Kapitel 3
Leben mit Vater

Pretoria in den 1980ern

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Elon spielt mit einer Schildkröte, Errol sieht zu (oben links); Kimbal und Elon mit Peter und Russ Rive (oben rechts); die Lodge im Timbavati-Wildreservat (unten)

© O. l.: Mit freundlicher Genehmigung von Maye Musk; o. r.: Mit freundlicher Genehmigung von Peter Rive; u.: Mit freundlicher Genehmigung von Kimbal Musk

Der Umzug

Mit zehn Jahren traf Elon eine schicksalhafte Entscheidung, die er später zutiefst bereuen sollte. Er beschloss, zu seinem Vater zu ziehen. Dafür nahm er allein den gefährlichen Nachtzug von Durban nach Johannesburg. Als er seinen wartenden Vater auf dem Bahnhof entdeckte, strahlte er »vor Freude wie die Sonne«, wie Errol sagt. »Hi, Dad, lass uns einen Hamburger holen!«, rief er. An jenem Abend krabbelte er zu seinem Vater ins Bett und blieb die ganze Nacht über dort.

Warum hat er sich entschieden, zu seinem Vater zu ziehen? Elon seufzt und schweigt fast eine Minute, als ich ihn das frage. »Mein Dad war einsam, so einsam, und ich fand, ich sollte ihm Gesellschaft leisten«, meint er schließlich. »Er hat psychologische Tricks benutzt.« Außerdem liebte er seine Großmutter, Errols Mutter Cora , die Nana genannt wurde. Sie überzeugte ihn davon, dass es unfair sei, dass seine Mutter alle drei Kinder habe und sein Vater keins.

In gewisser Weise war der Umzug zu seinem Vater gar nicht so verwunderlich. Elon war noch ein Kind, in sozialer Hinsicht unsicher, und er hatte keine Freunde. Seine Mutter war liebevoll, aber überarbeitet, abgelenkt und verletzlich. Sein Vater war dagegen angeberisch und männlich. Ein großer Kerl mit riesigen Pranken und faszinierender Ausstrahlung. Damals besaß er ein goldfarbenes Rolls-Royce-Cabrio und, noch wichtiger, zwei mehrbändige Enzyklopädien, viele weitere Bücher und jede Menge Werkzeuge.

All das erschien reizvoll für einen Zehnjährigen, und so hatte Elon entschieden, bei ihm zu wohnen. »Das erwies sich als richtig schlechte Idee«, sagt er. »Ich hatte bis dahin nicht gewusst, wie furchtbar er war.« Vier Jahre später folgte Kimbal ihm: »Ich wollte meinen Bruder nicht mit ihm allein lassen. Mein Dad hat meinem Bruder ein schlechtes Gewissen gemacht, damit er zu ihm zog. Und dann hat er mir ein schlechtes Gewissen gemacht.«

»Warum wollte er bei jemandem leben, der allen wehtat?«, fragte sich Maye Musk vierzig Jahre später. »Warum hat er nicht ein glückliches Zuhause vorgezogen?« Sie schweigt einen Moment lang. »Vielleicht weil er einfach so ist.«

Nachdem die Jungs bei ihm waren, halfen sie Errol, im Timbavati-Wildreservat, einer unberührten Buschgegend etwa 480 Kilometer östlich von Pretoria, eine Lodge zu errichten, die man an Touristen vermieten konnte. In der Bauphase schliefen sie nachts gleich neben dem Feuer, die Browning-Gewehre stets griffbereit. Als Ingenieur beschäftigte sich Errol eingehend mit den Eigenschaften verschiedener Materialien: Die Ziegel waren aus Lehm, das Dach aus Gras und die Fußböden aus Glimmer, ein guter Isolator gegen die Hitze. Auf der Suche nach Wasser rissen Elefanten oft die Rohre heraus, und regelmäßig drangen Affen in die Pavillons ein und hinterließen dort ihre Haufen, sodass es für die Jungs viel Arbeit gab.

