To the question of death. »Basically,« Thiel says earnestly, »I’m against it.«507
Während Donald Trump in seiner Rede nach der Vereidigung als Präsident die unbedingte Loyalität gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika als fundamental wichtigen Baustein in den Mittelpunkt seiner politischen Agenda stellte, wurde just bekannt, dass Peter Thiel die Staatsbürgerschaft von Neuseeland besitzt. Hat Thiel damit, wie die Medien spekulierten, wieder einmal auf seine konträre Karte gesetzt? Ist Neuseeland für ihn eine Art »Reserveland«, ein Rückzugsort, wenn eine weltweite Epidemie oder eine Weltwirtschaftskrise drohte?508
Neuseeland, das »Land der langen weißen Wolke«, wie die Maori, Neuseelands Ureinwohner, ihre Heimat aus zwei Inseln nennen, hat es Peter Thiel schon länger angetan. Thiel, der nach der perfekten Gesellschaftsform sucht, scheint in Neuseeland sein Idealbild und Nimmerland, sein »Utopia«, wie er es verschiedentlich formulierte, gefunden zu haben. Neuseeland, das bei uns als Destination am Ende der Welt für Abenteuersportler, Rucksacktouristen, aber auch für Schüler, die zwischen Abitur und Studium noch schnell weltmännische Erfahrungen in pittoresker Natur sammeln wollen, bekannt ist, ist für Thiel der logische Zwischenschritt seiner zukunftsgerichteten Vision zwischen Seasteading und dem Leben auf einem anderen Planeten.
Für Neuseeland spricht auch die Verbindung zu »Herr der Ringe«. Thiel ist bekanntlich ein großer Tolkien-Fan und hat seinen Unternehmungen wie Planatir und Mithril Namen aus ›Herr Der Ringe‹ gegeben. An Neuseeland schätzt er auch die liberalen und fortschrittlichen Gesetze, wozu durchaus die attraktive und progressive Steuergesetzgebung zählen dürfte.
Thiel reiht sich damit ein in ein Silicon-Valley-Phänomen: Obschon die Vordenker für eine neue Welt gerne viel Optimismus in der Öffentlichkeit versprühen, wenn sie ihre Innovationen als gesellschaftliche Durchbrüche messiasartig ihrer weltweit treu ergebenen Fangemeinde präsentieren, sorgen sich immer mehr wohlhabende Silicon-Valley-Größen um ihre eigene Zukunft. Während Thiel sich ein Zufluchtsort im malerischen Neuseeland ausgesucht hat, kaufen sich andere in luxuriöse Bunkeranlagen ein, horten Treibstoff und Nahrungsmittel. Sollte es zu einem Krieg, einer Wirtschaftskrise oder Epidemie kommen, so helfen nur ganz elementare irdische Werte. Die Protagonisten der virtuellen Welten haben dies verinnerlicht und positionieren sich entsprechend. Vielen gemein ist eine geradezu dystopische Sicht auf die Welt. Wer viel hat, kann eben auch viel verlieren.
Doch wie wird sich die irdische Welt in den nächsten Jahren und Jahrzehnten entwickeln? Schlüssel dafür sind auf der einen Seite die Globalisierung und auf der anderen Seite die Innovationen und technologischen Durchbrüche. Nicht erst seit Trump wird die Globalisierung nicht mehr als allein seligmachender Wachstumsmotor angesehen. Auch in harten Zahlen lässt sich dies belegen. Das Wachstum des globalen Bruttosozialprodukts ist von einem Spitzenwert in den 1960er-Jahren von sechs Prozent auf drei Prozent im Jahr 2015 zurückgegangen. Die Digitalisierung führt zu einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, da sie die Produktivität pro Mitarbeiter erhöht und damit die Arbeitskosten reduziert. Mehr Jobs, auch in der Produktion, entstehen wieder nahe dem Endverbraucher, der zukünftig seine Waren per App nahezu in Realzeit geliefert bekommen möchte. Doch hierfür braucht es neue, flexible und sehr gut ausgebildete Arbeitskräfte und ein hohes Maß an Digitalkompetenz und technischem Verständnis. Wie Thiel richtig analysiert, ist der Bildungsbereich vielleicht die wichtigste Baustelle überhaupt. Investitionen in Bildung sind weltweit der Schlüssel für mehr Innovationen, Wertschöpfung und Wohlstand.
