VIII.

DER POLITIKBERATER

»I am proud to be gay. I am proud to be a Republican. But most of all I am proud to be an American.«

Peter Thiel427

Der Libertär und Trump-Finanzier

Peter Thiel hat mit seiner Wette auf Trump wieder einmal recht behalten. Während alle Politprofis und Kommentatoren einen eindeutigen Wahlsieg von Hillary Clinton voraussagten, war für Thiel das Rennen um die Präsidentschaft weitaus offener.

Lag es an seiner analytischen Kenntnis, oder hat er im Gegensatz zu vielen Experten einfach gewusst, dass die Zeit reif war für einen Wandel, einen Wandel ins Ungewisse, aber mit der Erkenntnis, dass man nicht im selben Stil fortfahren wollte wie die letzten zwei Dekaden? Thiel weiß als Technologieunternehmer und Investor wie kaum ein Zweiter, wann der Zeitpunkt für ein neues disruptives Start-up gekommen ist. Für ihn ist ein Mann wie Trump ein »disruptive change agent« und Trumps Regierung »ein Start-up, das ein altes Geschäftsmodell ablöst«.428 Normalerweise geht Thiel als konträrer Investor gerne große Risiken ein und investiert bekanntermaßen gerne in Start-ups und Geschäftsmodelle, an die andere nicht glauben. Seiner Einschätzung zufolge war sein Votum für Trump denn auch keine riskante Außenseiterwette, denn »schließlich stand die Hälfte Amerikas hinter Trump«.429 Nur nicht das Silicon Valley, das Trump wegen seiner restriktiven Immigrationspolitik nahezu geschlossen ablehnte und auch Trump, der mit seinen Äußerungen gegenüber Apple, er werde sie dazu verdonnern, ihre iPhones wieder in den USA herstellen zu lassen, Öl ins Feuer goss. Thiel selbst hat in der Vergangenheit immer wieder Außenseiterkandidaten unterstützt wie die ehemalige Hewlett-Packard-Chefin Carly Fiorina oder den Rechtskonservativen Ron Paul.

Thiel sah im Gegensatz zu vielen anderen den »Tipping Point« gekommen, also den richtigen Zeitpunkt, an dem die kritische Masse für eine Veränderung und ein Bruch mit dem alten System da war. Dementsprechend war für ihn die Trump-Wette eigentlich eher ungewöhnlich, denn er war »ein Außenseiter mit echten Gewinnchancen«.430

Während der renommierte Historiker Rick Perlstein in einem bemerkenswerten Essay für die New York Times mit dem Titel »I thought I understood the American Right. Trump Proved me wrong« nach Erklärungsversuchen für Trumps Sieg sucht, predigt Thiel fast schon gebetsmühlenartig seit Jahren in Interviews, dass Amerika »broken« ist und nur noch ein Schatten seiner selbst. An Trump schätzt er denn auch, dass er dies im Wahlkampf, wenn auch stark vereinfachend und emotionalisierend, angesprochen und zum zentralen Thema gemacht hat. Trump bediente sich nicht nur Reagans Slogan »Let’s make America great again«, sondern pikanterweise auch programmatisch Bill Clintons Slogan im Präsidentschaftswahlkampf 1992 gegen Bush Senior: »It’s the economy stupid«, frei übersetzt »Auf die Wirtschaft kommt es an, Dummkopf«.431 Folgerichtig versetzte Trump mit dem Wahlsieg in den vormals demokratischen Bastionen im sogenannten Rostgürtel Amerikas Clinton und der demokratischen Partei den Todesstoß. Clintons Fehleinschätzung, inklusive der sonst so allwissenden politischen Auguren in Washington, lag darin, dass man dachte, die Gesellschaft sei, angetrieben von gesellschaftskulturellen Fortschritten bei Themen wie gleichgeschlechtlicher Heirat, auf einem progressiven Linkskurs. Immer noch ringt die demokratische Partei mit den Nachwirkungen des Wahlergebnisses und versucht sich mit Mühen, programmatisch neu aufzustellen.432

Doch die Menschen in den USA hatten genug von dem »Old Establishment«. Thiel weist immer wieder darauf hin, dass »das alte System an sich korrupt war, nicht mehr funktionierte und sich nicht mehr weiterentwickelt hat«. In die Amtszeit von Bill Clinton fiel die Blase der Internetwirtschaft, in die von George W. Bush die Blase am Immobilienmarkt. Doch Konsequenzen daraus wurden keine gezogen. Im Gegenteil: Es sah sogar zunächst so aus, als ob mit Jeb Bush, dem Bruder von George W. Bush, und mit Hillary Clinton die Präsidentschaftswahl 2016 wieder unter den bekannten Familienclans Bush und Clinton ausgetragen würde. Damit wären über 32 Jahre, angefangen 1989 mit Bush Senior, bis zum Jahr 2021, mit Ausnahme der achtjährigen Amtszeit von Barack Obama, nur die Familiendynastien Clinton und Bush an der Macht gewesen. Insbesondere die Menschen im Mittleren Westen, die sich durch Digitalisierung und Globalisierung abgehängt fühlten, hatten in die bisherige Politik kein Vertrauen mehr. Die Verursacher der Misere wurden nicht als Problemlöser angesehen und deshalb auch nicht ins Amt gewählt.

Thiels und Trumps Bericht zur Lage der Nation sind denn auch in vielen Punkten deckungsgleich. Thiel legte bereits in einem ausführlichen TV-Interview mit Bill Kristol im Jahr 2014 den Finger in die Wunde. Das Merkwürdige an der Politik sei, dass die Umfragen mittlerweile so »unglaublich dominant« seien und Politiker nur noch darauf bedacht, Mehrheiten zu bekommen. Außerdem würden alle Politiker auf dieselben Umfragen schauen. Die Fixierung auf aktuelle Trends und Meinungen führe dazu, dass Politiker seiner Meinung nach immer risikoscheuer werden. Die überbordende Bürokratie und die zunehmende Regulierung von wichtigen Branchen wie Banken und Versicherungen, Energieerzeugung, Transportwesen, Gesundheitsbranche und Pharmasektor haben Innovationssprünge stark stranguliert. Nur im Techsektor waren seit den 1960er-Jahren große Fortschritte möglich, so Thiel, auch deshalb, weil niemand Bill Gates von Microsoft oder Larry Page und Sergey Brin von Google bei ihren ursprünglichen Garagengründungen auf die Finger geschaut habe. Für Politiker war es erstrebenswerter und publicityträchtiger, sich mit den Großunternehmen der »Old Economy« zu befassen, zumal sie von der Informationsindustrie häufig wenig verstanden.

Die Risikoaversion der Politik und die Angst, nicht wiedergewählt zu werden, hat dazu geführt, dass die Politiker es verlernt haben, in neuen Dimensionen und großen Projekten zu denken. Ehrgeizige Projekte sind aber sogar von Regierungen möglich, wie das Manhattan-Projekt (Erfindung der Atombombe) der 1940er-Jahre oder die Mondlandung Ende der 1960er-Jahre gezeigt haben.

Stattdessen, so Thiel, ist die Politik gefangen in einem riesigen Bürokratieapparat, der von Juristen beherrscht wird. Eine Flut neuer Gesetze führt zu weiteren Vorschriften und Regulierungen, die Innovationen und damit bessere Lebensumstände für die Gesellschaft verhindern. Nicht nur bei Thiel, sondern auch bei vielen amerikanischen Wählern dürfte Trump mit seiner Aussage gepunktet haben, den Sumpf an Korruption und Vetternwirtschaft in Washington auszutrocknen. Thiel ist es als Gründer und Investor gewohnt, neue Dinge in Gang zu bringen und sie nicht zu ver- oder behindern. Deshalb sollte seiner Meinung nach die Regulierung wirtschafts- und innovationsfreundlicher gestaltet werden. Er hat dafür auch ein probates Mittel: Regierung und Behörden sollten weniger mit Juristen als vielmehr mit Ingenieuren besetzt sein, die auch fachliche Kompetenz für technologische Innovationen haben.

Politiker würden heute wahrscheinlich für verrückt erklärt, wenn sie ankündigen würden, den Krebs in wenigen Jahren zu besiegen. Aber Visionen dieser Güte wären nach Thiels Meinung notwendig, um mittels echter Innovationen die allgemeinen Lebensbedingungen zu verbessern und das Wirtschaftswachstum wieder auf Raten von 3 Prozent und mehr zu bringen, was in der Folge einen Aufbau qualitativ hochwertiger Arbeitsplätze mit hoher Wertschöpfung und besseren Löhnen bedeuten und, damit verbunden, auch mehr Beiträge in die Steuer- und Sozialkassen fließen lassen würde. Mit ihnen könnte man dann dringend notwendige Investitionen in Bildung und Infrastruktur tätigen.433

Der neue amerikanische Arbeitsminister Acosta stößt ins gleiche Horn. In einem Interview mit dem Handelsblatt betont er die Notwendigkeit, »die Produktivität zu steigern und die Wirtschaft von bürokratischen Fesseln zu befreien«, die Defizite im amerikanischen Ausbildungssystem aufzulösen und »die Verbindung zwischen der Ausbildung und dem Bedürfnis der Firmen« nachhaltig zu stärken. So ließe sich die Erwerbsbeteiligung steigern.434

Als Thiel seine finanzielle und ideelle Unterstützung für Trump bekanntgab, war der Aufschrei im Silicon Valley groß. Es wurde ihm nahegelegt, von seinem Aufsichtsratsmandat bei Facebook und als Berater beim Inkubator Y Combinator zurückzutreten. Aufgrund seiner exponierten Stellung als Chairman und größter Aktionär des Datenanalyseunternehmens Palantir, das nach wie vor stark von Aufträgen der Regierung und des Militärs lebt, hat er zahlreiche Eisen im Feuer, die ihm auch zum Nachteil gereichen können. Für Thiels Freund Sam Altman, Chef von Y Combinator und überzeugter Trump-Kritiker, gehen die negativen Reaktionen und Anfeindungen gegenüber Thiel entschieden zu weit.435 Fordern Kommentatoren und politische Beobachter nicht immer geradezu gebetsmühlenartig, dass die Politik dringend frische Blutzufuhr von außen durch Experten der Wirtschaft benötigt?

