»It lasted seven months, and three days«
Peter Thiel über seine Zeit als Anwalt in der
New Yorker Kanzlei Sullivan & Cromwell91
Mit seinem Abschluss in Rechtswissenschaften machte sich Thiel 1992 im Alter von 24 Jahren auf den Weg nach Atlanta zu seiner ersten Arbeitsstelle. Nach sieben Jahren Stanford Studium arbeitete er dort für ein Jahr als Gerichtsschreiber.92
In dieser Zeit kam es zu einer ersten richtungsweisenden Entscheidung, die seine bisher so mustergültig am Reißbrett gezogene Karriere als Jurist ins Wanken bringen sollte. Thiel wurde von dem Bundesrichter Antonin Scalia zu einem Bewerbungsgespräch am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten (Supreme Court) eingeladen. Scalia, der im Februar 2016 im Alter von 79 Jahren starb, gilt als der bedeutendste Richter am Bundesgericht während der letzten 25 Jahre. Scalia wurde noch von Ronald Reagan 1986 in sein Amt berufen und diente bis zu seinem Tod fast 30 Jahre am Supreme Court. Er war bekannt für seine konservative Linie. Thiel und er sollten also eigentlich auf derselben Wellenlänge gelegen haben.93 Für Thiel war dies der »ultimative Wettbewerb«, auf den er seit seiner Kindheit hingearbeitet hatte. Die höchste Auszeichnung in der Welt eines Jurastudenten ist, eine Richterstelle am Bundesgericht zu ergattern. Von mehreren zehntausend Bewerbern schaffen es gerade mal ein paar Dutzend. Die Treffen mit den Richtern liefen seiner Meinung nach gut. Er war seinem Ziel nun ganz nah. In Gedanken sah er sich schon als Richter, der finanziell ausgesorgt hat. Aber er täuschte sich. Thiel wurde abgelehnt. Für jemanden wie ihn, der bisher aus jedem Wettbewerb als Sieger hervorgegangen war, war dies, als ob eine Welt zusammenstürzen würde. Auf einer Rede vor Universitätsabsolventen an der juristischen Fakultät des Hamilton College im Jahr 2016 gab er zu, dass er in diesem Moment »am Boden zerstört« war.94
Anschließend übersiedelte er nach New York und arbeitete für die Kanzlei Sullivan & Cromwell. Die Arbeit in der Kanzlei war für ihn inhaltlich wenig herausfordernd. Die Wochenarbeitszeit betrug 80 Stunden. Wie bei so vielen Kanzleien mussten die jungen Absolventen überproportional schuften, um dann vielleicht nach acht Jahren Partner zu werden. Umringt von Konkurrenten, die mit ihm um die Zukunft und um den Aufstieg in der Kanzlei kämpften, hinterfragte Thiel das Wettbewerbsmodell, bislang zentraler Bestandteil seines Schul- und Ausbildungsweges, immer mehr. Seine New Yorker Zeit sollte er später als »Lebenskrise« in Erinnerung behalten.95 In zahlreichen Interviews beschreibt Thiel die gegensätzliche Sichtweise auf das »elitäre« Anwalts- und Kanzleileben. »Von außen betrachtet will jeder rein, von innen möchte jeder wieder heraus.« Thiel kokettiert heute damit, dass er auf den Tag genau sagen kann, wie lange er in der Kanzlei dem Anwaltsberuf nachging: »Sieben Monate und drei Tage.« Die Zählweise erinnert an das Absitzen einer Strafe im Gefängnis. Als er sich entschließt, die Kanzlei von heute auf morgen zu verlassen, waren seine Kollegen überrascht. Einer von ihnen, so Thiel, »meinte, er hätte gar nicht gewusst, dass man aus Alcatraz entkommen kann.« Alcatraz, die symbolträchtige stillgelegte Gefängnisinsel in der Bucht von San Francisco, als Vergleichsmaßstab für eine Edelkanzlei – wahrlich ein provokanter Vergleich. Jedes Mal, wenn Thiel diese Geschichte erzählt, hat er die Lacher auf seiner Seite. Aber für die Beteiligten in den Kanzleien ist es sehr schwierig, dies einfach so hinter sich zu lassen. Thiel meint, dass die Leute einen hohen, vielleicht zu hohen Preis für ihre Position bezahlt haben, als dass sie diese dann einfach sang- und klanglos aufgeben könnten.96
In seiner Rede vor den Absolventen am Hamilton College bringt er seine Erfahrungen wie folgt auf den Punkt: 2004, nachdem er PayPal aufgebaut und verkauft hatte, traf er zufällig auf einen alten Studienfreund aus der Zeit an der juristischen Fakultät, der ihm bei der Bewerbung für die Stelle als Richter geholfen hatte. Dessen erste Frage war nicht: »Wie geht es dir?« oder »Kaum zu glauben, wie lange das her ist?«, sondern er grinste und meinte: »Na, Peter, bist du nicht froh darüber, dass du die Stelle als Richter nicht bekommen hast?«97
Im Rückblick trauert Thiel tatsächlich nicht mehr der Karriere als Richter und Anwalt nach. »Hätte ich den ultimativen Wettbewerb um die Richterstelle gewonnen, so hätte sich mein Leben zum Schlechten geändert«, schreibt Thiel in seinem Buch »Zero to One«.98 Die Stelle am Gericht hätte ihn dazu genötigt, sich mit Verträgen und Geschäften von Fremden zu beschäftigen, statt selbst etwas Neues zu schaffen.
