Kapitel 14
Mars

SpaceX, 2001

image/1FBD831FD94C48BB975617F5EDD02CF4.jpg

Elon als Flugschüler (oben ); Adeo Ressi (unten )

© Mit freundlicher Genehmigung von Adeo Ressi

Fliegen

Nach seinem Rausschmiss bei PayPal kaufte sich Musk eine einmotorige Turboprop-Maschine und beschloss, wie schon sein Vater und seine Großeltern, fliegen zu lernen. Er brauchte fünfzig Flugstunden, die er in nur zwei Wochen durchzog, dann hatte er seinen Flugschein. »Ich neige dazu, alles sehr intensiv zu tun«, erklärt er. Die Prüfung nach den Sichtflugregeln fiel ihm leicht, aber die nach den Instrumentenflugregeln bestand er nicht: »Man hat eine Haube auf, damit man nicht nach draußen sehen kann, und die Hälfte der Instrumente ist abgedeckt. Dann wird ein Motor abgeschaltet, und man soll das Flugzeug zur Landung bringen. Ich bin gelandet, aber der Fluglehrer meinte ›Nicht gut genug. Durchgefallen‹.« Beim zweiten Mal bestand er die Prüfung.

Das ermutigte ihn zu dem verrückten Schritt, ein in der Tschechoslowakei gebautes sowjetisches Militärflugzeug, einen Aero L-39 Albatros , zu kaufen: »Damit wurden die Kampfpiloten trainiert, deshalb ist es unglaublich akrobatisch. Aber es ist ein bisschen gefährlich, sogar für mich.« Einmal unternahmen er und sein Flugtrainer damit einen Tiefflug über Nevada. »Das war wie in Top Gun. Du fliegst sehr nah über dem Boden und folgst dem Profil der Berge. Wir stiegen auf der einen Seite eines Berges senkrecht auf und flogen auf der anderen kopfüber wieder hinunter.«

Das Fliegen kam seinem Draufgänger-Gen sehr entgegen. Und es half ihm, die Gesetze der Aerodynamik besser zu begreifen. »Da geht es nicht einfach nur um die Bernoulli-Gleichung «, setzt er an, um zu erklären, warum die Flügel ein sich bewegendes Flugzeug in die Luft heben.

Nach ungefähr 500 Flugstunden in der L-39 und anderen Flugzeugen begann er sich zu langweilen. Aber der Reiz des Fliegens blieb.

Der rote Planet

Am Labor-Day-Wochenende 2001, kurz nachdem er sich von der Malaria erholt hatte, besuchte Musk seinen Party-Kumpel Adeo Ressi von der Penn in den Hamptons. Auf der Rückfahrt auf dem Long Island Expressway nach Manhattan sprachen sie über Musks nächste Vorhaben. »Ich wollte immer etwas im Weltraum machen«, erzählte er Ressi, »aber ich glaube nicht, dass man da als Einzelner etwas ausrichten kann.« Es wäre für eine Privatperson natürlich viel zu teuer, eine Rakete zu bauen.

War es das? Und worin genau bestanden die physikalischen Anforderungen? Alles, was Musk brauchte, war Metall und Treibstoff. Das kostete nicht wirklich viel. »Als wir den Midtown Tunnel erreicht hatten«, so Ressi , »waren wir der Meinung, dass es möglich wäre.«

Als er am Abend in seinem Hotel ankam, loggte sich Musk auf der NASA -Website ein, um deren Pläne für eine Marsmission zu studieren. »Ich stellte mir vor, dass es bald so weit sein müsste, schließlich waren wir 1969 auf dem Mond, also sollten wir auch bald auf dem Mars sein.« Da er keinen Zeitplan entdecken konnte, surfte er immer weiter auf der Website, bis ihm klar wurde, dass es bei der NASA gar keine Pläne für eine Marsmission gab. Er war entsetzt.

Bei seinen folgenden Google-Recherchen stieß er auf die Ankündigung eines Dinners im Silicon Valley, das eine Organisation namens Mars Society ausrichtete. Das klingt großartig, sagte er zu Justine und kaufte zwei 500-Dollar-Eintrittskarten. Tatsächlich schickte er sogar noch einen Scheck über 5000 Dollar, der die Aufmerksamkeit von Robert Zubrin weckte, Präsident der Gesellschaft. Zubrin ließ Elon und Justine gemeinsam mit dem Regisseur James Cameron , der den Weltraumthriller Aliens und die Filme Terminator und Titanic gedreht hatte, an seinem Tisch platzieren. Justine saß neben Cameron . »Das war sehr aufregend für mich, denn ich bin ein Riesenfan von ihm. Aber er sprach vor allem mit Elon über den Mars und warum die Menschen dem Untergang geweiht wären, wenn sie nicht andere Planeten kolonisieren würden.«

Jetzt hatte Musk eine neue Mission, eine deutlich erhabenere als die Gründung einer Internetbank oder digitaler Gelber Seiten. Er ging zur öffentlichen Bibliothek in Palo Alto, las Bücher über Raketentechnik und rief Spezialisten an mit der Bitte, ihm ihre alten Baupläne für Triebwerke zu leihen.