Ein »seltsamer Aspekt« des Silicon Valley ist für Thiel die Tatsache, »dass viele der sehr erfolgreichen Unternehmer und Innovatoren unter einer milden Form des Asperger-Syndroms oder etwas Vergleichbarem leiden«. Eine elegant formulierte leise Systemkritik. Denn viele Internetkonzerne verstecken sich hinter ihren bunten Wohlfühlfassaden, häufen von Quartal zu Quartal neue Milliardenbeträge an, leben in ihrer eigenen Blase, ähnlich wie die Politik in Washington, und denken, der Rest des Landes geh sie nichts an.

Thiel hält sich zwar für einen politischen Atheisten, aber auch er, der immer wieder mit seinen Start-ups versucht, die Grenzen neu zu justieren, sieht ein, dass wir uns »immer innerhalb von politischen Systemen, die selbstverständlich ihre Berechtigung haben«, bewegen. Deshalb lohne es sich, so Thiel, »sich einzumischen«. »Politik ist nicht Gott, Politik ist nicht alles«, so Thiel.436

Die Botschaft scheint bei einigen Prominenten im Silicon Valley mittlerweile auch angekommen zu sein. Apple Chef Tim Cook kündigte nach den Zahlen zum ersten Quartal 2017 einen neuen Fonds im Volumen von einer Milliarde Dollar an, die in amerikanische Produktionsunternehmen fließen sollen, die mit innovativen Lösungen aufwarten. Immerhin eine nette Geste von Apple, bedenkt man, dass das Unternehmen aktuell 257 Milliarden Dollar unversteuerte Gewinne auf Offshore-Konten hält und für rund 50 Milliarden Dollar im Jahr bei amerikanischen Zulieferern einkauft.437 Auch Thiels Freund Mark Zuckerberg zeigte zuletzt Flagge und besuchte bei seiner 30-Staaten-Tour durch Amerika, die fast schon Züge eines amerikanischen Vorwahlkampfs zur Präsidentschaft hat, eine Fordfabrik in Detroit, um Sensibilität gegenüber dem Thema Rationalisierung durch die zunehmende Automatisierung zu zeigen.438

Globalisierung und Ungleichheit

Viele Politiker und Experten vermischen Innovation und Globalisierung zu einem einheitlichen Brei. Nicht so Thiel. Globalisierung hat für ihn viel mit »Copy und Paste« zu tun, also dem einfachen Kopieren und an anderer Stelle wieder Aufbauen. Eine Initialzündung für die Globalisierung und die Öffnung Chinas war für Thiel der geheime Besuch von Henry Kissinger bei Deng Xiaoping im Jahr 1971. Kein anderes Land hat einen solch fulminanten Aufholprozess über die letzten vier Dekaden hingelegt wie das Reich der Mitte. Donald Trump sieht in China denn auch einen der Hauptverantwortlichen für das Verschwinden so vieler Fabrikjobs aus den USA. Am einfachsten manifestiert sich dies an den millionenfach verkauften iPhones. Auf der Rückseite des Goldesels von Apple findet sich die prägnanteste Formel der Globalisierung: »Designed by Apple in California. Assembled in China.« Besser könnte man die internationale Arbeitsteilung und Verbindung von Wertschöpfungsketten über den pazifischen Ozean hinweg nicht auf den Punkt bringen.

Mit der Globalisierung verbindet man wie selbstverständlich eine Institution und einen Ort. Gemeint ist das Weltwirtschaftsforum, kurz WEF genannt, und Davos. Jedes Jahr Anfang Januar trifft sich seit über 40 Jahren eine handverlesene Gruppe von Politikern, Wirtschaftsführern, Wissenschaftlern und Kulturschaffenden, um sich in dem Nobelkurort abseits der hektischen Ballungszentren in kleinem Kreis über die brennenden Themen der Zeit auszutauschen. Der »Davos-Mensch« war geboren. Der Begriff wurde von Samuel Huntington, Autor des Klassikers ›Kampf der Kulturen‹ geprägt. Er symbolisiert die erfolgreiche und weltläufige Elite der Globalisierungsgewinner. Ab und an störten Globalisierungskritiker die jährliche Veranstaltung, was eine erhöhte Militärpräsenz zur Folge hatte. Doch mit dem Brexit und dem Sieg von Donald Trump suchten das WEF und seine Protagonisten nach einem neuen Selbstverständnis. »Die globalen Vordenker sind den Wutbürgern davongeeilt«, so titelte das Handelsblatt zur Eröffnung des WEF 2017 und schob noch den nicht weniger prägnanten Satz als Handlungsanleitung an die Verantwortlichen nach: »Die westlichen Gesellschaften brauchen neuen Klebstoff, wenn der Riss nicht noch größer werden soll.« Thiel, der selbst schon öfters in Davos zugegen war, weist seit Jahren auf die Abkoppelung der Eliten von weiten Teilen der Gesellschaft hin, die es sich in ihren jeweiligen Raumschiffen gutgehen lassen.

Auch der Ökonom und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, ehemaliger Wirtschaftsberater Bill Clintons, sieht dies ähnlich, obschon er dem konkurrierenden politischen Lager zuzurechnen ist. Im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums 2017 sagte er im Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) über die wirtschaftliche Situation der Amerikaner: »Die Einkommen von 90 Prozent der Amerikaner stagnieren seit 25 Jahren. Rund 30 Prozent geht es sogar schlechter als damals. Die Lebenserwartung in den USA sinkt. Das ist für ein entwickeltes Land erschreckend. Vor einem Jahr betraf es nur weiße Männer. Heute bereits alle. 1 Prozent der Amerikaner geht es sehr gut. Der Rest kämpft.«439 Aussagen, wie wir sie von Trump und Thiel nahezu wortgleich gehört haben.

Obschon Stiglitz ein Verfechter der Globalisierung ist und diese gutheißt, erwähnt er im Interview eine Studie des renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT). »Das MIT hat untersucht, wie chinesische Importe, Löhne und Arbeitslosigkeit in verschiedenen US-Gemeinden zusammenhängen: Je höher die chinesischen Importe, desto niedriger die Löhne und desto höher die Arbeitslosenrate.«440 Deshalb hat die Überprüfung der Handelsbeziehungen auf Fairness durch die Trump-Administration auch durchaus seine Berechtigung.

Das gespaltene Amerika teilt sich in die zwei Kraftzentren: New York an der Ostküste und das Silicon Valley an der Westküste. New York steht mit seinen Finanzunternehmen und internationalen Konzernen für die Globalisierungsgewinner. Das Silicon Valley mit seinen Technologieunternehmen gehört zu den Innovationsgewinnern. Die dazwischenliegenden Bundesstaaten werden gemeinhin auch ein wenig despektierlich »Fly over States« genannt. Beide Zentren haben von ihrer jeweiligen weltweiten Alleinstellung enorm profitiert und viele Millionäre und Milliardäre hervorgebracht, während weite Teile des Landes mehr oder weniger dahinsiechen. Thiel weist immer wieder auf die ungleiche Verteilung der Vermögen hin, die in Kombination mit dem Druck der Digitalisierung und Globalisierung zu starken gesellschaftlichen Spannungen führt.

Die Ungleichheit und die sozialen Spannungen sind bei ihm vor der Haustüre im Silicon Valley auch unmittelbar sichtbar. Im Winter 2013/14 wurden die Luxusbusse der Tech-Firmen von Google und Co. Zielscheibe von Protesten.441 Allmorgendlich fahren die großen Reisebusse der Tech-Giganten Mitarbeiter von San Francisco in das südlich gelegene Silicon Valley zur Arbeit. Immer mehr gutverdienende Angestellte von Apple, Alphabet, Facebook und Co. wollen ihr Leben in der urbanen Metropole San Francisco verbringen. Die Konsequenz: Die Mieten, Immobilienpreise und die Lebenshaltungskosten insgesamt erreichen mittlerweile extreme Höhen. Monatliche Mieten von 4000 Dollar sind deshalb auch keine Seltenheit. Die Lage verschärft sich auch noch dadurch, dass viele Start-ups und Tech-Konzerne Teile ihrer Aktivitäten nach San Francisco verlagern. Immerhin handelt es sich um eine Großstadt mit fast einer Million Einwohnern, die für viele neue Start-ups und deren Produkte auch als ideales Testfeld dienen. Der Fahrdienstvermittler Uber ist ein Beispiel dafür.

Der sonst so überbordende Optimismus in der Bay Area an der Westküste erlebte zuletzt einen starken Dämpfer. Die Stimmung in der Wirtschaft sank auf den niedrigsten Stand seit Jahren. Grund dafür sind die hohen Lebenshaltungskosten und die Unzufriedenheit der sogenannten Millennials, also der jüngeren Arbeitnehmer des Valleys. Mehr als 70 Prozent der Bewohner der Bay Area meinen, dass sich die Lage in den zurückliegenden sechs Monaten nicht verbessert habe, und rund die Hälfte befürchten, dass es in den nächsten drei Jahren einen deutlichen Abwärtstrend geben könnte.442

Da die Amerikaner deutlich mobiler sind als Europäer, ist die Konsequenz auch folgerichtig: Mehr als 40 Prozent der Tech-Angestellten in der Bay Area wollen wieder wegziehen.443 Schon wird von einem »Brain Drain« gesprochen. Sam Altman von Y Combinator beklagte denn auch in einem Interview, dass es an günstigem Wohnraum mangele. »Kam man aus dem Zweiten Weltkrieg zurück, war man in der Lage, eine Familie zu gründen und ein Haus zu kaufen.« Und Altman wäre nicht Altman, würde er nicht noch die Frage hinterherschieben: »Gibt es einen Weg, Technologie und etwas Regelwerk so zu nutzen, dass Wohnraum wieder erschwinglich wird?«444

Rede auf dem Republican National Convention

»Ich bin stolz, schwul zu sein. Ich bin stolz, ein Republikaner zu sein. Aber vor allem bin ich stolz, Amerikaner zu sein.« Diese Worte von Peter Thiel in seiner mit Spannung erwarteten Rede vor dem Parteitag der Republikaner im Juli 2016 anlässlich der Nominierung von Donald Trump ging um die Welt. Thiel ließ keine Pause zwischen den Sätzen, um so den Delegierten den kompletten Zusammenhang seiner Botschaft zu übermitteln. Was im Vorfeld als Risiko angesehen wurde, das Thema Homosexualität anzusprechen, erwies sich durch die von Thiel gewählte kluge Einbettung in den Gesamtkontext als Erfolg. Das Publikum skandierte nach den Aussagen von Thiel begeistert »USA«, »USA«.445

Viele Beobachter des Parteitags attestierten Thiel eine bemerkenswerte Rede. In der Tat hatte es die gut sechsminütige Rede von Thiel in sich. Er legte den Finger in viele Wunden und sparte auch nicht mit Seitenhieben auf aktuelle und vergangene republikanische Defizite.