Thiel gibt den Studenten einen Ratschlag mit auf den Weg, der richtungsweisend für seine eigene erfolgreiche Karriere werden sollte: »Egal, wie niederschmetternd ein Rückschlag zu dem Zeitpunkt sein mag, es ist immer möglich, einen Karriereweg zu finden, der noch viel lohnenswerter ist. Seine Ambitionen, Anwalt zu werden, waren für ihn rückblickend weniger ein Zukunftsplan als vielmehr ein »Alibi für die Gegenwart«. Ein Alibi, um sich insbesondere vor den Eltern und der Gruppe zu rechtfertigen, dass alles in Ordnung sei und er »on track« wäre. Im Rückblick aber, so Thiel, war sein größtes Problem, dass er auf einem Weg war, ohne kritisch zu hinterfragen, wohin dieser denn führt.99
Thiels selbst gestellte rhetorische Frage, ob er denn ein Anwalt aus Leidenschaft sein wollte, war damit beantwortet. Im Interview mit dem Stanford Lawyer 2011 ließ er allerdings durchblicken, dass das Jurastudium eine gute Grundlage für seine Tätigkeit als Unternehmer gewesen war. Jura sei »interdisziplinär«, »man lerne sehr viel über unterschiedliche Gebiete und versuche zu erkunden, wie sie miteinander zusammenspielen«. Außerdem gäbe es »viele spezifische Fähigkeiten, die sich überlappen – wie zum Beispiel der Umgang mit einer Vielzahl von Informationen und die Fähigkeit, diese zusammenzufassen.« Rückblickend seien die Studienjahre in Stanford »extrem wertvolle Jahre« gewesen.
Zwischen 1993 und 1996 versuchte sich Thiel dann als Derivate-Händler bei der Credit Suisse in New York. Dort lernte er, wie man Vermögenswerte bewertet und analysiert. Zu der Zeit verdiente er 100.000 Dollar im Jahr. Sein Mitbewohner war einige Jahre älter als Thiel, verdiente 300.000 Dollar und musste trotzdem seinen Vater um einen Kredit anpumpen. New York erwies sich als verdammt teuer. Als Banker musste man teure Anzüge tragen und exquisite Restaurants besuchen. New York als Inbegriff des Statusdenkens befeuert den Wettbewerbsdruck. Die Stadt der Wolkenkratzer steht sinnbildlich für den Aufstieg und Abstieg von Karrieren. Befindet man sich in den Gebäuden, sieht man je nach Etage auf andere Menschen herunter oder blickt zu anderen hoch. Bei Thiel, der den Wettbewerb liebte, aber diese Art von »Infight« ablehnte, muss die Funktionsweise von New York einen geradezu klaustrophobischen Eindruck hinterlassen haben. Er erinnerte sich an René Girards Schriften. New York war das beste lebende Beispiel für Girards theoretische Ausführungen seiner »Mimetic Theory«. Die hohen Lebenshaltungskosten gepaart mit dem gnadenlosen Wettbewerbsdruck machten New York für Thiel zum Nullsummenspiel.100
Ironie des Schicksals: Das Wall Street Journal sollte Jahre später seinen Bestseller ›Zero to One‹ als Vorabdruck mit der Schlagzeile »Wettbewerb ist für Verlierer« ankündigen. Besser hätte man die Erkenntnis von Thiel zu seinem wenig erfolgreichen New Yorker Gastspiel nicht zusammenfassen können.101 Thiel musste nicht mehr lange überlegen und machte sich auf den Weg zurück nach Kalifornien ins Silicon Valley.