Thiels Credo von »Doing more with less« könnte aus dem Nachhaltigkeitsbericht eines großen Unternehmens oder einer ökologisch ausgerichteten Partei stammen. Wir leben in einer Welt, in der die Bevölkerungszahlen weiter steigen und der Ressourcenhunger nach Rohstoffen und Energie ungebrochen ist. Wie uns die Abgasskandale zeigen, reicht es nicht mehr, Technologien nur evolutionär voranzutreiben. Möglicherweise sind wir nicht nur durch die gesetzgeberischen Regulierungen, sondern auch durch technologische Herausforderungen an Grenzen gestoßen.
Thiel sieht uns in einer Innovationskrise und die Gründe lassen sich auch wissenschaftlich belegen. Der Makroökonom Nick Bloom von Thiels Alma Mater, der Stanford University, legte jüngst eine Untersuchung vor, die belegt, dass Wirtschaftswachstum das Ergebnis kreativer Ideen und Innovationen. Obwohl seit 1930 die Anzahl der Mitarbeiter in den Bereichen Forschung und Entwicklung um mehr als das 20-Fache gestiegen ist, sank ihre kollektive Produktivität um den Faktor 41. Ein gutes Beispiel dafür bietet die Computertechnik. Der Co-Gründer von Intel, Gordon Moore, präsentierte 1965 sein inzwischen weltberühmtes Theorem (»Moores Law«), wonach sich die Rechenleistung von Mikroprozessoren, dem Herzstück von Computern, Tablets und Smartphones, alle zwei Jahre verdoppelt. Auch über 50 Jahre später ist sein Theorem nach wie vor gültig und war hauptverantwortlich dafür, dass, wie Thiel gerne betont, die Informationstechnik eine Art Oase der Innovation über die zurückliegenden fünf Dekaden war. Doch der Preis dafür ist teuer erkauft: Die Stanford-Forscher fanden heraus, dass der Forschungsaufwand hinter dem Mooreschen Gesetz heute um den Faktor 78 höher liegt als 1971.509
Thiel und Trump sind sich wie viele Forscher einig, dass nur ein Wirtschaftswachstum von mehr als drei Prozent pro Jahr zu höherwertigen Beschäftigungsverhältnissen führt und damit auch die Mittelschicht wieder durch ein Reallohnwachstum am Aufschwung partizipiert. Untersuchungen zeigen, dass nur die oberen zehn Prozent der Einkommen signifikant von der Globalisierung durch höhere Löhne profitiert haben. Der Vermögenszuwachs und damit die Kapitalgewinne wiegen zudem deutlich stärker als Einkommenszuwächse. Die Nullzinspolitik der Notenbanken entwertet die Einlagen kleiner Sparer und bietet stattdessen günstige Finanzierungs- und Anlagebedingungen für Unternehmen und Vermögende. Die Konsequenz daraus sind boomende Aktien- und Immobilienmärkte, die zu einer noch stärkeren Vermögenskonzentration führen.
Um ein stärkeres Wirtschaftswachstum und eine breitere Partizipation der Bevölkerung an den Früchten ihrer Arbeit zu erzielen, bedarf es aber eines neuen Innovationspakts zwischen Staat und Unternehmen. Thiel in seiner Rolle als Technologieberater von Donald Trump scheint hier geschickt die Fäden zu ziehen. Unter Führung von Trumps Schwiegersohn Jared Kushner sollen die amerikanischen Behörden modernisiert und auf den neuesten technischen Stand gebracht werden. Trump geht von Einsparungen bis zu einer Billion Dollar über zehn Jahre aus. Gleichzeitig sollen die Bürger Behördenservice in einer völlig neuen Qualität erfahren. Schlüssel dafür ist für Kushner die Freisetzung kreativer Lösungen des Privatsektors. Die Tech-Größen aus dem Silicon Valley nehmen den Ball dankbar auf. Tim Cook betonte, dass die USA die modernste Verwaltung der Welt haben sollten, was aktuell aber nicht der Fall sei.510 Gelingt es, eine solche Allianz zu schmieden, könnte daraus eine neue Form der Public-Private-Partnership für technologische Innovation entstehen.