Besser hätte der Ort des Parteitags für Thiel nicht gewählt sein können. Cleveland war für ihn ein »coming Home«. War es doch die erste Station in den USA von seinen Eltern und dem einjährigen Peter, als sie aus Frankfurt am Main in die Staaten übersiedelten und ein neues Leben begannen.

Thiel tritt am letzten Abend des Parteitags unter großem Beifall der Delegierten gutgelaunt ans Rednerpult. Er trägt einen blauen Anzug, blaues Hemd und eine blau-silbern gestreifte Krawatte. Und er kommt ohne Umschweife zur Sache und stellt sich als Baumeister, »Builder«, neuer Firmen vor und als Unterstützer von Leuten, die neue Entwicklungen wie soziale Netzwerke oder Raumschiffe vorantreiben. »Ich bin kein Politiker. Aber auch Trump ist keiner. Er ist ein Baumeister, und es ist Zeit, Amerika wieder aufzubauen.« Selbstkritisch berichtet er vom Silicon Valley, wo er wohnt und arbeitet, von einem prosperierenden Ort, an dem die Computer- und Softwareindustrie große Fortschritte gemacht und viel Geld verdient hat. Doch das Problem ist, dass das Silicon Valley eben nur ein kleines Gebiet umfasst. Schaut man über den Tellerrand, sieht man nicht denselben Wohlstand. »Quer durch das Land sind die Löhne niedrig. In der Zwischenzeit inflationieren die Wall-Street-Banker neue Blasen in allen Bereichen, von Regierungsanleihen bis hin zu Hillary Clintons Vergütungen für Redeauftritte.«

Seine schonungslose Abrechnung mit dem Zustand der Wirtschaft gipfelt in dem Satz: »Unsere Wirtschaft ist kaputt.« Das sei nicht der Traum, den die Amerikaner sich für die Zukunft vorgestellt hätten. Er wird dann persönlich und kommt auf die Geschichte seiner Eltern zu sprechen: »Als meine Eltern damals nach Amerika kamen und nach dem Traum Ausschau hielten, haben sie ihn gefunden – geradewegs hier in Cleveland. Es gab überall Möglichkeiten.« Thiels Vater studierte Ingenieurwesen an der Case Western Reserve University, die nur einen Steinwurf von der Delegiertenhalle in Cleveland entfernt liegt. Man schrieb das Jahr 1968. Es gab nicht nur eine Hauptstadt der Technologie, wie wir es heute mit San Francisco und dem Silicon Valley wahrnehmen, ganz Amerika, so Thiel, »war High Tech«. »Schwer zu glauben, aber auch unsere Regierung war damals High Tech. Als ich nach Cleveland kam, legte die Forschung des Verteidigungsministeriums die Grundlagen für das Internet. Das Apollo-Programm war gerade dabei, einen Mann auf den Mond zu schicken – es war Neil Armstrong, von hier aus Ohio. Die Zukunft fühlte sich grenzenlos an. Aber heute ist die Regierung kaputt.« Als Technologieexperte, der mit den neuesten Errungenschaften umgeht, liefert er den republikanischen Delegierten markante Metaphern, die den zum Teil jämmerlichen Zustand der Supermacht Amerika verdeutlichen: »Unsere Nuklearbasen verwenden immer noch Diskettenlaufwerke. Unsere neuesten Kampfjets sind nicht in der Lage, im Regen zu fliegen. Und es wäre höflich formuliert zu sagen, dass die Software der Behörden schlecht funktioniert, weil sie die meiste Zeit gar nicht funktioniert.« Ein Replik auch auf die Blamage bei der Einführung von Obamacare, als die offizielle Website dem Ansturm der Interessenten nicht gewachsen war und man stattdessen als Nutzer der Internetseite mit der Mitteilung vertröstet wurde, dass man sich online, wie bei einem Call-Center, in einer Warteschleife befinde, ehe man weitergeleitet würde. Für Thiel ein schrecklicher Befund für eine Nation, die einmal das Manhattan-Projekt gestemmt hat. Thiel legt mit dem Satz nach: »Im Silicon Valley akzeptieren wir eine solche Inkompetenz nicht.« Und demonstriert damit seine eigenen Macherqualitäten.

Auch zur Außenpolitik äußert sich Thiel und meint: »Anstatt auf den Mars zu gehen, sind wir in den Mittleren Osten eingedrungen.« Zur leidigen Diskussion über Hillary Clintons E-Mails meint Thiel, dass man die gar nicht sehen müsse, da »ihre Inkompetenz deutlich sichtbar sei. Sie war die Kriegstreiberin in Libyen und heute ist es das Trainingsgelände des IS.« Thiel weist die Delegierten darauf hin, dass Donald Trump recht hat, die »dummen Kriege zu beenden und unser Land wieder aufzubauen«. Wie kleinkariert die Politik heute denkt, wird in dem folgenden Satz deutlich: »Als ich ein Kind war, lief die große Debatte darüber, wie die Sowjetunion besiegt werden kann. Und wir gewannen. Heute wird uns gesagt, dass sich die große Debatte darum dreht, welche Geschlechter welche Badezimmer nutzen dürfen. Dies ist eine Ablenkung von unseren echten Problemen. Wen kümmert es?« Gender-Themen sind also für Thiel der kleinste Nenner, auf den sich Politiker noch verständigen können!

Für Thiel ist Donald Trumps Botschaft »Make America great again« keine Reminiszenz an die Vergangenheit, sondern ein Fingerzeig in die Zukunft.

»Heute Abend appelliere ich an alle meine amerikanischen Kollegen, aufzustehen und für Donald Trump zu stimmen.«

Bemerkenswert an Thiels Rede über die Versäumnisse in Bezug auf den technologischen Fortschritt und die mangelnde Unterstützung durch die Regierung ist die Tatsache, dass die Republikanische Regierung von George W. Bush die Stammzellenforschung an menschlichen Embryos im Jahr 2001 mit der Begründung eingestellt hat, dass Embryonen schützenswertes menschliches Leben seien, das auch dann nicht zerstört werden dürfe, wenn die Embryonen einem Labor und nicht dem Uterus entstammen. Die Kongressabgeordneten der Republikaner waren es auch, die die Finanzierung der NASA und der Nationalen Wissenschaftsbehörde zur Erforschung der globalen Erderwärmung einschränkten.

Auch außenpolitisch waren die Republikaner mit der Invasion im Irak und dem folgenden Krieg Hauptverantwortliche der Eskalation im Nahen Osten.446

Thiel hat auf dem Parteitag den Republikanern in nicht gekanntem Maße den Spiegel ihrer eigenen Fehlleistungen vorgehalten und eine schonungslose Ist-Darstellung der Supermacht USA vor der vereinten Weltpresse geboten. Und das, so Thiel, wo in der republikanischen Partei »traditionell blinder Optimismus herrscht und die Tendenz, die Dinge immer nur positiv zu sehen«.447

Rede vor dem National Press Club

Kurz vor dem Auftritt vor dem renommierten National Press Club in Washington gab das Umfeld von Thiel eine Spende für Trump in Höhe von 1,25 Millionen Dollar bekannt. Damit gehört Thiel neben dem Hedgefondsmanager Robert Mercer, der zusammen mit seiner Tochter Rebekah 15,5 Millionen Dollar für den Wahlkampf von Trump gespendet hat, und Geoffrey Palmer, einem Immobilienentwickler aus Los Angeles, der 2 Millionen Dollar spendete, zu den bedeutendsten Unterstützern von Trump.448

Thiel hat ohne Frage Mut und geht schwierigen Dingen nicht aus dem Weg. Immerhin hatte sich die Presse auf ihn nicht nur wegen seiner Unterstützung von Trump eingeschossen. Seine finanzielle Prozessunterstützung für den Ex-Wrestler Hulk Hogan, die zunächst geheim gehalten wurde, stieß bei den Medienvertretern auf wenig Gegenliebe. Hogan gewann den Prozess und das unterlegene Klatschmagazin Gawker musste 31 Millionen Dollar Schadenersatz bezahlen, nachdem sich der Schuldspruch zunächst gar auf 115 Millionen Dollar belief. Gawker musste in der Folge Insolvenz anmelden.449 Thiel wurde unterstellt, er hätte mit Gawker noch eine Rechnung offen, da diese ihn vor Jahren als Homosexuellen geoutet hatten. Die Presse sah sich darin bestätigt, dass jemand wie Thiel mit nahezu unbegrenzten finanziellen Mitteln seinen Einfluss geltend machen und seine Vorstellungen auch vor Gericht durchsetzen kann.

Dementsprechend wurden die Rede und das anschließende Interview vor dem National Press Club am 31.10.2016, also gut eine Woche vor dem Wahltag, mit Spannung erwartet. Thiel wurde mit der Beschreibung der New York Times angekündigt: Er sei unter den Technologieinvestoren und Unternehmern »toxisch«.

