studenten beim Einmarsch »Hey hey, ho ho, Western Culture’s got to go!« skandieren. Im darauffolgenden Jahr lud Thiel Reagans Bildungsminister William Bennett ein. Der redete dann auch nicht um den heißen Brei herum, sondern übte massive Kritik an den durchgeführten Änderungen am Lehrplan. Denn auf einmal standen Kurse über Kulturen außerhalb der westlichen Sphäre und Bücher von Autoren, die die Unterschiedlichkeit der Geschlechter und Hautfarben zum Ausdruck bringen sollten, im Mittelpunkt. Anders formuliert: Die Dominanz der weißen, männlich geprägten Leitkultur sollte gebrochen werden. Bennett sprach aus, was Thiel und seine konservativen Kollegen bei der Review dachten: »Eine großartige Universität wurde zugrunde gerichtet.«83

Die Review brachte auch in einem offenen Brief an die Universitätsleitung ihre Missbilligung zum Ausdruck, weil die Reagan-Bibliothek nicht an die Stanford University ging. Schuld daran seien die mangelhaften Beziehungen zwischen Stanford und dem verantwortlichen Hoover Institut. Sowohl die Studenten wie auch der Lehrkörper würden nicht nur die großartigsten Köpfe, sondern auch die wertvollsten Archive – unabhängig von politischen Sichtweisen – ziehen lassen.84

Schon damals, also Ende der 1980er-Jahre, machte sich Thiel Gedanken über die exorbitanten Studiengebühren an der Stanford. In einem frühen Leitartikel mit dem Titel »Überdenken der finanziellen Unterstützung« kritisiert Thiel die Gebührenerhöhungen, die deutlich über der Inflationsrate und dem persönlichen Einkommenszuwachs lägen. »Eine Rekordzahl von 70 Prozent der Studenten im Grundstudium benötigt finanzielle Hilfe. Oder anders ausgedrückt, seit Stanford für 70 Prozent der Studenten zu teuer ist, müssen die Erhöhungen von den verbleibenden 30 Prozent geschultert werden.« Thiel weist auf das Paradox hin, »wonach die Erhöhungen der Gebühren zu einer Reduzierung des Anteils der Studenten führen, deren Familien sich dies noch leisten können, verbunden mit noch bedeutenderen Steigerungen für die ständig geringer werdende Ausgangsbasis an Zahlenden.«85

Rund 30 Jahre später, im Oktober 2016, erneuerte Thiel kurz vor den US-Präsidentschaftswahlen im Rahmen seiner Rede vor den Washingtoner Journalisten des Nationalen Presseclubs seine Kritik an dem Teufelskreis aus hohen Studiengebühren und hoher Verschuldung. Aktuell, so Thiel, häufen die Studenten pro Jahr 1,3 Billionen Dollar Studienschulden an. »Amerika ist als einziges Land übriggeblieben, wo Studenten ihren Schulden nicht mehr entrinnen können. Nicht einmal wenn sie Privatinsolvenz anmelden.« Für ihn ein erschreckender Zustand des Landes und einer seiner Hauptkritikpunkte am fehlgeleiteten Ausbildungssystem der Vereinigten Staaten.86

Die Review hatte für Thiel neben der Funktion der politischen Artikulation konservativer Gedanken eine zweite Bedeutung: Er konnte ihm treu ergebene gleichgesinnte Mitstreiter um sich scharen. Die Zeitung war für ihn ein erstes Start-up-Venture und bot ihm die Möglichkeit, die Persönlichkeiten zu testen und zu formen, mit denen er zusammenarbeitete. So wurde die Review zur Brut- und Rekrutierungsstätte für Thiels spätere Unternehmungen. Frei nach dem Motto: Wer sich bei der Review bewährt hat, ist für Größeres geboren!

Die Mitarbeiter, Chefredakteure und Herausgeber der Review lesen sich wie das »Who is Who« der Silicon-Valley-Tech-Szene. Aus dem Mitarbeiterstamm der Review rekrutierte sich auch die legendäre PayPal-Mafia (siehe Kapitel 4 »PayPal Mafia – Weltklasse Teambuilding«). Nach wie vor bildet sie ganz wesentlich den inneren Geschäfts- und Kommunikationszirkel von Peter Thiel.

Die wichtigsten Ex-Stanford-Review-Mitarbeiter und was aus ihnen geworden ist:

– Peter Thiel (Gründer und Ex-Chefredakteur), Co-Founder u. a. von PayPal, Founders Fund, Palantir Technologies

– Ken Howery (Ex-Redakteur), Co-Founder u. a. von PayPal, Founders Fund

– David O. Sacks (Ex-Chefredakteur), Co-Founder von Yammer, Angel Investor

– Keith Rabois (Ex-Redakteur), Co-Founder Opendoor, Investor bei Khosla Ventures

– Joe Lonsdale (Ex-Chefredakteur), Co-Founder u.a. von Palantir Technologies und Formation 8

Im Jahr 1989 schloss Peter Thiel schließlich sein Grundstudium Philosophie des 20. Jahrhunderts ab. Daran knüpfte er nahtlos ein Studium der Rechtswissenschaften an der Stanford Law School an und machte seinen Abschluss 1992 als Doktor der Jurisprudenz (JD).