Elon begleitete häufig Gäste auf die Jagd. Obwohl er nur über eine 22-Kaliber-Büchse verfügte, hatte die eine gute Reichweite, und er wurde damit zum erfahrenen Schützen. Er gewann sogar bei einem lokalen Wettbewerb im Tontaubenschießen, allerdings verweigerte man ihm den Preis – eine Kiste Whiskey –, weil er dafür noch zu jung war.

Als Elon neun war, nahm sein Vater ihn, Kimbal und Tosca mit auf eine Amerikareise. Sie fuhren von New York durch den Mittleren Westen bis hinunter nach Florida. Elon fing damals Feuer für die mit Münzen zu betreibenden Videospielautomaten, die in den Lobbys der Motels herumstanden. »Das war die mit Abstand spannendste Sache«, sagte er. »So was gab es damals in Südafrika noch nicht.« Errol legte während der Reise eine Mischung aus Extravaganz und Sparsamkeit an den Tag. So mietete er zwar einen Thunderbird, übernachtete mit den Kindern aber in billigen Absteigen. »Als wir in Orlando ankamen, weigerte mein Vater sich, mit uns Disney World zu besuchen, weil es zu teuer war«, erinnert Musk sich. »Ich glaube, wir waren dann stattdessen in irgendeinem Wasserpark.« Wie so oft hat Errol eine andere Version der Geschichte parat. Er behauptet, sie seien auch in Disney World gewesen, wo Elon vor allem die Fahrt durchs Spukhaus gefallen habe, und auch im Six Flags Over Georgia. »Auf der Reise habe ich ihnen immer wieder gesagt: ›Amerika ist der Ort, wo ihr eines Tages leben werdet.‹«

Zwei Jahre später nahm er die drei mit nach Hongkong. »Mein Vater hatte da einerseits tatsächlich geschäftlich zu tun, ging aber auch mit irgendwas hausieren«, erinnert sich Musk. »Er ließ uns im Hotel zurück, das ziemlich runtergekommen war, und gab uns nur ungefähr 50 Dollar. Dann verschwand er für zwei Tage.« Sie schauten sich Samurai- und Zeichentrickfilme auf dem Hotelfernseher an, ließen Tosca aber auch zurück und streiften durch die Straßen der Stadt, um in Elektrogeschäften gratis Videospiele auszuprobieren. »Heutzutage würde jemand den Jugendschutz verständigen, wenn einer machen würde, was unser Dad getan hat«, sagt Musk, »aber für uns war es damals ein wunderbares Erlebnis.«

Eine Bande von Cousins

Nachdem Elon und Kimbal zu ihrem Vater in einen Vorort von Pretoria gezogen waren, siedelte Maye ins nahe Johannesburg um, damit die Familie leichter zusammen sein konnte. Freitags fuhr sie zu Errols Haus, um die Jungs abzuholen. Dann besuchten sie ihre Großmutter, die unerschütterliche Winnifred Haldeman . Ihren Hühncheneintopf hassten die Kinder dermaßen, dass Maye hinterher immer mit ihnen Pizza essen ging.

Normalerweise übernachteten Elon und Kimbal dann im Haus neben dem der Großmutter, wo Mayes Schwester Kaye Rive und deren drei Söhne wohnten. Die fünf Cousins – Elon und Kimbal Musk sowie Peter , Lyndon und Russ Rive – wurden zu einer eingeschworenen und manchmal kampflustigen Truppe junger Abenteurer. Maye war nachsichtiger und weniger behütend als ihre Schwester. Deshalb konspirierten die Jungs mit ihr, wenn sie ein Abenteuer ausheckten. »Wenn wir zum Beispiel zu einem Konzert nach Johannesburg wollten, dann sagte sie zu ihrer Schwester: ›Ich bringe die Jungs heute Abend zu einem Camp von der Kirche‹«, schmunzelt Kimbal. »Dann setzte sie uns ab, und wir zogen los, um Unsinn zu machen.«