Werden die USA die führende Technologienation der Welt bleiben? Thiel ist noch davon überzeugt, dass das Silicon Valley das Zentrum der Innovation darstellt. Doch auch für ihn ist dies kein Selbstläufer. Der Netzwerkeffekt aus der Stanford University, einem Netzwerk aus Risikokapitalgebern und Hightech-Unternehmen, hat zu einer einzigartigen Symbiose geführt und Innovationen und Unternehmen nahezu am Fließband produziert. Thiel hält den Netzwerkeffekt aber auch für gefährlich, kann er doch »auch außer Kontrolle geraten«.511
Länder wie China geben sich nicht mehr zufrieden, nur die verlängerte Werkbank der Welt zu sein. Chinas Präsident Xi Jinping setzte sich und seinem Land bis 2021 zwei ambitionierte Ziele: Das Bruttosozialprodukt soll sich, von 2010 ausgehend, bis 2021 verdoppeln und China bis 2049 zu einer »voll entwickelten, reichen und mächtigen Nation« machen.512 Auch die Chinesen haben als Schlüssel das Thema Hightech und Innovationen erkannt. Chinas ambitionierter Technologieplan 2025 soll das Land in die führende Position bei Schlüsseltechnologien wie künstlicher Intelligenz, Elektromobilität und Automatisierungs- und Robotertechnik bringen. Geschickte Akquisitionen in westlichen Schlüsselindustrien sollen die eigenen Innovationsanstrengungen abkürzen und beschleunigen, eine Herausforderung für den technologischen Machtanspruch der USA.
Wie wird sich das Leben der Menschen im 21. Jahrhundert weiterentwickeln? Die großen Fortschritte bei der Rechenleistung von Smartphones und Computern bringen uns der künstlichen Intelligenz ein großes Stück näher. Daten sind heute schon eine zentrale Ressource der großen Internetkonzerne. Unser Leben wird weniger frei sein als heute. Alles wird über jeden Einzelnen bekannt sein, von den individuellen Vorlieben über den Gesundheitszustand, den finanziellen Verhältnissen bis zum Bewegungs- und Konsumentenprofil. Und das rund um die Uhr. Papiergeld wird es nicht mehr geben, die omnipräsente Bankfiliale wird aus dem Straßenbild verschwinden. Werden wir uns humanoide Roboter als Heimbutler halten, die uns auch in einer immer älter werdenden Gesellschaft am Arbeitsplatz und privat assistieren und damit unser Leben angenehmer gestalten?
Die fünf großen Tech-Monopolisten Apple, Alphabet, Amazon, Facebook und Microsoft strotzen vor Kraft und baden förmlich in ihren hohen Mittelzuflüssen. Facebook hat seinen Cash-Flow innerhalb von fünf Jahren von 377 Millionen auf 11,6 Milliarden Dollar, also um das 30-Fache gesteigert, Amazon innerhalb von 15 Jahren von 135 Millionen auf 9,7 Milliarden Dollar und damit um das 71-Fache, Google gar im selben Zeitraum von 18 Millionen auf 25,8 Milliarden Dollar um das 1400-Fache.513 Die Zahlen zeigen, wie und in welchen Branchen im 21. Jahrhundert Werte geschaffen werden. Es sind die von Thiel propagierten Unternehmen, die monopolistische Stellungen in der Digitalwirtschaft einnehmen und durch Netzwerkeffekte überproportional gewachsen sind. Mit den hohen Barmittelzuwächsen können die Unternehmen ihre Marktstellung durch gezielte Unternehmenskäufe ausbauen. Google tat dies mit YouTube, Facebook mit Instagram und WhatsApp und Amazon zuletzt mit dem Kauf der Supermarktkette Whole Foods.
In welche Welt wird uns dies führen? Blüht uns ein Leben zwischen George Orwells ›1984‹ und Aldous Huxleys ›Schöne neue Welt‹? Wird das Leben geprägt sein von totaler Orwellscher Überwachung oder wird es eher Huxleys Vision vom Leben in Stabilität, Frieden und Freiheit ähneln?
Welche Rolle wird die künstliche Intelligenz einnehmen? Wird sie zum großen Jobkiller? Thiel hat mit seinen Unternehmen PayPal und Palantir andere Erfahrungen gemacht. Computer und Algorithmen haben ihre spezifischen Stärken, ebenso wie Menschen. Die Zusammenarbeit der beiden, also die kollaborative Form von Mensch und Maschine, liefert herausragende Ergebnisse. Thiel gehört mit der Initiative Open AI neben Elon Musk zu den Protagonisten, die betonen, dass die Arbeit an künstlicher Intelligenz offen und transparent und für die Allgemeinheit zugänglich sein muss, damit sich kein einzelner Konzern dieser Technologie monopolistisch bemächtigen kann. Dies ist ein notwendiges Korrektiv in einer Schlüsseltechnologie, haben sich doch die fünf großen Tech-Konzerne viele der bedeutenden Unternehmen und Start-ups im Bereich künstlicher Intelligenz bereits einverleibt.
Müssen Algorithmen einem TÜV unterzogen und reguliert werden? Die Diskussion um Facebook, Fake News und den Missbrauch des sozialen Netzwerks steht erst am Anfang. Es bedarf eines neuen Rechtsrahmens, der die Menschen schützt, aber unternehmerische Freiheit und Innovation gleichzeitig nicht bremst.