Thiel begann seine Rede vor den Journalisten der Hauptstadtpresse mit der wenig befriedigenden Situation eines unwürdigen Wahlkampfes. Schuld daran sei auch die Tatsache, dass einflussreiche Bürger die schwierige Realität ausblendeten, weil viele »zu stolz« seien, dies zuzugeben, und weil es »ihren eigenen Erfolg in Frage stellen« würde. Für ihn sei die Wahl aber »weniger verrückt als der Zustand unseres Landes.« Thiel fängt in seiner Bestandsaufnahme mit der wichtigsten Zielgruppe an, der Generation der Baby Boomer. Viele von ihnen stünden vor ihrem Renteneintritt mit fast leeren Händen da. »64 Prozent der über 55-Jährigen haben weniger als ein Jahreseinkommen als Sparanlagen auf der hohen Kante. Das stellt ein Problem dar, insbesondere wenn man das einzige Land ist, wo man für einfache Medikamente bis zum Zehnfachen dessen bezahlen muss, was man sonst bezahlt. Amerikas überbezahltes Gesundheitssystem mag dazu beitragen, den Rest der Welt zu subventionieren. Aber das hilft den Amerikanern nicht.« Thiel kommt dann zu den Jüngeren, die eine ganz andere finanzielle Herausforderung vor sich haben: Die hohe Last der Studiengebühren. Diese wachsen, so Thiel, deutlich schneller als die Inflation. »Jedes Jahr kommen 1,3 Billionen Dollar an studentischen Schulden hinzu.« Amerika sei das einzige Land, in dem Studenten ihren Schulden nicht mehr entrinnen können. »Nicht einmal durch eine Bankrotterklärung«, so Thiel. Die Generation der Millennials sei die erste Generation, die ein schlechteres Leben als ihre Eltern zu erwarten haben. Thiel weist auf die Schere zwischen den Ausgaben von Privathaushalten und den Einkommen hin. Während die Ausgaben ohne Unterbrechung steigen, stagnieren die Einkommen. »In realen Dollars verdient der Durchschnittshaushalt weniger als vor 17 Jahren. Annähernd die Hälfte der Amerikaner wären nicht in der Lage, in einem Notfall 400 Dollar zusammenzubringen.«

Während also die Privathaushalte finanziell zu kämpfen haben, »verschwendet die Regierung Billionen von Dollar an Steuergeldern für weit entfernte Kriege. Aktuell kämpfen wir in fünf von ihnen. Im Irak, Syrien, Libyen, Jemen und Somalia.«

Thiel kommt dann auf das Thema finanzielle Ungleichheit in den USA. »Nicht jeder leidet«, so Thiel. Denjenigen in den wohlhabenden Vororten von Washington oder den Menschen im Silicon Valley gehe es gut. »Die meisten Amerikaner nehmen aber nicht Teil an der Prosperität. Deshalb sollte es auch niemanden überraschen, dass die Leute für Bernie Sanders oder für Donald Trump stimmen.«

Für Thiel sind beide Kandidaten »nicht perfekt«. »Ich stimme nicht mit allem überein, was Donald Trump gesagt und getan hat. Niemand denkt, dass seine Kommentare über Frauen akzeptabel sind. Ich stimme zu, dass sie ganz klar unangemessen waren.« Den Wählern könne man kein »fehlendes Urteilsvermögen« unterstellen, wenn sie Trump wählten. »Wir wählen Trump, weil wir zum Schluss gekommen sind, dass die Führung unseres Landes fehlgeschlagen ist.« Für viele der »erfolgreichen und prominenten Leute«, aber auch für viele im Silicon Valley, sei dies natürlich »schwer zu akzeptieren«.

Thiel stößt die am eigenen Leib widerfahrene Intoleranz auf, die manchmal »bizzare Formen« annehme. Das Magazin Der Advocat hätte ihn einst als »schwulen Innovator« bezeichnet, doch jüngst über ihn geschrieben, er sei »kein schwuler Mensch«, weil er nicht mit deren politischer Ausrichtung übereinstimme. »Die Lüge hinter dem Buzzwort Diversität könnte nicht klarer sein. Wenn man nicht konform geht, dann wird man nicht als divers angesehen. Egal welchen persönlichen Hintergrund man hat.«

Thiel stellt dann die rhetorische Frage, warum vor diesem Hintergrund Wähler immer noch Trump unterstützen?

»Ich denke, es ist, weil Trump die großen Dinge richtig anpackt.« Thiel nennt zuvorderst den freien Handel, der nicht für ganz Amerika gut funktioniert hat. Thiel spricht über die hochgebildeten Ökonomen, die davon sprechen, »dass günstige Importe gemäß der ökonomischen Theorie alle zu Gewinnern machen. Aber in der Praxis gingen Zehntausende Fabriken und Millionen Arbeitsplätze aufgrund des Außenhandels verloren.« Thiel spricht von »Verwüstung« weiter Landstriche. Schaut man die verheerenden Zahlen des Außenhandelsdefizits an, wird deutlich, dass die Dinge auf eine schlechte Weise falsch laufen. »Das höchstentwickelte Land der Welt sollte Kapital in weniger entwickelte Länder exportieren. Stattdessen importieren die Vereinigten Staaten jedes Jahr mehr als 500 Milliarden Dollar.« Die Konsequenz sei, dass immer mehr Gelder in Finanzanlagen fließen und die amerikanische Wirtschaft immer stärker in Richtung des Banken- und Finanzsektors verzerrt wird. Profiteure davon sind insbesondere die Leute an der Wall Street.

»Wir sind seit 15 Jahren im Krieg und haben mehr als 4,6 Billionen Dollar dafür ausgegeben. Mehr als zwei Millionen Menschen haben ihr Leben verloren. Mehr als 5000 amerikanische Soldaten wurden getötet. Aber wir haben nicht gewonnen. Die Bush-Administration hat versprochen, dass man mit 50 Milliarden Dollar Demokratie in den Irak bringen kann, stattdessen haben wir das 40-Fache ausgegeben, um Chaos zu verbreiten.«

Die Wähler, so Thiel, sind es müde, immer wieder zu hören, dass der Handel und die Globalisierung für alle von Vorteil sei oder dass man Kriege gewinnen könne. Thiel schätzt an Trump, dass er Amerika wieder zu »einem normalen Land mache. Ein normales Land hat kein Handelsdefizit von 500 Milliarden Dollar. Ein normales Land kämpft nicht in unerklärten Kriegen. Ein normales Land macht seinen Job. Und heute ist es wichtig zu erkennen, dass eine Regierung eine Aufgabe hat. Die Wähler sind es satt, von konservativen Politikern zu hören, dass die Regierung und Behörden nicht funktionierten. Sie wissen, dass die Regierung nicht immer so kaputt war. Das Manhattan-Projekt, das Interstate-Autobahnsystem, das Apollo-Programm. Was auch immer sie über diese Unternehmungen denken, man kann keine Zweifel an einer Regierung hegen, die das umgesetzt hat.«

Für Thiel richtet Trump die republikanische Partei auf eine Art neu aus, die »über die Dogmen des Reaganism« hinausgeht und zu einer »neuen amerikanischen Politik führt, die die Lügen bewältigt, das Denken in Blasen ablehnt und mit der Realität rechnet.«

Thiel schließt seinen Vortrag vor den Hauptstadtjournalisten mit den Worten: »Wenn die verstörenden Abschnitte dieser Wahl vorbei sind und die Geschichte unserer Zeit geschrieben wird, bleibt nur eine einzige wichtige Frage: nämlich ob die neue Politik gerade noch rechtzeitig gekommen ist.«450

Trumps Technologieberater

Nach dem für viele überraschenden Sieg von Donald Trump verfielen die meisten Silicon-Valley-Ikonen in eine kurzfristige Depression. Nicht so Thiel. Er war der große Triumphator und hatte wieder einmal mit seiner konträr ausgerichteten Strategie Erfolg. Thiel gab anschließend zu Protokoll, dass er nie an dem Triumph von Donald Trump gezweifelt hat, obschon die Nachrichten und Umfragen gegen ihn waren. »Seine Gewinnchancen wurden sehr stark verkannt, Trump-Wähler wurden in den Umfragen nicht berücksichtigt.« Die Eigendynamik der Wahl hatte für ihn viele Parallelen zum Brexit-Entscheid der Briten. Wäre der Gegner von Trump nicht Clinton, sondern Bernie Sanders gewesen, so wäre es laut Thiel für Trump »viel schwerer geworden zu gewinnen«.451

Über Nacht war Thiel nun Teil der Trump-Administration und als Technologieberater vielleicht in der Rolle seines Lebens. Seine Rede auf dem Nominierungsparteitag der Republikaner und seine Wahlkampfunterstützung hatten sich also in kurzer Zeit bereits ausgezahlt. Das »Start-up« Trump hatte innerhalb weniger Monate ein akzeptiertes Geschäftsmodell und erklomm mit seiner disruptiven Politik die Schalthebel der wichtigsten Wirtschaftsnation des Planeten.

Doch wie kam Thiel in diese Position? Seine beeindruckende Rede auf dem Parteitag und seine finanzielle Unterstützung für Trump verschafften ihm die Aufmerksamkeit von Trumps Schwiegersohn Jared Kushner und seiner Frau Ivanka Trump. Die Kushners sind Thiel wohlbekannt. Joshua Kushner, Jareds Bruder, hat das Start-up Oscar Health gegründet. Es gehört mit einer aktuellen Bewertung von 2,7 Milliarden Dollar zu den Hoffnungsträgern und Vorzeigebeispielen, wie das teure und ineffiziente amerikanische Gesundheitswesen schlanker, effizienter, kundenfreundlicher und digitaler gestaltet werden kann. Thiel investierte in der Vergangenheit über Founders Fund signifikante Beträge in das Start-up. Im Jahr 2016 nahm er an einer 400 Millionen Dollar schweren Finanzierungsrunde teil, bei der auch so namhafte Investoren wie Fidelity und Google Capital mit von der Partie waren.452

Ebenfalls großen Einfluss hatte Thiels Buch ›Zero to One‹. Für die Mitarbeiter in Trumps Wahlkampfteam war es die »Kampagnen-Bibel«. Thiels Aussagen über Start-ups, zum Marketing und zu den Themen Technologie und Globalisierung waren wichtige intellektuelle Leitplanken für das Team.