Als Thiel 1996 sein New Yorker Gastspiel beendete und zurück ins Silicon Valley ging, befand sich das Tal gerade in einem großen technologischen Umbruch. Die erste Hälfte der 1990er-Jahre war geprägt von dem Duopol Microsoft und Intel, die den PC-Markt fest im Griff hatten. Die Presse prägte denn auch das Kürzel »WinTel« für die enge Partnerschaft der beiden dominierenden Unternehmen des PC-Zeitalters. Die großen Schlachten der 1980er-Jahre, angetrieben durch den Konkurrenzkampf zwischen Apple auf der einen Seite und IBM mit Microsoft auf der anderen Seite, um den dominierenden Standard im PC-Geschäft waren geschlagen. Die Aufgabenverteilung war einfach: Microsoft entwickelte neue, Ressourcen fressende Versionen ihrer Cashcows Windows und Office, Intel entwickelte dafür jeweils einen neuen leistungsfähigeren Mikroprozessor. Beide Unternehmen schöpften den Großteil der Profite im Markt ab. Der PC eroberte sowohl die Büros als auch die Haushalte. Microsoft-Chef Bill Gates sah seine Vision, dass jeder Haushalt über einen PC verfügt, auf einem guten Weg. Im Silicon Valley befand man sich in einer Art Sinnkrise. Hatte doch Apple die Innovationen des Personal Computers mit Ideen wie der Maus und der grafischen Benutzeroberfläche vorangetrieben, wirtschaftlich profitierte aber der Plagiator von der Ostküste.
Microsoft und Bill Gates waren im Valley verhasst als diejenigen, die Innovationen gnadenlos kopierten und dann über ihre monopolartige Stellung in den Markt drückten und damit enorme Profite einfuhren. Das Valley suchte lechzend nach dem Next Big Thing. Bill Clintons damaliger Vizepräsident Al Gore sprach vom »Information Super Highway« und »Video-on-Demand«-Diensten, die Amerika den Weg ins 21. Jahrhundert ebnen sollten. Doch niemand wusste so recht, wie die Vision der Datenautobahn mit Leben zu füllen war. Ein Informatikstudent Namens Marc Andreessen von der Universität von Illinois sollte den Stein schließlich ins Rollen bringen, und er entwickelte sich zu einem gigantischen Steinschlag. Andreessen arbeitete 1993 an der Universität Illinois an einem benutzerfreundlichen grafischen Browser unter dem Namen »Mosaic«, der plattformunabhängig auf vielen verschiedenen Rechnern lief. Basis waren die von Tim Berners-Lee am Genfer Forschungszentrum CERN entwickelten Standards für das World Wide Web. Mit der von ihm entwickelten Beschreibungssprache HTML konnte man einfach und schnell multimediale Inhalte aus Text, Bild, Ton und Video erstellen. Andreessen stellte den Browser Ende 1993 ins Netz, er verbreitete sich wie ein Virus und entwickelte sich schnell zum absoluten Download Schlager.102 Waren es anfangs nur Technologiefreaks, installierten, angetrieben durch die Medien, immer mehr Privat- und Geschäftsleute den Browser, und es entstanden explosionsartig erste Internetseiten mit Inhalten und Diensten. Berners Lee gab dem Internet ein Gesicht, Andreessen entwickelte mit dem Browser den Zugang für die Massen. Andreessen zog ins Silicon Valley und traf sich mit dem Silicon-Graphics-Gründer Jim Clark. Silicon Graphics war zu der Zeit eines der edelsten Tech-Unternehmen im Valley und Jim Clark eine der einflussreichsten Persönlichkeiten. Clark erkannte schnell das Geschäftspotenzial des Browsers und das technische Potenzial von Andreessen. Er holte mit John Doerr von Kleiner Perkins Caufield & Byers einen Top Venture Investor an Bord, der später auch Amazon und Google finanzieren sollte. Nachdem die Universität Illinois die Namensrechte an Mosiac reklamierte, entschloss man sich, die neue Firma »Netscape« zu nennen. Die Entwicklung schritt rasant voran. Im Sommer 1995 verfügte Netscape bereits über hunderte von Mitarbeitern, mehr als zehn Millionen Nutzern und neben dem Browser über eine breite Produktpalette an Serverprodukten. Netscape war das erste Internetunternehmen mit einem sogenannten »two sided«-Geschäftsmodell: Anwender konnten sich den Browser kostenfrei herunterladen, die für den Betrieb von Internetseiten notwendige Software mussten Unternehmen als kostenpflichte Lizenz bei Netscape erwerben.