Bei einer Zusammenkunft von ehemaligen PayPal-Mitarbeitern in Las Vegas saß er in einer Hütte am Pool und las ein zerfleddertes Handbuch für ein russisches Raketentriebwerk. Als Mark Woolway ihn fragte, was er für die Zukunft plane, antwortete Musk: »Ich will den Mars besiedeln. Meine Lebensaufgabe ist es, aus der Menschheit eine multiplanetare Zivilisation zu machen.« Woolways Reaktion war wenig überraschend. »Alter, du bist völlig Banane.«

Reid Hoffman , ein weiterer PayPal-Veteran, reagierte ähnlich. Nachdem er von Musks Plänen gehört hatte, Raketen auf den Mars zu schicken, war Hoffman ratlos. »Aber ist das ein Geschäft?«, fragte er. Hoffman begriff erst später, dass das nicht Musks Denkweise entsprach. »Was mir nicht bewusst war: Elon startet zuerst das Projekt und sucht dann nach einem Weg, die Investitionen wieder hereinzuholen, und es finanziell auf die Beine zu stellen. Das macht ihn zu einer echten Naturgewalt.«

Warum?

An dieser Stelle sollte man einmal kurz innehalten und sich vor Augen führen, wie wild der Entschluss, Raketen zu bauen, die zum Mars fliegen, für einen dreißigjährigen Unternehmer war, der aus zwei Tech-Start-ups hinausgedrängt worden war. Was trieb ihn an, mal abgesehen von der Aversion gegen Ferien und einer kindlichen Begeisterung für Raketen, Science-Fiction und Per Anhalter durch die Galaxis ?

Seinen konsternierten Freunden gegenüber und auch in Gesprächen in den folgenden Jahren gab er stets drei Gründe für seinen Entschluss an: Er fand es erstaunlich – und beängstigend –, dass technischer Fortschritt nicht zwangsläufig entstand. Fortschritt konnte zum Stillstand kommen, es konnte sogar Rückschritte geben. Amerika war zum Mond geflogen. Doch dann waren die Shuttle-Missionen gestoppt worden, der Fortschritt war zum Erliegen gekommen. »Wollen wir unseren Kindern erzählen, dass der Flug zum Mond das Beste ist, was wir erreicht haben, und danach haben wir aufgegeben?«, fragt er. Die alten Ägypter hätten es geschafft, die Pyramiden zu bauen, aber dann sei das Wissen verloren gegangen. Das Gleiche sei mit Rom geschehen, das Aquädukte und andere Wunder geschaffen habe, mit Fähigkeiten, die im finsteren Mittelalter abhandenkamen. Sollte das nun auch das Schicksal Amerikas sein? »Die Leute liegen falsch, wenn sie glauben, dass sich die Technik automatisch immer weiter verbessert«, sagte er einige Jahre später in einem TED -Talk. »Sie verbessert sich nur, wenn eine Menge Leute hart daran arbeiten, sie zu optimieren.«

Ein weiteres Motiv war, dass die Besiedlung eines anderen Planeten das Überleben der menschlichen Zivilisation und menschlichen Bewusstseins sicherstellen könnte, sollte unserem fragilen Planeten etwas zustoßen. Er könnte eines Tages von einem Asteroiden, vom Klimawandel oder durch einen Atomkrieg zerstört werden. Musk war fasziniert vom Fermi-Paradoxon , benannt nach dem italienisch-amerikanischen Physiker Enrico Fermi , der in einer Diskussion über extraterrestrisches Leben im Universum sagte: »Aber, wo sind die anderen?« Mathematisch schien es logisch, dass es andere Zivilisationen gab, aber aufgrund des Fehlens jeglichen Beweises dafür musste man die unangenehme Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die Menschheit auf der Erde das einzige Beispiel für Bewusstsein sein könnte. »Wir haben hier diese zarte, flackernde Flamme Bewusstsein, und womöglich ist sie das einzige Beispiel für Bewusstsein. Wir müssen sie unbedingt bewahren«, sagt Musk. »Wenn wir in der Lage sind, zu anderen Planeten vorzudringen, ist die Lebensspanne menschlichen Bewusstseins wahrscheinlich deutlich größer, als wenn wir auf einem einzigen Planeten festsitzen, der von einem Asteroiden getroffen oder dessen Zivilisation zerstört werden könnte.«

Das dritte Motiv war Inspiration. Es war dem Erbe seiner Familie von Abenteurern geschuldet und seiner Entscheidung, als Teenager in ein Land zu ziehen, in dem Pioniergeist zur DNA gehört. »Die Vereinigten Staaten sind buchstäblich die Essenz menschlichen Entdeckergeists«, so Musk. »Dies ist ein Land von Abenteurern.« Dieser Geist müsste in Amerika wiedererweckt werden, befand er, und am besten, indem man sich auf die Mission zur Marsbesiedlung begab. »Eine Marsstation zu betreiben, ist unglaublich schwierig, und auf dem Weg dahin werden sicherlich Menschen sterben, so wie es damals in Amerika war, als die neuen Siedler kamen. Aber es wird auch unglaublich inspirierend sein, und wir brauchen inspirierende Dinge auf der Welt.« Das Leben könne sich nicht darin erschöpfen, Probleme zu lösen, sagt er. Man solle auch große Träume verfolgen. »Dafür lohnt es sich, morgens aufzustehen.«