Thiels Rolle als Trumps Technologieberater wurde erstmals Mitte Dezember 2016, also noch während der Übergangsphase der Präsidentschaft, für die breite Öffentlichkeit sichtbar. Um den Graben zwischen ihm und den Tech-Größen aus dem Silicon Valley zu überwinden und einen konstruktiven Kurs einzuschlagen, arrangierte Thiel ein Treffen zwischen Trump und den Technologiebossen Tim Cook (Apple), Jeff Bezos (Amazon), Larry Page (Alphabet), Sheryl Sandberg (Facebook), Satya Nadella (Microsoft), Elon Musk (Tesla) und Alex Karp (Palantir). Thiel konnte das Treffen als Erfolg verbuchen. War es ihm doch gelungen, nicht nur die wichtigsten Unternehmenslenker der Technologiebranche zu Trump an den Tisch zu bringen, sondern bei Trump auch einen Wandel seiner Rhetorik gegenüber der Tech-Branche zu bewirken. Trump bezeichnete die Runde als »erstaunliche Gruppe von Menschen, es gibt zu ihnen niemanden Vergleichbares auf der Welt«, und er machte deutlich, dass er für sie da sei und ihnen helfen werde. Das hörte sich ganz anders an als während des Wahlkampfs, wo er schwere Geschütze gegenüber Apple und Amazon auffuhr.453

Thiels Regierungsteam

Das Online-Politikmagazin Politico bezeichnete Thiel kürzlich gar als »Schattenpräsident«. Seine engsten Mitarbeiter würden ihn in der Zwischenzeit so nennen. Ein Kampagnen-Unterstützer von Trump meinte denn auch, dass dies nur folgerichtig sei, da Thiel direkt nach den Wahlen seine funktionierende Infrastruktur aus Büros und sein Netzwerk an Personal einbringen konnte. Außerdem nahm er an vielen Meetings teil, woraus sich automatisch eine Machtposition etwickelt.454

Wie bei seinen Start-ups versteht es der brillante Schachspieler Thiel, die richtigen Leute an die richtigen Positionen zu stellen. So kann der bisherige Sumpf in Washington vielleicht ausgetrocknet und ihm vertraute Menschen können als fachliche Experten in Schlüsselpositionen gebracht werden, um technologische Innovationen durch weniger Regulierung voranzutreiben.

Mit Michael Kratsios wird der frühere Stabschef von Thiel Capital neuer stellvertretender Technologiechef (CTO) der Trump-Administration. Der CTO arbeitet in Verbindung mit dem Büro für Wissenschaft und Technologie des Weißen Hauses an Themen rund um Daten, Innovation und Technologie. Vor seiner Zeit bei Thiel Capital war Kratsios für die Finanzen bei Thiels Investmentgesellschaft Clarium Capital verantwortlich.

Jim O’Neill, einer der Partner bei Thiels Risikokapitalfonds Mithril Capital Management, war zunächst als Leiter der Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelzulassungsbehörde gehandelt.455 Sie ist dem Gesundheitsministerium unterstellt. O’Neill hat bereits Erfahrung mit Regierungsämtern. Unter George W. Bush arbeitete er im Ministerium für Gesundheitspflege und soziale Dienste. O’Neill hatte sich in der Vergangenheit dafür ausgesprochen, dass neue Medikamente nicht zeitaufwendige klinische Tests durchlaufen sollten, um ihre Wirksamkeit zu beweisen, bevor sie auf den Markt gebracht werden. Politische Beobachter sehen es schon als einen bedeutenden Erfolg für Thiel an, dass er jemand wie O’Neill für eine so einflussreiche Position ins Spiel bringen konnte.456 Im Mai 2017 entschied sich Trump mit Scott Gottlieb dann doch für eine moderatere Besetzungslösung.457

Ein echter Coup gelang Thiel mit Trae Stephens. Er ist bei Founders Fund Experte für Start-ups, die im Behördenumfeld arbeiten. Stephens leitete das Übergangsteam des Verteidigungsministeriums. Und Stephens hatte keine Scheu, im Pentagon Fragen zu den Beschaffungsprozessen der Militärs zu stellen. Pikant an der Sache ist, dass Palantir, das von Thiel mitgegründete 20-Milliarden-Dollar-Start-up, seit Jahren versucht, gegen die undurchsichtigen Vorgänge im Beschaffungswesen des Militärs vorzugehen. Zuletzt hatte ein Gericht im Oktober 2016 Palantir das Recht zugesprochen, an einer 206 Millionen Dollar schweren Ausschreibung teilzunehmen, von der es ursprünglich ausgeschlossen worden war. Sogar das Fortune-Magazin sah sich genötigt, in einer 13seitigen Titelgeschichte im April 2017 über die unhaltbaren Zustände im Pentagon mit der Bevorzugung alteingesessener Rüstungskonzerne Partei für Palantir zu ergreifen.458

Mit Kevin Harrington und Mark Woolway konnte Thiel zwei weitere Vertraute in das Transformationsteam von Trump entsenden. Harrington wurde in das Führungsgremium des National Security Council (NSC) berufen und soll dabei die freigewordenen Stellen im Handelsministerium neu besetzen. Woolway ist mit derselben Aufgabe im Finanzministerium vertraut. Mark Woolway ist mit Thiel seit 2000 verbunden. Er stieß damals zu PayPal hinzu und war zwischenzeitlich auch Geschäftsführer bei Thiels Hedgefondsgesellschaft Clarium Capital.

Aufsehen erregte die Personalie David Gelernter. Es geht dabei um den Posten des Wissenschaftsberaters von Trump. Auch hier war Thiel der Strippenzieher. Gelernter ist ein prominenter Informatikprofessor der Eliteuniversität Yale. Das Informatikgenie ist eines der Opfer Ted Kacynskis. Er wurde durch eine Briefbombe von Kacynski schwer verletzt. Berühmtheit erlangte Gelernter durch seine Voraussagen zur Bedeutung und Entwicklung des Internet, die mit einer Präzision eines Uhrwerks eintrafen. In seinem Buch ›Mirror World‹ beschrieb er bereits Anfang der 1990er-Jahre Dienste wie Google Search und Google Map. Von Gelernter stammt auch das Buch ›How Imperial Academia Dismantled Our Culture‹, eine anti-intellektuelle Schrift, in der er den Intellektualismus für den Zerfall des Patriotismus und der traditionellen Familienwerte verantwortlich macht. Die Besetzung des Postens durch Gelernter wäre auch deshalb ein Novum, da er weder Physiker noch Biologe, sondern Informatiker ist.459 Gelernter ist gegenüber der generellen These des Klimawandels skeptisch. Für Gelernter ist »die Idee, dass die Menschheit das Klima verändert, eine radikale Hypothese«. Es gibt für ihn denn auch aktuell keinen Beleg für den Klimawandel.460 Thiel und Gelernter sind befreundet. Er gehört auch zu einer ausgewählten Gruppe an herausragenden Intellektuellen und Denkern, die sich auf Einladung von Thiel einmal im Jahr an der französischen Riviera zu einer Konferenz treffen.

Thiels Programmatik

Die Ausgangssituation für Thiel könnte im Moment nicht besser sein. Er hat mit Trump auf das richtige Pferd gesetzt. Thiel hat in Trump und insbesondere in seinem Schwiegersohn Jared Kushner wieder kongeniale Partner gefunden, wie dies bei seinen erfolgreichsten Start-up Unternehmungen PayPal, Facebook und Palantir schon der Fall war. Obschon die Presse immer wieder gemunkelt hatte, ob Thiel nicht doch ein hohes politisches Amt annimmt, ist seine Strategie eine andere. Er weiß, dass er als der politische Denker im Silicon Valley mit seinem Netzwerk und seinen technologischen wie finanziellen Möglichkeiten mehr bewirken kann.

»Eine Seite im Buch der Geschichte ist umgeschlagen, und das eröffnet die Möglichkeit, über einige unserer Probleme aus einer neuen Perspektive nachzudenken«, sagte Thiel unmittelbar nach dem Wahlsieg von Trump. Auch ohne formellen Posten machte er klar: »Ich werde versuchen, dem Präsidenten in jeder Hinsicht zu helfen, so gut ich kann.«461

Es handelt sich also für Thiel um eine einmalige Gelegenheit, eine »once in a lifetime opportunity«, seine Programmatik, die er bisher durch seine Risikokapitalinvestments in Unternehmen aus den Segmenten Internet, Software, Biotechnologie, Transport und Raumfahrt betrieben hat, über den politischen Einfluss sehr viel stärker zu hebeln.

Nicht schlecht für jemanden, der noch 2009 in seinem libertären Manifest mit folgendem Satz aufwartete: »In unserer Zeit ist die wichtigste Aufgabe für Libertäre, einen Ausweg aus der Politik in allen Formen zu finden.« Für ihn waren wir zum damaligen Zeitpunkt »in einem Todesrennen zwischen Politik und Technologie«.462

Programmatische Basis für Thiel ist sein 200-Seiten starkes Buch ›Zero to One‹, das in vielen Ländern umgehend die Bestsellerlisten erklomm. Thiels Kernaussage darin ist, dass der technologische Fortschritt Ende der 1960er-Jahre mit der Mondlandung und den Überschallflugzeugen wie der Concorde seinen Höhepunkt erreicht hat. Wesentliche Gründe für die technologische Stagnation sind seiner Meinung nach das Anspruchsdenken, aber auch die immer stärker um sich greifende staatliche Regulierung. Nur die Computer- und Softwarebranche, so Thiel, konnte sich dem entziehen und in ihrer eigenen digitalen Welt, angetrieben durch Moores Law sowie dem Wachstum der PC- und Internetindustrie, gewaltige Fortschritte erzielen. Doch seiner Meinung nach reicht dies nicht aus, »um unsere Gesellschaft entscheidend voranzubringen«. Blicken die Leute von ihren Smartphones in die reale Welt, stellen sie fest, »dass unsere Umwelt merkwürdig alt und teilweise marode ist. Das U-Bahn-Netz in New York ist über 100 Jahre alt, große Teile unserer Infrastruktur wurden nicht modernisiert«.463

Für Thiel sind Regierungen aber kein hoffnungsloser Fall. Sie haben gezeigt, dass sie komplexe Projekte wie das Atom- oder Raumfahrtprogramm zum Erfolg führen können. Doch über die letzten 40 Jahre hinweg haben hauptsächlich Soziale Sicherheit, das Gesundheitswesen und andere Transferprogramme das politische Handeln bestimmt.