David Sacks, Thiels Nachfolger als Chefredakteur der Review, setzte ab 1992 eigene Akzente. Er rückte die Themen freie Meinungsäußerung, Rechte Homosexueller und die Geschlechter- (Gender-) Diskussion im Allgemeinen in den Vordergrund. Thiels Freund Keith Rabois, ebenfalls Student der Rechtswissenschaften, testete im Jahr 1992 die Möglichkeiten der freien Meinungsäußerung auf dem Stanford Campus bis aufs Äußerste aus. Rabois skandierte auf dem Campus in Richtung der Wohnung eines Dozenten die Worte »Faggot! Hope you die of Aids!« und »Can’t wait until you die, faggot!«87 Es kam zum Skandal und Rabois musste auf Druck der Unileitung Stanford verlassen. Sowohl Sacks als auch Thiel empfanden dies als Skandal. Wie sich herausstellte, ist eine Zeitung ein sehr gutes Medium. Sacks meinte denn auch, dass die Review erfolgreich im Aufdecken zahlreicher Exzesse war und die Universitätsleitung in der Folge oft genötigt war, einzulenken. Auch die Öffentlichkeit außerhalb von Stanford bekam mit, was auf dem Campus und hinter den Kulissen geschah.88 Um aber einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, reichte eine Zeitung nicht. Dafür bedurfte es eines Buchs. David Sacks und Peter Thiel veröffentlichten 1995 »The Diversity Myth« mit dem bezeichnenden Untertitel »Multikultur und politische Intoleranz auf dem Campus«. Das Buch ist eine Abrechnung und eine Absage an den Versuch, die Studienpläne und die politische Ausrichtung an der Stanford University an dem Aspekt der Multikulturalität auszurichten (siehe Kapitel 5 »Der Autor – The Diversity Myth – Der Anwalt«). Über die Jahre sollten sich die Ansichten von Peter Thiel deutlich erweitern und sich für ihn die Frage stellen, ob es das wert war. Just als das Buch erschien, durchlief Stanford unter dem neuen Dekan Gerhard Casper einen immensen kulturellen Wandel, dem viele der geisteswissenschaftlichen Kurse, die Gegenstand des Dissenses waren, zum Opfer fielen.

Thiel hegte Ambitionen als Intellektueller in der Öffentlichkeit, zweifelte aber, ob solch eine Karriere im Zeitalter akademischer Spezialisierung noch Sinn machte. Er wollte sein Leben dem Geiste des Kapitalismus widmen, war sich aber nicht sicher, ob dies eher eine intellektuelle Aufgabe sein sollte, oder ob er einfach nur reich werden wollte, oder doch beides. Für Sacks stand fest, dass aus Thiel der nächste William F. Buckley (Buckley war rechtskonservativ, Yale-Absolvent sowie Autor und Gründer der konservativen politischen Zeitschrift National Review) und ein Milliardär werden konnte. Nur die Reihenfolge könnte anders sein. Sacks sollte recht behalten. Thiel wurde durch seine erfolgreichen Investments zum Milliardär und gleichzeitig spielt er inzwischen erfolgreich auf der Klaviatur der öffentlichen Wahrnehmung, sei es als Autor, über seine gemeinnützige Thiel Foundation, oder als Trumps Politikberater.

Kurz vor seinem Abschluss an der Stanford Law School schrieb Thiel einen letzten Leitartikel für die Review, in dem er die Aversion der Geisteswissenschaftler gegenüber lukrativen beruflichen Karrieren verspottete. Diese suchten stattdessen ihre Erfüllung in einer Laufbahn im »Öffentlichen Recht«. »Die Alternative für Gier ist weder persönliche Erfüllung noch Glück, sondern der Groll und der Neid gegenüber Menschen, die etwas Wertvolleres leisten.« Thiel nennt konkret Karrierewege in der Managementberatung, im Investment Banking, Optionshandel oder in der Immobilienentwicklung. Auch die Teilhabe an einem Start-up zog er in Betracht, was zum damaligen Zeitpunkt eher ein ungewöhnlicher Karriereweg war.

Das Studium der Rechtswissenschaften absolvierte er nicht mehr mit den außergewöhnlichen Zensuren, die ihn zur Schulzeit ausgezeichnet hatten. Erstmals hinterfragte er deren Nutzen und wofür ein exzellenter Abschluss gut sein soll. Auf der Highschool war für ihn der Zusammenhang noch klar: Gute Noten öffnen den Weg in ein gutes College.89

Thiel durchlief bis zu diesem Zeitpunkt die für amerikanische Verhältnisse mustergültige Eliteausbildung mit dem Eintrittsticket in eine klassische, aber konservative Karriere.

Gegenüber seinem Freund Tim Ferriss äußerte er sich im Jahr 2014, also rund 25 Jahre später, in dessen Show kritisch über seinen »mustergültigen« Ausbildungsweg. »An einer Gesellschaft kann doch etwas nicht stimmen, wenn die begabtesten jungen Leute alle dieselben Eliteunis besuchen und am Ende alle eines von wenigen Fächern studieren und eine von wenigen Laufbahnen einschlagen. Das ist meiner Ansicht nach eine sehr engstirnige Herangehensweise an die Frage, was Menschen mit ihrem Leben anfangen sollten. Das engt unsere Gesellschaft und auch die Studenten enorm ein. Das gilt durchaus auch für mich selbst, wenn ich auf meine Jahre an der juristischen Fakultät in Stanford zurückblicke. Vielleicht würde ich das wieder so machen. Ich würde jedoch Fragen stellen wie: Warum mache ich das? Nur, weil ich gute Noten und Testergebnisse habe und ich mir davon ein gewisses Prestige verspreche? Oder weil ich leidenschaftlich gern Anwalt werden möchte? Darauf gibt es meines Erachtens richtige und falsche Antworten. Und rückblickend war ich mit Anfang 20 viel zu sehr auf die falschen Antworten fokussiert.« Thiel betonte im Interview weiter, dass er das Wort »Bildung« nicht mag und es für »außerordentlich abstrakt« hält. Skeptisch ist er heute auch gegenüber Qualifikationsnachweisen. Er sieht uns in einer großen fehlgeleiteten »Bildungsblase«, von der wir wegkommen müssen.90