Die Produkte von Netscape verkauften sich wie »geschnitten Brot«. Die Umsätze wuchsen denn auch nach wenigen Monaten auf zweistellige Millionenbeträge. John Doerr sah den idealen Zeitpunkt für den Börsengang gekommen. Das Internet war Schlagzeilenträger in allen Medien und Netscape der Cheerleader. Am 9. August 1995, nur 14 Monate nach Gründung des Unternehmens, debütierte Netscape an der Wall Street. Der Preis pro Aktie wurde auf 28 Dollar festgelegt. Dies entsprach einer Börsenbewertung von einer Milliarde Dollar. Nicht schlecht für ein Unternehmen, das gerade mal 17 Millionen Dollar Umsatz machte und dabei 13 Millionen Dollar Verlust einfuhr. Die Wall Street begrüßte das Internet und Netscape im Speziellen mit einem gewaltigen Vertrauensvorschuss. Der erste festgestellte Kurs von Netscape an der New Yorker NASDAQ betrug sage und schreibe 71 Dollar. Am Ende des ersten Handelstags stand ein Kurs von 58,25 Dollar auf dem Börsentableau. Dies entsprach einer sagenhaften Börsenbewertung von 2,7 Milliarden Dollar. Am nächsten Tag titelte das Wall Street Journal denn auch, dass Netscape innerhalb von Minuten das geschafft hat, wozu ein Konzern wie General Dynamics 43 Jahre gebraucht hatte. Besser hätte man die explosionsartige Dynamik des aufziehenden Internet-Zeitalters nicht ausdrücken können.103 Das Valley hatte einen neuen Star. Marc Andreessen wurde in den Medien als das Wunderkind des Internets und als neuer Bill Gates herumgereicht. Das Time Magazine kürte ihn in der Folge gar zum Mann des Jahres. Das Selbstverständnis des Valleys war damit wieder zurechtgerückt. Man sah nun die Chance, die erdrückende Überlegenheit von Microsoft mit der geräteunabhängigen Browsertechnologie zu brechen. Der Browser wurde gar als neues Betriebssystem und Netscape als neues Microsoft gehandelt.
Robert Reid wartete in seinem exzellenten Buch »Architects of the Web – 1.000 Days that Built the Future of Business« bereits Ende 1996 mit folgenden Fakten auf, die zeigten, welch umwälzende Entwicklung das Internet für die Medien, die Börse und den Stellenmarkt haben wird:
– Mehr als 30 Millionen Menschen in den USA und mehr als 10 Millionen außerhalb nutzen bereits das Internet.
– Webseiten wie Yahoo!, ESPNET und Netscape verfügen über höhere Reichweiten als die angesehenen Zeitschriften Newsweek, Forbes oder Sports Illustrated.
– Mehr Menschen als zu Zeiten des kalifornischen Goldrauschs von 1849 suchen ihr Glück in der Arbeit bei Start-ups mit dem Ziel, über Aktienoptionen reich zu werden.
– Die Börse nimmt das neue Wachstumssegment Internet mit offenen Armen auf und bietet hohe Firmenbewertungen auf die zukünftige Wachstumsfantasie.104
– Obschon viele der Internet-Start-ups erst ein oder zwei Jahre alt waren und noch nicht über ein ausgereiftes Geschäftsmodell verfügten, fanden sie schnell den Weg an die Börse: Yahoo! bereits 1996, Amazon 1997 und eBay 1998.
Das Valley hatte sich zum wiederholten Male neu erfunden! Die Aufbruchsstimmung des beginnenden dot-com-Booms mit einer golden erscheinenden Zukunftsvision muss Thiel bei seiner Rückkehr augenscheinlich in seinen Bann gezogen haben. Er zog nach Menlo Park in ein Apartment und gründete mit Thiel Capital seinen eigenen Hedgefonds mit einem Volumen von einer Million Dollar. Das Geld für seinen Fonds sammelte er in der Familie und bei Freunden ein. Im darauffolgenden Jahr lernte er Luke Nosek kennen, den es damals als 21-Jähriger ins Silicon Valley verschlagen hatte. Nosek war wie Marc Andreessen Informatikabsolvent der Universität von Illinois, er heuerte bei Andreessens Firma Netscape an. Nosek verfügte bereits über Start-up-Erfahrung. Schon während des Studiums hatte er 1995 mit seinen Studienkollegen Max Levchin und Scott Banister SponsorNet New Media gegründet. Im Silicon Valley angekommen, baute Nosek an einem webbasierten Kalenderservice. Thiel überzeugte schließlich das Konzept und er investierte 100.000 Dollar in die Idee. Doch das Start-up floppte und Thiel musste das Geld abschreiben. Nosek fühlte sich in der Folge schuldig, weil er Thiels Geld versenkt hatte. Wie wir alle wissen, kann Geld die besten Freundschaftsbande trennen. Doch in diesem Fall war es anders, und wie die Geschichte zeigen sollte, Beispiel dafür, wie langwährende starke Freundschaften sich in der Folge zu einem großen finanziellen Erfolg für alle Beteiligten entwickeln können. Max Levchin, Noseks Studienkollege und ein begnadeter Softwareentwickler, wollte unbedingt über ihn Thiel kennenlernen, um ihm seine Idee für eine digitale Verschlüsselungsfirma vorzustellen. Doch Nosek war dazu nicht bereit, er schämte sich wegen seines Misserfolgs.105