Thiel möchte mit seiner Politik einen Schwerpunkt im Technologiebereich setzen. Globalisierung ist für ihn eine »Copy Paste«-Technik, die es aufstrebenden Ländern wie China und Indien ermöglicht, schnell zu unserer entwickelten Welt aufzuschließen. Wie das Beispiel China zeigt, ist dies auch bereits in Riesenschritten geschehen. Doch China gibt sich damit nicht zufrieden. Das Land sieht sich nicht mehr als »Werkbank der Welt«. Sein Wirtschaftsprogramm 2025 weist den Weg in eine Hightech-Industrie 4.0-Welt gepaart mit alternativen Energien und Elektromobilität. Dazu dienen auch selektive Akquisitionen und Beteiligungen an Hightech-Unternehmen in den westlichen Industrienationen. Zuletzt beteiligte sich der Internetriese Tencent mit fünf Prozent an Tesla.464 Thiels Freund Elon Musk wurde wenige Wochen später von Chinas Vizepremier Wan Yang offiziell empfangen.465 Gemunkelt wird schon länger, dass Tesla eine große Autofabrik in China bauen wird und damit einen breiteren Markteintritt erreicht. So funktioniert heute internationale Wirtschaft in der Champions League. Auch Thiel weiß, dass Handelsschranken und Abschottung nicht mehr funktionieren. Der moderne Kapitalismus und die globalen Kapitalverflechtungen sind nicht aufzuhalten. Umso wichtiger und drängender ist es, einen »New Deal« mit großen Visionen anzustoßen, bei dem der Mut zu technologischen Quantensprüngen an vorderster Stelle steht. Doch die Sache ist auf dem Papier einfacher als in der Umsetzung. Sogar das für seine fortschrittlichen Technologieberichte angesehene Magazin MIT Technology Review titelte bereits im Jahr 2012 ein wenig resigniert »Why We Can’t Solve Big Problems«.466

Auch Thiel ist der Überzeugung, dass staatliche Mittel notwendig sind, um neue Dinge in Gang zu bringen. Für ihn sind die Unternehmen Tesla und SpaceX Paradebeispiele für einen neuen technologischen Level. Beide Unternehmen profitieren aber auch von staatlichen Förderungen (Tesla) und staatlichen Aufträgen (SpaceX). Große Dinge kann man in der Breite nur in einem Konsens aus politischer Vision und privatwirtschaftlichem Mut zum Risiko umsetzen.

Hilfreich dafür könnte das von Trump angekündigte billionenschwere Infrastrukturprogramm sein. Als Finanzierungsquelle könnten just die Technologiekonzerne herhalten. Die Rechnung ist so einfach wie genial: Auf den Auslandskonten der amerikanischen Großkonzerne liegen mehr als zwei Billionen Dollar an unversteuerten Gewinnen. Apple, Alphabet und Co. häufen von Monat zu Monat immer höhere Bargeldbestände an. Trump will im Rahmen seiner geplanten großen Steuerreform den Unternehmen die Rückführung der Gewinne über einen günstigen Steuersatz schmackhaft machen. Beide Seiten hätten etwas davon: Dem amerikanischen Staat würde wohl ein dreistelliger Milliardenbetrag an Steuern zufließen und die Tech-Konzerne könnten die Mittel legal in die USA zurückführen und mit dem Geld in Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten oder in Unternehmensakquisitionen investieren.

Dies könnte die Initialzündung für einen großen Investitionsschub in die technologische und infrastrukturelle Erneuerung der USA sein. Thiel ist ein großer Verfechter eines stärkeren Wirtschaftswachstums. Ein dauerhaftes jährliches Wirtschaftswachstum von über drei Prozent würde zu einem signifikanten Wirtschaftsaufschwung in der Breite führen. Alle Bevölkerungsschichten könnten davon profitieren. China hat mit seinem hohen Wirtschaftswachstum gezeigt, wie Hunderte von Millionen Menschen den Aufstieg in die Mittelschicht geschafft haben.

Die aktuelle Arbeitsmarktstatistik der USA täuscht nahezu eine Vollbeschäftigung vor. Sie suggeriert, dass die Wirtschaft stark genug wächst, um mehr Menschen in Lohn und Brot zu bringen. Tatsächlich ist es aber so, dass viele Langzeitarbeitslose aus der Statistik gefallen sind, weil sie keine Chance mehr auf eine Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt sehen. Außerdem fallen die Lohnsteigerungen außerhalb der Boomregionen New York und Silicon Valley in weiten Teilen des Landes sehr verhalten aus. Es besteht also ein nachhaltiger Bedarf für Innovation und Erneuerung.

Was könnten nun aus der Perspektive von Thiel die wichtigsten Grundpfeiler und Segmente einer fortschrittlichen Innovationspolitik sein?

Ausbildungssektor

Amerika hat einen großen Nachholbedarf in der Bildung und Ausbildung. Stehen weltweit die Eliteuniversitäten Stanford oder Berkeley ganz zuoberst auf den Ranking-Listen der begehrten Studienorte, fehlt es zum einen an der Breite guter Hochschulen, aber auch an Modellen zur Berufsausbildung. Eine duale Berufsausbildung, wie wir es in Deutschland kennen, wird in den USA schmerzlich vermisst. Am besten zeigt sich dies in den Statistiken der sozialversicherungspflichtigen Löhne. Lag die Einkommensdifferenz im Jahr 1979 zwischen Hochschulabsolventen und Menschen, die lediglich einen Highschool-Abschluss hatten, bei 17.400 Dollar, so wuchs die Differenz bis 2012 bereits auf knapp 35.000 Dollar.467 Bei dem medial vielbeachteten ersten Treffen zwischen Donald Trump und Angela Merkel wurde ihm von den Vertretern der deutschen Wirtschaft das deutsche Ausbildungssystem schmackhaft gemacht. Trump zeigte sich davon auch angetan und seine Tochter Ivanka schaute es sich bei ihrer Stippvisite im Rahmen des G20-Frauenkongresses in Deutschland interessiert an. Thiel hält viel von Bildung, aber wenig von den bisherigen Ausbildungssystemen. Er fördert mit seinem Thiel-Fellowship-Programm Start-up Ideen junger Studienabbrecher mit 100.000 Dollar. Er glaubt nicht, dass aus den Hochschulen die inspirierenden Ideengeber kommen, die unsere Gesellschaft auf den nächsten Level bringen. Immerhin hat die amerikanische Risikokapitalszene den Bedarf im Bildungssektor erkannt und finanziert in großem Stile neue Startups. Eines davon ist die Online Universität Udacity, wo Studierende ganz praktische Dinge wie Programmieren von Apps und Webseiten oder die Funktionsweise von künstlicher Intelligenz und Robotik erlernen können.468

Gesundheit

Der Gesundheitssektor gehört zu den bedeutendsten Sektoren und ist dabei immer mehr zu einem Spielball politischer Interessen geworden. Ob Obamacare oder Trumpcare, der amerikanischen Regierung muss etwas Schlagkräftiges einfallen, um das amerikanische Gesundheitssystem effizienter zu gestalten. Für Thiel ist es inakzeptabel, dass amerikanische Bürger zum Teil das Zehnfache der Medikamentenpreise anderer Länder bezahlen müssen. Thiel hat dabei prominente Kritiker auf seiner Seite. »Die Gesundheitskosten sind der Bandwurm der Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft«, so Warren Buffett auf der Hauptversammlung seiner Berkshire Hathaway.469 Thiel fallen dazu viele Beispiele ein. Er ist ein starker Verfechter des medizinischen Fortschritts und möchte selbst 120 Jahre alt werden. Krankheiten wie Alzheimer und Krebs zu besiegen, steht bei ihm ganz oben auf der Agenda. Vorstellbar sind für ihn auch die Nutzung neuer mobiler Geräte, um Menschen bei der Optimierung ihrer Ernährung direkte Rückmeldung zu geben. Er denkt aber auch an Medikamente und Prozesse, die Körperteile verjüngen sollen. Für eine alternde Gesellschaft sind dies wichtige Themen, die seiner Meinung nach viel zu häufig verdrängt werden. Die Innovationen ließen sich durch Einsparungen auf der Medikamentenseite, aber auch durch verbesserte digitale Prozesse im gesamten Gesundheitswesen wie dem Einsatz von Cloud-Computing und Big Data erreichen. Auf der juristischen Seite müsste die Gesetzgebung bezüglich Medikamenteninnovationen, schlankeren klinischen Studien von Medikamenten und des Einsatzes von Biotechnologie progressiver gestaltet werden. Thiel selbst investiert über seine Risikokapitalgesellschaften massiv in diesen Sektor. Sein Analyseunternehmen Palantir arbeitet bereits mit dem deutschen Pharmakonzern Merck an Lösungen für die Krebstherapie.

Öffentliche Verwaltung

Auch im Bereich der Verwaltung sieht Thiel großes Verbesserungspotenzial. »Die grundlegenden Einrichtungen funktionieren genauso schlecht oder noch schlechter als in den dysfunktionalen Ländern Südeuropas«, so Thiel gegenüber dem Magazin Bilanz. Für ihn wäre es schon ein großer Fortschritt, wenn die USA das Niveau von Deutschland erreichen würde.470 Und bekanntlich hinkt auch Deutschland gegenüber den fortschrittlichen baltischen Staaten beim Thema digitale Behördengänge noch weit hinterher. Amerika könnte durch ein gezieltes Investitionsprogramm in die öffentliche digitale Infrastruktur einen erheblichen Effizienzgewinn in der Verwaltung erreichen. Doch Thiel selbst weiß, welch dicke Bretter man dabei bohren muss. Nach wie vor gibt es bei Behörden und Militärs eine große Voreingenommenheit gegenüber den Innovationen aus dem Silicon Valley, wie Thiel mit Palantir erfahren musste. Sie versuchen Dinge mit hohem Ressourcen- und Kosteneinsatz nochmals zu entwickeln, die bereits als kommerzieller Standard verfügbar sind. Hier ist auch ein mentales Umdenken in den Behörden gefordert. Die Obama-Administration hat dazu schon erste Schritte eingeleitet, aber die schiere Komplexität und das große Beharrungsvermögen der Kräfte machen Veränderungen im US-Militärapparat zu einem echten Kraftakt.