Solche Ausflüge konnten gefährlich sein. »Bei einem Zwischenstopp des Zuges gab es einmal eine fürchterliche Schlägerei. Wir sahen, wie ein Kerl ein Messer in den Leib gerammt bekam«, sagt Peter Rive . »Wir versteckten uns im Abteil, bis sich die Türen schlossen und es weiterging. Manchmal stieg auch eine Gang in den Zug, um irgendwelche Rivalen zu verfolgen. Die Typen randalierten dann durch die Waggons und schossen mit Maschinenpistolen um sich.«

Einige der Konzerte, die die Jungs damals besuchten, waren Protestaktionen gegen die Apartheid, so wie jenes 1985 in Johannesburg, zu dem 100 000 Menschen zusammenkamen. Auch bei solchen Veranstaltungen kam es immer wieder zu Raufereien. »Wir versuchten nicht, uns vor der Gewalt zu verstecken, wir lernten, sie zu überleben«, sagt Kimbal . »Das lehrte uns, keine Angst zu haben, aber auch keine wirklich verrückten Sachen zu tun.«

Elon erwarb sich den Ruf des besonders Furchtlosen. Wenn die Cousins ins Kino gingen und andere Leute lärmten, dann war er derjenige, der hinging und sie aufforderte, leise zu sein. Sogar wenn sie viel größer oder älter waren als er. »Es ist für ihn eine große Sache, sich bei seinen Entscheidungen nicht von Furcht beeinflussen zu lassen«, sagt sein Cousin Peter. »Und das war auch schon so, als er noch ein Kind war.«

Elon galt auch als derjenige, der am meisten auf Wettbewerb aus war. Als sie einmal mit den Fahrrädern auf dem Weg von Pretoria nach Johannesburg waren, trat er so heftig in die Pedale, dass er den anderen weit voraus war. Die stiegen ab und ließen sich per Anhalter von einem Pick-up mitnehmen. Als sie Elon eingeholt hatten, war er so wütend, dass er mit Fäusten auf sie losging. Es sei ein Rennen gewesen, sagte er, und sie hätten geschummelt.

Solche Auseinandersetzungen gab es oft. Häufig fanden die Schlägereien in der Öffentlichkeit statt. Auf ihre Umgebung schienen die Jungs dabei gar nicht zu achten. Eine der vielen Prügeleien zwischen Elon und Kimbal ereignete sich auf einem Jahrmarkt. »Sie rangen miteinander und schlugen sich gegenseitig zu Boden«, erinnert sich Peter . »Die umstehenden Leute flippten aus, und ich musste denen sagen: ›Das ist keine große Sache. Die Jungs sind Brüder.‹« Obwohl es meist um Kleinigkeiten ging, konnten sie einander übel mitspielen. »Um zu gewinnen, musste man der Erste sein, der zuschlug oder dem anderen in die Eier trat«, sagt Kimbal. »Dann war der Kampf zu Ende, weil du nicht weitermachen kannst, wenn du einen Tritt in die Eier abgekriegt hast.«

Der Schüler

Musk war ein guter Schüler, aber kein Superstar. Mit neun und zehn Jahren hatte er Bestnoten in Englisch und Mathe. »Schnell begreift er neue mathematische Konzepte«, schrieb sein Lehrer. In seinen Zeugnissen gab es aber auch immer wieder Bemerkungen wie diese: »Er arbeitet extrem langsam, entweder weil er träumt oder weil er etwas tut, das er nicht machen soll.« – »Selten bringt er etwas zu Ende. Im kommenden Jahr muss er sich auf seine Arbeit konzentrieren und während des Unterrichts nicht vor sich hin träumen.« – »Seine Aufsätze zeigen eine lebhafte Fantasie, aber er wird nicht immer rechtzeitig fertig.« Seine durchschnittlichen Ergebnisse, bevor er auf die Highschool kam, waren 83 von 100 Punkten.