Die Raumfahrt, lange Zeit allein in der Hand staatlicher Organisationen wie NASA und ESA, ist inzwischen zum Spielball der Milliardäre geworden mit ihren ambitionierten Programmen, neue Lebensmöglichkeiten außerhalb des Planeten Erde zu schaffen. Thiel gehört mit seinen Investments unter anderem in die Raumfahrtfirma SpaceX von Elon Musk zu den wichtigsten Förderern. Auch Jeff Bezos von Amazon mischt mit seinem Unternehmen Blue Origin bei Raumtransportern mit. Er gab erst kürzlich bekannt, jährlich eine Milliarde Dollar aus seinem Privatvermögen in seine Raumfahrtambitionen zu investieren. Der hohe Börsenkurs von Amazon und sein damit verbundener Reichtum machen dies möglich.
Doch wie realistisch ist das von Thiel, Musk und Bezos anvisierte Leben auf dem Mars? Erst kürzlich hat Elon Musk den Start seiner Marsmission um zwei Jahre auf 2020 verlegt. Die Raumsonde soll Erkenntnisse über Technologien für die Landung von Menschen sammeln. Bereits 2024 sollen die ersten Menschen mit SpaceX-Raumschiffen zu unserem roten Nachbarplaneten aufbrechen. Selbst der Möbelhersteller IKEA beschäftigt sich mit der Kolonisierung des Mars. In der Wüste von Utah errichtete das Unternehmen eine Forschungsstation, die das Leben auf dem Mars simulieren soll. Im Mittelpunkt der Entwicklungen stehen dabei Erfahrungsgewinne aus den extremen Lebensumständen auf dem Mars für die ressourcenschonende Entwicklung von Möbeln auf der Erde.514 Also ganz irdische Motivationen. Ein Beispiel dafür, wie der Innovationswettlauf um die Eroberung des Weltalls zur Verbesserung der Lebensumstände auf der Erde führen kann. Die Satellitentechnik war eine wichtige Errungenschaft des ersten Raumfahrtbooms der 1960er-Jahre mit der Eroberung des Monds. Ohne sie wären die weltumspannenden Telekommunikations- und TV-Übertragungen, aber auch die Wetterbeobachtung für die Luft- und Schifffart sowie in der Landwirtschaft, nicht möglich gewesen.
Thiels Vision vom fliegenden Auto rückt näher. Just aus seinem Geburtsland Deutschland schickt sich das Start-up Lilium an, die Vision eines elektrisch angetriebenen Lufttaxis in Form eines drohnenähnlichen Senkrechtstarters Realität werden zu lassen. Der unbemannte Erstflug des 2015 gegründeten Start-ups verlief im Frühjahr 2017 erfolgreich. Das Lufttaxi könnte zum Beispiel einen Flug von Manhattan zum JFK-Flughafen in New York von den üblichen 55 Minuten mit dem Auto auf 5 Minuten verkürzen, und das zu deutlich günstigeren Preisen. Das Start-up kalkuliert mit Preisen von anfänglich 36 Dollar, die langfristig auf 6 Dollar sinken sollen. Der Preis für die vergleichbare konventionelle Taxifahrt liegt bei stattlichen 56 bis 73 Dollar. Die Regierung von Dubai setzt seit Sommer 2017 testweise Taxi-Drohnen eines chinesischen Unternehmens ein. Ab dem Jahr 2030 sollen bereits ein Viertel aller Personentransporte mit autonom betriebenen Verkehrsmitteln bestritten werden.
Bleibt noch der Ausblick zum Thema Lebensverlängerung und Unsterblichkeit. »Grundsätzlich bin ich dagegen«, so Thiel auf die Frage, was er von dem Thema Sterblichkeit hält. Wie beschrieben investiert er über seine Beteiligungsgesellschaften und seine philanthropischen Aktivitäten massiv in diesen Zweig. Alphabet hat dem Thema gar eine eigene Unternehmung gewidmet und Mark Zuckerberg kündigte zusammen mit seiner Frau Priscilla Chang im Jahr 2016 eine drei Milliarden Dollar schwere Initiative an, die das Ziel hat, menschliche Krankheiten zu besiegen.515
Die nahe und ferne Zukunft wird zeigen, welche Innovationen unser Leben nachhaltig und vor allem welche es zum Besseren verändern. »Technologischer Fortschritt wird nicht alle Probleme der Menschheit lösen, aber ohne technologischen Fortschritt werden wir gar kein Problem lösen«, so Thiel 2016 im Gespräch mit Jens Spahn, dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen.516
Seien wir also gespannt auf die nächsten strategischen Schachzüge von Peter Thiel!