Energiesektor

Thiel ist ein großer Anhänger der Atomenergie und plädiert für massive Forschungsaufwendungen in diesem Sektor. Seiner Meinung nach sind Verbesserungen um das Zehnfache möglich. Auch gegenüber der Kernfusion zeigt er sich aufgeschlossen. Sein Freund Elon Musk baut durch den Zusammenschluss von Tesla und Solar City gerade einen neuen integrierten, dezentral aufgestellten Stromanbieter des 21. Jahrhunderts. Mittlerweile liefert Musk sogar Schieferplatten und Dachziegel mit integrierten Solarzellen, die sich homogen einfügen. Warren Buffett, der andere Milliardär mit großen Ambitionen im erneuerbaren Energiebereich, setzt auf große Solar- und Windparks, die ihm helfen, Steuern zu sparen und gleichzeitig neue sprudelnde, wiederkehrende Zahlungsströme liefern.

Wie bereits der Einsatz der Fracking Technologie gezeigt hat, kann Amerika durch den Einsatz eigener Energieressourcen, aber auch durch effizientere Methoden der Energiegewinnung und des Energietransports, erhebliche Produktionswertschöpfung und damit Arbeitsplätze im produzierenden Sektor wieder zurück ins Land holen.

Um die besagten Sektoren zu reformieren, oder zu disruptieren, wie es das Silicon Valley mit dem neuen Modewort ausdrücken würde, braucht es den langen Atem der Gesetzgebung und des politischen Willens, erhebliche finanzielle Mittel, aber auch die Solidarität der amerikanischen Technologiekonzerne. Immerhin gehören mit Apple, Alphabet, Amazon, Facebook und Microsoft fünf amerikanische Tech-Konzerne zu den teuersten Unternehmen der Welt. Mit ihren Innovationen haben sie weltweit nicht nur Milliarden von Kunden, sondern auch eine große Heerschar an Anlegern überzeugt. Es stünde den Konzernlenkern deshalb gut an, der amerikanischen Regierung die Hand zu reichen und einen technologieorientierten »New Deal« anzubieten. Das von Thiel initiierte erste Gespräch im Dezember 2016 zwischen den Technologiebossen und Trump ist ein erster Schritt dahin. Weitere müssen aber zügig folgen, soll aus der Vision Wirklichkeit werden. Allein schöne Worte überzeugen keine Investoren und bei den nächsten Wahlen auch keine Wähler.

Spricht Thiel den Zusammenhang von Innovation, Wirtschaftswachstum und Schaffung neuer Arbeitsplätze an, so wird ihm immer wieder von Ökonomen vorgehalten, dass der technologische Fortschritt eher Arbeitsplätze kosten wird, als das neue geschaffen werden. Es gibt deshalb immer mehr Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens, selbst im Silicon Valley. Das Schreckgespenst der Macht der künstlichen Intelligenz geht um. Menschen seien durch denkende Maschinen ersetzbar.

Für Thiel ist dies aber, zumindest für den Moment und die nahe Zukunft, der falsche Ansatz. »Menschen konkurrieren um Arbeit und Ressourcen, Computer konkurrieren um gar nichts«, so Thiel in seinem Buch ›Zero to One‹.471 Technologie ist für ihn eine Ergänzung der menschlichen Fähigkeiten, die den Arbeitnehmer vor dem Hintergrund des Globalisierungs- und Preisdrucks produktiver macht und ihm Möglichkeiten der höheren Wertschöpfung gibt. Menschen »können planen und in komplexen Situationen Entscheidungen treffen. Computer sind das genaue Gegenteil: Sie sind hervorragende Datenverarbeiter, haben aber schon mit einfachsten Entscheidungen Probleme«, führt Thiel in seinem Buch weiter aus.472 Thiel kann aus eigener Erfahrung berichten, immerhin hat er mit PayPal und Palantir zwei Unternehmen aus der Taufe gehoben, deren zentraler Kern die Analyse von großen Datenmengen sind. In beiden Unternehmen hat es sich als richtig erwiesen, dass Mensch und Maschine ein kooperatives Arbeitspaar bilden, das unter Einsatz der jeweiligen Stärken zur erfolgreichen Lösungsfindung beiträgt.

Deutschland ist dafür ein leuchtendes Beispiel. Trotz oder gerade wegen der hohen Automatisierungs- und Roboterdichte erreichen Unternehmen am Standort Deutschland eine hohe Wertschöpfung, die die Arbeitsplätze im Hochlohnland Deutschland konkurrenzfähig halten. Es kommt sogar noch besser: Der Verband Deutscher Ingenieure (VDI) kündigte zur Hannover-Messe 2017 im Rahmen einer Studie, die mit der Hochschule Karlsruhe und dem Fraunhofer-Institut erstellt wurde, an, dass vor allem Firmen mit hoher Digitalisierungskompetenz Teile ihrer Produktion wieder an den deutschen Standort zurückholen. Die Gründe liegen auf der Hand: Die Digitalisierung ermöglicht eine hochgradige Flexibilisierung der Produktion. Im Internetzeitalter der jederzeitigen Verfügbarkeit erwarten Kunden Produktion und Lieferung in kürzester Zeit. Die Lohnkosten spielen aufgrund der Automatisierung eine untergeordnete Rolle.473

Auf die Frage der Bloomberg Journalistin Emily Chang, ob irgendwann im 21. Jahrhundert Computer Menschen überlegen sind, meinte Thiel, dass dies »primär keine wirtschaftlichen Fragestellungen seien, sondern politische und kulturelle.« Thiel verwendete zur Erklärung eine bildliche Metapher: Es handelte sich für ihn um dieselbe Situation, wie wenn Außerirdische auf der Erde landen würden. Wir würden dann auch nicht fragen Was das für meinen Arbeitsplatz bedeutet. Wir würden fragen: »Sind die freundlich oder nicht freundlich?« Damit trifft Thiel den Kern, öffnet der Politik und Gesellschaft den Horizont und gibt wieder einen wichtigen Impuls zum Nachdenken außerhalb der bisherigen Denkmuster.

Auch Warren Buffetts Geschäftspartner Charlie Munger, der trotz seines hohen Alters von über 90 Jahren technologisch auf der Höhe der Zeit ist, kommentierte auf der Berkshire Hauptversammlung 2017 besorgte Fragen zum Thema künstliche Intelligenz wie folgt: »Sie müssen keine Sorgen haben, wenn die Produktivität um 25 Prozent pro Jahr steigt.« Er sei allerdings mehr besorgt über Produktivitätsraten von weniger als zwei Prozent pro Jahr.474

Die unheimliche (Verführungs-)Macht des Digitalen

»Es gibt zwei Arten von Propaganda«, schrieb Aldous Huxley 1958 für die Retrospektive »Brave New World Revisited« seines berühmten Romans ›Schöne Neue Welt‹:

Eine rationale Propaganda, die auf Fakten und Logik basiert, sowie eine zweite Form der Propaganda, die nicht rational mit den Mitteln der Leidenschaft arbeitet. Die letztere Form, so Huxley, vermeidet logische Argumente und setzt stattdessen auf Schlagwörter … wobei wir bei »Make America great again!« sind, Trumps Wahlkampfmotto.

Huxleys Zeilen stammen aus einer Zeit des 20. Jahrhunderts, zu der seine Leser ganz wesentlich von der Politik der Diktatoren Hitler, Mussolini und Stalin geprägt wurden. Umso erstaunlicher waren die Schockwellen nach dem Brexit-Votum und der Wahl von Trump zum US-Präsidenten. Die Wähler in Großbritannien und insbesondere in den USA waren für viele Experten überraschend offen für einen Systembruch mit dem Bestehenden, also offen für einen disruptiven Wandel, ohne zu wissen, was dieser dann in der Zukunft tatsächlich für das eigene Leben bringen mag.475

Donald Trumps Präsidentschaftswahlkampf war eine Kombination aus seinen genialen Selbstvermarktungsqualitäten und modernster digitaler Wahlkampfführung über Twitter und Facebook. Forbes stellte in einer Nachwahlanalyse denn auch treffend fest, dass »der traditionelle Wahlkampf tot ist«.476 Ein Wahlkampf mit Fernsehwerbespots, allgemeinen Botschaften an alle und Plakatierung großer Tafeln mit den Konterfeis von Politikern erscheint im 21. Jahrhundert so anachronistisch wie das Ausfüllen eines papierenen Überweisungsträgers.

Gerade Trump, dem vorgehalten wird, er denke altmodisch in der analogen Welt und verfüge weder über einen Computer auf seinem Schreibtisch noch über eine E-Mail-Adresse, gewann den Wahlkampf dank der gezielten digitalen Direktansprache von Wählern.

Die Geschichte dahinter könnte als Drehbuchvorlage für einen Hightech-Thriller neuester Prägung herhalten. Der Zeremonienmeister und die graue Eminenz des Trumpschen Digitalerfolgs ist niemand Geringerer als sein Schwiegersohn Jared Kushner. Forbes widmete Kushner postwendend nach der Wahl im Dezember 2016 das Titelbild mit der Schlagzeile »This Guy got Trump Elected«. Dabei kam Kushner zur Rolle des digitalen Wahlkampfmanagers von Trump wie die Jungfrau zum Kinde.

Kushner verdiente sich seine Sporen, ähnlich wie Trump, als Immobilienmogul. Er machte aber auch in der Vergangenheit durch diverse strategische Investments in die Medien- und Digitalszene auf sich aufmerksam. Im Jahr 2006 kaufte er den New York Observer, eine Wochenzeitung, die inzwischen als reine Online-Zeitung über das Leben in New York berichtet. Kushner war auch einer der Initiatoren von Cadre, einem Online-Marktplatz für große Immobiliendeals, an dem Peter Thiel und Alibaba-Chef Jack Ma ebenfalls beteiligt sind. Sein Bruder Josh ist bereits in jungen Jahren ein anerkannter Risikokapitalinvestor, der das bekannte InsurTech-Start-up Oscar Health mitgegründet hat, das inzwischen eine Bewertung von 2,7 Milliarden Dollar erreicht hat.