Nachdem er an der staatlichen Highschool gemobbt und verprügelt worden war, steckte sein Vater ihn in eine Privatschule, die Pretoria Boys High School. Nach englischem Vorbild herrschten dort strenge Regeln, man schlug die Schüler mit dem Stock, Kirchgang war Pflicht, ebenso das Tragen einer Schuluniform. An der neuen Schule erzielte Elon exzellente Noten, mit Ausnahme von zwei Fächern: Afrikaans (im letzten Jahr erreichte er nur 61 von 100 Punkten) und Religion (»strengt sich nicht an«, notierte der Lehrer). »Ich habe nicht wirklich viel Mühe in Dinge investiert, die ich bedeutungslos fand«, sagt Elon. »Dann las ich lieber oder spielte Videospiele.« In Physik bekam er in seinem Abschlusszeugnis ein A, aber – etwas überraschend – in Mathe nur ein B.

In seiner Freizeit bastelte er gern kleine Raketen und experimentierte mit verschiedenen Mixturen, zum Beispiel mit Chlor für Swimmingpools und Bremsflüssigkeit, um zu sehen, was am heftigsten knallte. Er lernte auch Zaubertricks und Hypnotisieren. Einmal machte er Tosca glauben, sie sei ein Hund, und brachte sie dazu, grünen Speck zu essen.

Wie später auch in Amerika dachten die Cousins sich alle möglichen unternehmerischen Projekte aus. Einmal produzierten sie zu Ostern Schokoladeneier, die sie in Folie wickelten und in der Nachbarschaft verkauften. Dabei kam Kimbal ein genialer Gedanke. Anstatt die Eier billiger anzubieten als die aus dem Supermarkt, verlangten sie mehr dafür. »Manche Leute weigerten sich, das zu bezahlen«, lacht er, »aber wir erklärten ihnen, ›damit unterstützt ihr künftige Kapitalisten‹.«

Lesen blieb Elons seelische Rückzugsmöglichkeit. Manchmal vertiefte er sich für einen ganzen Nachmittag und den Großteil der Nacht in die Lektüre, auch mal neun Stunden am Stück. Wenn die Familie bei Bekannten eingeladen war, dann verschwand er in der Bibliothek der Gastgeber. Ging es in die Stadt, setzte er sich ab, und sie fanden ihn später in einer Buchhandlung wieder, wo er geistesabwesend am Boden saß. Er war auch ein großer Comicfan. Die unbeirrbare Leidenschaft der Superhelden beeindruckte ihn. »Immer versuchen sie, die Welt zu retten. Mit außen getragener Unterhose oder in diesen hautengen Rüstungen, was ja ziemlich seltsam ist, wenn man so darüber nachdenkt«, sagt er. »Aber sie versuchen wirklich , die Welt zu retten.«

Musk arbeitete sich auch durch die beiden Enzyklopädien seines Vaters und wurde nach Aussagen seiner in ihn vernarrten Mutter und seiner Schwester ein »genialer Junge«. In den Augen anderer Kinder war er vor allem ein nerviger Nerd. »Schaut euch den Mond an, der muss doch eine Million Kilometer weit weg sein«, rief einer der Cousins einmal. Darauf Elon: »Nein, es sind ungefähr 384 000 Kilometer, je nach Orbit.«

Ein Buch, das er im Büro seines Vaters entdeckt hatte, beschrieb großartige Erfindungen, die eines Tages in der Zukunft gemacht würden: »Ich kam von der Schule zurück und verzog mich in einen Nebenraum im Büro meines Vaters, wo ich es wieder und wieder las.« Eine der Ideen war eine Rakete mit Ionenantrieb, die statt normalem Treibstoff Partikel verwendete. Musk beschrieb mir spätabends im Kontrollraum seiner Raketenbasis im Süden von Texas das Buch ausführlich und auch, wie ein Ionentriebwerk in einem Vakuum funktionieren würde. »Dieses Buch hat mich zum ersten Mal auf den Gedanken gebracht, zu anderen Planeten zu reisen«, sagte er.

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Russ Rive, Elon, Kimbal und Peter Rive

© Mit freundlicher Genehmigung von Maye Musk