Eine Reise zu anderen Planeten, so glaubte Musk, wäre einer der bedeutendsten Fortschritte in der Geschichte der Menschheit: »Es gibt nur eine Handvoll wirklich großer Meilensteine: einzelliges Leben, mehrzelliges Leben, Differenzierung von Pflanzen und Tieren, die Ausbreitung des Lebens von den Meeren an Land, Säugetiere, Bewusstsein. Auf dieser Skala ist der nächste wichtige Schritt offensichtlich: das Leben multiplanetar machen.«

Musks Fähigkeit, seinen Unternehmungen eine epochale Bedeutung beizumessen, hat etwas Belebendes, aber auch etwas Beunruhigendes an sich. Oder wie Max Levchin es trocken formuliert: »Eine von Elons größten Fähigkeiten ist es, seine Vision als Auftrag des Himmels auszugeben.«

Los Angeles

Musk hielt es für wichtig, nach Los Angeles zu ziehen, wenn er ein Raumfahrtunternehmen gründen wollte, denn schließlich waren die meisten Unternehmen der Branche dort ansässig, darunter Lockheed und Boeing : »Die Wahrscheinlichkeit, mit einem Raumfahrtunternehmen erfolgreich zu sein, war sehr gering. Aber sie wäre noch geringer gewesen, wenn ich nicht nach Südkalifornien gegangen wäre, wo die notwendigen Talente in der Luft- und Raumfahrttechnik zu finden waren.« Justine gegenüber begründete er den Umzug nicht. Sie dachte, der berühmte Glamour der Stadt würde ihn anziehen. Durch die Heirat mit ihr hatte Musk das Recht erworben, US -amerikanischer Staatsbürger zu werden, was er Anfang 2002 bei einer Gelöbnisfeier mit 3500 anderen Einwanderern in einer Messehalle in Los Angeles auch tat.

Musk begann, Raumfahrtingenieure in einem Hotel in der Nähe des Flughafens in Los Angeles zu Meetings einzuladen. »Anfangs schwebte mir nicht die Gründung eines Raumfahrtunternehmens vor, sondern eine philanthropische Mission, die die Öffentlichkeit begeistern und zu einer besseren Finanzierung der NASA führte sollte«, erklärt Musk.

Sein ursprünglicher Plan war der Bau einer kleinen Rakete, um Mäuse auf den Mars zu schicken. »Aber dann wuchs meine Sorge, dass am Ende nichts als ein tragikomisches Video von langsam dahinsiechenden Mäusen in einem Miniraumschiff von der Idee bleiben würde.« Das wäre nicht gut. »Also hieß es: Lasst uns doch ein kleines Gewächshaus zum Mars schicken.« Das Gewächshaus würde auf dem Mars abgesetzt und Fotos von wachsenden Grünpflanzen auf dem roten Planeten zurückfunken. Die Öffentlichkeit wäre so fasziniert, so die Theorie, dass sie mehr Marsmissionen einfordern würde. Der Vorschlag wurde »Mars Oasis« , Marsoase, getauft, und Musk schätzte, das Projekt für weniger als 30 Millionen Dollar auf die Beine stellen zu können.

Das Geld hatte er. Die größte Herausforderung war eine erschwingliche Rakete, die das Gewächshaus zum Mars befördern konnte. Wie sich herausstellte, gab es einen Ort, wo man Raketen kostengünstig erwerben konnte, zumindest dachte Musk das. Über die Mars Society hatte er von einem Raumfahrtingenieur namens Jim Cantrell erfahren, der an einem amerikanisch-russischen Programm zur Außerbetriebnahme von Raketen mitgearbeitet hatte. Einen Monat nach der Autofahrt auf dem Long Island Expressway mit Adeo Ressi rief Musk Cantrell an.

Cantrell war in Utah mit offenem Verdeck in seinem Cabrio unterwegs. »Alles, was ich verstand, war, dass sich ein Typ namens Ian Musk als Internetmillionär vorstellte und mich unbedingt sprechen wollte«, erzählte er später dem Esquire . Als Cantrell ihn schließlich von zu Hause aus zurückrief, erläuterte Musk ihm seine Vision: »Ich will, dass die Menschheit die Aussicht hat, eine multiplanetare Spezies zu werden. Können wir uns am Wochenende treffen?« Cantrell hatte aufgrund seines Umgangs mit russischen Behörden ein Leben in etwas dubiosen Kreisen geführt, deshalb wollte er sich an einem sicheren Ort ohne Waffen treffen. Er schlug den Club von Delta Air Lines am Flughafen von Salt Lake City vor. Musk brachte Ressi mit. Am Ende des Gesprächs hatten sie einen Plan gefasst: gemeinsam nach Russland zu fahren, um dort Startvorrichtungen und Raketen zu kaufen.