Kushner gibt denn auch gegenüber Forbes unumwunden zu, dass seine Bekanntschaft mit Thiel und Co. für den digitalen Wahlkampf sehr wichtig war. »Ich habe einige meiner Freunde im Silicon Valley angerufen und sie gefragt, wie sie das Thema skalieren können«, und »sie gaben mir ihre Zulieferunternehmen«. Nachdem Trump für den Parteitag der Republikaner nominiert wurde, machte Kushner Nägel mit Köpfen. Er baute im Stile eines Silicon-Valley-Start-ups innerhalb von drei Wochen eine digitale Wahlkampfzentrale mit 100 Leuten außerhalb von San Antonio auf. In der digitalen Schaltzentrale liefen über eine Google-Map-Karte alle wichtigen Daten zusammen, die für die Entscheidungen der Kampagne von großer Wichtigkeit waren: Reisen, Wahlkampfspenden, Werbung und sogar die Themen für Trumps Reden. Kushner nutzte für das Ankurbeln der Wahlkampfspenden digitale Marketingfirmen, die die Wirksamkeit ihrer jeweiligen Kampagne beweisen mussten. Eine wichtige Rolle spielte auch der Einsatz von maschinellen Lerntechnologien. Immerhin konnte er damit innerhalb von vier Monaten mehr als 250 Millionen Dollar einsammeln, ein Großteil davon von Kleinspendern.

Analytisches Herzstück des Wahlkampfs war der Datenschatz und die Methodiken von Cambridge Analytica, einem kleinen digitalen Thinktank, der die Brexit-Gegner mit zum Erfolg geführt hat. Hinter Cambridge Analytica verbirgt sich der Hedgefonds-Milliardär Robert Mercer, der auch die rechtsgerichtete Meinungsseite ›Breitbart‹ des Trump-Beraters Steve Bannon finanziell unterstützt.

»Politik ist Krieg«, so ließ sich Steve Bannon im Wall Street Journal zitieren.477 Man möchte anfügen, dass der digitale Big-Data-Wahlkampf von Trump Züge eines »Blitzkriegs« hatte. Im Mittelpunkt dabei stand die Datenquelle Facebook. Cambridge Analytica ist es durch Methoden der Psychometrie, dem wissenschaftlichen Versuch, die Persönlichkeit eines Menschen zu vermessen, in Form von einfachen Facebook-Quizzen gelungen, Profile von 230 Millionen Amerikanern zu erstellen. Zu jeder Person sollen 3000 bis 5000 Datenpunkte erhoben worden sein. Alexander Nix, CEO von Cambridge Anlaytics, betonte in einem NBC Interview, dass die Besonderheit in der Verknüpfung der Datenpunkte läge. »Es ist die Summe der Zutaten« und damit vergleichbar einem Kuchenrezept.478 Die Nutzer haben nicht nur ihre Identität, bestehend aus Geschlecht, Alter und Wohnort, in Facebook abgelegt, sondern hinterlassen über ihre täglichen Aktivitäten in Form ihrer Likes, Posts und den geteilten Themen jede Menge digitaler Fußabdrücke, die den Forschern wertvolle Hinweise über das Verhalten liefern.

Der Begriff des »Direkt Marketing« wurde bereits 1961 von dem amerikanischen Werbeexperten Lester Wunderman eingeführt. Doch mit Facebook erreicht die zielgerichtete Ansprache eine ganz neue Dimension. Mit mikroskopischer Präzision können nun Hunderte Millionen Menschen mit individuellen Botschaften angesprochen werden. Das Team von Kushner machte sich Facebooks neue Werbemethode, die sogenannten »dark posts«, zunutze. Damit lassen sich in den Newsfeed von Facebook Meldungen einspielen, die nur die jeweilige Zielgruppe einsehen kann. Mit Unterstützung von Cambridge Analytica konnte Trumps Digitalteam über die »dark posts« sehr präzise Werbebotschaften an den einzelnen Wähler richten, die auf die jeweiligen Persönlichkeitsprofile ausgerichtet waren. Beispielsweise konnte man davon ausgehen, dass Wähler, die eine amerikanische Automarke fahren, eher Trump zugeneigt waren.

Hillary Clinton hingegen setzte stark auf TV-Werbung und investierte mehr als 140 Millionen Dollar in Werbespots.479 Kushners Nachteil des zunächst schmalen Wahlkampfbudgets wendete sich zum Vorteil, da er auf die effektivsten Methoden aus war. Kushner, der im Stile eines Silicon-Valley-Gründers ein disruptives Start-up mit überschaubaren Mitteln zu einer digitalen Wahlkampfmaschine geformt und zum Erfolg geführt hat, durfte sich auch das Lob von höchster Stelle im Valley abholen. »Wenn Trump der CEO war, war Jared effektiv der Chief Operating Officer«, also der Mann, der das Tagesgeschäft geführt hat, so Peter Thiel. Auch die Gegenpartei zollte ihm Respekt. Der frühere Chef von Google, Eric Schmidt, der Hillary Clintons Team für deren Wahlkampftechnologie beratend zur Seite stand, musste anerkennend zugeben, dass »Jared Kushner die größte Überraschung der 2016er-Wahl war.« »Das Beste, was ich sagen kann, ist, er führte die Kampagne mit nahezu keinen Ressourcen«, so Schmidt.480 Im vom Risikokapital überfütterten Silicon Valley gilt dies als eine der höchsten Auszeichnungen, die man aus einem berufenen Mund wie Eric Schmit erhalten kann.

Bei all den technologischen Errungenschaften bleibt aber ein fader Beigeschmack. Man fühlt sich unweigerlich an George Orwells Roman ›1984‹ erinnert, was später auch durch Trumps Administration mit der Aussage zu den »Alternativen Fakten« untermauert wurde. Wie kann es sein, dass ein Wahlkampf in einem Land wie den USA wesentlich durch Facebook und Twitter-Botschaften, die noch dazu nicht unwesentlich aus sogenannten »Fake News« und »Bots« bestanden, entschieden wurde? Im Zentrum der Kritik steht Facebook mit Mark Zuckerberg. Facebook verfügt über einen einzigartigen Datenschatz, bestehend aus persönlichen Daten wie die Namen der Nutzer, deren Ausbildung, Beschäftigung und Einkommen, wohin sie reisen, ihre Hobbies und Aktivitäten, ihre Freunde und ganz wichtig ihre Präferenzen, also »likes« für Marken, Produkte, politische Parteien, Essen, Unterhaltung und Prominente. Dazu kommen die Verhaltensdaten, die Facebook aufzeichnet, wie z. B. jede Seite, die man besucht, jeden »like«-Button, den man betätigt, jeden Einkauf, den man tätigt, und jeden Ort, den man besucht. Wird Facebook damit zu einer »strukturellen Gefahr für eine freie Gesellschaft«?481

Zuckerberg redete in der Vergangenheit die Rolle von Facebook klein und betonte, dass Facebook lediglich ein Plattformanbieter sei, der eine digitale Infrastruktur zur Verfügung stellt, auf der Anwender sich austauschen können. Für die New York Times ist Facebook inzwischen »ein Werbemedium«, das »inzwischen gefährlich einfach als Waffe« nutzbar gemacht werden kann. Will Zuckerberg seiner Rolle als Fürsprecher für Diversität und Offenheit gerecht werden, muss er der New York Times folgend anerkennen, dass Facebook mehr ist als ein soziales Netzwerk.482

Gerade Peter Thiel als das am längsten amtierende Aufsichtsratsmitglied von Facebook kommt eine nicht unwichtige Rolle zu. Thiel kennt wie kaum ein Zweiter die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gesamtzusammenhänge und konnte inzwischen in der Rolle als Politikberater viel Erfahrung sammeln, die er nun im Facebook-Gremium auch einsetzen sollte. Es reicht nicht, wie die Wochenzeitung Die Zeit titelte, dass Zuckerberg 3000 »Putzkräfte fürs Netz« einstellt, »die man getrost als Sozialarbeiter bezeichnen kann«, um Facebook von all den schmutzigen Nachrichten, Falschmeldungen und Hass-Tiraden zu reinigen.483 Ein Unterfangen, das schier unmöglich erscheint. Mittlerweile gehört die Gruppe der Community-Manager zur größten Mitarbeitergruppe bei Facebook. Ein Eingeständnis und eine Kapitulation gegenüber der fortschrittlichen Technik der künstlichen Intelligenz. Noch ist diese nicht so weit, um Facebook von unliebsamen Inhalten zu befreien. Doch die Technologie der künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens wird in den nächsten Jahren sprunghaft an Fahrt aufnehmen. Was folgt dann? Entscheide dann ausschließlich Zuckerberg und seine Algorithmen, was ins Facebook-Netzwerk eingespeist wird?

Erschreckend ist aber auch der Zustand der Medienlandschaft an sich. Die Online-Zeitung Politico stellte in einer Big-Data-Analyse fest, dass die US-Medien in einer Blase arbeiten, wie es vor 2008 nicht der Fall war. Politico folgert weiter, dass die Blase immer größer wird. Ursache dafür ist das Sterben der Regionalzeitungen und das gleichzeitige Wachsen der neuen Medien. Die Wirtschaftskrise nach 2008 und die zunehmende Konsumierung von digitalen Nachrichten hat dazu geführt, dass die Zahl der Mitarbeiter bei Zeitungen von 365.000 im Jahr 2006 auf 174.000 im Jahr 2017 geschrumpft ist. Im Gegenzug wuchsen die Stellen bei digitalen Nachrichten im selben Zeitraum von 69.000 auf aktuell 207.000 Mitarbeiter. Damit arbeiten erstmalig mehr Menschen im Nachrichtenbereich für elektronische Medien als für Printmedien. Die Regionalzeitungen waren in der Vergangenheit starke Gegenpole zu den Leitmedien Wall Street Journal, New York Times, Washington Post und USA Today. Doch die neuen Internetdienste produzieren ihre Nachrichten n zentralen Orten der beiden Schmelztiegel der Ost- und Westküste. Junge Menschen zieht es in diese Wachstumsregionen mit besserer Infrastruktur und angenehmem Lebensstil. Nicht von der Hand zu weisen ist damit das Glaubwürdigkeitsproblem der Medien. Sind sie doch zu 90 Prozent und damit mit erdrückender Mehrheit in Regionen und Staaten beheimatet, die alle pro Hillary Clinton waren. Politico folgert denn auch als Mahnung: »Jeder gibt zu, dass Trumps Wahl ein schlimmer Fehler war. Wenn die Medien daraus nichts lernen, werden sie die nächste Wahl ebenfalls verlieren.«484