Ähnlich wie bei der schicksalhaften Begegnung mit Reid Hoffman im Anschluss an eine Lehrveranstaltung an der Stanford spielte auch diesmal der Campus der Eliteuni den Kuppler, um die beiden zusammenzubringen. Thiel hielt im Sommer 1998 eine Gastvorlesung über seine Lieblingsthemen »Globalisierung der Märkte« und »politische Freiheit«.106 Einer der Studenten im Auditorium war der damals 23-jährige Ukrainer Max Levchin.107 Der junge Ukrainer fand Gefallen an dem, was er hörte. Er war nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als Staatenloser 1991 mit seinen Eltern in die USA gekommen. Als Jude unterlag er in der früheren Sowjetunion Einschränkungen bei der Ausbildung, der Wohnung und der Arbeit. Die größte Investition der Familie Levchin nach der Übersiedelung von Kiew nach Chicago in die neu gewonnene Freiheit war der Kauf eines gebrauchten Computers für ihren Sohn Max. Sie sollte sich später um ein Vielfaches auszahlen!108
Auch Levchin war ein libertär Denkender und so fanden die beiden unmittelbar Gefallen aneinander. Levchin präsentierte Thiel seine Idee für Verschlüsselungssoftware tragbarer mobiler Endgeräte (Handhelds). Die Handheld-Computer bzw. Personal Digital Assistants (PDAs) waren Ende der 1990er-Jahre eine sehr beliebte Geräteklasse. Insbesondere die mit einem Stift und einem berührungsempfindlichen Display ausgestatteten Palm Pilots waren bei Geschäftsleuten und Techies sehr beliebt. Es sollte schließlich noch rund zehn Jahre dauern, bis Steve Jobs mit dem iPhone ein für breite Massen anwendbares Smartphone vorstellte. Nach etlichen gemeinsamen Terminen entschlossen sich die beiden, ein Unternehmen zu gründen, welches Software für die Verschlüsselung von Daten auf mobilen Endgeräten wie den beliebten Palm Pilots und anderer PDAs anbieten sollte. Man einigte sich auf den Firmennamen »Fieldlink«, fand doch der Datenaustausch zwischen den Palm Pilots über eine Infrarotschnittstelle statt. Zunächst sah sich Thiel über seinen Fonds als Investor, doch Levchin konnte ihn überreden, die Rolle des Vollzeit-Geschäftsführers (CEOs) einzunehmen.109
Doch nach der ersten Euphorie stellten sich schnell die typischen Fragen, mit denen sich jeder Gründer eines Technologie-Start-ups konfrontiert sieht. Der Markt für kommerzielle Anwendungen für Palm Pilots war überschaubar, obschon es Millionen von Palms gab. Wer sollte Interesse an verschlüsselten Daten haben und wenn ja wofür? Schließlich die entscheidende Frage aus Sicht möglicher Kapitalgeber: Wie konnte man damit Geld verdienen? Dank Thiels Hintergrund aus der Finanzindustrie schien der Anwendungsfall »Geld« naheliegend.110 Im Fokus hatten die beiden den Zahlungsverkehrsmarkt, für den es bis zu diesem Zeitpunkt keine Technologieplattform gab, die sämtlichen Kundenanforderungen gerecht wurde. Kreditkarten und Geldautomaten waren zwar weitverbreitet, aber auch mit Restriktionen verbunden. So konnten nur Händler mit entsprechender Genehmigung und technischer Ausstattung Kreditkarten verarbeiten, und auch Geldautomaten waren nicht immer an den Orten verfügbar, wo Kunden eine Zahlung durchführen wollten. Als Alternative blieb in den USA nur das Zücken des altbekannten Scheckbuchs. Mit der Konsequenz, dass man zum Einlösen zur Bank musste und der Empfänger dann noch Tage auf sein Geld warten musste.
Für Thiel und Levchin war damit die Stoßrichtung ihres neuen Unternehmens klar: Es bedurfte einer Alternative für den antiquierten Zahlungsverkehr via Cash. Eine neue Technologie war notwendig, um Zahlungen zwischen einzelnen Personen zu ermöglichen.